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2. Alltagskultur in D eutschland

2.4 Kultureller G esch m a ck

2.4.2 M usikgeschm ack

M

usikgeschmack ist ein wichtiger Indikator für kulturelle Zugehörigkeit und soziale Strukturierung nach ästhetischen Kriterien. Denkweisen, Deutungs­

m uster und auch politische Einstellungen werden aufgegriffen und musikalisch verarbeitet. Von den verschiedenen Kulturprodukten bringt M usik darüber hinaus Stimmungen und Gefühlsregungen am ehesten zum Ausdruck. Verschiedene Rich­

tungen ziehen ein jeweils spezielles Publikum an, das in ihren Hörgewohnheiten, Kenntnissen und Stimmungen variiert.

Durch die Verbreitung von audio-visuellen Medien ist in W estdeutschland M usik in fast alle Bereiche des Alltags eingezogen. Unterhaltungsmusik ist durch die Verbreitung enorm aufgewertet worden. Ein weiterer Grund für die Anerkennung m oderner Musikrichtungen liegt auch darin, daß E-Musik stark durch Repräsenta­

tion bestimm t ist und fraglich ist, inwiefern das Publikum den Kunstwert von Musikwerken wahmimmt. Gleichzeitig hat eine Intemationalisierung der M usik stattgefunden, die bis in die Auswahl von Volksliedern hineinreicht. „Auch die Schulliederbücher haben inzwischen einen immer höheren Anteil an ausländischen Liedern aufgenommen, so daß man von einer Europäisierung, wenn nicht von einer Intemationalisierung des bundesdeutschen Liedgutes sprechen könnte“ (Kühn, Rodekohr 1983: 473).

In der ehemaligen DDR wurden internationale Trends nur zögerlich verfolgt, insgesamt wurde stärker auf die Pflege volkstümlicher M usik geachtet. Auch in den Bereichen Schlager und Jugendmusik sollten sich deutschsprachige Produkte be­

haupten. Aufgrund technischer Rückstände in der Rock- und Popmusik (Mischpul­

te) ist dieser Versuch mißlungen, und der Import von Schallplatten ebenso wie eigene Rockbands wurden geduldet. Als Erfolg können die Produkte der deutsch­

sprachigen Liedermacher gelten, die auch im Westen beachtlichen Zuspruch fanden.

Der Bereich der traditionellen Klassik erlangte internationale Anerkennung und wurde großzügig gefördert. Das Repertoire der Orchester in der DDR entsprach dem in W estdeutschland (vgl. Kühn 1983: 521).

W egen der ideologischen Ablehnung von Kulturprodukten aus dem westlichen Ausland in der ehemaligen DDR, der volkstümlichen Ausrichtungen und der als insgesamt „kleinbürgerlich“ gekennzeichneten Lebensweise (Woderich 1992) kann davon ausgegangen werden, daß traditionellere Strömungen wie Schlager und Blasmusik in Ostdeutschland höher im Kurs stehen. Aufgrund der Popularisierung

von klassischer M usik und der höhere Anteil in der Bevölkerung mit Abitur im W esten ist hier ein größeres Interesse an Klassik oder Oper zu erwarten. A uf der anderen Seite ist die Teilnahme aller Schichten am kulturellen Leben in der ehemaligen DDR besser als im W esten gelungen, so daß möglicherweise in den neuen Ländern breitere Bevölkerungskreise die sogenannte E-M usik schätzen.

Aus Abbildung 5 ist ablesbar, daß sich Ost- und Westdeutsche hinsichtlich des M usikgeschmacks weniger stark als beispielsweise bei den Femsehgewohnheiten unterscheiden. Oldies, Rock- und Popmusik sind in den neuen und alten Ländern gleichermaßen beliebt. Die spezielleren, wenn auch gegensätzlichen Sparten Oper („herrschende“ Kultur) und Punk, Heavy Metal („Protest“) finden immerhin noch bei jew eils jedem zehnten Befragten beider Landesteile Zustimmung.

Klassische M usik ist nach diesen Ergebnissen im W esten zu einem populären Kulturgut geworden - zumindest bestimmte Formen und Stücke. Klassik nimmt hier den dritten Platz ein, in Ostdeutschland den siebten. Diese Musikrichtung gehört zur „legitimen Kultur“ (B ourdieu 1987) und verlangen zu ihrem Genuß ein gewisses M aß öffentlicher Subventionen wie auch individueller zeitlicher und finanzieller Investitionen. Jazz hat im W esten ebenfalls stärkere Verbreitung als in Ostdeutsch­

land gefunden. Ferner wird die Hypothese eines eher volkstümlichen Geschmacks und auch praktische Erfahrung m it ostdeutschen Radiosendem durch diese Umfrage bestätigt: Volks-, Blas- und M arschmusik sowie Deutsche Schlager finden in Ostdeutschland deutlich höheren Anklang als im Westen. Die frühere relative Abgeschlossenheit der ostdeutschen Gesellschaft und die Förderung deutschspra­

chiger Kulturgüter in der früheren DDR dürften im M usikgeschmack nachwirken.

Signifikante Unterschiede existieren auch zwischen Bevölkerungsgruppen in­

nerhalb der Landesteile. Rockmusik und Punk finden ihre Fans häufiger unter M ännern als unter Frauen. Musicals hingegen treffen auf den Geschmack von Frauen, vor allem im W esten. Auch klassische Musik wird in erster Linie von weiblichen Befragten aus den alten Ländern gehört. In Ostdeutschland sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede nicht so stark ausgeprägt. Der musisch­

künstlerische Bereich insgesamt spricht Frauen aus dem W esten ganz besonders an.

Die von Neckel (1993) aufgezeigte Tendenz, daß Frauen aus dem W esten auffällig an selbstbezogenen und musischen Aktivitäten interessiert sind, bestätigt sich.

Frauen beziehen ihre Qualifikationen weniger auf sachbezogene und einflußreiche Aktivitäten, sondern eher auf solche des Stils und der „schönen Künste“. Die Ergebnisse beim Femsehinteresse und Musikgeschmack belegen die These Bourdieus, daß die traditionellen Zuständigkeiten der Geschlechter, Fam ilie einerseits und B eruf andererseits, nach wie vor im kulturellen Geschmack sichtbar werden: „... und

Abbildung 5: Interesse an Musiksendungen

Interesse an Musik is t ...

sehr stark

stark

Tabelle 6: Ausgewählte Musikinteressen in Ost- und Westdeutschland

Deutsche Schlager

Klassik Rockmusik

West Ost West Ost West Ost

sehr stark und stark in Prozent

Insgesamt 2 4 37 2 8 20 27 24

Geschlecht

Männer 23 3 2 2 4 2 0 33 32

Frauen 26 4 2 32 20 21 18

Alter

18-30 Jahre 13 22 26 16 52 48

31-45 Jahre 25 38 24 16 22 22

46-61 Jahre 34 51 33 27 6 3

Bildung

Haupt./POS 39 57 13 12 19 9

Mittlere Reife/FHS 17 32 30 15 28 30

Abitur 8 22 51 50 37 31

Stellung im Beruf

Un-/Angelernte Arbeiter 46 46 11 5 26 26

Facharbeiter 32 33 11 5 34 44

Einfache Angestellte 29 47 19 15 29 18

Qualifizierte Angestellte 16 2 4 32 35 25 21

Beamte 18 / 37 / 22 Z

Selbständige 18 41 43 18 13 13

Nichterwerbstätige 26 44 2 9 19 28 19

Fett: Signifikant nach dem Kolmogorov-Smirnov-Test für zwei unabhängige Stichproben Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1993 • Zusatzfragebogen Lebensstile

(Befragte bis zu 61 Jahren)

schließlich wohl auch die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, die den Frauen die ausschließliche Kompetenz in Fragen des Geschmacks und die Pflege des traditionellen kulturellen Kapitals zuweist, während sie den Männern die praktisch orientierte ökonomische und politische Bildung reserviert.“ (Bourdieu 1987: 496).

D er M usikgeschmack älterer Personen differiert erwartungsgemäß klar von dem jüngerer Bevölkerungsgruppen, jener von Bessergebildeten von Befragten

m it niedrigen Schulabschlüssen und der von M ännern teilweise von dem von Frauen. Jüngere besitzen bekanntlich ihre eigene M usikkultur im Bereich Pop, Rock oder Punk, Heavy Metal. Die Altersgruppe von 45 bis zu 61 Jahren bevorzugt Volksmusik, Schlager, Blas- und Marschmusik. Vergleichbare Tendenzen zeigen sich zwischen Personen mit unterschiedlichen Bildungsabschlüssen: Volkstümli­

che M usik entspricht dem Geschmack von Personen mit niedrigeren Schulabschlüs­

sen und Rockmusik wird häufiger von Befragten mit Abitur konsumiert. Höhere soziale Statusgruppen sind das Publikum der Hochkultur: Klassische Musik, Oper und auch Jazz. Die stärkere Präferenz der ostdeutschen Bevölkerung für populäre Kulturprodukte hebt sich auch bei der gruppenspezifischen Betrachtung kaum auf.