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8. A USBLICK

8.1 Möglichkeiten für die Lehre

8.1.2 Kritisches Denken als Kernkompetenz

Wie mehrfach dargelegt, führt eine akademische Ausbildung nicht notwendigerweise dazu, kritisch denken zu können. An den (Fach-)Hochschulen sollte also spätestens auch an der sogenannten Kernkompetenz kritisches Denken angesetzt werden.

Wolfgang Widulle stellt auf seiner Webseite Materialien zusammen, um kritisches Denken zu schulen10. Es handelt sich um einen Text der Stiftung für kritisches Denken, der zu folgenden Übungen anregt: Das eigene Argumentieren soll reflektiert werden, in dem man eine Absicht präzise formulieren soll, die Unterschiede zu anderen Absichten herausstellen und immer wieder prüfen, „ob man noch auf Kurs ist“ (Paul, Elder 2003: 6).

Insofern jede Argumentation ein Versuch sei, eine Frage zu klären, ein Problem zu lösen, solle man beispielsweise eine Fragestellung aus verschiedenen Blickwinkeln formulieren, oder auch die Hauptfrage in Teilfragen aufschlüsseln (vgl. ebd.: 6). Auf welche

80 Informationen bezieht man sich in einer Argumentation? Informationsquellen sollen bearbeitet werden, auch jene, die „Daten zu Lasten Ihres Standpunkts aufweisen“ (ebd.:

6). Schlussfolgerungen sollen nur dann gezogen werden, wenn die Belege eindeutig sind und auf welchen Annahmen beruhen sie? Welchen Standpunkt vertrete ich? Es wird zu Achtsamkeit in der Verwendung von Begriffen geraten, ebenso in Hinblick auf die Konsequenzen, die aus einer Argumentationsweise hervorgehen, „gewollt oder ungewollt“ (ebd.: 6). Zusammenfassend problematisieren die Autor_innen das egozentrische Denken und führen universelle intellektuelle Normen als Fundament für kritisches Denken, dass dem egozentrischen entgegenwirken kann. Es handelt sich um Fragen, die man sich immer wieder stellen kann (vgl. im Folgenden ebd.: 10):

- Klarheit: Können Gedanken besser herausgearbeitet werden, in anderen Worten formuliert werden, etc.

- Richtigkeit: Wo kann ich eine Information nachprüfen? Eine Aussage kann klar, aber unzutreffend sein

- Exaktheit: Spezifische, detailreiche Äußerungen - Relevanz: Sind Fragestellungen exakt und relevant?

- Tiefgang: Greift eine Antwort die komplexen Aspekte einer Frage auf?

- Vernetzung: Sollen abweichende Standpunkte oder andere Blickwinkel thematisiert werden?

- Logik: Folgt eine Antwort zwingend? Denn beim Denken und Argumentieren

„bringen wir eine Vielfalt von Gedanken in eine bestimmte Reihenfolge“ und die Verknüpfungen sollen folgerichtig sein

Im Schul- oder Hochschulkontext sollen diese Überlegungen, also die universellen Normen im Unterricht angewendet werden:

„Kritisches Denken bringt die Beherrschung dieser Normen mit sich. Um Studierende bei deren Erwerb zu unterstützen und ihren Verstand zu schärfen, sollten Lehrpersonen wiederholt fragen stellen, welche die Studierenden auf eine harte Probe stellen und sie zwingen, Rechenschaft über ihr Denken abzulegen“ (ebd.:10).

Das kritische Denken als Kompetenz dient dann auch dazu, Texte, Studien, etc.

systematisch zu lesen, in dem an das Material die gerade eben als Übungen formulierte Fragen gestellt werden. Welche Absicht verfolgen Autor_innen, sind Fragestellungen präzise formuliert, sind die Konzepte klar, werden relevante Aspekte angeführt, sind die Annahmen transparent, usw. (vgl. ebd.: 14). Ein Raster für das Lösen von Problemen, sowie eine Checkliste für das Beurteilen werden zur Verfügung gestellt. Sie dienen der

81 Orientierung und können hilfreich dabei sein, kritisches Denken zu praktizieren und lernen.

Evidenzbasierte Praxis ist zunächst eine kritisch reflektierte Praxis. Das muss Studierenden vermittelt werden, indem ihr Denken geschärft wird, wie eben dargelegt.

Vermittelt man EBP lediglich als einen Prozess in fünf Schritten (wie im theoretischen Teil beispielhaft erläutert), wird sie eventuell weder kritisch noch reflektiert stattfinden.

9. Fazit

Evidenzbasierte Praxis braucht für die (klinische) soziale Arbeit, so könnte ein Fazit lauten, eine Art Paradigmenwechsel: quantitative, sowie qualitative Studien sollten gleichermaßen Gegenstand dieser Praxis sein, sie stellt einen systematischen Weg in der Fallarbeit dar, der wissenschaftliche Studien hinzuzieht. Dafür braucht es wiederum mehr Studien, die für die (klinische) soziale Arbeit von Relevanz sind. Nichts desto trotz stellt sie auch bereits jetzt ein sinnvolles Instrument dar. Man stelle sich eine_n Adressat_in vor, der_die an einer Psychose erkrankt ist und parallel beispielsweise Morbus Wilson hat. Letzteres ist eine Kupferspeicherkrankheit, die unter anderem Psychosen zu ihren möglichen Symptomen zählt. In so einem Fall kommt man als Fachkraft nicht umhin, medizinische und psychiatrische Informationen einzuholen, um einen mehrdimensionalen Blick auf den Fall zu bekommen. Es reicht im Sinne professioneller Praxis nicht aus, diese Person mit anderen Fachkräften zu vernetzen, denn die Erkrankung stellt einen Teil der Lebenswelt dar und dementsprechend Teil der Arbeit. Explizit gilt das für Vertreter_innen der Fachsozialarbeit, also jene mit Masterabschluss in klinischer sozialer Arbeit, ob derselbe Anspruch für Vertreter_innen des „Praktiker-Levels“ gilt, sei dahingestellt. Folgt man jedoch den Levels der Professionalisierung von Pauls und Gahleitner (2008) wäre für die „Praktiker_innen“ beispielsweise ein entsprechendes Vernetzen ausreichend im Sinne ihrer Qualifikation.

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85 Anhang

Abkürzungsverzeichnis EBP: Evidenzbasierte Praxis

SRA: Scientific reasoning and argumentation Mw: Mittelwert

Sta: Standardabweichung

MANOVA: Bezeichnung für eine multivariate Analyse I: Interview zur Fallvignette

Iepb: Interview zur EBP

Transkriptionsregeln

[.] kurze Pause (weniger als 3 Sekunden) […] lange Pause (länger als 3 Sekunden)

< > Darstellung von Gestikulation in den Klammern

Fallvignette

Die Fallvignette wurde von Christian Ghanem, Professor für Theorien und Methoden der sozialen Arbeit an der Katholischen Stiftungshochschule München zur Verfügung gestellt.

Ein 17-jähriger Proband kommt zum Erstgespräch. Er wurde wegen Raub verurteilt und hat nun eine Strafrestaussetzung. Bis auf eine Weisung, wonach er keine illegalen Substanzen konsumieren darf, hat er keine besonderen Auflagen und Weisungen.

Pünktlich erscheint er und gibt sich sehr offen. Auf Nachfrage hinsichtlich seines Konsumverhaltens gibt er an, dass er schon zweimal wegen einer geringen Menge Cannabis zu jeweils einer Geldstrafe verurteilt wurde. Er konsumiere jetzt nichts mehr. Er nehme nur noch Kratom zu sich.

Bei Ihren Recherchen stoßen Sie auf einen Artikel im Internet. Herausgeber ist die Kriminologische Abteilung des Max-Planck-Instituts und es geht um die Droge Kratom, welche bis vor kurzem in Deutschland nicht existent war, mittlerweile jedoch legal über das Internet zu bestellen sei. Er betont eine starke Gefährlichkeit dieser Droge.

86 Abstract

Kavita M. Babu, Christopher R. McCurdy, Edward W. Boyer (2007): Opioid receptors and legal highs: Salvia divinorum and Kratom in: Clinical toxicology 46/2. 146-152

„Salvia divinorum and Mitragyna speciosa (“Kratom”), two unscheduled dietary supplements whose active agents are opioid receptor agonists, have discrete psychoactive effects that have contributed to their increasing popularity. Salvia divinorum contains the highly selective kappa- opioid receptor agonist salvinorin A; this compound produces visual hallucinations and synesthesia. Mitragynine, the major alkaloid identified from Kratom, has been reported as a partial opioid agonist producing similar effects to morphine. An interesting minor alkaloid of Kratom, 7-hydroxymitragynine, has been reported to be more potent than morphine. Both Kratom alkaloids are reported to activate supraspinal mu- and delta- opioid receptors, explaining their use by chronic narcotics users to ameliorate opioid withdrawal symptoms. Despite their widespread Internet availability, use of Salvia divinorum and Kratom represents an emerging trend that escapes traditional methods of toxicologic monitoring. The purpose of this article is to familiarize toxicologists and poison control specialists with these emerging psychoactive dietary supplement“