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Die fabula Milesia als Modellgeberin für die Verkehrung von etablierten Geschlechternormen

B. ZUSÄTZLICHE IMPULSE FÜR PETRON – DER UNKONVENTIONELLE

4. Die fabula Milesia als Modellgeberin für die Verkehrung von etablierten Geschlechternormen

Der Junge akzeptiert die Aufmerksamkeiten, gibt sich sexuell jedoch passiv und überlässt Eumolp die Führungsrolle. Er verweigert sich dem alten Dichter sexuell, als dieser ihm nicht das versprochene Präsent darbieten kann. Im zweiten, überspitzten und vermutlich von Petron stammenden Teil der Erzählung gibt sich jedoch der Junge, der vormals die passive sexuelle Position eines Eromenos einnahm, auf einmal als der aktive Liebhaber aus, der Eumolpos mit seinem unstillbaren sexuellen Verlangen nervt. Wie in Kapitel C, Abschnitt 2.3 geschildert wird, kann sich Eumolp so lange als „,debased’ and inverted Socrates“129 behaupten, bis der Jüngling sich als sexuell aggressiver erweist und die päderastischen Rollenideale mit seinem Verhalten ad absurdum führt.130

Im vorangegangenen Abschnitt konnte schließlich gezeigt werden, dass sich Petron in vielerlei Hinsicht sowohl von den Inhalten als auch von den Techniken des griechisch-römischen Mimus inspirieren ließ. Die sexualisierte Sprache wie auch die ungewöhnliche, auf Amoral und Sexualität abzielende thematische Ausrichtung des Mimus waren für Petron sicherlich eine gute Vorlage für die Konzeption seiner Handlung und für die Auslegung seiner Geschlechterrollen.

4. Die fabula Milesia als Modellgeberin für die Verkehrung von etablierten

ihres sexuellen Tones und der Moral, dass „keines Mannes Ehre und keiner Frau Tugend unverletzlich ist“134 offenbar berühmt-berüchtigt, bezeichnet Ovid die Novellen doch als

„schlimme Scherze“ (turpes loci, Ov. Trist. 2.443-444) und Plutarch als „zügellos“ (ἀχόλαστα βιβλία; Plut. Vit. Crass. 32.4). Die milesischen Novellen fungierten sowohl in der griechischen als auch in der römischen Literatur als „Steinbruch“135 aus dem vor allem Petron und Apuleius136 frivol-witzigen Erzählstoff für ihre originelle Bearbeitungen des Genres schöpfen konnten.137

Die fabula Milesia bei Petron: Ein Beispiel für die moralische Verdorbenheit und die Lüsternheit der matrona

Die von Sexualität, Erotik, Witz und der Umkehr von Konventionen geprägten milesischen Geschichten bieten für Petron eine ideale Ergänzung zum Tenor seines unkonventionellen Werkes. Sex, Unkeuschheit und Amoral sind sowohl in der milesischen Novelle wie auch innerhalb der Satyrica vorherrschende Themen. So hat Petron diverse milesische Erzählungen in seine Satyrica einfließen lassen. Diejenigen Novellen, die Petron in seinem Roman verarbeitet und selbst erweitert, tragen seiner Vorliebe für das Brechen von Tabus, die mit bestimmten Geschlechterrollen verbunden waren, abermals Rechnung. Anhand der Erzählung von der ,Witwe von Ephesos’, die in den Satyrica in den Kapiteln 111-112 zu finden ist, sollen im Folgenden die Merkmale des Genres sowie Petrons Weiterführung der Gattungscharakteristika vor allem in Bezug auf Gender und Sexualität deutlich gemacht werden. Die Geschichte berichtet der Dichter Eumolpos – nicht ohne eine bissige Bemerkung über die Flatterhaftigkeit und die moralische Verdorbenheit der Frauen vorauszuschicken (Petr. Sat. 110.6-7). Eumolpos selbst ist mitnichten in der Lage, Moral und tugendhaftes Verhalten von anderen angemessen bewerten zu können, wie in Kapitel C herausgestellt werden soll.

Eumolpos berichtet von einer matrona aus Ephesus, die bei den Frauen der Nachbarstädte berühmt für ihre Keuschheit ist und zu Beginn der Geschichte auf ergreifend

134 Abbott, F.F.: The Origin of the Realistic Romance among the Romans, in: ClPhil 6 (1911), S. 257-270, S. 265.

135 Benz, in: Dies. (Hrsg.) (2001), S. 67.

136 Bei Petron werden die Erzählungen vom ,Epheben von Pergamon’ (Kap. 85-87), die ,Witwe von Ephesos’

(Kap. 111) sowie die ,Matrone von Croton’ (Kap. 140) als ursprünglich milesische Erzählungen betrachtet, bei Apuleius finden sich frivol-erotische Novellen vor allem im neunten Buch seiner Metamorphosen, Ap. Met. 9.5-7 sowie 9.22-23 und 26-31 sowie an anderen Stellen wie z.B. im ersten Buch: Ap. Met. 1.5-20.

137 Die Sammlung des Aristeides ist heute verloren, wurde aber im 1. Jh. v. Chr. zur Zeit Sullas von Cornelius Sisenna ins Lateinische übertragen (Ov. Trist. 2.443). Von den Milesiaka selbst ist ein einziges Wort erhalten geblieben: δερµηστής, die Bezeichnung eines Insekts, das sich durch Tierhäute hindurch frisst. Es ist bei dem Lexikographen Harpokration p. 88, 11-12 Dindorf zu finden. Von Sisennas Übersetzung sind zehn Fragmente erhalten. Hier wurde folgende Bücheler Ausgabe benutzt: Petronii Satvrae, rec. ec. Franciscus Buecheler.

Adiectae sunt Varronis et Senecae Saturae similisque reliquiae, 8. ed., Berlin: Weidmann 1963. Die Fragmente aus Sisennas Übersetzung sind auf den Seiten 342-343 zu finden. Sisennas Übersetzung liegt nur fragmentarisch vor, viele Stellen „stimmen aber situationsmäßig und fast wörtlich mit einigen Zeilen aus Apuleius und seinem Vorgänger Petron zusammen.“ Zitiert aus: Burck, Erich: Vom Menschenbild in der römischen Literatur. Ausgewählte Schriften, mit einem Nachwort von Hans Diller, hrsg. von Eckard Lefèvre, Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag 1966, S. 379-422, hier S. 385.

loyaler Weise um ihren toten Ehemann trauert. Sie begleitet in tiefer Trauer den Leichenzug und wacht Tag und Nacht bei dem in einer Krypta zur Ruhe gebetteten Leichnam. Sie verweigert aus Trauer die Nahrungsaufnahme, weder Verwandte noch der Statthalter können die tugendhafte Frau zur Raison bringen. Damit erinnert sie an die Protagonistinnen des griechischen Liebesromans, die im Falle des Todes ihres Partners ebenso den Lebensmut verlieren. Als öffentliche Person gilt die matrona als vorbildliche Witwe, als Beispiel „echter Frauentugend und Gattentreue“ (pudicitiae amorisque exemplum; Petr. Sat.

111.5). Sie wird gar als celebrity,138 wie es Sheila K. Dickison formulierte, von den ephesischen Frauen angesehen. Wie jede Berühmtheit zeigt auch die Witwe zwei unterschiedliche Seiten von sich: eine öffentliche und eine private, wie im Folgenden ausgeführt wird. Zur univira stilisiert, ist die moralische Fallhöhe für die Hinterbliebene dementsprechend hoch.

Während die matrona bei ihrem toten Gatten in Gesellschaft einer einzigen treuen Magd wacht, werden ganz in der Nähe der Krypta vom Provinzstatthalter Banditen ans Kreuz geschlagen. Ein Soldat wird bei Nacht zur Wache bei den Kreuzen abgestellt. Ihm fällt auf, dass in der nahe gelegenen Krypta Licht brennt und hört das Seufzen der Trauernden. Er begibt sich zum Grab und findet dort „das wunderschöne Weib“ (pulcherrima muliere; Petr.

Sat. 111.7) vor. Er begreift schnell, dass die Frau um ihren verstorbenen Gatten trauert. Er bringt ihr ein Mahl und mahnt die Frau, etwas zu essen und nicht in sinnloser Trauer zu verharren. „Die Trostrede des Soldaten präludiert damit zum ersten Mal das Grundthema der Novelle. ,Lebt! denn ich komme’, sagt in der pseudovergilischen Copa der Tod.“139 Darauf regiert die matrona noch emotionaler, was für den Leser zunächst wie eine Bestätigung ihrer Tugendhaftigkeit erscheint. Der Soldat bietet ihr weiterhin Nahrung und Wein an. Die Magd ist es, die dem Hunger nicht mehr standhalten kann und schließlich Speis und Trank annimmt. Sie wird auf diese Weise als Gegenbild zur matrona konzipiert.

Die Magd versucht nun, „den Starrsinn der Herrin zu bestürmen“ (cibo expugnare dominae pertinaciam; Petr. Sat. 111.10-11). Das Verhalten der matrona wird zusehends negativer gezeichnet, sie wird als stur beschrieben und reagiert der Situation unangemessen emotional. Was zuvor noch als löbliches Beispiel für Gattentreue skizziert wird, droht nun in hysterisches Verhalten umzuschlagen. Der Soldat und die Magd fungieren als Mittler zwischen der weltlichen Sphäre und erfahrbaren Realität, die durch die Nahrung und den Wein symbolisiert wird. Dem Gegenüber steht der „weltverachtende idealistische Überschwang“140 der matrona. Die Magd verteidigt das Leben gegenüber den Todesgedanken ihrer Herrin und fragt diese, welchen Nutzen sie davon habe, wenn sie ihren Tod durch das Hungern herbeiführe. Ihre Zeit zu sterben sei noch nicht gekommen.

138 Dickison, in: Lateiner/Gold/Perkins (Ed.) (2013), S. 86.

139 Müller, Carl Werner: Die Witwe von Ephesus – Petrons Novelle und die ,Milesiaka' des Aristeides, in: AuA 26:2 (1980), S. 103-121, hier S. 108-109.

140 Ebd.

Der in ihre Rede eingefügte Hexameter141 stammt aus dem vierten Buch der Aeneis aus der Rede der Anna, die Dido mit diesen Worten zu überreden sucht, ihrer Liebe zu Äneas nachzugeben (Ver. Aen. 4.34). Das vergilsche Rollenspiel zwischen Anna, Dido und Äneas wiederholt sich in der milesischen Erzählung. Es wird sich der Deutung Müllers angeschlossen, der der Ansicht ist, dass dieser Satz auf den baldigen Umschwung im Verhalten der matrona hindeutet: Die Frau findet zu ihrem Lebensmut zurück und ist offen für eine neue Liebe. Die Magd bedrängt ihre Herrin das „weibliche Vorurteil“ (discusso muliebri errore, Petr. Sat. 111.12) aufzugeben und „die Freuden des Lichtes“ (diu licuerit, Petr. Sat.

111.12) zu genießen. Ihre Herrin reagiert positiv auf ihre Worte und beginnt endlich zu essen. Das sexuelle Begehren, um das sich die Geschichte im Folgenden dreht, wird dabei bereits in der „begierigen“ (avide; Petr. Sat. 111.13) Art zu essen der matrona angedeutet.

Auch Eumolps ironische Bemerkung „Nun wißt ihr ja, welche Versuchung den Menschen ankommt, wenn er satt ist“ (ceterum scitis, quid plerumque soleat temptare humanam satietatem; Petr. Sat. 112.1) ist ein Vorgriff auf den moralischen Absturz der matrona. Der von Tugend und Moral geprägte erste Teil der Geschichte geht in einen Abschnitt über, in welchem Sünde und Amoral die Handlung bestimmen.

Der Soldat versucht die matrona zum Sex zu überreden, sie selbst scheint nicht abgeneigt – Eumolpos bezeichnet sie spöttisch als „ehrenfest“ (castus; Petr. Sat. 112.2). Wieder ist es die Magd, die der Herrin den entscheidenden Anstoß gibt, wieder wird ein Zitat aus Annas Rede gebraucht (Ver. Aen. 4.38). Die Magd fungiert nun als Kupplerin:

,placitone etiam pugnabis amori?

nec venit in mentem, quorum consederis arvis?’

,Willst du auch gegen willkommene Liebe kämpfen?

Bedenkst du nicht, auf wessen Flur du siedelst?’

Zunächst nur zum harmlosen Essen bzw. zur Wiederherstellung gesunden Appetits überredet, zeigt sich die vormals so gattentreue matrona den Avancen des attraktiven Soldaten nicht abgeneigt. Ihr Lebenswille scheint zurückgekehrt und sie gibt sich der gesellschaftlich geächteten Liebe zu einem Soldaten noch in ihrer Trauerzeit hin. Eumolpos kommentiert diese Szene mit den folgenden frivolen Worten: „Also, kurz und gut, auch mit diesem Körperteil fastete die Dame nicht länger […]“ (quid diutius moror? ne hanc quidem partem corporis mulier abstinuit […]; Petr. Sat. 112.2). Eumolp kürzt die Motivation der matrona und des Soldaten ab und hebt das erotische Niveau, auf dem sich die Geschichte nun bewegt, deutlich hervor. Die beiden feiern drei Nächte lang „Hochzeit“ (nuptiae; Petr.

Sat. 112.3) in der Krypta – ein äußerst makaberer Triumph des Lebens über den Tod, der ins Geschmacklose abrutscht. Zugleich wird die Verbindung zwischen der matrona und dem Soldaten auf das Niveau einer zweiten Ehe gehoben, was angesichts der Tatsache, dass die

141 Vgl. Müller (1980), S. 108-109.

Frau sich noch in der Trauerzeit um ihren ersten Gatten befindet, wiederum sehr unangemessen erscheint. Der Öffentlichkeit bleibt das schändliche Treiben der beiden verborgen, da die Tür zur Gruft versperrt bleibt und sich die Liebenden nur im Schutze der Nacht treffen. Man hält die Frau nach wie vor für die „allerkeuscheste Dame“ (pudicissimam uxorem; Petr. Sat. 112.3). Das Thema ,Schein und Sein’ wird im Zusammenhang der Geschichte zum ersten Mal angesprochen: Während die Öffentlichkeit davon ausgeht, dass die Witwe weiterhin die Verkörperung der Tugend, der Gattentreue und des Anstandes ist, wird dem Leser nun die verruchte private Seite der matrona nahegebracht. Dieses Motiv gliedert sich ebenfalls perfekt in den Romanzusammenhang der Satyrica ein, innerhalb dessen es viele Mal wieder aufgegriffen wird.142 Die Forschung ist sich darin einig, dass Petron seine griechische Vorlage ab diesem Punkt artifiziell erweitert hat, denn eigentlich könnte die Geschichte hier bereits zu Ende sein. Es wird vermutet, dass der bis hierhin beschriebene Ablauf des Geschehens eine fabula Milesia ist, der nun folgende Teil jedoch aus Petrons eigener Feder stammt und er sich dabei vom Mimus hat inspirieren lassen.143

Nachdem der erste Teil der Geschichte betrachtet wurde, kann festgehalten werden, dass sich das Genre vor allem durch die Dekonstruktion beliebter und immer wieder gelobter Ideale, vor allem in Hinsicht auf Geschlechterrollen, auszeichnete. Eine bevorzugte Figur der Gattung scheint die matrona gewesen zu sein, bei der schnell klar wird, dass sie nicht dem Wunschbild einer tugendhaften, sittsamen Ehefrau entspricht. Sie ist untreu, ihr Handeln ist durch eine sexuelle Zügellosigkeit sowie durch hinterhältige Schläue geprägt.

Petron spiegelt diese Charakteristika der Gattung in seiner Geschichte über die ,Matrone von Croton’, die im 140. Kapitel von Eumolpos erzählt wird, wieder. In Apuleius’ neuntem Buch der Metamorphosen treten ebenfalls sexuell hemmungslos gezeichnete Frauenfiguren auf. Apuleius beschreibt seine matronae gern als gewitzte Intrigantinnen, die über ihren tumben Ehemann triumphieren. Ein Beispiel hierfür wäre die Novelle vom ,Liebhaber im Fass’ (Met. 9.5-7). Meist gibt es attraktive junge Liebhaber, die es den Protagonistinnen nicht leicht machen, ihnen sexuell zu widerstehen oder mit denen die Frauen bereits zusammen sind. Die Handlung erzählt vielfach von moralischen Problemen und sexuellen Verwicklungen. Die komplexen erotischen Novellen fügen sich auf diese Weise hervorragend in den Handlungsrahmen von Petrons Satyrica ein. Denn auch bei Petron dominiert nicht die Liebe, sondern die Lebensfreude und die Lust auf erotische Abenteuer das Handeln der Charaktere, zugleich agieren seine Figuren nicht nach hohen moralischen Maßstäben. Auch der Erzählduktus changiert zwischen dem Anspruch hoher Moral und der Klage über den Verfall der Sitten, sowie außerordentlicher Derbheit und sexueller Offenheit.

142 Vgl. dazu die Cena Trimalchionis sowie Kapitel C, Abschnitt 2.4.

143 Lefèvre (1997a), S. 18; 31; 42-43. Benz, in: Dies. (Hrsg.) (2001), S. 98-101.

Die Analyse soll sodann mit weiteren Bemerkungen zum Handlungsverlauf der Geschichte der ,Witwe von Ephesos’ abgeschlossen werden. Das Ende der Erzählung ist ein gutes Beispiel für Petrons Freunde an der Dekonstruktion von etablierten Geschlechterrollen, sein gewitztes Spiel mit gesellschaftlichen Normen und führt abermals seine ungewöhnliche Sicht auf Frauen vor Augen.

Der Entertainer Petron hat mit seinem selbst konzipierten zweiten Teil der Erzählung die Sittenlosigkeit ins Groteske überzeichnet. Der Soldat nämlich versäumt seine Pflicht, die gekreuzigten Verbrecher zu bewachen. Die Eltern von einem der Verbrecher holen diesen vom Kreuz herab und bestatten den Leichnam. Als der Soldat am nächsten Tag das leere Kreuz bemerkt, gerät er in Panik und erzählt seiner Geliebten, dass er den Richtspruch nicht abwarten, sondern gleich Selbstmord begehen wolle. Die matrona, von Eumolp mit viel Sarkasmus als „nicht weniger mitfühlend als keusch“ (mulier non minus misericors quam pudica; Petr. Sat. 112.7) beschrieben, will keinesfalls sowohl um den Gatten als auch um den Liebhaber trauern. Lieber wolle sie den Toten „drangeben als den Lebenden zu töten“

(malo mortuum impendere quam vivum occidere; Petr. Sat. 112.8). Sie verliert völlig den Sinn für Loyalität, Moral und Recht. So befielt sie am folgenden Tag ihren toten Ehemann anstelle des gekreuzigten Banditen ans Kreuz zu hängen. Die Novelle endet mit dem abrupten Schluss (Petr. Sat. 112.8):

usus est miles ingenio prudentissimae feminae, posteroque die popolus miratus est, qua ratione mortuus isset in crucem.

Der Soldat folgte dem genialen Einfall der klugen Dame, und tags darauf wunderte sich das Volk, wie der Tote ans Kreuz gekommen sei.

Gemäß dem individuellen Zug der Gattung folgen weiter keine Konsequenzen, weder für die matrona noch für den Soldaten, was auch Lichas moniert (Petr. Sat. 113.2), welcher Eumolpos’ Vortrag als Zuhörer beiwohnt. Petron macht durch dieses plötzliche wie schockierende Ende die Lasterhaftigkeit der matrona überdeutlich, die sich als gewitzte und egoistische Geliebte hervortut, die moralisch schließlich zur Gänze die Bodenhaftung verliert.

Der Soldat, so die Bemerkung von Lore Benz, wandelt sich ebenfalls vom „[…] zielstrebig-findigen Verführer zum hilflos-ratlosen, ja selbstmordbereiten Liebhaber […].“144 Damit werden Parallelen zur Geschichte vom ,Epheben von Pergamon’ (85-87), in welcher sich der Jüngling nach dem Ideal der päderastischen Beziehung zunächst kapriziös-passiv gibt, aber später umso mehr auf den Sex mit Eumolp besteht, ja ihn sogar erpressen will, offenkundig.

Ähnlich wie in der Erzählung über den Epheben, werden auch in der vorangegangenen milesischen Novelle die Rollen nicht nur verkehrt, sondern skurril überzeichnet. Am Schluss ist nichts mehr von der trauernden, treuen und frommen Gattin übrig, nichts bleibt mehr vom pflichtbewussten Soldaten – Egoismus, Lebensfreude und die Lust auf Sex rechtfertigen

144 Benz, in: Dies. (Hrsg.) (2001), S. 100.

nicht nur moralisch fragwürdiges, sondern auch illegales Handeln. An die Stelle von Moral und Recht treten Amoral und gesellschaftliche wie rechtliche Entgleisung. Benz führt dies auf Petrons Anleihen beim Mimus zurück, „für den von jeher die imitatio nimia bezeichnend war.“145

Nicht nur in moralischer Hinsicht werden die Geschlechterrollen hier verkehrt: Der Soldat zeigt mit seiner Hilflosigkeit, seiner Panik und seinem Hoffen, dass seine Geliebte einen Ausweg aus der Situation findet am Ende der Geschichte ein Verhalten, das traditionell eher Frauen zugeschrieben wird – er wird zum passiven Partner in der Beziehung, der nicht imstande ist, zu handeln. Seine Geliebte hingegen wird aktiv, indem sie impulsiv agiert, den Leichnam ihres verstorbenen Gatten am Kreuz anbringt und auf diese Weise ihren geliebten Soldaten aus seiner prekären Lage befreit.146

Letztlich kann festgehalten werden, dass Petron gezielt die von der fabula Milesia angelegten Geschlechterrollen nutzt, sie jedoch gemäß seiner Intention, auf die im fünften Kapitel detaillierter eingegangen wird, schonungslos überzeichnet und somit ad absurdum führt. Petron gibt auf diese Weise die mit diesen Genderkonzepten verbundenen Ideale der Lächerlichkeit preis und zeigt besonders in Bezug auf Frauen, dass gewisse Wunschbilder, wie jenes der univira, schlichtweg nicht mehr zeitgemäß sind.

5. Die römische Liebeselegie: Schablone für Beziehungskonstrukte in den Satyrica