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Die Epigrammatik: Petrons Vorbild für die Darstellung des alltäglichen Sexuallebens

B. ZUSÄTZLICHE IMPULSE FÜR PETRON – DER UNKONVENTIONELLE

2. Einflüsse der Epigrammatik, der römischen Komödie, der satura Menippea sowie der

2.1 Die Epigrammatik: Petrons Vorbild für die Darstellung des alltäglichen Sexuallebens

männlich erscheinen zu wollen, für die Verspottung durch Satiriker und Epigrammatiker aus diesem Grund geradezu anbot.35

M.E. nach ist es jedoch auch denkbar, dass sich die männlichen Dichter und Schriftsteller in ihrer Virilität sowie in ihrer sexuellen Autoritäts- und Machtstellung durch das aggressiv-dominante Sexualverhalten der tribas bedroht fühlten und aus diesem Grund zum Spott verleitet wurden: Gerade weil sie nicht wahrhaben wollten, dass sich eine Frau männlich verhielt und damit die gleiche Stellung in der Geschlechterordnung einnehmen konnte wie ein Mann. Für diese These spricht vor allem die oben erwähnte Darstellung der Bassa, die sogleich als monstrum bezeichnet wird, aber selbstverständlich nicht selbst zu Wort kommt.

Für das lyrische Ich verhält sie sich auf eine bislang nicht vorstellbare Art männlich. Sie macht damit dem römischen Macho starke Konkurrenz und ist nur noch im physischen Sinne eine Frau. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ausführungen werden nun die Einflüsse ausgewählter Gattungen auf die Geschlechterrollen und den Umgang mit Sexualität in den Satyrica analysiert.

2. Einflüsse der Epigrammatik, der römischen Komödie, der satura Menippea sowie

und aktive Positionen durch die jungen Männer eingenommen werden, auf das Vorbild der Epigrammatik zurückgreifen.39

Erotik und alternative Beziehungsstrukturen bei Catull

Nicht nur von Ovid40 übernahm Petron die Technik, Geschlechtsorgane zu personifizieren, um noch stärker das Augenmerk auf die Sexualität seiner Protagonisten zu richten, sondern auch von Catull, der in einigen seiner Carmina zu „bildhafter Vergegenwärtigung“41 neigt:

Wie wir etwa beim Anhören schöner Musik ›ganz Ohr‹ sind, so soll Fabullus beim Riechen eines köstlichen Parfums ›ganz Nase‹ werden (c. 13, 13f.). Mentula gar wird nicht nur nach dem Körperteil benannt, mit dem er ständig sündigt, sondern er wird geradezu mit diesem identisch (c. 94; 105; 114; 115).42

Catull definiert hier wie Petron Menschen bzw. Figuren über ihre Sexualität und stellt diese so ins Zentrum seines Textes. Wie Petron betrachtet ebenso Catull die gesellschaftliche Randgruppe der cinaedi,43 denen er oft Diebstähle unterstellt (c. 25 und 33). Bei Petron ist es Encolpius, der angewidert vom erzwungenen sexuellen Kontakt mit zwei cinaedi berichtet (Petr. Sat. 21.2 und 23.2-24.4), worauf im Rahmen der Besprechung der Quartilla-Episode in Kapitel C noch genauer eingegangen wird.

Obszönes kommt bei Catull ähnlich oft wie bei Petron zum Tragen. Das lyrische Ich bei Catull lebt offen seine Sexualität aus, hat Beziehungen bzw. sexuelle Verhältnisse mit Frauen und Männern und nimmt mal die aktive, mal die passive Position ein – ganz ähnlich handhaben es die Charaktere bei Petron wie in Kapitel C ausgeführt wird. Mal bettelt der Erzähler bei Catull um Aufmerksamkeit (c. 55) oder gibt zu, als Mann die passive Position beim Sex eingenommen und damit eines der Tabus der römischen Geschlechterordnung gebrochen zu haben (c. 28), wobei er aus seinem Genuss beim Sex mit Memmius keinen

39 Es werden mit den Epigrammen des Catull und des Martial nur diejenigen Werke betrachtet, deren Urheber im 1. Jh. v. Chr. und im 1. Jh. n. Chr. lebten und somit unmittelbare Vorbilder für Petron gewesen sein können. Catull lebte etwa von 84 bis 54 v. Chr. und Martial von 40 n. Chr. bis ca. 102/104 n. Chr. Vgl. Fuhrmann, Manfred:

Geschichte der römischen Literatur, Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2008, S. 175-182 sowie S. 440-445. Die so genannten Carmina Priapea – eine Sammlung erotischer Gedichte, die dem frivolen Gartengott Priapus gewidmet wurden – werden nicht in der Analyse berücksichtigt. 2006 gelangte Alexander Cyron in seinem Aufsatz Quid hoc novi est? Das Priapeum 83 B. und Petrons Satyricon, in: Philologus 150, 1 (2006), S. 102-114 durch einen thematischen und stilistischen Vergleich der beiden Texte zu dem Schluss, dass sich der Autor dieses Priapeums an den Satyrica orientiert haben muss. Cyron datierte aufgrund seiner Befunde das Corpus in das 2. Jh. n. Chr., was die These Gerrit Kloos’ widerlegt, der als Ergebnis seiner Untersuchungen festhielt, dass die Anthologie in früher neronischer Zeit verfasst wurde. Vgl. Kloos, Gerrit: Überlegungen zur Verfasserschaft und Datierung der Carmina Priapea, in: Hermes Bd. 131, N. 4 (2003), S. 464-487, bes. S. 484-485. Cyrons Arbeitsergebnisse decken sich jedoch mit den Erkenntnissen von William H. ParkerParker (Priapea: Poems for a Phallic God.

Introduced, Translated and Edited with Notes and Commentary, London/Sydney: Croom Helm 1988, bes. S. 32-38) und Hermann Tränkle (Vgl.: Entstehungszeit und Verfasserschaft des Corpus Priapeorum, in: ZPE 124 (1999), S. 145-156. Vgl. weiter Ders.: Einheit und Zeit der Carmina Priapea, in: Hermes 135 (2007), S. 74-79). Da also nach neuesten Forschungen die Satyrica vor den Carmina Priapea entstanden sind, kann sich Petron nicht an ihnen in Bezug auf die Ausgestaltung des Themas Sexualität orientiert haben.

40 Siehe hierzu den unten stehenden Abschnitt über die Liebeselegie.

41 Das Zitat stammt aus dem von Michael von Albrecht verfassten Nachwort der hier verwandten Ausgabe der Carmina: Catullus, C. Valerius: Sämtliche Gedichte, lat./dt., übers. und hrsg. von Michael von Albrecht, Stuttgart:

Philipp Reclam jun. 2008, S. 217-245, hier S. 228.

42 Ebd.

43 Vgl. dazu den obigen Abschnitt 1 sowie die Ausführungen zur Quartilla-Episode in Kapitel C, Abschnitt 3.1.

Hehl macht,44 was merkwürdig erscheint, moniert er sich in c. 80 doch über Gellius’

Veranlagung zur fellatio. Mal droht der narrateur selbst mit sexueller Bestrafung in Form einer Kombination von irrumatio und pedicatio denjenigen, die ihm unterstellen, ein Lustmolch zu sein – hier wiederum zeigt er sich als aktiver, penetrierender römischer vir (c.

16), während er seine Adressaten als pathicus und cinaedus beschimpft.

Die spöttisch-erotischen Epigramme des Martial

Neben Catulls Dichtung wird auch die Epigrammatik des Martial, der den Stil seines Vorgängers in noch derberen, spötterischeren und realistisch-satirischen Versen fortführte, auf Petrons Satyrica gewirkt haben. Viele Gedichte des Martial weisen einen frivol-sexuellen Tonfall auf. Der Dichter thematisiert die unterschiedlichsten sexuellen Beziehungen seiner Zeitgenossen und weist mehrmals auf den unzüchtigen Charakter seiner Epigramme hin, die sich nicht als Lektüre für vornehme Damen eignen (c. 3.68). Vielmehr seien seine Gedichte für andere Adressaten gedacht, denn keine Seite sei frei von „Frivolem“ (at mea luxuria pagina nulla vacat; c. 3.69):

haec igitur nequam iuvenes facilesque puellae, haec senior, sed quem torquet amica, legat.

Lesen sollen dies daher ausgelassene Jugendliche und leichtsinnige Mädchen,

ein Älterer auch, doch nur dann, wenn ihn seine Freundin noch quält!45

Des Weiteren macht sich das lyrische Ich bei Martial, ebenso wie bei Catull und Petron, über sexuell passive Männer lustig: In c. 2.21 wird beispielsweise der fellator Postumus verspottet.46 Ebenso wird, gemäß des liberalen Zeitgeistes, ein Erzähler gezeichnet, der sich sowohl auf Männer als auch auf Frauen einlässt: In 65. carmina des 3. Buches zum Beispiel beschwört er in elegischem Ton die Liebe eines Knaben namens Diadumenos herauf.

Wie Petron gelingt es Martial das (Sexual-)leben der Römer in all seinen Facetten nachzuzeichnen. Er berichtet vom Leben, Lieben und Leiden von Personen aller gesellschaftlichen Schichten. Martial macht sich über Erbschleicher lustig (c. 4.56, vgl. Petr.

Sat. 125 und 140), beschreibt das Dasein von Prostituierten, Dichtern, Wahrsagern, Quacksalbern und Ehebrechern. Die Verstöße seiner Zeitgenossen gegen die römische Geschlechterordnung nimmt Martial mit Humor, er will nicht verbessern oder lehren, sondern unterhalten und sich über seine Mitmenschen lustig machen.

44 Hans Peter Obermayer meint, dass die als Selbsterfahrung geschilderte Irrumatio jedoch nur eine Metapher für die ungelohnten Strapazen, also eine Form der Umgangssprache sein soll, Obermayer (1998), S. 198. Beweisen lässt sich diese Vermutung freilich nicht.

45 Zitiert nach oben angeführter Ausgabe.

46 Vgl. dazu nochmals die Ausführungen Obermayers (1998).

In diesem Punkt unterscheidet er sich meiner Ansicht nach freilich von Petron, der, so die These, die in Kapitel D ausgeführt wird, Kritik an der zeitgenössischen Gesellschaft äußern wollte.

Abschließend kann festgehalten werden, dass Petron vor allem hinsichtlich des angeschlagenen lockeren Tones, der allgemeinen Thematisierung von Sexualität und der humoristischen Beobachtung des Alltagslebens in der römischen Epigrammatik eine reiche Quelle für die stilistische und inhaltliche Ausgestaltung der Satyrica gefunden haben wird.

Größere Vorbilder waren jedoch der griechisch-römische Mimus, die fabula Milesia sowie die römische Liebeselegie für Petron, wenn es um seine Konzeption von Geschlecht und Sexualität geht.

2.2 Modellgeber für Petrons Eumolpos und Encolp als Parasiten: Die römische Komödie