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Liebe und Sexualität in den ausgewählten Texten im Vergleich zu den Satyrica – Parallelen

A. LIEBE, SEXUALITÄT UND GESCHLECHTERROLLEN IN AUSGEWÄHLTEN

3. Liebe und Sexualität in den ausgewählten Texten im Vergleich zu den Satyrica – Parallelen

Aufarbeitung

Liebe und Sexualität im griechischen Liebesroman

In der griechischen Liebesprosa wird die gegenseitige, tiefe Liebe der beiden Protagonisten füreinander als das wichtigste und wertvollste Gut überhaupt geschildert: „Love is central to the genre, and above all to the Greek novels.“95 Liebe wird in den griechischen Texten als umfassendes Konzept präsentiert, das das Fühlen und Denken eines Menschen völlig einnimmt:

92 Holzberg (2006), S. 83.

93 Alpers (1996), S. 52.

94 Auf diesen Punkt wird unten genauer eingegangen.

95 Konstan (1994), S. 6.

Unter ‘Liebe’ wird im griechischen Roman der gesamte Komplex von körperlicher und seelischer Zuneigung verstanden, der den ganzen Menschen fordert und sein umfassendes persönliches Verhältnis zum anderen Geschlechtspartner ausdrückt.96

Die Liebe zwischen den beiden Helden entsteht innerhalb weniger Momente und stellt augenblicklich eine starke emotionale Verbindung zwischen den Protagonisten her. Die Intensität ihrer Liebe bleibt während der gesamten Handlung entweder konstant bestehen97 oder wird aufgrund der Trennung der Figuren noch gesteigert. Besonders dabei ist, dass “the hero and heroine are represented as being equally the subjects of passionate desire, they are not discriminated into an active and a passive partner in love.“98 Die zeitgenössischen griechischen Verhältnisse – die Romane rekurrieren auf das 5. und 4. Jh. v. Chr. – offenbaren jedoch ein anderes Bild: Griechische Männer genossen, im Gegensatz zu Frauen, eine Vielzahl von Privilegien, wenn es um das Ausleben von Liebe oder Sexualität ging. Frauen waren den Männern in der Realität im Hinblick auf ihre Sexualität also keineswegs gleichgestellt. Normatives Sexualverhalten bedeutete für einen freigeborenen griechischen Mann, immer derjenige zu sein, der andere penetrierte, d.h. die aktive Rolle beim Sex zu übernehmen. Dies galt sowohl für den Geschlechtsverkehr mit Frauen, als auch mit Sklaven, Prostituierten und Hetären sowie mit Knaben.99

Die bei den Griechen übliche und als Privileg der Oberschicht angesehene Praxis der Päderastie100 wurde in verschiedenen poleis gepflegt. Die Päderastie zeichnete sich durch den altersbedingten psychisch-geistigen Unterschied zwischen freigeborenen Partnern aus.

Die Regel war ein Verhältnis zwischen einem älteren, über 18 Jahre alten erwachsenen Mann (Erastes) und einem jungen Knaben (Eromenos), der eine solche Beziehung zwischen seinem 12-18 Lebensjahr eingehen durfte. Die alterbedingte Differenz zwischen dem Erastes und Eromenos war die Basis für die erzieherische Funktion der Päderastie: Dem Erastes fiel die Aufgabe zu, dem jüngeren Eromenos die kalokagathía näher zu bringen, also ihn zu sittlicher Tugendhaftigkeit und körperlicher Ästhetik bzw. Schönheit zu erziehen. Er übte somit eine Vorbildfunktion für seinen jüngeren Partner aus, fungierte als Lehrer und Mentor.101 In sexueller Hinsicht gab es für den Eromenos feste Regeln:

Zunächst erleichterte die natürliche altersmäßige Unterlegenheit des Knaben, sich dem erwachsenen Mann unterzuordnen, und legitimierte seine passive, d.h. unmännliche Rolle in der Beziehung. Darüber hinaus war von dem Pais unbedingte sexuelle Teilnahmslosigkeit gefordert wie auch die strikte Verweigerung jeder geschlechtlichen Penetration. Die feste

96 Johne, Renate: Zur Figurencharakteristik im antiken Roman, in: Kuch (Hrsg.) (1989), S. 150-177, hier S. 161.

Vgl. ebenso Dies.: Women in the Ancient Novel, in: Schmeling (Ed.) (2003), S. 151-207, bes. S. 164-171.

97 Vgl. Konstan (1994).

98 Konstan (1994), S. 7.

99 Vgl. z.B. Skinner (2005), S. 141-146.

100 Siehe dazu ausführlich: Reinsberg, Carola: Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland, München: Beck 1989, S. 163-215 sowie Dover, Kenneth J.: Homosexualität in der griechischen Antike (im Original: Greek Homosexuality von 1978), München: Beck 1983. Päderastie (vom griech. pais und eran abgeleitet: „Kind“ und „verlangen, lieben“) bezog sich nur auf Knaben. Pais bezeichnet im weitesten Sinne sowohl weibliche und männliche Jugendliche als auch Personen, die sich in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis befinden, beispielsweise Sklaven.

101 Vgl. Plat. Symp. 178b und 184b.

Reglementierung des sexuellen Verhaltens in der Knabenliebe schützte den Eromenos, den zukünftigen Bürger, vor der Gefahr, zum Unterlegenen und Objekt zu werden und damit die Normen zu verletzen, denen das Handeln eines freien Mannes und athenischen Bürgers unterlag.102

Mit Erreichen des 30. Lebensjahres wurde von einem Griechen erwartet, zu heiraten und die erotisch-pädagogische Beziehung zu einem freien Knaben aufzugeben. Sex mit männlichen Sklaven und Prostituierten, die ebenfalls sehr jung sein konnten, war außerhalb der Ehe, wie in Rom auch, erlaubt. Beziehungen zu Knaben werden jedoch von der griechischen Liebesprosa kaum thematisiert,103 der Fokus liegt klar ersichtlich auf der heterosexuellen Beziehung zwischen einem jungen Mann und einer jungen Frau.104 Dies mag auf die Abhängigkeit des griechischen Romans vom Epos hindeuten, in welchem homoerotische Verhältnisse ebenso vernachlässigt werden.105 Auf diese spezielle Ausrichtung des griechischen Liebesromans, die den für das soziale Leben der Griechen so wichtigen Teil der homoerotischen Beziehungen weites gehend ignoriert, wird in Kapitel C zurückzukommen sein.

Im griechischen Liebesroman wird die erste Begegnung zwischen den Hauptfiguren durch die Intervention eines Gottes herbeigeführt.106 Chariton beispielsweise schildert im 1. Buch seines Romans, wie sich Kallirhoe und Chaireas das erste Mal anlässlich des Festes der Aphrodite begegnen (Char. Kall. 1.1.6-7):107

ἐκ τύχης οὖν περί τινα καµπὴν στενοτέραν συναντῶντες περιέπεσον ἀλλήλοις τοῦ θεοῦ πολιτευσαµένου τήνδε τὴν <συνοδίαν> ἵνα ἑκά<τερος τῷ> ἑτέρ<ῳ> ὀφθῇ. ταχέως οὖν πάθος ἐρωτικὸν ἀντέδωκαν ἀλλήλοις ...τοῦ κάλλους <τῇ εὐ> γενεί <ᾳ> συνελθόντος. Ό µὲν οὖν Χαιρέας οἴκαδε µετὰ τοῦ τραύµατος µόλις ἀπῄει καὶ ὥσπερ τις <ἀρισ>τεὺς ἐν πολέµῳ τρωθεὶς καιρίαν καὶ καταπεσεῖν µὲν αἰδούµενος, στῆναι δὲ µὴ δυνάµενος. ἡ δὲ παρθένος τῆς Άφροδίτης τοῖς ποσὶ προσέπεσε καὶ καταφιλοῦσα "σύ µοι, δέσποινα" εἶπε, "δὸς ἄνδρα τοῦτον, ὃν ἔδειξας."

Zufällig stießen sie nun an einer schmalen Wegbiegung aufeinander. Dieses Zusammentreffen hatte der Gott Eros herbeigeführt, damit die beiden einander zu Gesicht bekämen. Sofort erweckte einer im anderen leidenschaftliche Liebe … Schönheit und vornehme Abstammung kamen zusammen. Chaireas konnte, im Innersten getroffen, kaum noch nach Hause gehen, wie ein im Krieg schwer verwundeter Held, der sich schämt zu fallen, aber auch nicht mehr zu stehen vermag. Das Mädchen fiel vor Aphrodite nieder, küsste ihre Füße und sagte: ‘Herrin, gib mir den zum Mann, den du mir gezeigt hast!’

102 Reinsberg (1989), S. 194. Ob der Eromenos wirklich immer passiv blieb, wird kontrovers diskutiert, soll aber hier, gemäß des Ziels dieses Kapitels, nicht im Vordergrund der Betrachtung stehen. Vgl. aber zum Beispiel:

DeVries, Keith: The „Frigid Eromenoi“ and Their Wooers Revisited: A Closer Look at Greek Homosexuality in Vase Painting, in: Martin Duberman: Queer Representations. Reading Lives, Reading Cultures. A Center for Lesbian and Gay Studies Book, New York/London: New York University Press 1997, S. 15-24.

103 Einige Romane wie die Ephesiaka des Xenophon von Ephesus, Leukippe und Kleitophon des Achilleus Tatios und Daphnis und Chloe des Longos nehmen Bezug auf die Homoerotik, beschränken diesen jedoch auf Nebenepisoden. Xen. Eph. 1. 13-2.1 sowie 3.2 und 5.15. Ach. Tat. 1.7-1.14 und 2.34. Longus 4.16f.

104 Vgl. dazu ausführlich: Effe, Bernd: Der griechische Liebesroman und die Homoerotik. Ursprung und Entwicklung einer epischen Gattungskonvention, in: Philologus 131:1 (1987), S. 95-108.

105 Vgl. ebd.

106 Vgl. Alperowitz, Michael: Das Wirken und Walten der Götter im griechischen Roman, zugl. Univ. Diss.

Heidelberg, Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag 1992, bes. S. 44-48.

107 Hier wird, wie oben erwähnt, die Ausgabe des Romans von 2006, hrsg. von Christina Meckelnborg und Karl-Heinz Schäfer, verwandt.

Liebe resultiert im griechischen Liebesroman also aus der schicksalhaften Begegnung zweier Menschen, die in der Regel durch Aphrodite oder Eros herbeigeführt wird. Ihre Liebe wird auf diese Weise als ein besonderes und seltenes Glück gesehen, das nur wenige (von den Göttern) Auserwählte erleben dürfen, die dem Ideal der kalogagathía entsprechen. „In diesem griechischen Terminus sind ästhetische und ethische Vorzüge, das Schöne (kalόn) und das Gute (agathόn), zu einer Einheit verschmolzen.“108 Die gegenseitige Liebe, die fast immer zuerst Dritten auffällt, verursacht den Protagonisten zunächst viel Liebeskummer und sogar körperliche Qualen.109 Sie wissen nicht, wie sie mit dem bislang unbekannten Gefühl umgehen sollen, wie anschaulich im M&P-Roman bzw. in seiner persischen Version Vāmiq u Άdhrā beschrieben wird:

So that she [Άdhrā, H.E.] would not understand that she had lost her heart, that the fresh colour of her face had withered.

Vāmiq spoke thus to himself:

‘Bad luck does not ever desert me.

What misfortune has again befallen me,

that has brought grief to my heart and consumed my heart?

Who knows now what heart’s desire that was;

was it a fairy or was it a moon on earth?’

Thus he spoke with his heart darkened like ebony, letting ruby fall on his amber (cheeks).

When Ṭūfān saw him with the two cheeks wet, he understood what had happened to him.

[…]

When Άdhrā returned home from the temple, it was as if her heart was rent by sorrow.

She clung to the hope that her mother

would make her star happy and fortunate.

[When her mother] did not ---,

Άdhrā wreathed in --- and pain.110

Oft dauert es länger bis die Liebenden zueinander finden, sei es aufgrund von scheinbar unüberwindbaren sozialen Differenzen oder wegen der Annahme, nicht gut genug füreinander zu sein. Im Laufe der Geschichte schwören die Helden einander in der Regel ewige, unverbrüchliche Treue; manchmal geschieht dies unabhängig von einander, da die Figuren getrennt wurden. In diesem Fall beteuern die Helden umso mehr ungeachtet aller Gefahren und Verwicklungen des Schicksals vor sich selbst und vor anderen das Bestreben, dem oder der Geliebten uneingeschränkt treu zu bleiben und die eigene Keuschheit bewahren zu wollen – im Falle von Kallirhoe gelingt dies jedoch nicht.111 Diesem Ideal

108 Johne (1989), in: Kuch (Hrsg.), S. 163.

109 Siehe dazu: Maehler, Herwig: Symptome der Liebe im Roman und in der griechischen Anthologie, in:

Groningen Colloquia on the Novel Vol. III (1990), S. 1-12.

110 Der Text des persischen Gedichtes ist bei Hägg/Utas (2003) auf den Seiten 80-133 zu finden. Da die Verfasserin des Persischen nicht mächtig ist, wird hier nur die englische Übersetzung des Textes zitiert. Die Zitation bezieht sich auf die Verse 104-109 sowie 117-119. Vgl. auch Char. Kall. 1.1.8-10.

111 Auf diesen Punkt wird im Abschnitt 4 genauer eingegangen. Vgl. jedoch zu den Beweggründen Kallirhoes, erneut zu heiraten und ihr Kind für das des Dionysios auszugeben: Kaimo, Maarit: How to Manage in the Male

entsprechen im Folgenden all ihre Bemühungen, den geliebten Menschen wieder zu finden und mit ihm ein glückliches Leben zu führen. Ein Leben ohne den Partner ist undenkbar, die Beziehung der beiden Helden ist stets symbiotischer Natur. Die Figuren sind eher bereit zu sterben, als ihr Leben ohne den geliebten Gefährten zu verbringen (vgl. z.B. Char. Kall.

2.8.1) – ihre Liebe ist daher auch immer auf eine lebenslange Verbindung ausgelegt. Die Ehe ist freilich das höchste Ziel für beide Protagonisten und steht für die legitimierte Form der Sexualität:112

Marriage is central to the Greek romances in a number of ways. It works as a structural, organizing principle: since a wedding or reunion of the couple necessarily belongs to the happy ending and their reestablishment in their hometowns, the entire course of intervening events may be viewed as orientated toward that goal. Matrimony is not only the sentimental focus and locus of sexuality for the central couples, but also the core of their moral integrity and identity.

Emotionally, it stands for safety, belonging, homecoming […].113

Als Grundbedingung für eine Ehe wird leidenschaftliche Liebe angeführt. Entgegen der gesellschaftlichen Konvention für Angehörige der Oberschicht im antiken Griechenland des 5. und 4. Jh.s v. Chr.114 wählen die Liebenden im griechischen Liebesroman einander bewusst aus. Soziale Unterschiede, im Sinne des Ansehens der Familien der Helden in deren Heimatstädten, sowie die Meinungen und Vorhaben der Eltern werden nebensächlich.

Auch der Umstand, dass Männer, im Gegensatz zu Frauen, vor der Ehe wie auch währenddessen außereheliche Bindungen eingehen durften, ist in den Romanen nicht von Belang.115 Nach attischem Recht hatten zum Beispiel junge Frauen, wenn es um die Entscheidung ging, wen sie heiraten sollten, in der Regel kein Mitspracherecht.116 Des Weiteren „ist nicht bekannt, ob sich Braut und Bräutigam vor der Hochzeit gekannt oder

World: The Strategies of the Heroine in Chariton’s Novel, in: ActaAntHung 36 (1995), S. 119-132, hier bes. S.

124-126.

112 Vgl. dazu: Egger (1994 a).

113 Ebd., S. 262.

114 Die hier zu Diskussion gestellten griechischen Texte weisen i. d. R. ein Setting auf, das auf das 5. und 4. Jh.

hindeutet: „Diese gezielte Reproduktion von Griechenlands großer Vergangenheit findet im idealisierenden Roman ihre Entsprechung in der attizistischen Sprache, der Intertextualität und vor allem in der […] historischen Einkleidung der Handlung mehrerer Texte, deren Protagonisten Griechen sind, beziehungsweise in dem Ausklammern der römischen Staatsmacht aus den Erzählungen, die nicht ausdrücklich fingieren, sie enthielten Ereignisse früherer Zeiten,“ so Holzberg (2006), S. 56.

115 Vgl. dazu die Arbeit von Elke Hartmann: Heirat, Hetärentum und Konkubinat im klassischen Athen (= Campus Historische Studien, Bd. 30), zugl. Univ. Diss. FU Berlin 2000, Frankfurt a. Main: Campus Verlag 2002, bes. die Abschnitte über das Hetärentum und das Konkubinat, S. 133-236.

116 Vgl. auch zur Erforschung der Bedingungen der Partnerwahl Vérilhac, Anne-Marie/Vial Claude: Le mariage Grec du vie siècle avant J.-C. à l’époque d’Auguste (= Bulletin de correspondance hellénique, Suppl. 32), Paris:

De Boccard 1998. Die juristische Lage der Ehefrauen verbesserte sich jedoch seit dem 3. Jh. v. Chr.: Frauen wurden durch eine Heirat nicht mehr automatisch zum Mündel ihres Ehemannes. Es bestand die Möglichkeit, dass sie nunmehr nicht ihr gesamtes Leben unter väterlicher Kontrolle oder unter der ihres Ehemannes leben mussten. Die Ehe war nicht länger eine Abmachung (engyne) ausschließlich zwischen Vater und Bräutigam – Frauen konnten sich selbst in die Ehe geben, jedoch musste ein Familienmitglied dies bezeugen. Wenn eine Ehe geschieden wurde, erhielt nun die Ehefrau ihren in die Ehe eingebrachten Anteil der Mitgift zurück. Auch wurde nun eine Art Ehevertrag geschlossen, der Usus der Verlobung und die ,Übergabe’ (ekdosis) der Braut vom elterlichen Haushalt in den des Bräutigams wurde nur noch reine Formalität. Darüber hinaus konnten Frauen durchaus selbst Land besitzen, Verträge unterzeichnen und an legalen Transaktionen sowie Geschäftsabschlüssen teilnehmen. Sie durften selbst Besitz haben, erben und Testamente ausstellen. Manche Frauen bekleideten sogar öffentliche Ämter, jedoch hatten sie keine derartigen politischen Rechte wie im modernen Sinne. Vgl. Egger (1994a), S. 264 und siehe der kurz gehaltene Vergleich zwischen attischem und hellenistischen Recht besonders in Bezug auf die juristische Lage der Frau in der Ehe S. 266-267.

überhaupt auch nur gesehen hatten“,117 so Elke Hartmann. Angedeutet wird dies zum Beispiel bei Chariton: Am Ende des Romans gibt Chaireas aus Dankbarkeit für dessen bedingungslose und loyale Freundschaft seinem Gefährten Polycharmos die eigene Schwester zur Frau, ohne dass dieser die Chance gegeben wird, sich zu äußern (Char. Kall.

8.8.12). In den griechischen Romanen, so konnte es unter anderem Brigitte Egger nachweisen, wird die juristische Lage der Frauen weitgehend als veraltet beschrieben.118 Die realen weiblichen Leserinnen119 waren weitaus besser gestellt. Die griechischen Autoren der Liebesromane interessierte die reale rechtliche Lage der Frauen offenbar weniger. Vielmehr wurde der Fokus auf Emotionalität, die hohe Wertschätzung der Frau als Partnerin des Mannes, einen äußerst tugendhaften und gleichzeitig starken weiblichen Charakter und sowie auf weibliche Erotik120 gelegt. “The price paid for women’s erotic centrality is their social containment in the realms of law and marriage, among others,”121 schliesst Egger. Da jedoch die Autoren ihre Geschichten im 5. und 4. Jh. v. Chr. ansiedeln, verwundert es nicht, dass sie auf den damaligen juristischen Stand rekurrieren.

Im griechischen Liebesroman wird die eheliche Liebe, die in der Realität eher unwahrscheinlich war,122 glorifiziert und durchweg positiv beschrieben, vermutlich weil sie in Wirklichkeit ein so seltenes und kostbares Gut war. Auf diese Weise entsteht ein verklärtes Bild der Ehe, das wohl nur selten seine reale Entsprechung gehabt haben dürfte.123 Jedoch hatte die wichtige Stellung der Ehe in den Romanen durchaus einen realen Kern: Eine Eheschließung war im 5. und 4. Jh. für Frauen essentiell und auch für die Männer von großer Bedeutung, da sie der Zeugung legitimer Nachkommen124 und „der Hervorbringung einer

117 Hartmann (2002), S. 99.

118 So wird beispielsweise in Achilleus Tatios Roman Leukippe und Kleitophon Leukippe durch einen Brief ihres Vaters von ihrer eigenen Verlobung informiert (Ach. Tat. 5.10.3). Die Entscheidungsgewalt des Vaters scheint hier noch sehr ausgeprägt zu sein. Auch Kallirhoe wird zunächst darüber im Unklaren gelassen, wen sie heiraten soll: „Da trat die Amme an ihr Bett und sagte: ,Steh auf, mein Kind! Der Tag ist gekommen, den wir uns alle sehnlichst gewünscht haben: Die ganze Stadt geleitet dich zur Hochzeit.’ Jener jedoch erzitterten Herz nun und Knie; denn sie wusste ja nicht, mit wem sie verheiratet werden sollte“ (Char. Kall. 1.1.14). Vgl. zudem Egger (1994a), S. 268-269.

119 Vgl. Egger (1988), S. 33-66.

120 Es muss angemerkt werden, dass es sich für verheiratete Frauen nicht schickte, sich erotisch zu kleiden, sich kokett zu verhalten oder sich zu schminken. Dieses Verhalten legte man als „unbeherrschte Lüsternheit der Ehefrau“ (Hartmann (2002), S. 113) aus und vermutete schnell einen Betrug durch die Ehefrau. Darüber hinaus schrieb man ein solches Betragen üblicherweise Hetären zu. Nur in der Hochzeitsnacht war es der Ehefrau erlaubt, sich erotisch zu kleiden und sich zu schminken – dies diente der Verführung des Ehemannes. Vgl. auch Hartmann (2002), S. 111-115. Aufgrund ihrer außergewöhnlichen, natürlichen Schönheit werden aber die Heldinnen im griechischen Liebesroman fast immer zum Objekt der Begierde stilisiert und müssen sich gegen (sexuelle) Übergriffe wehren.

121 Egger (1994a), S. 273.

122 „Trotz der idealisierten männlichen Dominanz wurde die ideale Ehe als wechselseitiger Freundschaftsbund (philia) aufgefasst, der vom einmütigen Sinn (homonoia) der Eheleute geprägt war, “ so Elke Hartmann (2002), S.

132. Dies konnte Hartmann anhand von Grabreliefs sowie anhand von Anmerkungen in der Literatur und mittels ikonographischer Quellen nachweisen.

123 Vgl. zur “limited social world“ der griechischen Liebesromane Egger(1990), S. 232-235.

124 Voraussetzung dafür war die Herkunft aus einer legitimen Bürgerehe, was bei der Verheiratung der Frau durch den kyrios bezeugt werden musste. Das Perikleische Bürgergesetz von 451 v. Chr. legte fest, dass nur noch Personen athenische Bürger sein konnten, deren Eltern Athener waren. Wenn also ein Bürger mit einer Fremden ein Kind zeugte, so erhielt dieses nicht das Bürgerrecht. Vgl. Reinsberg (1989), S. 33-34 sowie Hartmann (2002), S. 52-75.

zuverlässigen Hausverwalterin diente.“125 Im übergeordneten Sinne stellte die Ehe durch die Zeugung legitimer Kinder den Erhalt der polis sicher. Darüber hinaus spielte die Versorgung der Eltern eine wichtige Rolle: „Söhne und Töchter waren dazu verpflichtet, die Eltern im Alter zu ernähren und zu pflegen, sie nach dem Tod zu bestatten und den Totenkult am Grab auszuüben.“126 Die Ehe war somit das wichtigste Fundament einer funktionierenden Polisgemeinschaft.

Die hier ausgewählten griechischen Texte sprechen, und das haben sie weitgehend mit späteren griechischen Romanen gemein,127 nie offen über Geschlechtsverkehr und somit über den Vollzug der Ehe; wenn sie es tun, dann nur mittels Andeutungen (z.B. Char. Kall.

8.1.17). Selten kommt auch die Sexualität der Protagonisten zur Sprache. Eine Ausnahme in Bezug auf die hier ausgewählten Texte stellt freilich Charitons Kallirhoe dar: Ihre erotische Ausstrahlung und die Wirkung dieser – vor allem auf Männer – wird in mehreren Passagen des Textes explizit thematisiert.128 Vor dem Zustandekommen der Ehe ist Sex im griechischen Liebesroman nahezu undenkbar und ohne Liebe völlig bedeutungslos.

Geschlechtsverkehr wird immer als Krönung einer tiefen, gegenseitigen Liebe und bedingungsloser Treue zwischen den beiden Hauptfiguren beschrieben. Auch dies ist als gefühlsbetonte Verklärung der realen Situation zu werten. Wie oben bereits erwähnt, diente der Sex in der Realität mit der Ehefrau meist ,nur’ zur Zeugung legitimer Kinder und war damit einem „übergeordneten Zweck verpflichtet, nämlich dem Fortbestand der Polis als Abstammungsgemeinschaft.“129 Wenn ein Kind geboren wurde, galt die Ehe offiziell als vollzogen. Nur im Zuge der Hochzeitsfeierlichkeiten wurde das Verhältnis der Ehepartner gezielt erotisiert.130 Die Rolle der Geliebten war weniger für die Ehefrau bestimmt, als für Hetären und Prostituierte.131 Es gab weder rechtliche noch gesellschaftliche Normen, die den Ehemann zwangen, nur Sex mit seiner Ehefrau zu haben.

Für die Ehe spielte das Geschlechtsleben eine untergeordnete Rolle. Sie forderte zwar die körperliche Vereinigung zur Zeugung von Nachkommen, hatte aber nicht die Befriedigung des Geschlechtstriebes oder gar die Erfüllung sinnlicher Lust zur Aufgabe. Weder Recht noch Sitte verlangten wie etwa die christliche Lehre die ausschließliche Einheit von Zeugung und Lust.

[…]. Die Unterdrückung der weiblichen Sexualität in der Ehe führte dann offenbar zu der Forderung nach der sexuell maßvollen Gattin, deren Lob die Grabinschriften singen.

125 Reinsberg (1989), S. 34. Siehe zu den Aufgaben der Frau als Hausverwalterin auch Xen.Oik. besonders 7. 19;

7. 23-25 und 7. 30. Xenophon führt die Aufgabenverteilung auf physiologische Unterschiede zwischen Mann und Frau zurück, die er als naturgegeben ansieht. Ähnlich äußert sich auch Aristoteles in der Nikomachischen Ethik:

8. 14. 1162 a).

126 Hartmann (2002), S. 101.

127 Eine Ausnahme bildet der Roman des Longos, Daphnis und Chloe: Longos thematisiert ausführlich die Genese einer jungen Liebe und beschreibt auch erste sexuelle Erfahrungen der Hauptfiguren. Sex wird hier als natürlicher Bestandteil einer (erwachsenen) Liebesbeziehung geschildert.

128 Vgl. zum Beispiel: Heiserman, Arthur: Aphrodisian Chastity, in: CI Vol.2, No.2 (1974), S. 281-296. Vgl. ebenso Egger, Brigitte: Looking at Chariton’s Callirhoe, in: Morgan, John R. (Ed.): Greek Fiction. The Greek Novel in Context, London: Routledge 1994, S. 31-43. Im Folgenden als Egger (1994 b) zitiert. Auf Kallirhoes Charakter und die von ihr eingenommenen Geschlechterrollen geht das Unterkapitel 4.2.1 genauer ein.

129 Hartmann (2002), S. 131.

130 Vgl. die Anmerkungen oben.

131 Xen. mem. 2. 2. 4; Demosth. 59. 122.

Enthaltsamkeit war Tugend, der Wert des ehelichen Geschlechtsverkehrs dementsprechend gering.132

Gegenüber der Beschreibung von Sex ist das Erzählen über das Zustandekommen und über die Entwicklung der beidseitigen Liebe für die griechischen Romanciers weitaus wichtiger als für die römischen Romanautoren, unter denen Petron besonders hervortritt. Daher sollen an dieser Stelle einige allgemeine Bemerkungen zur Darstellung und Gewichtung von Liebe und Sexualität bei Petron angebracht werden.

Liebe und Sexualität bei Petron

Petron grenzt sich in vielerlei Hinsicht demonstrativ vom griechischen Liebesroman ab und konzipiert sein Werk im Grunde als ,Anti-Liebesroman’: Bei Petron ist Liebe nicht als umfängliches Konzept geschildert, sie tritt vielmehr hinter der Erzählung von zahlreichen sexuellen Abenteuern der Hauptfiguren Encolpius, Giton, Ascyltos und Eumolpos zurück.

Liebe wird bei Petron Sex untergeordnet, welcher ganz ohne Liebe und Ehe möglich ist. Bei Petron spiegelt sich Sexualität vor allem in gleichgeschlechtlichen und bisexuellen Umgangsformen wieder, womit die realen Verhältnisse reflektiert werden. Sex wird als etwas völlig Alltägliches gesehen, als etwas, das keinen ideellen Hintergrund benötigt, erniedrigend-ausschweifende Formen annehmen und menschliche Abgründe widerspiegeln kann (vgl. Petr. Sat. 16-26).

Nicht Liebe wird bei Petron als Schicksal seiner Figuren beschrieben, sondern Sex. Die vornehme Herkunft, die moralische Reinheit und gegenseitige tiefe Liebe und Treue der Helden der griechischen Liebesromane werden von Petron durch die Wurzellosigkeit seiner Figuren, ihre Gaunereien und amoralischen Haltungen ersetzt und durch ihre sexuellen Ausschweifungen ins Lächerliche gezogen. Petrons Figuren fungieren auf diese Weise als Anti-Helden, die als starker Gegensatz zu den Protagonisten des griechischen Liebesromans gezeichnet werden; ausführlicher wird dies in Kapitel C der Arbeit belegt. Erotik und Sex stehen, im Gegensatz zu ewiger Liebe und ungebrochener Treue, im Zentrum der Handlung der Satyrica:

Zeichnet sich der griechische Roman durch fast übertrieben betonte Liebe und Keuschheit aus, so sind bei Petron Sex und Unkeuschheit herrschende Motive: Füreinander bestimmt ist, wer einander Lust bereitet. Verbunden mit dieser Anti-Liebe tritt das Anti-Liebespaar auf, Encolp und Giton, eine herbe Absage an die von tiefen Gefühlen und Huldigungen getragene Tradition der lateinischen Elegie und des griechischen Liebesromans, gleichfalls eine Abkehr von einem Zeitalter, das die Erneuerung der Sitten (Augustus) zum Programm erhoben hatte.133

Damit sind die essentiellen Unterschiede, die Petrons Werk deutlich von denen der griechischen Romanciers abheben, benannt. Welche weiteren Differenzen fallen, oberflächlich gesehen, zwischen dem Tenor von Petrons Roman und dem der griechischen Liebesromane auf? Liebe auf den ersten Blick wird bei Petron durch Begehren auf den

132 Reinsberg (1989), S. 78.

133 Fröhlke (1977), S. 117.