• Keine Ergebnisse gefunden

2. Alltagskultur in D eutschland

2.4 Kultureller G esch m a ck

2.4.1 Fernsehinteressen

F

ernsehgeräte befinden sich flächendeckend in allen Haushalten, und je nach Empfang steht eine mehr oder weniger große Programm Vielfalt zur Verfügung.

Nicht nur die Programme sind durch Privatanbieter angewachsen, auch die Sende­

zeit erstreckt sich mittlerweile fast auf den gesamten 24-Stunden-Tag. Die tägliche Nutzungszeit des Fernsehens in der Freizeit hat sich im Westen seit M itte der 1960er Jahre fast verdoppelt: von 64 Minuten auf 1 lOMinuten 1985 (Meulemann 1992: Teil II, S. 14). Im großen und ganzen kann jeder ohne finanziellen M ehraufwand - bei

gegebenen Interesse - aus dem TV-Angebot auswählen. Fragen des kulturellen Geschmacks und des Interesses können auf Basis dieser detailliert erhobenen Freizeittätigkeit besonders gut erfaßt werden.

Programme und Angebote erscheinen vielfältiger als die Interessen der Zuschau­

er, die sich auf Nachrichten und Spielfilme konzentrieren (Engel, Frank 1987:

270ff). Die M otive femzusehen liegen im „Infotainment“ und in „Animation“. Im W esten hat sich das Fem sehverhalten in den letzten Jahren gewandelt: Für mittlere und jüngere Altersjahrgänge ist femsehen pur häufig Zeitvergeudung, femsehen ist zur Zweittätigkeit degradiert. M it zunehmenden Programmen und als lästig empfun­

dener W erbung schwindet die Treue zu Programmen und Sendungen.

In der DDR war auch das Fem sehen ein kulturelles Medium, das in das Agitations- und Propagandaprogramm der Regierung eingebunden war. Daten über die Fem sehnutzung unterlagen strengster Geheimhaltung, so daß über Verhalten und Struktur der Nutzer keine gesicherten Angaben gemacht werden können. Eine wichtige Rolle nahm das „W estfernsehen“ ein, das bis auf wenige Regionen in der ganzen DDR zu empfangen war. Es wurde einerseits als glaubwürdigere Informa­

tionsquelle geschätzt und vermittelte andererseits unerreichbare Traumwelten (Hik- kethier 1983:182 ff). W egen des hohen Bekanntheitsgrades des westlichen Fernse­

hens in Ostdeutschland sind keine wesentlichen Nachholerscheinungen zu erwarten.

Unterschiedliche Interessen in W est und Ost werden im Bereich Kultur erwartet, der häufiger W estdeutschen Gegebenheiten entspricht.

Besonders auffällig sind unsere widersprüchlichen Ergebnisse: obwohl Fem se­

hen zu den häufigsten und beliebtesten Freizeitaktivitäten zählt, ist das Interesse an einzelnen Sendungen nicht sehr stark ausgeprägt (vgl. Abb. 4). Die höchsten Werte erreichen Spielfilme, für die sich etwa jeder achte sehr stark interessiert. Spielfilme, Krimis, Talkshows und Sportsendungen sind in beiden Landesteilen ähnlich beliebt. Bei den unteren Rangplätzen hat Volkstheater im W esten wie in Ostdeutsch­

land gleichermaßen geringe Zustimmung gefunden. Kunst und Kultur interessiert nur ein kleines Publikumssegment. Und auch Serien oder Shows werden weniger geschätzt als ihr ausgedehnter Anteil an Sendezeit nahelegt.

Bei den einzelnen Ausprägungen zeigen sich entgegen der Annahme zwischen W est- und Ostdeutschen relativ starke Unterschiede. Vor allem Aspekte aus dem Spannungsschem a finden in Ostdeutschland höheren Anklang (Action- und Horror­

film e, Pop-Rockmusik und Science-fiction, Fantasy). Der Dimensionalisierung Schulzes (1992) entsprechend, sind dies Kulturprodukte, die mit starken Sinnesein­

drücken, Abwechslung und Action einhergehen. Auch die Populärkultur in Form von Unterhaltungsserien, Shows oder Heimatfilmen ist beliebter. Im W esten sind

Abbildung 4: Interesse an Fernsehsendungen

Interesse an Fernsehsendung is t ...

Spielfilme Krimis

Dokumentationen

Politische Magazine

Talkshows

Sport

Shows, Quiz

Actionfilme

Unterhaltungsserien

Kunst, Kultur

Science fiction, Fantasy

Pop, Rock

Heimatfilme

Volkstheater

Horrorfilme

20 40 60%

Fett: Signifikante Unterschiede nach dem Kolmogorov- Smirnov- Test für zwei unabhängige Stichproben

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1993

• Zusatzfragebogen Lebensstile (Befragte bis zu 61 Jahren)

Sendungen aus dem hochkulturellen und informativen Spektrum beliebter als in Ostdeutschland {Dokumentationen zur Zeitgeschichte, Politische Magazine, Talk­

shows und Kultursendungen). Der höhere Anteil der Bevölkerung mit höheren Bildungsabschlüssen erklärt teilweise diese Antwortverteilungen. Die ostdeutsche Bevölkerung hat ein stärkeres Bedürfnis nach harmonischen Weltdeutungen und auch zukunfts- und phantasieorientierten Inhalten. Insgesamt steht die Bevölkerung aus den neuen Ländern den Kulturprodukten näher, die Spannung, Gemütlichkeit, Sicherheit und Happy-End transportieren.

Jüngere Altersgruppen bilden die Klientel für Rock-, Popmusik- und naturwis­

senschaftliche Sendungen. Ältere Personen favorisieren Unterhaltungsserien und Shows. Im Hinblick auf Sport und Techniksendungen zeigen sich substantielle geschlechtsspezifische Unterschiede (Engel, Frank 1987: 275). Vergleichbare Er­

gebnisse sind für beide Landesteile bei der Frage nach dem Interesse an bestimmten Fernsehsendungen zu erwarten.

Nach Geschlecht (vgl. Tab. 5) differenziert, ergibt sich das entsprechende Bild:

Sportsendungen werden in erster Linie von Männern gesehen. Im W esten interessie­

ren sich 25% sehr stark hierfür, während es von den Frauen lediglich 2% sind (Ost:

31% im Vergleich zu 4%). Große Differenzen bestehen ebenfalls bei den Spannung verbreitenden Sendungen Science-fiction und Actionfilme. Auch Informationssen­

dungen finden bei Männern stärkere Resonanz. Frauen bevorzugen Unterhaltungs­

serien, Heimatfilm e (besonders häufig in Ostdeutschland) und Kultursendungen (die letzteren vor allem im Westen).

Dokumentationen zurZeitgeschichte und Heimatfilme treffen in erster Linie auf den Geschm ack älterer Personen, während der Spannungsbereich in erster Linie den jüngeren Vorbehalten bleibt. Ein Grund für die überaus große Beliebtheit dieser Filme bei den Jüngeren aus Ostdeutschland dürfte im Nachholbedarf liegen, da diese Film genres - vor allem in Form von Videos - dort früher kaum verbreitet waren. Das in den neuen Ländern vergleichsweise große Interesse an Unterhaltungsserien geht auf die Altersgruppe der 46- bis zu 61jährigen zurück, das im W esten von dieser Gruppe nicht geteilt wird. In jeder Altersgruppe zeigen sich beim kulturellen Geschmack Differenzen zwischen Ost- und W estdeutschen, der in Ostdeutschland zugunsten populärer Kulturgüter ausfällt.

Bildung differenziert deutlich. Shows, Sportsendungen, Volkstheater, Heimatfil­

me, Krimis und Actionfilme richten sich an geringer Gebildete, während Politische M agazine oder Dokumentationen zur Zeitgeschichte von Befragten mit Abitur präferiert werden. Dieses Muster zeigt sich in beiden Landesteilen, wenn auch innerhalb der Gruppen noch Unterschiede festgestellt werden können. Personen mit A bitur sind dabei in ihren Femsehinteressen am ähnlichsten.

Tabelle 5: Ausgewählte Fernsehinteressen in Ost- und Westdeutschland Dokumen- Actionfilme Unterhaltungs Heimatfilme

tationen -Serien

West Ost West Ost West Ost West Ost

sehr stark und stark in Prozent

Insgesamt 42 34 26 37 22 30 15 23

Geschlecht

Männer 47 41 33 49 11 21 10 16

Frauen 36 27 19 25 33 39 20 30

Alter

18-30 Jahre 32 27 40 56 22 25 4 9

31 -45 Jahre 42 35 24 38 23 27 13 21

46-61 Jahre 52 41 14 16 21 38 29 39

Bildung

Haupt./POS 36 32 30 30 29 51 28 48

Mittl. Reife/FHS 44 30 26 43 23 26 6 16

Abitur 52 53 19 26 6 10 3 9

Steilung im Beruf

Un-/Angelernte 23 24 37 48 31 47 18 33

Facharbeiter 39 32 43 70 20 23 16 13

Einfache Angest. 37 26 26 22 34 48 25 23

Qualifizierte Ang. 47 44 19 24 15 20 8 12

Beamte 57 / 16 1 11 / 3 /

Selbständige 64 34 17 13 15 14 12 19

Nichterwerbstät. 37 30 26 34 29 37 24 37

Fett: Signifikant nach dem Kolmogorov-Smirnov-Test für zwei unabhängige Stichproben Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1993* Zusatzfragebogen Lebensstile

(Befragte bis zu 61 Jahren)

Un- und Angelernte haben zwar in beiden Landesteilen ein gleichermaßen geringes Interesse an Informationssendungen', im Populär- und Spannungsbereich unterscheiden sie sich jedoch erheblich. In den neuen Ländern wird eine größere Vorliebe für diese Art Sendungen dokumentiert. Facharbeiter unterscheiden sich ebenfalls im Hinblick auf das Interesse an Actionfilmen erheblich. Qualifizierte Angestellte weisen die geringsten Differenzen auf. Für die Auswahl von

Interakti-onspartnem, Freizeitverhalten und Geschmack ist die Qualifikation zunehmend der entscheidende Faktor (vgl. Schulze 1992:185). Selbständige aus dem W esten heben sich von denen aus Ostdeutschland durch ihr überdurchschnittliches Informations­

interesse ab. Auch die ostdeutschen Selbständigen schauen in erster Linie fern, um sich zu informieren. Da das Interesse für Unterhaltung sehr gering ausgeprägt ist, verfügen ostdeutsche Selbständige, wie bereits die Angaben zur Lebensweise ergeben haben, kaum über Freizeit; ihre geringe Freizeit widmen sie sachbezogenen Themen.

Zusammenfassung

Frauen aus beiden Landesteilen bevorzugen häufiger Sendungen aus dem Trivialbe­

reich, während M änner häufiger Action und Informationen befürworten. Ältere unterscheiden sich deutlich von Jüngeren und gering Qualifizierte von höher Qualifizierten durch ihre Vorliebe für populäre, gefühlsbetonte und leichter ver­

ständliche Sendungen. Insgesamt sind vor allem bei vergleichbarer Qualifikation zwischen Ost- und W estdeutschen Gemeinsamkeiten der Interessen feststellbar. Als bestimm ende Faktoren für unterschiedliche Femsehinteressen wirken somit in erster Linie sozialstrukturelle Differenzierungen: Qualifikation, A lterund Geschlecht. In Ost- und W estdeutschland geschieht dies jedoch auf unterschiedlichem Niveau und m it bestimmten Verschiebungen zugunsten populärer und spannungsvermittelnder Sendungen in Ostdeutschland.