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Lazarettarzt während des Ersten Weltkrieges

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C. V. „Im deutschen Reich“ wurden z. B. Benachteiligungen bei Stellenbewerbungen publik gemacht, für die immer häufiger „die Beibringung eines Taufscheines verlangt wurde“595 und Namen genannt. Auch zu rituellen Angelegenheiten, wie z. B. zur Frage des Schächtens, wurde Stellung bezogen.596 Der C. V. trat dem Antisemitismus durch

„Aufklärung und Appelle an die Vernunft“ entgegen. Wie Historiker des C. V. hervor-hoben, wurden „hochassimilierte, von der deutschen Kultur genährte, liberale jüdische Bürger in die jüdische Selbstverteidigung getrieben“. Oppenheim gehörte als „ungetauf-ter Jude“ nicht zu den „Hochassimilierten“, war jedoch, besonders während der Zeit des Ersten Weltkrieges, von einem tiefen Patriotismus erfüllt und glaubte an die deutsche Gesinnung und deren Sieg.597 Er war als Nationalliberaler ein „überzeugter Anhänger der Monarchie und begeisterter Verehrer von Bismarck“.598

„In der Zeit des ersten Weltkrieges wurde erstmals die Bedeutung der Neurologie für Kriegsverletzungen im Nervensystem erkannt.

Oppenheim wurde damals zum Leiter des ersten Militärkrankenhauses für Nervenerkrankungen in Berlin ernannt.“599

VII. Lazarettarzt während des Ersten

Einzug eines Kriegslazaretts weichen. Im Lazarett selbst arbeiteten der bekannte Rabbiner Dr. Warschauer mit einer Helferin in der Seelsorge.603

Der Erste Weltkrieg begann für die Juden mit einem Aufruf zur Beteiligung am Krieg:

„An die deutschen Juden!

In schicksalsernster Stunde ruft das Vaterland seine Söhne unter die Fahnen. Daß jeder deutsche Jude zu den Opfern an Gut und Blut bereit ist, die die Pflicht er-heischt, ist selbstverständlich. Glaubensgenossen! Wir rufen Euch auf, über das Maß der Pflicht hinaus Eure Kräfte dem Vaterlande zu widmen! Eilet freiwillig zu den Fahnen! Ihr alle – Männer und Frauen – stellet Euch durch persönliche Hilfeleistung jeder Art und durch Hergabe von Geld und Gut in den Dienst des Vaterlandes!

Berlin, den 1. August 1914.

Verband der deutschen Juden. Zentralverein deutscher Saatsbürger jüd.

Glaubens.“604

Oppenheim war in diesem Sinne patriotisch eingestellt und jemand, „dem wirklich und in der wahrsten Bedeutung des Wortes sein Deutschland über alles, alles in der Welt ging“.605 Dies zeigte sich u. a. darin, dass er in seinem Nervenlazarett unentgeltlich arbeitete.606 Wie Winau schrieb, gehörte Oppenheim auch zu den Unterzeichnern der „Erklärung deutscher Hochschullehrer vom 7.9.1914“, die die „Niederlegung englischer Auszeichnungen ver-kündete“.607 Zu den Unterzeichnern des „Manifestes der 93“, das am 11.10.1914 erschien, den Militarismus in Deutschland verherrlichte und damit internationalen Protest erregte, gehörte Oppenheim nicht. Der Aufruf wurde von 17 Künstlern, 15 Naturwissenschaftlern (u. a. von Max Planck, Fritz Haber (1868-1934), Wilhelm C. Röntgen (1845-1923)) 12 Theologen, neun Dichtern, sieben Juristen, sieben Medizinern (Emil von Behring, Paul Ehrlich, Albert Neisser (1855-1916), Albert Plehn, Max Rubner, Wilhelm Waldeyer (1836-1921), August v. Wassermann (1866-1925)), sieben Historikern, fünf Kunstschriftstellern, vier Philosophen, vier Philologen, drei Musikern, zwei Politikern und einem Theatermann unterschrieben.608

Mit Beginn des Krieges änderte sich schlagartig die gesamte Aus- und Weiterbildung des medizinischen Personals, wie aus einer Zusammenstellung der Tagesgeschichtlichen Notizen der Berliner klinischen Wochenschriften hervorging. Gleich zu Beginn des Krieges beschloss der Bundesrat, die Landeszentralbehörden zu ermächtigen, den an-gehenden Ärzten nach der ärztlichen Prüfung sofort die Approbation zu erteilen, um für den Kriegseinsatz bereit zu stehen. An den Universitäten und Krankenpflegeschulen wurden Notexamina durchgeführt, von denen reger Gebrauch gemacht wurde. Man ging davon aus, dass sich die meisten Ärzte den Militärbehörden zur Verfügung stellen wür-den. Andere wurden angesprochen, sich bei der „Kriegsvertretung“ der Ärzte zu mel-den, um einberufene Kollegen zu ersetzen.Medizinalpraktikanten und Kandidaten der

603 Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, 11.8.1916, Nr. 3, 6. Jahrg., S. 94.

604 Hamburger israelitisches Familienblatt, 10.8.1914, Nr. 32, Titelseite.

605 Vgl. Herz Grabrede Privatbesitz.

606 Herz Deutschland S. 272.

607 David Charité S. 69.

608 Vgl. Wehberg Aufruf S. 18. Vgl. Schmiedebach Sozialdarwinismus S. 110.

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Medizin, die zwei Semester abgeleistet hatten, wurde erlaubt, Vertretungen in der kas-senärztlichen Praxis zu übernehmen. Mit Beginn des Krieges begannen die „Kurse für Kriegsärzte,“ veranstaltet vom „Zentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Preußen“. Es waren stark frequentierte Veranstaltungen allgemeinmedizinischen Inhalts, Kurse über Kriegschirurgie und Kriegsseuchen sowie Weiterbildungen in topogra-phischer Anatomie.609 Vom 30.10.-18.12.1916 führte das „Zentralkomitee für das ärzt-liche Fortbildungswesen in Preußen“ eine weitere Vortragsreihe über „Die militärärzt-liche Sachverständigentätigkeit auf dem Gebiete des Ersatzwesens und der militärischen Versorgung“ durch, in dessen Zyklus Oppenheim am 13.11.1916 einen Vortrag über or-ganische Nervenerkrankungen und Nervenverletzungen hielt.610 Fortgeführt wurde die Veranstaltung in Form von „kriegsärztlichen Abenden“ als Forum „für alle im Dienste der verwundeten und erkrankten Krieger tätigen Aerzte“. Weiterhin sollte eine Möglichkeit des Erfahrungsaustauschs geschaffen und kriegsärztliche Erkenntnisse gefördert werden.

Geplant waren alle acht Tage Vortrags- und Demonstrationsabende im Wechsel, wobei erstere im Langenbeck-Haus und letztere in den Berliner Krankenhäusern stattfinden sollten, die als Reservelazarette dienten. Die „Kriegsärztlichen Abende“ galten als lose Vereinigung. Vorsitzender war Geheimer Rat Trendelenburg (1844-1924).611 Oppenheim hielt auf den „Kriegsärztlichen Abenden“ am 1.12.1914 und am 19.1.1915 jeweils ei-nen Vortrag sowie am 29.2.1916 eiei-nen Vortrag und eine Diskussionsbemerkung.612 Seine Vortragstätigkeit in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten führte er fort. Kriegsbedingt schlossen sich elf medizinische Gesellschaften Berlins mit der Berliner medizinischen Gesellschaft zusammen. Auch hier pflegte Oppenheim, wenn auch in stark reduzierter Form, seine Vortragstätigkeit.613 Einen Vortrag mit dem Thema

„Ueber die Schmerzen der Neuropathen“ hielt er am 28.2.1914 im „Russischen medizi-nischen Verein zu Berlin.“614

Seine Forschungen, besonders über die „traumatische Neurose“ belebte Oppenheim wäh-rend der Kriegszeit wieder neu. Wie Herz schrieb, galt sein Lazarett „als die Hochschule der Neurologie“, die während der Kriegszeit notgedrungen einen Aufschwung erlebte.

Zuerst entstanden Kriegsnervenlazarette. Nachdem später die „Kriegsneurotiker“ auf den Plan traten, wurden Nervenstationen und nach dem Krieg Hirnverletzteninstitute gegrün-det. Vorerfahrungen, vor allem auf dem Gebiet der Hirn- und Rückenmarksverletzungen wurden durch neue Beobachtungen ergänzt, so dass eine umfangreiche Literatur über Kriegsnervenverletzungen entstand. Da noch keine Antibiotika existierten, standen an Krankheitsbildern Wundinfektionen und -eiterungen mit hoher Sterblichkeit im Vordergrund.615 Neben dem Thema der „traumatischen Neurose“ beschäftigte sich Oppenheim während des Krieges schwerpunktmäßig mit den Kriegsverletzungen der pe-ripheren Nerven. Seine Beobachtungen wurden als „scharfsinnig“ beschrieben.616

Mit der Niederlegung des Vorsitzes in der Gesellschaft deutscher Nervenärzte im Herbst

609 Berliner klin. Wschr. 51 (1914) S. 1536, 1568, 1656.

610 Ebd. 53 (1916) S. 1208.

611 Ebd. 51 (1914) S. 1604, 1620, 1656.

612 Oppenheim Bibliographie 1914-1916.

613 Berliner Anzeigen, 2.1.1915, Nr. 1, I,1. Oppenheim Bibliographie.

614 Berliner Anzeigen, 28.2.1914, Nr. 9, II, 2.

615 Stern Zeit S. 80-81.

616 Saenger Nekrolog S. 830.

1916 beendete Oppenheim auch seine Tätigkeit im Nervenlazarett.617 Angehörige und Bekannte bemerkten während des Krieges an ihm eine depressive Verstimmtheit bis hin zu einem veränderten Wesen. Er zog sich mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück und mied Freunde und Bekannte, da er als einer der Ersten die „furchtbare Gefahr erkannt hat-te, „in der sein Vaterland schwebte“.618 Trotz der Kriegspropaganda hatte sich Oppenheim ein unabhängiges Urteil bewahrt.Da seine Wohnung in der Königin-Augusta-Str. 28 ne-ben dem Reichsmarineamt lag, konnte er gegen Ende des Krieges die Geschehnisse der Novemberrevolution mit den bewaffneten Kämpfen der Matrosen unmittelbar verfolgen.

Oft versteckten sich Kämpfer in seinem Haus. Bei dem Gedanken der „Zertrümmerung des Reiches“, mit Auflösung der Monarchie, verließ ihn fast der Lebensmut. Er dachte so-gar an Selbstmord. Wie einige Nekrologe aussagen, sah Oppenheim bereits sehr früh den Ausgang des Krieges und das Dilemma für Deutschland.Vor allem die Ernährungslage im Sommer 1916 beunruhigte ihn, wie Herz weiter berichtete:

„Oft, wenn ich auf meinem Weg ins Büro an der Oppenheimschen Wohnung vorbeikam, sah ich Hermann am Fenster stehen, mit einem Ausdruck der Hilflosigkeit zum wolken-losen Himmel aufblickend, verzweifelt, daß Bitten, Wünsche, Gebete nicht imstande wa-ren, den Regen zur Erde niederzuziehen.“619

Nach dem Krieg setzte eine antisemitische Hetze ein. Es hieß, die Juden hätten sich vor dem Krieg gedrückt. Tatsache war jedoch, dass 96.000 deutsche Juden eingezogen wor-den waren, was 17,3% der Juwor-den des Deutschen Reiches entsprach und jewor-den 6. deutschen Juden betraf. Zusätzlich gab es zahlreiche jüdische Sanitätsoffiziere. Mindestens 10.000 Juden waren Kriegsfreiwillige und mindestens 12.000 waren gefallen. 35.000 Juden wur-den mit hohen Auszeichnungen dekoriert und 2.000 zu Offizieren ernannt. Noch vor der Naziherrschaft wurde in antisemitischen Hetzschriften versucht, die Zahl der Gefallenen auf 3.000-6.000 zu reduzieren. Heute ist die historische Wahrheit unzweifelbar nachge-wiesen.620 Im Nachhinein wurde das „Schmachdiktat von Versailles“ den Juden maßgeb-lich mitangelastet.621 Wie Herz schrieb, war eine der letzten Fragen Oppenheims: „Gehen die Verhandlungen in Versailles noch weiter, oder sind sie endgültig abgebrochen?“ Diese Frage war für ihn eine existentielle, da er sein ganzes Vermögen in wertlos gewordene Kriegsanleihen investiert hatte.622

617 Liepmann Nekrolog S. 6.

618 Vgl. Herz Grabrede Privatbesitz. Stern 40. Todestag S. 2207.

619 Herz Deutschland S. 273.

620 Sellenthin Geschichte S. 51-52. Verein Abwehr ABC S. 62-63.

621 Fölling Identität S. 75.

622 Herz Deutschland S. 280-281.

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„Den 60. Geburtstag hatte er selbst seit langem als Wendepunkt seines Lebens bestimmt. Mit sech-zig Jahren wollte er von der öffentlichen Bühne

des Lebens zurücktreten, wollte sich von seiner Tätigkeit entlasten, Berlin verlassen und sich in einer kleineren Stadt, - er dachte an ein einfaches Landhaus mit einem großen, weiten Garten, - ansiedeln.“623

VII.1. Oppenheims 60. Geburtstag am 1.1.1918

Anlässlich seines 60. Geburtstages wurde Oppenheim mit Ehrungen überhäuft.624 Die Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde widmete ihm einen Festband mit Foto, Widmung und einer Arbeit von Wallenberg aus Danzig unter dem Titel: „Neue Beiträge zur Diagnostik der Hirnstammerkrankungen“.625 (Abb. 136) Nachträglich erschien eine Gemeinschaftsarbeit von Mauss (neurologischer Teil) und Krüger (chirurgischer Teil) aus der Korpsstation für Neurochirurgie des Reservelazarettes Arnsdorf bei Dresden un-ter dem Titel: „Über die unun-ter dem Bilde der Meningitis serosa circumscripta verlau-fenden Kriegsschädigungen des Rückenmarkes und ihre operative Behandlung“, ergänzt durch 37 Bildtafeln über Gewehrschussverletzungen.626 Zu den Gratulanten gehörte der Ehrenvorsitzende der Gesellschaft deutscher Nervenärzte, Mitbegründer und Herausgeber der Deutschen Zeitschrift für Nervenheilkunde Erb, der ihm den Festband überreichte.

Die außeruniversitäre Tätigkeit Oppenheims rühmte Erb mit den Worten:

„Und das ist um so erstaunlicher und bewundernswerter, als Sie unter erheblichen Hemmnissen, ohne stationäre Klinik, gearbeitet und so reiche wissenschaftliche Früchte geerntet haben!“627

VII.2. Oppenheims Tod am 22.5.1919 und seine Beerdigung

Am 16.4.1919 erschien im Berliner Tageblatt Oppenheims letzter Artikel über

„Seelenstörung und Volksbewegung“.628 (Abb. 137) Am 22.5.1919 verstarb er wahr-scheinlich an den Folgen einer Koronarsklerose. Testamentarisch hatte sich Oppenheim bei seiner Beerdigung „jede offizielle Beteiligung verbeten“, so dass Cassirer ihm später in der Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten eine Gedenkrede hielt.629 Die Todesurkunde Oppenheims vom 23.5.1919 lautete (Abb. 138):

„Nr. 631. Berlin, am 23. Mai 1919.

Vor dem unterzeichneten Standesbeamten erschien heute, der Persönlichkeit nach durch Reisepaß der Bildhauer Alexander Oppler, wohnhaft in Berlin-Grunewald, Hagenstr. 8, und zeigte an, daß Hermann Oppenheim, Professor, Doktor der Medizin, Nervenarzt, 61

623 Vgl. Herz Grabrede Privatbesitz.

624 Herz Deutschland S. 273.

625 Vgl. Wallenberg Hirnstammerkrankungen S. 105-114.

626 Vgl. Mauss/Krüger Meningitis S. 1-116.

627 Erb Oppenheim S. 5-6.

628 Oppenheim Bibliographie 1919.

629 Dtsch. Zschr. Nervenhk. 70 (1921) S. 4. Cassirer Nekrolog S. 669-671.

Jahre alt, mosaischer Religion, wohnhaft in Berlin, Königin-Augusta-Str. 28, geboren zu Warburg in Westfalen, Ehemann der Martha geborenen Oppenheimer, Sohn des Lehrers Juda Oppenheim und seiner Ehefrau Cäcilie geborenen Steeg, beide verstorben, zuletzt wohnhaft in Warburg, zu Berlin Königin-Augusta Straße 28, am zweiundzwanzigsten Mai des Jahres tausend neunhundert neunzehn, vormittags um neuneinviertel Uhr verstorben sei, wie er aus eigener Wissenschaft bezeuge.

Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben. Alexander Oppler.“630

Im Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde Berlin vom 13.6.1919, unter der Rubrik:

Beerdigungen im Monat Mai 1919, war Oppenheim nicht verzeichnet; auch nicht im Gemeindeblatt vom 12.9.1919 unter der Rubrik: Beerdigungen auf dem Friedhof Schönhauser Allee vom Februar bis Juli 1919.631 Bei der sehr mühsamen und langwierigen Suche nach der Grabstätte Oppenheims fanden sich im Buch von Winau „James Israel (1848-1926)“ Angaben über die Trauerfeier von Israel, die am 26.2.1926 im Krematorium Wilmersdorf stattfand. Die Urne wurde anschließend auf dem jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee beigesetzt.632 Da Oppenheim und Israel in engem wissenschaftlichen Kontakt standen, war eine Recherche im Krematorium Berlin-Wilmersdorf naheliegend.

Es fanden sich zunächst keine Hinweise, jedoch Angaben über Martha Oppenheim. Da das Krematorium Wilmersdorf 1919 kriegsbedingt noch nicht in Betrieb war, jedoch das Krematorium Wedding in der Gerichtstraße, folgte eine weitere, erfolgreichere Recherche.

Die Einäscherung fand am 27.5.1919 im Krematorium Wedding und die Beisetzung am 8.9.1919 statt. (Abb. 140,141) Im Sterberegister war als Todesursache „Gefäßverkalkung“

notiert und der Vermerk der 1938 erfolgten Überführung der Urne nach Wilmersdorf.633 (Abb. 139) Die Beisetzung übernahm ein Verein. In der Stellenkartei des Krematoriums Berlin-Wilmersdorf befand sich eine Karteikarte mit der Eintragung (Abb. 156):

„Die gesetzliche Ruhefrist läuft ab am 18.12.1978. Doppelstelle AX-6 kleiner Urnenraum.

Beigesetzt sind Prof. Hermann Oppenheim und Martha Oppenheim. Zu benachr. Angehörige:

Carl Mittelsteiner, Augsburgerstr. (durchgestrichen, Anm. d. Verf.) Hans Oppenheim, Schottland. Todestag 21.11.1938, Gerichtstr., Einäscherungs-Nr.: 64232.“634

Das Urnenfach wurde 1981 neu vergeben und die Grabstelle aufgelöst.635 Welchen Hintergrund hatte die sogenannte Feuerbestattung eines jüdischen Bürgers, scheint sie doch auf den ersten Blick unüblich? Ein kurzer Exkurs über dieses Thema mag die Umstände und Gründe beleuchten. Die erste Feuerbestattung fand 1878 im thüringischen Gotha statt. Erste Bestrebungen gab es bereits 1874. Erstens waren die Kosten für an-gemessene Erdbestattungen hoch, zweitens gab es durch die damaligen Epidemien so viele Tote, dass hygienische Verbesserungen für die Einführung einer Feuerbestattung sprachen. Sie war in Preußen bis 1911 verboten. 1912 nahm das Krematorium in Berlin-Wedding den Betrieb auf, und 1922 folgte das Krematorium Wilmersdorf. Dort befindet

630 Todesurkunde Oppenheim vom 23.5.1919, Standesamt Mitte Berlin, beglaubigt vom 28.1.2003.

631 Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, 13.6.1919, Nr. 6, S. 55-56; 12.9.1919, Nr. 9, S.

85.

632 Bloch/Winau Israel S. 93.

633 Bezirksamt Mitte Berlin: Karteikarte und Sterberegister des Kolumbariums (Urnenhalle) des Krematoriums Wedding, Gerichtstr. (Einäsch.-Reg. Nr.: 9871. V. 2.20.). Vgl. Aschenregister.

634 Krematorium Berlin-Wilmersdorf: Aschenregister, Stellenkartei

635 Auskunft per E-Mail von Frau Katrin Lück, Leiterin der Friedhofsverwaltung Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, der ich für die Recherchen herzlich danke.

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sich die größte Urnenhalle Berlins mit einem von den Architekten Herring und Bettenstedt entworfenen klassizistischen Kuppelbau. (Abb. 155 b) Der Friedhof selbst war 1886 als neuer Wilmersdorfer Gemeindefriedhof angelegt worden. 1990 wurde das Krematorium geschlossen. Die Urnenhalle sowie die Gartenanlage sind noch immer für einen Besuch lohnenswert, da dort viele bedeutende Persönlichkeiten ihre letzte Ruhestätte fanden.636 Wie Fischer schrieb, waren es „vor allem Vertreter des aufgeklärt-gebildeten, säkularisier-ten Bürgertums“, unter ihnen 83,5% Protestansäkularisier-ten, die sich in den erssäkularisier-ten beiden Dekaden der modernen Feuerbestattung einäschern ließen. Der Bau von Krematorien wurde vor allem von Medizinern unterstützt, da die internationalen medizinischen Kongresse 1869 in Florenz und 1871 in London dies befürwortet hatten. Nach Aufklärungsarbeit der Ärzte hinsichtlich der Hygiene folgte die Zusammenarbeit mit den Kommunalpolitikern und die Verlagerung der öffentlichen Gesundheitspflege von der staatlichen auf die kommu-nale Ebene. Hierfür engagierte Berufsgruppen organisierten sich in Vereinen, z. B. den Feuerbestattungsvereinen, mit dem Ziel der Durchsetzung ihrer Interessen.637 Trotz des progressiven Denkansatzes bleibt die Feuerbestattung für Juden unüblich und ist nicht mit den jüdischen Toten- und Trauerriten und dem Grundsatz des „kawod ha-met“, einem respektvollen Umgang mit den Toten, vereinbar. Die Totenverbrennung wird zum Ersten auf Grund der biblischen Aussage abgelehnt, daß der Körper in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehren wird und dazu in die Erde gelegt werden muß. Zum Zweiten wird die Einäscherung als ein übereiltes, unnatürliches Mittel betrachtet, sich des Leichnams einer Person zu entledigen, die ein geliebtes Familienmitglied war.638

VII.3. Zeitungsreaktionen

639

Die Zeitungsartikel würdigten Oppenheim übereinstimmend als hoch geachteten Arzt und Wissenschaftler. In den meisten Artikeln wurde als Todesursache ein Grippeanfall oder „an den Folgen der Grippe gestorben“ angegeben, was bei der 1919 weltweit grassierenden Spanischen Grippe nicht unwahrscheinlich war. Als Erste zeigten die „Vossische Zeitung“

und das „Berliner Tageblatt“ in ihren Abendausgaben vom 22.5.1919 Oppenheims Tod an.640 Eine erweiterter Artikel des „Berliner Tageblattes“ stand in der Morgenausgabe vom 23.5.1919.641 Ebenfalls am 23.5.1919 folgten der „Berliner Lokalanzeiger“ sowie

„Der Tag“ mit einem gleichlautenden Artikel.642 Auch die „Frankfurter Zeitung“ vom 23.5.1919 druckte das Ereignis zunächst unter der Rubrik „Kleine Mitteilungen“.643 Ein Artikel in der „Neuen Preußischen (Kreuz-) Zeitung“ folgte am 25.5.1919.644 Am 27.5.1919 brachte die „Vossische Zeitung“ dann eine ausführliche Würdigung.645 Auch die „Frankfurter Zeitung“ ergänzte am 28.5.1919 ihre Kleinanzeige um eine ausführliche

636 Hennig-Krebs Erinnerung S. 25.

637 Vgl. Fischer Krematorium S. 104-105.

638 Vgl. Kolatch Jüdische Welt S. 59.

639 Vgl. Zeitungsartikel im Anhang.

640 Vgl. Vossische Zeitung, 22.5.1919, Nr. 258 B 118, Abendausgabe. Vgl. Berliner Tageblatt, 22.5.1919, Nr. 233, Ausgabe B, Nr. 106.

641 Vgl. Berliner Tageblatt, 23.5.1919, Morgenausgabe, Nr. 234, Ausgabe A, Nr. 128.

642 Vgl. Berliner Lokal-Anzeiger, 23.5.1919, Nr. 234, Morgenausgabe. Vgl. Der Tag, 23.5.1919, Nr.

234/110-1919, Morgenausgabe.

643 Vgl. Frankfurter Zeitung, 23.5.1919, Nr. 379, Titelseite.

644 Vgl. Neue Preußische (Kreuz-) Zeitung, 25.5.1919, Beilage zu Nr. 243.

645 Vgl. Vossische Zeitung, 27.5.1919, Nr. 266 A 145, Morgenausgabe.

Darstellung.646 Das „Warburger Kreisblatt“ berichtete am 28.5.1919 kurz über das Ableben von Oppenheim.647 Am 4.7.1919 erschien in der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“

ein weiterer Artikel eines Kollegen.648 Das „Berliner Tageblatt“ vom 24.5.1919 und das

„Warburger Kreisblatt“ vom 28.5.1919 brachten die Todesanzeige der Familie (Abb. 144, 145):

„Heute vormittags entschlief sanft nach kurzem Leiden im 62. Lebensjahre unser lieber Mann und Vater Professor Dr. Hermann Oppenheim Im Namen der Hinterbliebenen Martha Oppenheim Hans Oppenheim. Berlin, den 22. Mai 1919. Königin-Augusta-Str.

28. Auf Wunsch des Entschlafenen findet die Beisetzung in der Stille statt.“649

Im Jahre 1919 sowie später anlässlich seiner Geburts- und Todestage, erschienen zahl-reiche Nekrologe seiner Kollegen in den verschiedensten Zeitschriften.650 Die Trauerrede seines Neffen Emil Herz erhielt ich von seinem Sohn Arthur Herz aus Rochester persönlich zugesandt. Sie beschreibt den Menschen Hermann Oppenheim in all seinen Facetten:

„Was der Verstorbene als Gelehrter und Arzt geleistet, wie er der Nervenheilkunde neue Ziele und Wege gewiesen, das mögen Berufenere festhalten. Ich, der ich dem Heimgegangenen durch nahe Bande der Verwandtschaft und mehr noch durch die der Liebe und Freundschaft verbunden war, ich kannte nur den Menschen Hermann Oppenheim. Aber stets war mir bewusst, daß wenn für irgendeinen Menschen, so für ihn der Satz zutrifft: Nur der wahrhaft gute Mensch kann ein großer Arzt sein.“651

„Nach der Inflation blieb sie ohne finanzielle Mittel und wohnte in einem Sanatorium; als die Gestapo allen dortigen jüdischen Ärzten die Praxis verbot, nahm sie sich das Leben.“652