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Robert Gernhardt

Einem maschinenschriftlichen Prosatext legte Weiss einen Zettel mit dem Vermerk bei: »30.8.69–26.9.69 / Fragment (Rückfall in pessimistische ausweglose Situati-on) zeitweise Müdigkeit. Geht nicht weiter«.2 Es handelt sich um die nach einem Monat abgebrochene Wiederaufnahme seines »Divina Commedia«-Projekts vom Herbst 1969. Das Fragment ist unbetitelt und beträgt knapp 35 dicht beschriftete Seiten, die in der Weiss-Forschung als »Dante-Prosa« bekannt sind.3 Wie in Inferno steht auch hier ein Schriftsteller im Zentrum, der nach Aufhebung seines Todesur-teils aus dem Exil zurückkehrt. In Form einer Ich-Erzählung schildert er seine Wanderung durch die Schauplätze einer diesseitigen Hölle, bevölkert von zyni-schen Vertretern der Tätergesellschaft, wobei sich die surrealen Beschreibungen wahlweise der halluzinatorischen Wahrnehmung der Hauptfi gur oder dem tatsäch-lichen Geschehen in der Inferno-Gesellschaft zuordnen lassen.

1 Robert Gernhardt, In Zungen reden. Stimmenimitation von Gott bis Jandl, Frankfurt a. M.: Fischer 2000, 210 f.

2 PWA, Mappe 2262, zitiert nach Müllender, Peter Weiss’ »Divina Commedia«-Projekt, 272.

3 Peter Weiss, »Dante-Prosa« (DP), im Anhang von: Müllender, Peter Weiss’ »Divina Commedia«-Projekt, 504–540. Eingeführt wurde die Bezeichnung »Dante-Prosa« von Jens Birkmeyer, vgl.

ders., Bilder des Schreckens. Dantes Spuren und die Mythosrezeption in Peter Weiss’ Roman »Die Ästhe-tik des Widerstands«, Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 1994, hier 17–41.

Anders als in der Dramenversion Inferno fällt der Name Dante hier kein einziges Mal:4 Der Bezug zum italienischen Prätext wird vor allem ex negativo hergestellt.

Während die Dante-Figur im ersten Gesang der Divina Commedia in der Mitte ih-res Lebensweges vom geraden Pfad abkommt,5 hat Weiss’ Rückkehrerfi gur diesen Zeitpunkt längst überschritten. Das Fragment beginnt mit dem Satz: »Wäre ich schon in der Mitte meines Lebenswegs hier angelangt, so hätte ich mir viele der späteren Verirrungen […] erspart.« (DP 505) In Anbetracht seines Alters bezweifelt dieser Erzähler, dass er überhaupt in der Lage sein wird, über seine Reise zu berich-ten: Krankheiten, die ihren Grund in »missglückten Anstrengungen« haben, hin-dern ihn daran, seine Entdeckungen »vollauf auszunutzen«. (DP  505) Während Dante im Prätext sich in einem fi nsteren Wald wiederfi ndet, stellt Weiss’ Erzähler fest, dass es ihm schwerfällt, überhaupt mit dem Erzählen zu beginnen, »denn es war kein Wald, auch keine Einöde, in die ich geriet, um alles Alte abzustreifen und mich der Erleuchtung auszusetzen«. (DP 505) Der Begriff der Erleuchtung bezieht sich hier auf eine denkbar diesseitige Erfahrung:

[E]s war kein Meer des Wassers oder der Luft, kein Herausgerissensein aus allem All-täglichen und Gewohnten, sondern das Waschzimmer eines städtischen Hauses, in dem ich ins Handbecken Blut pisste. (DP 505)

Mit dieser Szene beginnt eine Reise, die sowohl in die Abgründe der Tätergesell-schaft als auch in die inneren Abgründe des Erzählers führt. Die lange Reihe traum-artiger, ineinanderfl ießender Sequenzen beginnt damit, wie sich der Zusammen-bruch des Protagonisten anbahnt: Von Schwindel und Kolik überfallen, uriniert er Blut ins Waschbecken. Er ist ein politisch radikaler Schriftsteller, dessen innere wie politische Aufruhr, so wird ihm im Verlauf der Wanderung deutlich, sich »nur noch in einem Krampf im Rücken, im Unterleib niedergeschlagen« (DP 520) hat.

Ein Nierenstein hat sich in Bewegung gesetzt, etwas Hartes sucht sich einen Weg aus seinem Körperinneren heraus. Gleichzeitig rückt das Bedrohliche aus der Au-ßenwelt an ihn heran: Aus dem Saal nebenan sind Stimmen zu vernehmen, ein Pu-blikum wartet auf ihn, nach Aufhebung seines Todesurteils soll er im Land seiner Verfolger als Redner auftreten. Sich an den Wänden entlangtastend, mit

4 Das Fragment greift indirekt auf etliche Figuren und Episoden aus dem Inferno-Teil von Dante Alighieris Divina Commedia zurück: Francesca, Minos, Belaqua, die Höllenwärter, die Selbstmör-der sowie die Höllenstadt Dis kommen in den vorbereitenden Notizen vor, vgl. dazu MüllenSelbstmör-der, Peter Weiss’ »Divina Commedia«-Projekt, 274 f.

5 Vgl. »Nel mezzo del cammin di nostra vita / mi ritrovai per una selva oscura, / ché la diritta via era smarrita.« Dante Alighieri, La Divina Commedia, hg. v. Giorgio Petrocchi, Florenz: Casa Editrice Le Lettere 1994, Bd. 1, Inferno, Canto 1, v. 1–3. Weiss orientierte sich den Gebrauchsspuren in seinem Exemplar nach zu urteilen an Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie, übers. v. Ida u. Wal-ther Wartburg. Mit 48 Illustrationen von Gustave Doré, Zürich: Manesse Verlag 1963.

gung zur Treppe gehend, der Ohnmacht nahe, begibt er sich in die zermürbende Konfrontationssituation:

Geblendet vom Sonnenlicht, das sich in den Fenstern auf der gegenüberliegenden Strassenseite widerspiegelte, trat ich zum Podium, wo ein Stuhl bereitstand. Ich setzte mich, Stirn, Nacken und Rücken von Schweiss feucht, und vernahm, wie mein Aus-sehen als käsig bezeichnet wurde. (DP 504)

Den gnadenlosen Blicken des Publikums ausgeliefert, liest er seinen Vortrag vom Blatt ab, die Erzählung setzt erst wieder ein, als er sich »vor der Kritik zu verant-worten« hat: »Ich starrte in die zahllosen beschatteten Gesichter, aus denen nur hier und da ein Auge, eine bemalte Lippe, ein Brillenglas aufl euchtete.« (DP 507) Der öff entliche Verriss geht ans Eingemachte, das Szenario der Kritik liest sich als kaf-kaesker Schauprozess,6 an dessen Ende der Redner vor versammeltem Publikum zusammenbricht:

Was mich in diesem Augenblick überwältigte, das war die Einsicht, dass […] jeder Schritt, jede Bewegung meines Lebens gegen mich ausgelegt werden konnte, dass es unter diesem Gesichtspunkt nichts, nichts Entlastendes gab, und dass vor einem sol-chen Beweismaterial, sei es auch erfunden, alles was mir bisher Halt gegeben hatte, zerbersten musste, wie eine dünne künstliche Haut, und dass darunter nur ein schrecklicher ungeordneter Wulst lag von Erfahrungen und Regungen, die vor mir selbst zu verbergen mich ständige Anstrengung gekostet hatte, und denen ich jetzt, ohne Widerstand, ausgeliefert war. Ich sah noch, wie die mit Menschen besetzte Hal-le vor mir zurücksank, so dass die Decke mit dem grossen KronHal-leuchter unter mir stand, ich, festgeklammert am Stuhl, darüber hängend, bis eine Hand sich an meine Stirn drückte und Wasser aus einem Glas in meinen Mund troff […]. (DP 507) Mit dem Verriss des Werks zerreißt die schützende Haut: Das, was dem Schriftsteller

»Halt gegeben« hat, ist »wie eine […] künstliche Haut« zerborsten, von nun an ist er

»ohne Widerstand«. Zum Vorschein kommt all das, was er bis dahin, off enbar mit-hilfe des Werks, um den Preis einer »ständige[n] Anstrengung« buchstäblich vom Leib halten konnte. Das Scheitern des Werks als Scheitern der Abwehr lässt körper-liche Symptome ausbrechen, und während der Schriftsteller in Ohnmacht fällt, dreht sich seine gesamte Welt auf den Kopf, »so dass die Decke […] unter mir stand«.

Mit dem Motiv der Ohnmacht greift Weiss eine Episode vom Ende des fünften Gesangs des Inferno aus der Divina Commedia auf und erhebt sie zur grundlegen-den Erfahrung seiner Rückkehrerfi gur. Im italienischen Prätext ist es die Liebesge-schichte der Ehebrecherin Francesca, die Dante vor Mitleid zusammenbrechen lässt, »daß mir vor Mitleid / die Sinne schwanden, so, wie wenn ich stürbe, // Und

6 Vgl. Müllender, Peter Weiss’ »Divina Commedia«-Projekt, 277.

ich sank hin, gleich wie ein Toter hinsinkt.«7 Je nach Interpretation siegt hier ent-weder der Dichter Dante über den Th eologen, oder die heftige körperliche Reakti-on Dantes auf das Schicksal der Sünderin erscheint als Geständnis seiner eigenen Sündhaftigkeit. Weiss stellt den Zusammenbruch Dantes an den Beginn der »Dan-te-Prosa«, denn sowohl die Erfahrung der Ohnmacht als auch die mit dieser Szene verbundenen Fragen von Mitleid und Mitschuld ist für seine Schilderung grundle-gend, so verschieden sie hier auch codiert und kontextualisiert werden. Weiss’ Er-zähler erholt sich nie mehr vom Zusammenbruch: Während Dante im italieni-schen Prätext aus der Ohnmacht erwacht, um, wenn auch vor Traurigkeit verwirrt, mit den Qualen im dritten Kreis der Hölle als Zuschauer konfrontiert zu werden, fehlen für Weiss’ Rückkehrerfi gur jegliche Grundbedingungen einer gesicherten Zuschauerperspektive. Im Zentrum steht vielmehr die gewaltsame Aufhebung des Prinzips künstlerischer und intellektueller Anästhesie, entsprechend kann es für Weiss’ Dante-Figur keinen wirklichen Begleiter in der Gestalt Vergils geben wie im Prätext: Bei seiner Wanderung durch die Abgründe seines Seelenlebens ist er auf einen Vergil in Negation angewiesen. Ein anonymer Wohltäter kommt auf ihn zu und bietet ihm Wasser an, es ist »jemand, den ich Vergil nennen wollte, was ich ver-warf, da es einen Vergil für mich nicht geben konnte«. Diese namenlose Gestalt gibt keinen Halt, sie verrät nicht einmal ihren Namen, »nenne mich Vergil«, sagt sie später, »mir ist es recht, wenn dir nichts anderes einfällt«. (DP 520) Im Prätext betrachtet Dante die Schlemmer und Fresser, die, vom Dauerregen berieselt, tief im Schlamm und Kot liegen. Bei Weiss wird der Erzähler dagegen selbst in den Schlamm hineingezogen: Er wird überwältigt von allem, »was keine Form hatte«.

Der Schlamm quillt über und löst alle Grenzen auf, sodass der Erzähler selbst in der wabernden Masse zu versinken droht:

[I]ch war nur noch ein Haufen Fleisch und Wasser, schwappend, verfaulend, und nicht mehr ich, sondern solche, die irgendwo noch lebten, würden sehen, wie ich langsam in der Erde versickerte. Rings um mich lagen andere […]. Leben war noch in ihnen […], sie zuckten, hier und da warf sich etwas empor, was den Anschein von dunklen Gliedmaßen hatte, doch es barst überall, dunklen Schleim entladend, schar-fe Splitter wurden sichtbar, und ein Geräusch war zu vernehmen, unendlich weit aus-gedehnt, ein Knirschen, ein fortwährendes Schnalzen und Brodeln, hier vergingen wir, in diesem Morast, der sich bis zum Horizont erstreckte, hier sanken wir immer tiefer in diesen Schlamm aus Tränen, Urin und Kot. (DP 508)

Es sind nicht Gefühle, die einen Malstrom bilden, sondern Fleisch und Körperfl üs-sigkeiten, wobei die Vorstellung vom Morast in die Darstellung einer

7 Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie, Canto V, 100, vgl. »Mentre che l’uno spirto questo disse, / l’altro piangëa; sì che di pietade / io venni men così / com’io morisse. // e caddi come corpo mor-to cade.« (Dante Alighieri, La Divina Commedia, Inferno, Canmor-to V, v. 139–142).

renden Vergangenheit übergeht. Es kommt ein Komplex zur Sprache, der nichts mit dem Motiv sündhafter Liebe aus dem Prätext zu tun hat: Die Masse aus Fleisch und Körperfl üssigkeiten erweist sich als Inhalt eines Massengrabs in einer Land-schaft von Leichenbergen. (DP 508)

Anschließend führt der Begleiter den Rückkehrer in die Welt bösartiger Litera-turkritiker, Zensoren, Wirtschaftsbosse und Opportunisten. Die Beschreibungen sind regelrechte Beschwörungen von Ekel und Aversion: Bei literarischen Empfän-gen steht »ein jeder mit einem Glas in der Hand, mit einem Brezel, einer Olive in der andern, stammelnd, schmatzend, rülpsend sich einander zuwendend«, eine Darstellung wie die Ekphrasis eines Gemäldes von George Grosz, »die Gesichter erbleichend oder vor Zorn gerötet, aufeinander einfauchend, das Glas fallen las-send, einander um die Ohren, in die Fresse schlagend«. Auch die Bilderwelt von Hieronymus Bosch blitzt auf: Vergeblich versuchen die Vertreter des Kulturestab-lishments ihre »Rüssel, Borsten und Hauer« zu verbergen. (DP 511) Die Schilde-rungen steigern sich bis hin zu Passagen, die an eine Orgie des Marquis de Sade denken lassen: In einem Raum mit »Wände[n] und Säulen mit kostbaren Schmuck-gegenständen behängt«, wo es »vor Gold, Silber, Juwelen« blinkt, benutzen die

»nackten Beherrscher die Körper ihrer Opfer […], um sich daran zu befriedigen, um sie mit Riemen und Stöcken zu bearbeiten«8. Während sich Jünglinge orgias-tisch prügeln, schwankt der Erzählgestus zwischen Ekel und Faszination. Der Rückkehrer changiert zwischen Abgrenzung und Anpassung, denn trotz seines Ab-scheus geht er im Szenario auf, etwa wenn er sich darum bemüht, auf dem literari-schen Empfang eine gute Figur zu machen. Seine ambivalente Haltung verdichtet sich in der Frage, zu welchem Lager sein geheimnisvoller Begleiter gehört, denn er ahnt es: »Du kennst diese Herren gut, du bist auf ihrer Seite, fl üsterte ich, und er, grinsend, hier kann man nur auf einer Seite sein.« (DP 540) Der Erzähler lehnt den Opportunismus seines Begleiters ab, erkennt aber zugleich, dass er selbst sich »im gleichen Betrieb« wälzt. (DP 512)

Der Unterschied zwischen dem Rückkehrer und seinem Begleiter, der nicht wirk-lich Vergil heißt, besteht darin, dass dieser auf genau das zurückgreifen kann, was sich jenem entzieht: das rettende Prinzip der Anästhesie, eine gewisse Unempfi ndsamkeit als Voraussetzung von Integrität. Aufgrund seiner unkontrollierten Emotionalität scheitert der Rückkehrer sowohl an der Abgrenzung vom Inferno als auch an der An-passung daran. Sein Begleiter hingegen, das wird auf der deskriptiven Ebene deutlich,

8 »Dem einen war schon ein Auge ausgefl ossen, und das zweite verschwollen, dem andern klaff te ein Biss am Hals, und dieser, die Erblindung des Widersachers ausnutzend, schlug ihm das Knie in den Unterleib und presste seine Daumen in dessen Kehle, dem in der Unterlage aber gelang es, dem auf ihm Knieenden das Bein zu brechen. […] Wie geschah es, fragte ich mich, dass dann doch derjenige, der ein Auge verloren hatte, den andern überwand, denn ich wollte es nicht sehn, ich lief schon weiter, aber ich hatte es doch gesehn. Dem war gelungen, seinen Daumen tief in den After des Mitkämpfers zu rammen, ihn hineinzuschrauben in dessen Gedärme und diese, ich hörte das platzende Geräusch, zu zersprengen.« (DP 524 f.)

stellt rettende Distanz durch Gelassenheit und Ironie her – »heiter war der Ausdruck seines Gesichts« (DP 511), »läppisch murmelte er« (DP 517), »lachte nur« (DP 521),

»brach in ein Gelächter aus« (DP 523), »mit belustigtem Lächeln« (DP 526 f.), »spiel-te […] verständnisloses Erstaunen vor« (DP  533). Er belehrt den Rückkehrer:

»[W]eil du sehen willst, musst du dich […] verhärten können«, und weist ihn darauf hin, dass »pöbelhafte Ausfälle« lediglich »amüsiertes Gelächter« hervorrufen. (DP 517) Entscheidend ist nun, dass gerade die Gelassenheit des Begleiters den Rückkehrer in den Wahnsinn treibt. Der Nicht-Vergil verkörpert das nachkriegsdeutsche Ironiege-bot, sein gelassenes Dauergrinsen löst beim Rückkehrer Panik aus, er springt auf, »um mit dem Kopf gegen die Wand anzurennen. Meinen Begleiter hörte ich mitteilen, dass ich erst seit kurzem hier sei und die Regeln noch nicht kenne.« (DP 516) Für den Rückkehrer lauert der Tod in den Grauzonen zwischen Scherz und Ernst:

Sie hatten dich doch einmal verurteilt zum Tod des Erstickens im Rauch, sagte er neben mir, vielleicht macht es ihnen Spass, dies jetzt zum Zeitvertrieb nachzuholen. Er sprach es aus wie einen Witz, und grinste dabei, und ich hätte es auch nicht ernst genommen, wären nicht die Menschen draussen gewesen, mit ihrem Reisig, die, dessen war ich plötzlich gewiss, auf dem Weg waren, einen Scheiterhaufen anzurichten. (DP 510) Den Rückkehrer überfällt »wilde Furcht«; er will zur Tür rennen, aber der Begleiter hält ihn zurück und belehrt ihn: »Hätten sie das mit dir vor, […] dann würdest du ihnen an der Tür in die Arme laufen« (DP 510). Anschließend erklärt er, weshalb es sich bei dem Reisighaufen keineswegs um eine Hinrichtungsstätte handeln könne:

[D]er Rahmen einer Hinrichtung ist immer der modernste, der praktischste, ist im-mer der höchsten Entwicklung des jeweiligen Gesellschaftsstandes angepasst, wie sonderbar er dir auch im Augenblick der letzten Schritte vorkommen mag.(DP 510) Die beschwichtigende Botschaft wird dreifach unterlaufen: Erstens weil der Beglei-ter, hierin dem Hauptmann in Kafkas »In der Strafkolonie« ähnlich, den hoch ent-wickelten Stand der Hinrichtungstechnik lobpreist; zweitens durch die bedrohli-che Ankündigung, »dir« werde sie »im Augenblick der letzten Schritte« sonderbar vorkommen; drittens durch die Tatsache, dass draußen bereits eine Rauchwolke aufsteigt.

Angesichts solch perfi der Suggestion mag die Th ese zunächst überraschen, dass der Begleiter, der nicht Vergil heißt, Hans Magnus Enzensberger genannt werden könnte. Die Übereinstimmung mit einzelnen Wendungen aus der Kursbuch-Kont-roverse9 zwischen Weiss und Enzensberger im Jahr 1966 ist frappierend.

9 Peter Weiss, Hans Magnus Enzensberger: »Eine Kontroverse«, in: Kursbuch 6 (1966), 165–176.

Weiss’ Beitrag war eine Reaktion auf Enzensberger, »Europäische Peripherie«, in: Kursbuch 2 (1965), 154–173. Enzensbergers letzte Erwiderung erschien zusammen mit Weiss’ Beitrag.

ständlich ging es bei dieser Debatte nicht um die Frage, ob und wie Peter Weiss hingerichtet werden würde, vielmehr wurden politische Grundsatzfragen disku-tiert: Enzensberger vertrat die Ansicht, dass die Gegenüberstellung von Arm und Reich weltpolitisch entscheidender sei als die von Weiss betonte Gegenüberstellung von Kommunismus und Kapitalismus. Der polarisierende Diskurs zwischen Ost und West täusche Enzensberger zufolge darüber hinweg, dass der Begriff des Kolo-nialismus die Lage nach wie vor am besten erfasse. Enzensberger prangerte Weiss’

Solidarisierung mit der Dritten Welt als Selbsttäuschung an: Ein linker Schriftstel-ler aus einem wohlhabenden Land habe wesentlich mehr mit seinen politischen Kontrahenten aus dem gleichen Kulturkreis gemein als mit den Armen in der Drit-ten Welt. Weiss wiederum erkannte in den Ausführungen Enzensbergers das »Aus-weichen vor einer persönlichen Stellungnahme« und forderte ihn dazu auf, sich zu

»gefährden«, »Farbe [zu] bekennen«. Enzensberger, schon damals als intellektuelles Chamäleon bekannt, antwortete mit einer beißend ironischen Demontage der ge-samten Grundlage von Weiss’ Engagement:

Unsere selbsternannten Vorbilder sind solidarisch mit den Unterdrückten. Sie beken-nen Farbe. Wir anderen […] schreiben ja nur. […] Dagegen Peter Weiss und andere!

Die gefährden sich. Die kämpfen. Die haben nichts zu tun mit der Gesellschaft, in der sie leben. Die sind ausgetreten. Die stehen Schulter an Schulter mit dem schwarzen Grubenarbeiter in den Kupferminen von Transvaal, mit dem asiatischen Reisbauern in den Feldern von Süd-Vietnam, mit dem peruanischen Indio in den Vanadium-Berg-werken. […] Ich bitte euch, meine Herren, schaut in den Spiegel, ehe ihr den Mund aufmacht! Ist es wirklich ein schwarzer Grubenarbeiter, der da Schulter an Schulter mit euch an der Bar sitzt? […] Wer klopft sich da immerfort auf die Schulter?10

Weiss mache es sich zu einfach, seine politische Entscheidung sei »leer« und »blind«, seine Schlagworte könnten den Abgrund zwischen einem privilegierten Schriftstel-ler und den Unterdrückten niemals überbrücken. In der »Dante-Prosa« fährt der Begleiter den Rückkehrer an: »Du gehörst selbst zu den Auserwählten« (DP 523),

»wenn du dies nicht erkennen willst, gibst du dich dem […] Selbstbetrug hin«

(DP 524). Enzensbergers Auff orderung, Weiss möge in den Spiegel schauen, wird in der »Dante-Prosa« im Dialog zwischen Nicht-Vergil und Rückkehrer zugespitzt:

»Du unterscheidest dich nicht von uns, sagte er zu mir, das müsstest du bemerkt haben, sieh doch, gerade bist du auf einen Bauch getreten, jetzt stehst du auf einem Kopf.« (DP  525) Der Begleiter spricht unangenehme Wahrheiten an: Der un-glückliche Rückkehrer stellt fest, tatsächlich auf einem Körper zu stehen und somit off ensichtlich nicht zu den Getretenen zu gehören. Im Sinne Enzensbergers wird er weiter belehrt: Der Nicht-Vergil spricht vom »kindischen Verbesserungswillen«

10 Hans Magnus Enzensberger, »Peter Weiss und andere«, in: Kursbuch 6 (1966), 171–176, hier 175.

und von »hohler Phrasenkunst«; »hier, an diesem Ort, reichen deine alten Erklä-rungen, deine Moral, deine Bewertungen nicht aus«. (DP 520) Erneut sieht sich der Rückkehrer gezwungen, seinem Begleiter recht zu geben: »[A]lle gewichtigen

und von »hohler Phrasenkunst«; »hier, an diesem Ort, reichen deine alten Erklä-rungen, deine Moral, deine Bewertungen nicht aus«. (DP 520) Erneut sieht sich der Rückkehrer gezwungen, seinem Begleiter recht zu geben: »[A]lle gewichtigen