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B. ZUSÄTZLICHE IMPULSE FÜR PETRON – DER UNKONVENTIONELLE

2. Einflüsse der Epigrammatik, der römischen Komödie, der satura Menippea sowie der

2.3 Anregungen für überspitzte Kritik: Die satura Menippea

willkommene Abwechslung und gleichzeitig eine „Gratismahlzeit“ (liberae canae; Petr. Sat.

26.7). Während des Symposiums reflektiert Encolp nicht über sein Dasein als Parasit, er hinterfragt es nicht, sondern genießt, zumindest eine Zeitlang, einfach den Moment. Zwar fallen Encolp und seine Begleiter zunächst durch ihre Gefräßigkeit auf, jedoch merkt Petrons Erzähler bereits in 37.1 an, nichts mehr essen zu können. Bald schon beginnt Trimalchio mit seinen Erzählungen, seinem Halbwissen und seiner Protzigkeit62 die Nerven der Freunde zu strapazieren. Die drei jungen Männer möchten nun aus ihrer Rolle als Parasiten ausbrechen.

Ihnen gelingt sozusagen die Flucht als Trimalchio sein Begräbnis probt (Petr. Sat. 78).

Resümierend kann festgehalten werden, dass bestimmte Figuren bzw. Geschlechterrollen und Themen der römischen Komödie wichtige Anstöße für die Konzeption der Charaktere und Handlungsstränge der Satyrica gaben. Petron ließ sich zwar von der Gattung inspirieren, gestaltete aber die Vorlage, wie beispielsweise die Betrachtung des Parasitismus des Encolp zeigt, nach eigenem Gutdünken um. Zudem darf der starke Einfluss des Mimus auf Petron nicht unterschätzt werden, wie unten gezeigt werden soll.

Elemente besonders in Bezug auf Sexualität und Geschlecht könnte Petron aus der satura Menippea übernommen haben?

Kritik an gesellschaftlichen Zuständen und eine sexualisierte Sprache

Sowohl für Varros Satiren als auch für Senecas Werk über Kaiser Claudius kann eine erzieherisch-moralische Tendenz konstatiert werden. Besonders bei Varro wird die Gegenwart im satirischen Stil verurteilt und die moralisch erhabene Vergangenheit gelobt.66 Der moralische Verfall der Gegenwart, welcher sich in der Gier nach Luxus, sexuellen Ausschweifungen67 und der Respektlosigkeit vor Heiligtümern68 niederschlägt, wird – so scheint es – sowohl von Petron als auch von Varro kritisiert.

Dies offenbart sich auch in der Sprache der beiden Dichter: Das sprachliche Niveau ist zuweilen derb und freimütig werden sexuelle Details69 erörtert. Dies zeigen zum Teil bereits die Titel der varronischen Satiren (vgl. nach Rosenblüth die Frg. 44, 205, 275, 282, 409).

Besonders hervorstechend sind bei Petron die Quartilla-Episode und die frivolen Szenen der versuchten Heilung Encolps durch Proselenos und Oenothea (Petr. Sat. 134-138.4). Des Weiteren erläutert Petron detailliert sexuelle Verhältnisse und Körpervorgänge (vgl. Petr. Sat.

27-79, bes. 47.2-3 und 134.1-2). Es liegt nahe anzunehmen, dass sich Petron hierbei unter anderem an Senecas bitterböser Persiflage auf Kaiser Claudius orientierte, wie das folgende Zitat aus der Apocolocyntosis verdeutlichen soll:

ultima vox eius haec inter homines audita est, cum maiorem sonitum emisisset illa parte, qua facilius loquebatur: ‘vae me, puto, concacavi me.’ quod an fecerit nescio: omnia certe concacavit.

Das letzte, was die Menschen von ihm hörten, als er sich lautstark äußerte mit jenem Organ, mit dem er sich leicht artikulierte, war folgender Spruch: ‘O je, ich denke, ich habe mich beschissen.’ Ob er das wirklich getan hat, weiß ich nicht; Tatsache ist aber, daß er aus allem Mist machte. 70

Die Parodie etablierte vor allem Seneca zu einem wesentlichem Charakteristikum der satura Menippea. Mittels dieser konnte Kritik geübt, die Wahrheit durch das Lachen gesagt werden:

Die Parodie ist unabdingbares Element der Menippeischen Satire und aller anderen karnevalistischen Gattungen. Den reinen Gattungen (der Epopöe, der Tragödie) ist die Parodie wesensmäßig fremd, den karnevalistischen Gattungen ist sie wesensmäßig vertraut. In der Antike hing die Parodie untrennbar mit dem Weltempfinden des Karnevals zusammen.

Lebzeiten Petrons erschienen, daher können sie dem neronischen Autor nicht als Vorbild in Bezug auf die Konstruktion der Geschlechterrollen gedient haben.

66 Diese Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart findet sich zum Beispiel im Gerontodidaskalos.

Der Lehrer der Alten sowie in diversen anderen Satiren.

67 Petr. Sat. 55.6, V. 1; 10-11 sowie Var. Men. 182, 183, 192, 193, 403, 488, 495, 524, 537.

68 Petr. Sat. 44.16 und 44.18 sowie Var. Men. 181.

69 Petron steht hier aber dem Mimus und der Satire viel näher.

70 Zitiert nach: Seneca, Lucius Annaeus: Apocolocyntosis Divi Claudii (= Wissenschaftliche Kommentare zu griechischen und lateinischen Schriftstellern), hrsg., übers. u. komm. von Allan A. Lund, Heidelberg:

Universitätsverlag C. Winter 1994, hier wird der Abschnitt 4.3 zitiert.

Parodieren ist die Herstellung eines profanierenden und dekouvrierenden Doppelgängers, Parodie ist umgestülpte Welt. 71

Kritik an bestimmten Stereotypen und Gesellschaftsschichten

Petron und Varro üben Kritik an bestimmten Personenschichten. Heftig beanstandet wird die zeitgenössische Lasterhaftigkeit der Frauen.72 Die Ehe wird nicht mehr respektiert: Varro kritisiert dies besonders in der Satire Lex Maenia. Das Gesetz des Maenius (Frg. 233-241), in welcher er die Ansicht vertritt, dass, wer nicht heiratet, zum Mörder am Vaterland wird.

Kritik wird also an der Nicht-Beachtung von sexuellen Normen und Idealen, die sich anhand des moralischen Verfalls der Gesellschaft äußert, geübt.

Betrachtet man diese scheinbaren inhaltlichen Parallelen, fällt auf, dass Varro seine Kritik an den gesellschaftlichen und kulturellen Zuständen Roms durchaus sehr ernst nimmt, obgleich er sie in satirischem Ton vorträgt. Er wählt die Form einer Scheltrede, hat das Anliegen zu bessern und zu belehren. Dieser Diatribencharakter sei bei Petron, wie Martin Rosenblüth meint,73 nicht gegeben.

Dies heißt aber m.E. nach nicht, dass Petron mit Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen spart. Er kritisiert die römische Gesellschaft, indem er in überspitzter Form ihre gegenwärtige Situation beschreibt. Dies erreicht Petron durch seine Personage, welche nahezu alle gesellschaftlichen Schichten abdeckt, deren Verhalten aber nicht einmal mehr einem niedrigen moralischen Standard genügen kann. Petrons Charaktere sind Sklaven, Parasiten, Herumtreiber, zu Geld gekommene Freigelasse, inkompetente Hexen, sadistische Priesterinnen und selbstbewusste, lüsterne junge Frauen. Sie alle kümmern sich nicht um Idealvorstellungen, Tugend und Anstand. Was zählt, ist ein möglichst ausschweifendes, sinnliches Leben zu führen. In den Satyrica tauchen moralisch fragwürdige Figuren wie Trimalchio auf, um dem historisch-empirischem Leser bzw. Hörer die in der römischen Bürgerschaft herrschende Amoral und Verkommenheit in aller Deutlichkeit vor Augen zu führen. Veranschaulichen lässt sich dies anhand des von Trimalchio vorgetragenen Gedichtes in Kap. 55. 6:

luxuriae rictu Martis marcent moenia.

tuo palato clausus pavo pascitur plumato amictus aureo Babylonico, gallina tibi Numidica, tibi gallus spado;

ciconia etiam, grata peregrina hospita pietaticultrix gracilipes crotalistria, avis exul hiemis, titulus tepidi temporis, nequitiae nidum in caccabo fecit modo.

quo margarita cara tibi, bacam Indicam?

an ut matrona ornata phaleris pelagiis tollat pedes indomita in strato extraneo?

71 Bachtin, Michail: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur, aus dem Russischen übers. und mit einem Nachwort von Alexander Kämpfe, München: Carl Hanser Verlag 1969, S. 54.

72 Petr. Sat. 42. 7 und 67. 10 sowie Var. Men. 83, 188, 190.

73 Rosenblüth (1909), S. 34.

zmaragdum ad quam rem viridem, pretiosum vitrum?

quo Carchedonios optas ignes lapideos?

nisi ut scintillet probitas e carbunculis.

aequum est induere nuptam ventum textilem, palam prostare nudam in nebula linea?

Die Gier nach Luxus läßt Roms Mauern zerfallen.

Für deinen Gaumen mästet man im Stall den Pfau, der mit babylonisch-goldenem Federkleid geschmückt ist;

für dich wird die numidische Henne, für dich der Kapaun gemästet;

sogar der Storch, der liebe, fremde Gast

und Hüter frommer Sitte, der dünnbeinige Klapperstorch, der winters auswärts lebt, der Bote lauer Lüfte,

muß nun im Schlemmertiegel nisten.

Wozu gibt es für dich die holden Perlen, Indiens Beere?

Wohl, damit das Weib, geziert mit meergeborenem Schmuck, lüstern die Beine hebt auf fremdem Bett?

Wozu den grünen Smaragd, das kostbare Glas?

Wozu willst du karthagisches Diamantenfeuer?

Doch wohl, damit die Tugend aus der Perle blitzt?

Schickt es sich, daß die Ehefrau luftiges Gewebe trägt, daß sie sich öffentlich nackt in nebeldünnem Flore zeigt?

Der neureiche Parvenü kritisiert in diesen Versen genau die Laster, von denen er sich selbst nicht freisprechen kann und mit denen er sogar prahlt: Die Gier nach Luxus und der Hang zum Materialismus, der sich im Anhäufen von Luxusgegenständen wie Schmuck, teuren Kleidern, exotischem Essen und Sklaven bemerkbar macht, die Völlerei und Hurerei.

Trimalchio scheint offenbar nicht zu bemerken, dass das Gedicht in krassem Gegensatz zu seinem Verhalten steht. Jedoch sind sich der Autor Petron und seine Leser darüber bewusst, nehmen also eine kritische Distanz gegenüber dem Verhalten und dem Sprechen des Charakters ein. Diese kritische Distanz ist es, die den Leser zur Reflexion über den Charakter im Besonderen und über die gesellschaftlichen Zustände im Allgemeinen bringt.

Ein weiteres Mittel, das Petron m.E. nach einsetzt, um die gesellschaftlichen Zustände widerzuspiegeln, ist die pointierte Darstellung von sexuellen Beziehungen, also die starke Hervorhebung von Sexualität, sowie die Umkehrung von Geschlechterrollen. Besonders anhand der Konzeption der Frauenfiguren Quartilla, Circe und Chrysis soll dies in Kapitel C deutlich werden.

Letztlich treibt Petron den Spott, die Ironie und Parodie, die die satura Menippea bewusst einsetzt, um Kritik zu üben und die Wahrheit zu vermitteln, auf die Spitze. Damit ist gemeint, dass sich Petron der Inhalte und der Techniken der Menippea bedient, jedoch diese überspitzt und weiter ausgestaltet. So überzeichnet er beispielsweise Trimalchio, den prahlenden, neureichen Freigelassenen derart, dass diese Figur einer Karrikatur der liberti gleichkommt.74 Petron beurteilt das Verhalten bestimmter Personen aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger wie Varro, sondern als kreativer Literat und schonungsloser Spötter.

Er formuliert Kritik, wenn auch nicht in Form einer Moralpredigt. Er überwindet vielmehr

74 Näher wird dies im nachfolgenden Kapitel ausgeführt.

durch das Lachen, die Umkehr von gewissen gesellschaftlichen Normen, die besonders den Bereich der Sexualität betreffen und durch die Karikatur von bestimmten Gesellschaftsschichten die gesellschaftlichen Missstände und hält der römischen Bürgerschaft den Spiegel vor.