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How do social workers and clinical social workers solve professional problems. A comparative study of epistemic activity and the use of knowledge.

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Academic year: 2022

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Wie lösen Vertreter_innen der (klinischen) Sozialen Arbeit professionelle Probleme.

Eine Vergleichsstudie epistemischer Aktivität und Wissensanwendung.

How do social workers and clinical social workers solve professional problems.

A comparative study of epistemic activity and the use of knowledge.

Masterarbeit

Zur Erlangung des akademischen Grades

Master of Arts

der Fachhochschule FH Campus Wien Masterstudiengang: Klinische Soziale Arbeit

Vorgelegt von:

Chris-Oliver Schulz Personenkennzeichen:

1610534034

ErstbetreuerIn / ErstbegutachterIn:

FH-Prof. Mag. Dr. Andreas Bengesser

ZweitbetreuerIn / ZweitbegutachterIn:

Prof.in Mag.a Dr.in Elisabeth Steiner Eingereicht am:

15.09.2019

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Erklärung:

Ich erkläre, dass die vorliegende Masterarbeit von mir selbst verfasst wurde und ich keine anderen als die angeführten Behelfe verwendet bzw. mich auch sonst keiner unerlaubter Hilfe bedient habe.

Ich versichere, dass ich diese Masterarbeit bisher weder im In- noch im Ausland (einer Beurteilerin/einem Beurteiler zur Begutachtung) in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe.

Weiters versichere ich, dass die von mir eingereichten Exemplare (ausgedruckt und elektronisch) identisch sind.

Datum: 15. September 2019 Unterschrift:

(3)

Kurzfassung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Konzept der evidenzbasierten Praxis innerhalb (klinischer) sozialer Arbeit. Es handelt sich um eine Vergleichsstudie mit einer ähnlichen Studie aus Deutschland, die im Jahr 2018 veröffentlicht wurde. Wie die evidenzbasierte Praxis sinnvoll in die (klinische) soziale Arbeit integriert werden kann, wird seit geraumer Zeit von Befürworter_innen, sowie Gegner_innen intensiv diskutiert. Man könnte meinen, dass diese Praxis eher für die Fachsozialarbeit (also Vertiefungsrichtungen wie der Master in klinischer sozialer Arbeit) relevant sei. Die Diskussion betrifft die sogenannte grundständige soziale Arbeit (also jene mit Bachelorabschluss) ebenso. Evidenzbasierte Praxis zeichnet sich durch eine klar strukturierte Fallarbeit und den expliziten Bezug auf wissenschaftliche Studien aus. In dieser Arbeit wurde also das Problemlöseverhalten in Hinblick auf evidenzbasierte Strategien unter Sozialarbeiter_innen und klinischen Sozialarbeiter_innen untersucht. Es gibt viele theoretische Debatten um diese Praxis in der (klinischen) sozialen Arbeit, aber relativ wenige Studien. Für diese Studie wurde das Modell des wissenschaftlichen Begründens und Argumentierens herangezogen, um das Problemlöseverhalten zu analysieren. Erhoben wurden die Daten mittels einer Fallvignette, anhand derer es mit der Methode des lauten Denkens möglich wurde, gedankliche Prozesse zu beobachten. Es nahmen 37 Teilnehmer_innen mit Bachelorabschluss teil, wovon 15 Personen zusätzlich einen Masterabschluss haben. 23 Personen haben einen Masterabschluss in klinischer sozialer Arbeit und wiederum 9 davon haben einen fachfremden Bachelorabschluss, also keinen in sozialer Arbeit.

Ergänzend zu dem triangulativen, also quantitativ-qualitativen Methodenmixes wurden weitere vier Interviews mit (klinischen) Sozialarbeiter_innen zum Verständnis zur evidenzbasierten Praxis und soziale Arbeit geführt. Die Ergebnisse zeigten, dass es Unterschiede zwischen Personen mit Bachelor- und Masterabschluss gibt. Außerdem konnten durch eine Clusteranalyse zwei Typen des Problemlösens klassifiziert werden, eine Gruppe der Praktiker_innen und eine Fachsozialarbeit. Die Ergebnisse und Überlegungen dieser Studie können für künftige Maßnahmen, evidenzbasierte Praxis zum Gegenstand (klinischer) sozialer Arbeit zu machen, relevant sein.

(4)

Abstract

This thesis deals with evidence-based practice in (clinical) social work. It is a comparative studie, i.e. the research design was taken over by a study which was published in 2018 in Germany. There is a polarizing debate going on with many differing perspectives on how to incorporate this practice into (clinical) social work. One could argue that it is only relevant for higher graduated social workers (this means a Master’s degree in clinical social work), but this discussion also affects so called basal social work (this means social workers with a Bachelor’s degree). For evidence-based practice it is characteristic to have a well structured casework and to refer to scientific studies. This thesis tries to find out, how social and clinical social workers solve problems according to a evidence- based way of problem solving. There are lots of theoretical discussions about evidence- based practice and (clinical) social work, but only few empirical studies. In this study a model of scientific reasoning and argumentation is used to analyse the problem solving strategies, which were observed on the basis of a case vignette. It is a survey instrument, that allows to capture reasoning processes. In this study 37 social workers with Bachelor’s degree participated and 15 persons from this group also have a Master’s degree in clinical social work. 23 clinical social workers participated, from which 9 persons have another Bachelor’s degree than social work. In addition to this mixed- methods approach it occured to make sense to conduct four interviews asking about evidence-based pratice in social work. The findings show that there is a difference between Bachelor- and Master’s degree. Moreover, a cluster analysis revealed two problem-solving strategies, i.e. a group of practicioners and a group of skilled-social workers (in which were more participants with Master’s degree). The findings could be quite relevant for future actions implementing evidence-based practice into (clinical) social work.

(5)

Abkürzungsverzeichnis

EBP Evidenzbasierte Praxis

SRA Scientific reasoning and argumentation

Schlüsselbegriffe

Evidenzbasierte Praxis Epistemische Aktivität Wissensanwendung

(6)

Inhaltsverzeichnis E

INFÜHRUNG

1. T

HEMA UND

H

YPOTHESEN

... 1

2. K

RITERIEN WISSENSCHAFTLICHER

P

RAXIS

... 4

3. D

ENKEN UND

P

ROBLEMLÖSEN

……… ... 5

3.1 Erkenntnis und Wissen………7

3.2 Begründen und Argumentieren (SRA)………..9

3.3 Erkenntnistheoretische Paradigmen………12

3.4 Die acht epistemischen Aktivitäten………..…13

4. E

VIDENZBASIERTE

P

RAXIS

(EBP)……….16

4.1 Evidenzbasierte Praxis lernen……….…24

5. E

MPIRISCHER

T

EIL

………..28

5.1 Die Stichprobe……….…29

5.2 Fallvignette und Abstract………...29

5.3 Simulierte Praxis: Leitfadeninterviews……….30

5.3.1 Transkription………....31

5.4 Epistemische Aktivitäten als Kategorienschema………...32

5.5 Fallvignetten als Erhebungsinstrument………34

5.5.1 Tiefenpsychologische Konzepte………...37

6.

A

NALYSE UND

A

USWERTUNG DER

I

NTERVIEWS

………39

6.1 Deskriptive Befunde und Ergebnisse………...…39

6.2 Statistische Auswertung: Master vs. Bachelor………...…41

6.2.1 Einflussfaktoren………...45

6.3 Typologisierung der Problemlösestrategien………...47

6.3.1 Clusteranalyse: Gesamte Stichprobe………..…49

6.3.2 Analyse ohne Quereinsteiger_innen………....54

6.4 Ergebnisdiskussion……….58

6.5 Grenzen der Methoden und Ausblick……….….66

7. I

NTERVIEWS ZUR EVIDENZBASIERTEN

P

RAXIS

………..69

7.1 Auswertung und Diskussion………..……70

7.2 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen……….75

8. A

USBLICK

………...77

8.1 Möglichkeiten für die Lehre………...…78

8.1.2 Kritisches Denken als Kernkompetenz………....79

(7)

9. F

AZIT

………81

L

ITERATURVERZEICHNIS

... 82

A

NHANG

... 85

(8)

1 Einführung

Klinische soziale Arbeit als Wissenschaft, als Handlungswissenschaft ist nach wie vor ein viel diskutiertes Thema, da das vermeintliche Spannungsfeld von Wissenschaft und Praxis nach wie vor polarisierend wirkt. Im Zuge der Professionalisierung ist wissenschaftliches Arbeiten, Forschen, das Einbeziehen relevanter Forschungsergebnisse in die Praxis Teil sozialer Arbeit geworden. Die Akademisierung der sozialen Arbeit bringt es auch mit sich, dass eigene Forschung betrieben wird und Wissen nicht mehr nur durch Nachbardisziplinen bezogen werden muss. Für die Praxis bedeutet das, neben genuin sozialarbeiterischen Studien auch fachfremde Studien einzuschätzen und gegebenenfalls nutzbar zu machen. Diese Art der Arbeitsweise wird wissenschaftlich fundierte Praxis, d.h. dass fallbezogene Einschätzungen, also Hypothesen und Interventionen ihre Begründung in Theorien und Methoden haben.

Außerdem ist damit auch eine reflektierte Fallarbeit gemeint, Evaluation beispielsweise oder das Etablieren und Erhalten professioneller, tragfähiger Beziehungen.

Wissenschaftlich fundierte Praxis kann auch als evidenzbasierte Praxis (EBP) verstanden werden und umfasst im Sinne sozialer Arbeit neben Forschung und Methodenkompetenz auch die Ebene der Adressat_innen1, also deren Ansichten und Bedürfnisse. Wobei dieser Aspekt in den Debatten zur EBP in der sozialen Arbeit einer der strittigsten ist, denn der evidenzbasierte Praxis - verstanden als rein zielorientiertes Arbeiten - wird häufig vorgeworfen, die Beziehungsebenen zu missachten. Die Diskussionen um das Für und Wider der EBP werden später ausführlich dargelegt.

Die praktische Fallarbeit soll sich also durch systematischen Erkenntnisgewinn auszeichnen, also ein reflektierter Prozess sein, bei dem Klarheit darüber herrscht, welche Problemlagen weshalb als solche identifiziert werden und auf welchen Grundlagen Hypothesen und Schlussfolgerungen gebildet werden, die zu Interventionen führen. Dies soll als Prozess verstanden werden und weniger als linearer Ablauf. Die zentralen Fragen dieser Arbeit befassen sich also mit Kriterien wissenschaftlich fundierter Praxis. Die Kriterien, die für diese Arbeit herangezogen wurden, werden noch vorgestellt.

Der Prozess der Fallarbeit differenziert sich in diverse Mikroprozesse aus, wie z.B.

Beobachtungen und Gedankengänge, die dazu führen, dass etwas im Fall als Problem identifiziert wird. Daraufhin folgen die Überlegungen, wie man diesem Problem begegnen könnte. Diese Überlegungen sind beeinflusst von Erfahrungen, dem Fall selbst, vorhandenem theoretischen Wissen, Methoden, Kenntnissen zu Studien und derlei mehr.

Im Laufe der Fallarbeit wird man weitere Schritte vollziehen, man wird Hypothesen bilden,

1 Adressat_innen und Klient_innen werden in dieser Arbeit synonym verwendet

(9)

2 diese vielleicht nochmals überprüfen anhand verschiedener Aspekte des Falls oder Theorien, irgendwann zieht man eine Schlussfolgerung, welche dann eine Intervention nach sich zieht. Im Hintergrund laufen sogenannte Problemlöseprozesse im Denken ab und diese Prozesse genauer zu betrachten bedeutet, die praktische Fallarbeit in ihrem Wie zu untersuchen. Dabei geht es hier um etwaige Unterschiede zwischen Sozialarbeiter_innen und klinischen Sozialarbeiter_innen.

Da für diese Arbeit das Forschungsdesign einer Studie aus Deutschland übernommen wurde, wird der Inhalt besagter Studie zunächst erläutert, um dann die modifizierten Fragestellungen und Hypothese dieser Arbeit vorzustellen. Die Ergebnisse der Originalstudie werden im empirischen Teil pointiert erläutert. Im theoretischen Teil dieser Arbeit werden zunächst die Kriterien wissenschaftlicher Praxis erläutert, anschließend der theoretische Hintergrund zum Themenkomplex Denken und Problemlösen, um dann zentrale Aspekte und die (aktuelle) Forschung zur evidenzbasierten Praxis in der (klinischen) sozialen Arbeit vorzustellen. Das Thema wissenschaftliches Begründen und Argumentieren schließt daran an. Es spielt eine wesentliche Rolle für die Erhebung, welche anschließend im empirischen Teil dieser Arbeit in ihrer Methodik dargestellt wird.

Es handelt sich um ein triangulatives Forschungsdesign, da qualitative und quantitative Methoden verwendet werden. Die Ergebnisse der Interviews mittels einer Fallvignette kommen anhand eines aus der Originalstudie übernommenen Kategorienschema zustande und können so für die quantitative Auswertung mittels SPSS verwertet und weiter analysiert werden.

Um die Ergebnisse zu ergänzen und zu vertiefen, wurde entschieden, vier Interviews mit (klinischen) Sozialarbeiter_innen zu führen, um deren Einstellung zur evidenzbasierten Praxis (in der sozialen Arbeit) zu erheben. Die Ergebnisse werden dann zusammengeführt. Als nächstes werden nun das Thema, die Hypothese und Forschungsfrage dieser Arbeit erläutert.

1. Thema und Hypothesen

Für diese Arbeit wurde das Forschungsdesign einer explorativen Studie übernommen und durch vier Interviews ergänzt. Besagte Studie trägt den Titel Wie lösen NovizInnen und ExpertInnen in der Sozialen Arbeit professionelle Probleme? Eine Mikroanalyse

(10)

3 epistemischer Aktivitäten und der Wissensanwendung2 an. Mit Hilfe einer Fallvignette wurden in Einzelinterviews Sozialarbeiter_innen aus dem Handlungsfeld Bewährungshilfe miteinander verglichen, um der Frage nachzugehen, wie wissenschaftlich fundiertes Wissen und Erfahrung die professionelle Praxis beeinflussen und zur Anwendung kommen (vgl. Ghanem at al. 2018: 6). Die zwei Gruppen bestanden aus einerseits Bachelorstudierenden zwischen dem 3. und 7. Semester und andererseits Sozialarbeiter_innen der Bewährungshilfe mit durchschnittlich 18 Jahren Berufserfahrung (vgl. Ghanem et al. 2018: 7). Für diese Arbeit wurde die Grundgesamtheit modifiziert, insofern es sich hier nicht um Vertreter_innen der Sozialen Arbeit aus dem Bereich der Bewährungshilfe handeln wird, sondern der Vergleich zwischen Sozialarbeiter_innen und klinischen Sozialarbeiter_innen unabhängig des Handlungsfelds zentral ist. Um Wissenschaftlichkeit, also das Anwenden von Wissen in der Praxis überhaupt konzeptualisieren zu können, wurde auf das Modell des „scientific reasoning and argumentation“ (SRA) zurückgegriffen, welches nach Fischer et al „acht epistemische Handlungen“ beinhaltet (vgl. Fischer et al. 2014: 58ff). Diese Handlungen oder Aktivitäten sind beispielsweise systematisches Fragen („questioning“), Problemidentifizierung („problem identification“) oder „Evidence Generation“ und „Evidence Evaluation“3. Es wird deutlich, dass einige dieser Aktivitäten explizit zur evidenzbasierten Praxis gehören und andere weniger. Anhand dieser acht Handlungen wurden die Interviews der qualitativen Erhebung kategorisiert, um sie dann in quantitative Modelle zu überführen. Durch die simulierte Fallarbeit wird sich zeigen, wie häufig die Aktivitäten bei den Absolvent_innen anzutreffen sind.

Die erste Forschungsfragen dieser Studie lautet: Unterscheiden sich grundständige Sozialarbeiter_innen von klinischen Sozialarbeiter_innen im erkenntnistheoretischen Prozess? Es ergibt sich folgende Hypothese:

1. Wenn Sozialarbeiter_innen einen Master absolviert haben, dann werden höhere Werte bei den epistemischen Aktivitäten erreicht, als bei Bachelorabsolvent_innen.

Die zweite Forschungsfrage lautet:

2. Ist es möglich, verschiedene Typen des Problemlösens zu identifizieren?

2 Ghanem, Kollara, Fischer, Lawsone und Pankofer, 2018

3 Aufgrund der Einfachheit werden manche der Aktivitäten im Englischen belassen, werden aber im theoretischen Teil zugunsten des Verständnisses zumindest sinngemäß übersetzt. Im empirischen Teil werden nur mehr die englischen Begriffe verwendet.

(11)

4 Für die erste Hypothese werden t-Tests durchgeführt und eine Varianzanalyse (MANOVA), um den Einfluss des Alters und der Praxiserfahrung zu prüfen. Für die zweite Forschungsfrage wird eine Clusteranalyse gemacht. Die quantitative Auswertung wird mit SPSS durchgeführt.

Durch vier anschließende Interviews zur Einstellung gegenüber evidenzbasierter Praxis soll anhand einer Themenanalyse/Textreduktion überprüft werden, ob sich a) die Aussagen mit dem aktuellen Diskurs zur EBP in der sozialen Arbeit decken und b) ob sich die Einstellung zur EBP in der vorhergehenden Erhebung und deren Ergebnisse wiederspiegelt.

Nun beginnt der theoretische Teil dieser Arbeit. Das vermeintliche Spannungsfeld Wissenschaft und Praxis wird thematisiert, dann der theoretische Hintergrund zu Denken und Problemlösen, Erkenntnis und Wissen, um dann zum wissenschaftlichen Argumentieren zu kommen. Schlussendlich wird das Thema evidenzbasierte Praxis in der sozialen Arbeit erläutert. Der aktuelle Stand der Forschung zur wissenschaftlich fundierten Praxis wird nicht in einem separaten Kapitel erläutert, sondern ist in den entsprechenden Kapiteln untergebracht.

2. Kriterien der wissenschaftlichen Praxis

Spätestens seit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge in der sozialen Arbeit stehen neben praxisbezogenem Wissen auch die Vermittlung qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden im Zentrum. Die empirische Forschung zur Wirksamkeit von sozialer Arbeit solle nicht nur angewandte Methoden untersuchen, sondern auch Wissen, Theorien und Methoden generieren, sowie das Selbstverständnis als eigenständige, wissenschaftliche Disziplin fördern (vgl. Dewe, Otto 2011: 1735).

Genaugenommen hat die Professionalisierung eine lange Geschichte: Ilse Arlt beispielsweise befasste sich mit der Überprüfung der Wirksamkeit und sprach sich für die

„Notwendigkeit einer Fürsorgewissenschaft“ aus (Staub-Bernasconi 2007: 41). Das vermeintliche Spannungsfeld zwischen Theorie, Praxis und Politik schließt sich für Staub- Bernasconi, da Professionalität einerseits die „Verpflichtung zur Anwendung der Regeln wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens, zur Suche nach Wahrheit […] zur disziplinierten Verwendung von Wissen“ mit sich bringe und andererseits die Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen auf wissenschaftlicher Basis (ebd.: 242). Wissenschaft und Praxis sollten Hand in Hand gehen, was sich auch mit Pauls Motto „Praxis schafft Wissen und Wissen schafft Praxis“ ausformulieren ließe (vgl. Pauls 2006a: 27). Für ihn benötige praxisbezogene Forschung die Kooperation mit Hochschulen, da diverse

(12)

5 Praxiseinrichtungen meist keinerlei Ressourcen für die empirische Forschung anbieten können (vgl. ebd.: 26). Es scheint hier, dass die Praxis der Theorie zuarbeiten soll und vice versa. D.h. auch, dass Praktiker_innen über entsprechende Kompetenzen verfügen müssen, um wissenschaftlich fundierte Methoden einschätzen und anwenden zu können.

Für Pauls ergeben sich folgende Merkmale, die wissenschaftlich fundierte Praktiker_Innen ausmachen (vgl. ebd.: 26):

- Nach wissenschaftlichen Kriterien entwickelte und begründete Methoden in Diagnostik und Intervention anwenden zu können

- Im Praxisfeld Hypothesen entwickeln und Daten gewinnen zu können, die im Rahmen der Praxisforschung in den Wissenschaftsprozess einfließen können - Die Kompetenz, empirische Forschungsergebnisse auf die Praxis beziehen zu

können

- Sich selbst als Bestandteil der Praxis reflektieren zu können

Diese Kriterien spielen auch in dem hier verwendeten Forschungsdesign eine zentrale Rolle, insofern der erkenntnistheoretische Prozess untersucht wird. Dieser Prozess wird verstanden als systematischer Weg der Lösungssuche. Die sogenannte evidenzbasierte Praxis dient inzwischen in vielen Disziplinen als Konzept, um wissenschaftlich fundiert zu arbeiten. Zunächst wird nun der theoretische Hintergrund der Themen Denken und Problemlösen erläutert. Anschließend das Konzept der evidenzbasierten Praxis und dessen Relevanz für (klinische) soziale Arbeit dargestellt. Schlussendlich werden die acht epistemischen Aktivitäten expliziert, die das (offene) Kategorienmodell der Untersuchung darstellen. Damit wäre der theoretische Teil dieser Arbeit abgeschlossen. Im empirischen Teil gilt es dann, das Forschungsdesign zu beschreiben, um dann die Ergebnisse vorzustellen.

3. Denken und Problemlösen

Das Verhältnis von Theorie und Praxis, bzw. Wissen und dessen Anwendung werden seit geraumer Zeit von verschiedenen Disziplinen beforscht. Der Anfang liege bei den Gestaltpsychologen (u.a. Koffka 1935, Köhler 1925), die zwei Wege des Problemlösens postulierten: den „default mode“, der auf analytischem Denken beruhe und den Weg via Erkenntnis, der durch ein „Aha-Erlebnis“ ausgelöst werde (vgl. Weisberg 2015: 5). Die verschiedenen theoretischen Standpunkte, die sich bis dato entwickelt haben, lassen einige Fragen unbeantwortet oder seien nach wie vor den alten Paradigmen verhaftet,

(13)

6 weshalb z.B. Weisberg von einem vielfältigeren Set möglicher Denkprozesse ausgeht, die beim Lösen von Problemen im Spiel sein können (vgl. Weisberg 2015:5). Fraglich war auch häufig, wie man den Prozess des Problemlösens und der Wissensanwendung überhaupt untersuchen könnte. Die Fähigkeit, mit Wissen umzugehen ist nicht aus dessen Struktur heraus erkennbar, (gespeichertes) Wissen ‚in Aktion‘ ist also nicht direkt beobachtbar. Daher sei es notwendig, diesen Prozess über Modellvorstellungen zu beschreiben (vgl. Bösel 2001: 81) und dies wird hier mit den acht Kriterien epistemischer Aktivität umgesetzt. Die Idee ist grob übertragen folgende: Das Gedächtnis etabliert Schemata (im Sinne von Hohlformen) und Elemente des Wissens könnten sich in diese einfügen. Reize aktivieren diese Schemata dann, also „setzen konzeptgeleitetes Wissen in Gang“ (ebd.: 81.), wie z.B. hier durch die Konfrontation mit einer Fallvignette. Diese Schemata können sich verändern: Durch Handlungen kann man aktiv auf die Umwelt, die Umgebung einwirken. Eine Handlung wird durch einen Reiz ausgelöst, dieser Reiz triggert ein Schema und löst eine wissensgeleitete Handlung aus. Die Wirkung der Handlung stimmt aber vielleicht nicht mit den Erwartungen überein. In diesen Fällen kann sich ein Schema verändern. Hier wird auch die Verbindung von Gedächtnis und Wissen deutlich (vgl. ebd.: 81f.). Durchaus zeigen sich Parallelen zum Prozess der Evaluation, der dazu da ist, das eigene Handeln und die Konsequenzen zu beobachten, also zu überprüfen. Ändert sich das Gedächtnisschema, ändert sich auch das Element des Wissens. Übertragen auf die Praxis bedeutet das beispielsweise eine Intervention zu verwerfen oder zu justieren und in einer spezifischen Situation neu zu bewerten.

Der Prozess des Problemlösens wird als innerlicher (nicht unmittelbar beobachtbarer) Prozess betrachtet, der durch die Aufforderung der verbalen Äußerung empirisch zugänglich gemacht werden könne (vgl. ebd.: 292). Dies entspricht der Methode des lauten Denkens. Ein Problem wird u.a. definiert als „Wahrnehmung einer Handlungsbarriere“ oder auch als „Lücke im inneren Abbild der Aufgabenumwelt“ (Bösel 2001: 292). Ein Modell einer Problemsituation enthält laut Bösel folgende Kriterien (vgl.

Bösel 2001: 294):

1) Zunächst können die objektiven Komponenten einer Problemsituation überhaupt wahrgenommen werden. Das Problem kann als solches also identifiziert werden.

2) Es gibt eine Aufgabeninstruktion und eine damit verbundene Zielerwartung. Die oben genannten Schemata werden mit der Situation verbunden, wodurch sich ein Vorstellungsbild über den möglichen Ausgang ergibt (inklusive einer möglicherweise beeinträchtigten Erfolgserwartung).

(14)

7 3) die verfügbaren Handlungsmöglichkeiten können dann eingeschätzt und

abgewogen werden.

Die Fallvignette dieser Studie erfüllt diese Kriterien, denn der Klient der Fallvignette und dessen Rahmenbedingungen beinhalten klare Ziele, die Handlungsmöglichkeiten variieren je nach z.B. Grundausbildung, Erfahrungs- oder Wissensstand. Außerdem bringt der Fall genannte „Lücken“ mit sich, da eine bestimmte und potentiell unbekannte Substanz Teil der Vignette ist. Die Fallvignette wird natürlich im empirischen Teil dargestellt. Als nächstes wird es im den Themenkomplex Erkenntnis und Wissen gehen, also auch um entsprechende Kernkompetenzen.

3.1 Erkenntnis und Wissen

Ging man mit den Forschungsergebnissen von Piaget (1958) noch davon aus, dass rationales, wissenschaftliches Denken eine verallgemeinerbare Eigenschaft sei, die im Grunde das Ergebnis jeder geistigen Entwicklung sei, so setzt man heute vielmehr voraus, dass Kompetenzen rund um das Begründen und Schlussfolgern kontextabhängig seien (vgl. Fischer et al. 2014: 29). D.h. dass solche Kompetenzen und ihre Anwendung vor allem mit Fachwissen, oder der Aufgabenstellung selbst zusammenhängen und nicht universell, geradezu a priori ausgebildet werden. Dies wurde in Studien mit Laien und Wissenschaftler_innen, sowie mit Kindern im Grundschulalter nachgewiesen. Letztere könnten bereits zwischen Hypothesen und Fakten unterscheiden und Studien aus den Jahren 2005 und 2009 mit Kindern im Vorschulalter zeigten, dass sie über Grundkenntnisse in Sachen Datenevaluation verfügen (vgl. Fischer et al. 2014: 30).

Demgegenüber zeige eine andere Studie mit Kindern und Erwachsenen fehlendes methodisches Wissen, um evidenzbasierte Argumente zu generieren und einschätzen zu können (vgl. Fischer et al. 2014: 30). Zusammenfassend heißt das, dass es zwar einerseits ein klares Verständnis dafür gibt, Tatsachen von Behauptungen, Hypothesen von Fakten zu unterscheiden, sich aber Schwierigkeiten zeigen, wenn eigene Argumente (wissenschaftlich) begründet werden sollen, oder Argumente in ihrer Aussagekraft auf wissenschaftliche Weise einzuschätzen sind.

Die Annahme also, wissenschaftliches, oder allgemeiner formuliert: rationales Denken sei das Ergebnis einer natürlichen, rationalen Entwicklung, kann als obsolet betrachtet werden. Inzwischen gibt es weitaus vielseitigere Theorien zu diesem Thema. Dies zeigt sich z.B. auch an der Popularität diverser Forschungsschwerpunkte der Entwicklungs-

(15)

8 und Bildungspsychologie im englischsprachigen Raum: personal epistemology, epistemological beliefs, epistemic beliefs, epistemic positions, epistemic cognition, epistemological reflection und reflective judgment (vgl. Chinn et al. 2011: 141). Die Forschung rund um Wissen und Erkenntnis differenzierte sich also in diverse Bereiche aus, u.a. Reflektion von Erkenntnis, dessen Begründungszusammenhang, oder Erkenntnis, Reflektion und Überzeugungen.

Ein bezeichnendes Model in der Entwicklungspsychologie stammt von Kuhn (2002), bei dem vier Stufen in der Entwicklung voneinander abgrenzt werden. Veränderungen in der Entwicklung werden in Hinblick auf Veränderungen in den Überzeugungen bezüglich der Sicherheit von Wissen diskutiert: Kinder seien zunächst sozusagen Realisten, d.h.

Wissen würde als unmittelbare Kopie der Realität empfunden (vgl. Chinn et al. 2011:

143). Darauf folgt eine absolutistische Phase, in der Gedanken und Vorstellungen als definitiv richtig oder falsch betrachtet werden. Daraufhin komme es zu einer multiplizistischen Phase, d.h. widersprüchliche und verschiedene Gedanken können gleichermaßen vertretbar sein: „all opinions are equally good or valid“ (ebd.: 143).

Schlussendlich eröffne sich die evaluative Phase: Wissen wird als ungesichert betrachtet, vorläufige Schlussfolgerungen sind aber dennoch möglich, denn, „claims are judgements to be evaluated accordnung to criteria of arguments and evidence“ (ebd.: 143). Dies stellt nur eine von vielen Konzepten dar, soll aber beispielhaft für den Zusammenhang zwischen Überzeugung, Wissen und Lernen sein. Beispielsweise zeigt eine Studie mit Studierenden (Grotzer und Basca 2003), dass - je nach (durchaus unbewusstem) individuellem Verständnis von Kausalität - diese anders lernen. „Thus, tacit commitments about causal structure were strong predictors of students learning“ (Chinn et al. 2011:

151). Collins and Ferguson (1993) nennen Wissensstrukturen epistemische Formen, z.B.

können das Listen sein, Baumdiagramme, etc. (ebd.: 151). Es handelt sich um eine Anordnung von Wissen, dessen Strukturierung. Nicht nur um eine Übersicht zu haben, sondern auch die Möglichkeit, Erkenntnisse zu generieren. Die Wissensstrukturen hängen wiederum mit persönlichen Überzeugungen zusammen.

Was meint der Begriff Epistemologie überhaupt? Er wird übersetzt mit Erkenntnistheorie.

Hierbei geht es um Fragen nach den Bedingungen von Erkenntnis. Im Cambridge Lexikon wird Epistemologie definiert als „the study of the nature of knowledge and justification“, im Speziellen die Erforschung von entsprechenden Merkmalen, den wesentlichen Bedingungen, oder Quellen von Wissen und dessen Grenzen (vgl. Chinn et al. 2011: 145). Auch diese klassische Definition lässt sich erweitern: Fragen nach

(16)

9 erkenntnistheoretischen Zielsetzungen sind ebenso Gegenstand der Forschung, wie Fragen nach der Reliabilität der Wissensgenerierung, Tugenden und Fehler im erkenntnistheoretischen Prozess, oder auch individuelle und soziale Aspekte desselben (vgl. Chinn et al. 2011: 145).

Neben der Psychologie befassen sich vor allem die Bildungs- und Sozialwissenschaften mit der individuellen Perspektive. Sie legen ihren Fokus also auf “the externalised processes and products of scientific reasoning within social contexts” (Fischer et al. 2014:

30). Einige Studien wie z.B. die von Kollar et al 2007, McNeill 2011 und Stegmann et al 2012 befassten sich konkret mit der Struktur von Argumenten, deren Beweisführung und Rechtfertigung, sowie kontextbezogenen Bedingungen, beispielsweise im gemeinsamen Debattieren (vgl. Fischer et al. 2014: 30). Zwei zentrale Resultate waren, dass Studierende erstens häufig dazu tendieren, Behauptungen aufzustellen, ohne sie zu begründen und zweitens: Studierende des sozialwissenschaftlichen Bereichs versäumen es häufig, sich auf wissenschaftliche Konzepte oder Informationen zu beziehen (vgl. ebd.:

30). Es gebe zahlreiche Studien, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen (um etwas vorzugreifen: diese Arbeit eingeschlossen), weshalb sich die Frage stellt, wie man Studierende darin fördern könne, ihre Argumentationen schlüssig und nachvollziehbar zu gestalten, sowie deren Umgang mit wissenschaftlichem Wissen in eben diesem Prozess (vgl. Fischer et al 2014: 30f). Auf die Problematik der Vermittlung solcher Kompetenzen wird noch eingegangen.

3.2 Begründen und Argumentieren (SRA)

Es werden nun neben dem von Fischer et al. entwickelten Modell weitere Aspekte zu diesem Thema erläutert.

In der Erhebung von Fachwissen zeigt sich folgendes Problem: Bisherige Studien deuten an, dass es schwierig zu sein scheint, professionelles Wissen auf „real-world problems“

anzuwenden, also dass man zwar diverse Techniken lernt, aber kein Bewusstsein dafür habe, wann und wie diese anzuwenden seien (vgl. Ghanem et al. 2018: 6). Als weiteres mögliches Problem führen die Autor_innen an, dass theoretisches Wissen für einige Praktiker_innen nutzlos erscheinen könnte. Jedoch kann man davon ausgehen, dass sie prinzipiell theoretisches Wissen allein aufgrund jahrelanger praktischer Erfahrung, wenn auch unbewusst, ansammeln (vgl. ebd.: 6). Es wird also davon ausgegangen, dass Fachwissen zwar, auf welchem Weg auch immer, internalisiert wurde, jedoch nicht unmittelbar zugänglich ist. D.h. dass sich solche Proband_innen im Interview nicht explizit auf theoretische Modelle beziehen werden, sie aber dennoch z.B. Fragen zur

(17)

10 Problemidentifikation gezielt stellen und sie im systematischen Nachfragen präzisieren könnten.

In den Interviews geht es also nicht notwendigerweise darum, bekannte, fallspezifische Methoden oder Theorien zu benennen, sondern um die Art und Weise, wie an das Fallbeispiel herangegangen wird und wie die Zusatzinformation (das Abstract) in die Fallarbeit integriert wird. Um es nochmal zu betonen: Geht man der Frage nach, ob jemand wissenschaftlich fundiert arbeitet, wird das Wie in der Praxis (die durchaus simuliert werden kann) untersucht.

Als wesentlichen Faktor für die Anwendung seines Modells bestimmt Fischer fachspezifisches Wissen: dadurch werde eine Problemsituation überhaupt mental vorstellbar, um Aspekte einer Situation identifizieren zu können, die dann wissenschaftlich fundierten Fragen zugänglich seien (vgl. Fischer et al. 2014: 35). D.h.

dass ein Laie angesichts einer Fallvignette wahrscheinlich nicht die verschiedenen Ebenen, auf denen Probleme bestehen können, wahrnehmen wird. Professionist_innen werden beim Lesen der Fallvignette eine systematische Vorstellung vom Fall haben, also etwaige Probleme auf verschiedenen Ebenen verorten, z.B. gesundheitlich, psychologisch, sozial und dementsprechend systematisch vorgehen.

Allerdings ist die Rolle des fachspezifischen Wissens in Problemlösestrategien, sowie etwaige Unterschiede zwischen verschiedenen Disziplinen bis dato nur wenig beforscht (vgl. ebd.: 37). Ebenso mangele es an Studien, die den Zusammenhang zwischen Emotionen und SRA untersuchen, auch bleibe der soziale Kontext unberücksichtigt, obgleich es epistemische Aktivitäten gäbe, die genuin kollaborativer Natur seien (vgl.

ebd.: 37). In Hinblick auf (klinische) soziale Arbeit könnte man hier an die Intervision oder kollegiale Beratung denken, da mehrere Personen an einem gestellten Problem arbeiten.

Das Konzept SRA mit seinen drei epistemischen Modi stimme allerdings mit fachspezifischen, sowie generalistischen Komponenten überein (Fischer et al. 2014: 39) und kann somit in Studien zur Frage nach Problemlösestrategien und Wissenschaftlichkeit breite Anwendung finden. Mehrmals betonen die Autor_innen die Notwendigkeit in dieser Hinsicht mehr zu forschen, denn SRA sei eine Schlüsselkompetenz in Wissensgesellschaften. Mehr Wissen über diese Kompetenz, etwaige Zusammenhänge mit Emotionen und technischen Veränderungen könnten hilfreich dabei sein, beispielsweise Curricula entsprechend zu gestalten (vgl. ebd.: 39).

(18)

11 In einer qualitativen Studie aus Finnland wurden zehn Studierende im 3. Semester (Biologie) mittels einer Vignette befragt. Es wurde eine spezifische Situation und damit verbundene Aufgabestellungen simuliert. Anhand der Methode des lauten Denkens wurden die kognitiven Vorgänge, wie in dieser Arbeit, zugänglich gemacht.

Es wurden Zusammenhänge zwischen kritischem Denken, erkenntnisbezogenen Überzeugungen und Problemlösestrategien bei Studierenden untersucht. Es stellte sich die Frage nach dem Wie: „we assume that critical thinking cannot be formulated by referring to skills alone, but also always involves a disposition to use these skills adequately (Hyytinen et al. 2014: 2). Kritisches Denken wird hier im Zusammenhang mit Wissen gedacht und zunächst definiert als Prozess, der eine Person dazu in die Lage versetzt, eine sachkundige Entscheidung in widersprüchlichen Situationen zu treffen.

Weiters sei es ein zielgerichtetes, reflektives Denken, „[that] knows how to assess the strength of evidence and the reasons that are relevant to the particular context or type of task, and also shows the disposition to draw on these skills (ebd.: 2). Charakterisiert man kritisches Denken, werden die Parallelen zu einerseits dem Kategorienmodel deutlich und außerdem zur wissenschaftlich fundierten, oder eben auch evidenzbasierten Praxis, die noch vorgestellt wird. Aspekte kritischen Denkens sind z.B. (vgl. ebd.: 2):

- die Fähigkeit, Elemente eines logisch aufgebauten Sachverhalts zu identifizieren, vor allem Gründe und Schlussfolgerungen

- die Fähigkeit, Annahmen zu identifizieren und zu evaluieren

- Behauptungen auf ihre Glaubwürdigkeit hin beurteilen und einschätzen zu können - Erklärungen formulieren zu können

- Schlussfolgerungen ziehen zu können

- Die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, sie analysieren und evaluieren zu können

Es handelt sich beim kritischen Denken also um das Kombinieren von verschiedenen Arten von Wissen. Hyytinen et al. Unterscheiden Wissenstypen nach Kriterien aus der epistemologischen Philosophie, also nach z.B. aussagenlogischem und prozessualem Wissen. Erstes meint Wissen um einen Sachverhalt, „that such-and-such ist the case“, während letzteres ein Wissen um das Wie eines Sachverhalts meint, also z.B. wie ein Argument zu analysieren sei (vgl. ebd.: 2). Allerdings, wie schon dargestellt, ergibt sich das Problem, dass das Lernen diverser Kompetenzen, also zu wissen wie, noch lange keine adäquate Anwendung mit sich bringen muss: „Previous studies have called attention to the fact that students´ critical thinking skills do not always develop during

(19)

12 university studies“ (ebd.: 3). Es ergeben sich also keine signifikanten Veränderungen bei z.B. den Kompetenzen Begründen und Problemlösen durch ein Hochschulstudium, was scheinbar an fehlender Praxis liegt. Das kritische Hinterfragen, Analysieren und Evaluieren von z.B. Argumenten muss also geübt werden, was auch durch eine andere Studie (Heijltjes et al. 2014) belegt werden konnte: „the combination of explicit instruction and practice has proven succesfull in improving students´ performance in reasoning skills“ (Hyytinen 2014: 3). Ein weiterer Einflussfaktor ist die individuelle Einstellung zu Erkenntnis („personal epistemology“ oder „epistemological beliefs“), also die jeweilige Auffassung von Wissen (vgl. ebd.: 4). Um die bereits erläuterte Konzeptualisierung der

„epistemological beliefs“ von Kuhn (2002) nochmals zu bemühen: Der Prozess umfasst folgende Zustandsweisen: „from a state of simple, absolute certainty into a multifaceted, evaluative system“, also eine Entwicklung in Richtung eines Relativismus (ebd.: 4). Die Unterscheidung in simplere und weiter entwickelte epistemologische Überzeugungen zeigt auch einen Zusammenhang mit den Quellen von Wissen. Bei den sog. simpleren Überzeugungen, werde Wissen als Spektrum unwandelbarer Fakten wahrgenommen und von außenstehenden Autoritäten bezogen. Es ergibt sich ein Bild des klassischen Schüler_innen/Studierende - Lehrer_innenverhältnis, bei dem letztere etwas über die Welt wissen und es an erstere transferieren. Im Falle der „higher level epistemological beliefs“ werde Wissen als ungesichert und vom Individuum selbst konstruiert betrachtet (vgl. ebd.: 4). Hier zeigt sich ein Bild dynamischen Wissens, mit dem beispielsweise etwas im Moment des Transfers passiert, Wissen also von Individuen jeweils in Kontexte eingebettet und verarbeitet wird.

3.3 Erkenntnistheoretische Paradigmen

Der Anfang- und Endpunkt des Prozesses von einer simplen zur höheren Beziehung zu Wissen und Erkenntnis lassen sich mit zwei philosophischen Positionen verbinden: Dem Relativismus und dem metaphysischen Realismus. Bei letzterem wäre kritisches Denken, das Hinterfragen von Wissen obsolet, da hier davon ausgegangen wird, unser Wissen und unsere Symbole seien Abbilder der Realität, die wir durch Beobachtung gewinnen könnten. Also gesichertes Wissen. Beim (radikalen) Relativismus erübrigt sich kritisches Denken ebenfalls, da jedes Wissen gleichermaßen seine Berechtigung hat. Daher bringen Hyytinen et al. den Fallibilismus in Anschlag, bei dem sämtliche Überzeugungen und Konzepte zu jeder Zeit widerlegbar sein können. Keinesfalls hieße das, unser Wissen sei grundsätzlich falsch, vielmehr ist der gegebene ‚Wissenskörper‘ „the best available starting point for choices and actions of the present moment concerning further

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13 inquiry“ (ebd.: 5). Das vor allem von Popper konzeptualisierte Paradigma des Fallibilismus hat inzwischen in vielen wissenschaftlichen Disziplinen Leitbildcharakter.

Die Fähigkeit, kritisch zu denken hängt mit der Entwicklung der epistemologischen Überzeugungen zusammen und konnte mehrfach nachgewiesen werden4. Eine Diskussion um die Entwicklung genannter Fähigkeiten im (Fach-) Hochschulkontext wird es noch am Ende der Arbeit geben. Es zeigt sich hier offensichtlich Handlungsbedarf, da Studierende, wie dargelegt, häufig nicht in der Lage sind, kritisches Denken adäquat anzuwenden und in diesem Sinne auch evidenzbasierte Praxis umzusetzen.

3.4 Acht epistemische Aktivitäten

Ausgehend von einer Klassifikation nach Stokes entwickeln Fischer et al. die acht epistemischen Aktivitäten:„Stokes suggested a widely accepted classification according to which approaches to scientific reasoning vary in their primary goals along two orthogonal dimensions: understanding and use“ (Fischer et al. 2014: 32). Sie arbeiten aus diesem Ansatz zunächst drei Modi des SRA heraus (vgl. ebd.: 32f):

1) Wissenschaftlichem Begründen und Argumentieren kommt im Wesentlichen die Rolle zu, Theorien zu generieren oder Hypothesen zu testen.

2) Bezüglich der Praxis sollen mithilfe wissenschaftlicher Methoden und Theorien reale und spezifische Probleme gelöst werden. Eine, oder mehrere mögliche Lösungen werden auf Basis aktueller Forschung, fachspezifischer Standards und fallspezifischer Informationen erarbeitet und evaluiert.

3) Der dritte Modus beschreibt zirkuläre Prozesse, „which involve the concurrent development of an artefact and a scientific theory or explanation for why the artefact works or does not work“. Tests, deren Wiederholungen und Analysen sind hier also wesentlich. Damit ist der Prozess der Evaluation gemeint: Kenntnisse darüber, wie ein Verfahren (oder eine Intervention) funktioniert, Fehler zu erkennen und das Verfahren entsprechend zu korrigieren.

Um die Wissenschaftlichkeit, oder das Wissenschaftliche in Problemlösungsprozessen überhaupt konzeptualisieren zu können, wird also auf ein allgemeineres Modell für wissenschaftliches Begründen und Argumentieren zurückgegriffen, das der „eight

4 Hyytinen et al. führen folgende Studien an: King und Kitchener 2004, Kuhn 1999, 2005, Kuhn und Weinstock 2002, Bok 2006, Barzali und Zohar 2012

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14 epistemic activities“. Die acht epistemischen Aktivitäten selbst resultieren aus diesen drei eben genannten Modi, sie stellen Möglichkeiten dar, wie die drei Modi in der Praxis umgesetzt werden können. Sie können als idealisierter Ablauf betrachtet werden, der mit der Identifizierung eines Problems beginnt, Fragen folgen lässt, die es eingrenzen oder präzisieren, Bildung von Hypothesen, bis hin zur Bildung von Schlussfolgerungen und deren Evaluation. Dieser ideale Ablauf in acht Schritten muss in der Praxis nicht so umgesetzt werden, nicht alle Aktivitäten Teil des Prozesses sein. Die Erhebung kreist um Aspekte des Problemlösens, der evidenzbasierten Praxis und des wissenschaftlichen Argumentierens und Begründens, was wiederum als Prozess zu verstehen ist. Das Kategorienschema stellt also keinen chronologischen Ablauf dar. Eine Hypothese beispielsweise kann verworfen werden kann und durch neuerliches Fragen können andere Hypothesen entwickelt werden.

Die acht epistemischen Handlungen dienen als Kategorienschema für die Datenauswertung. Sie werden im empirischen Teil mit Ankerbeispielen aus den Interviews erläutert, im Folgenden ihr theoretischer Hintergrund.

Angesichts der Informationen aus der Fallvignette und dem wissenschaftlichen Artikel werden die Teilnehmer_innen verschiedene Äußerungen tätigen, die Aspekte der Wissensgenerierung- und Überprüfung markieren. Es wird also nach Äußerungen gesucht, die folgenden Punkten entsprechen (vgl. Fischer et al 2014: 33ff):

1) Problem Identification5: Welche Problemlagen überhaupt vorliegen, muss zunächst herausgefunden werden, denn die Informationslage ist uneindeutig.

2) Questioning: Das Stellen von systematischen Fragen, die an den Identifikationsprozess anschließen, bildet eine weitere erkenntnistheoretische Aktivität. Es geht um Fragen, die das als relevant erachtete Problem ggf. präzisieren, oder weiter eingrenzen könnten. Es können auch Fragen an die Theorie sein, also Äußerungen, die den Wunsch nach Literaturrecherche andeuten. Kurz: Alles was eine Arbeit am identifizierten Problem zum Ausdruck bringt. Diese Aktivität kann außerdem Teil der Suche nach Belegen (Punkt 5) für spätere Schlussfolgerungen sein.

3) Hypothesis generation: Hypothesenbildung, d.h. es wird auf vorhandenes Wissen reflektiert. Bestenfalls stützen sich Hypothesen auf anerkannte Theorien und Modelle, oder empirisch vorhandene Tatsachen. Können keine Hypothesen gebildet werden,

5 Die Begriffe werden an dieser Stelle zwecks Verständlichkeit übersetzt, jedoch im Folgenden im Englischen belassen.

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15 könnte man wiederum die Fragen aus Punkt 2 umformulieren, um mehr Informationen zu erhalten, die zu einer Hypothese beitragen können.

4) „Construction and redesign of artefacts“, d.h. dass durch das Anwenden von z.B.

geeigneten Skalen weitere oder detailliertere Informationen gesammelt werden können. Bei Fischer ist die Rede von z.B. Prototypen, oder Axiomen die gebildet werden.

5) „Evidence Generation“ [or exploratory approach]: Beweisführung, oder Untersuchung der Nachweise, d.h. man fragt sich, was als Beweis oder Beleg für eine Schlussfolgerung herangezogen werden kann. Der Vorgang, einen Begründungszusammenhang herzustellen und zu prüfen, kann deduktiv, induktiv oder anderweitig erfolgen. In der Meteorologie würde man beispielsweise in der Praxis vergleichbare Phänomene beobachten, um weitere Belege zu sammeln und zu erhärten. In der Mathematik könnte man eine Gegenthese vertreten, um die eigene These auf die Probe zu stellen. Man sucht in diesem Punkt also einerseits nach weiteren Belegen und gleichermaßen prüft man sie. Bevor also Belege, auf denen Hypothesen aufbauen, in ihrer wissenschaftlichen Qualität analysiert werden, werden sie zunächst ihrer sozusagen internen Qualität geprüft.

6) „Evidence Evaluation“: Die Überprüfung, inwieweit die gewonnen Belege aus vorigem Punkt mit theoretischen Konzepten, der Fallgeschichte selbst, oder wissenschaftlichen Studien übereinstimmen ist Teil dieser Aktivität. Man könnte von ihrer externen Qualität sprechen. Es gilt, die bis dato gewonnen Informationen und bisherige Schlussfolgerungen anhand von Studien, etc. kritisch zu hinterfragen.

7) Drawing Conclusions: Was wären nun Resultate aus den bisherigen Gedankengängen und Schlussfolgerungen? Welche Belege erscheinen als relevant für eine Schlussfolgerung? Bestenfalls fließen verschiedene Datentypen, also Informationsquellen in die Schlussfolgerung ein.

8) Communicating and Scrutinizing: Die Resultate erkenntnistheoretischer Prozesse können mit anderen, mit Kolleg_innen geteilt werden. Man holt sich eine zweite Meinung ein. Solche Interaktionen beeinflussen den Prozess der Problemidentifikation bis hin zur Schlussfolgerung, oder Intervention fallweise maßgeblich. Solche diskursiven oder dialogischen Interaktionen sind also durchaus integraler Bestandteil von Problemlöseprozessen. Solch ein Austausch muss nicht notwendigerweise am Schluss erfolgen, sondern er kann auch Teil der anderen Schritte sein. Man hier von „geteiltem Problemlösen“ sprechen.

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16 Alle Punkte sind oder können Teil der Fallarbeit sein, genaugenommen Teil jedes Prozesses, der auf Erkenntnisgewinn aus ist. Die Punkte 3 und im Speziellen 5 und 6 sind explizit Teil einer evidenzbasierten Praxis.

Die bisher ausgeführten Grundbegriffe und Konzepte führen zur sogenannten evidenzbasierten Praxis hin, die im folgenden Kapitel erläutert wird. Insbesondere wird der (aktuelle) Diskurs um diese Praxis innerhalb der (klinischen) sozialen Arbeit berücksichtigt.

4. Evidenzbasierte Praxis (EBP)

Mit Evidenz, um zunächst den Begriff zu klären, ist ein Beweis, genauer, eine belegbare/belegte Aussage gemeint und das entspricht der Bedeutung, wie sie im Kontext evidenzbasierter Praxis im angelsächsischen Raum verbreitet ist. Die Anfänge dieses Konzepts finden sich in den 1990er Jahren „in Verbindung mit dem Aufkommen der klinischen Epistemologie“ (Hüttemann 2014: 11). Die Intention, eine ethische und effektive Praxis sicherzustellen ist immer zentral und mit der Betonung der Effektivität handelt es sich vor allem um eine ergebnisorientierte Praxis (vgl. Greybeal 2014: 116).

Mit dem Erscheinen des Journal of Evidence-Based Social Work fand sie auch Einzug in die Soziale Arbeit.

Drei Aspekte könnte man als zentrale Säulen definieren: Erstens: Kenntnisse um fachrelevante Studienergebnisse und Literatur, zweitens: Die Kompetenz, diese überhaupt beurteilen zu können und drittens: Die Bedürfnisse, Schwächen und Stärken der Adressat_innen zu kennen und einschätzen zu können. Diese drei Aspekte finden sich auch in einer aktuell vorherrschenden Definitionen der EBP in der sozialen Arbeit:

Die klassische Definition in der Medizin ist folgende: „the integration of best research evidence with clinical expertise and [client] values“, sie wurde folgendermaßen im Sinne sozialer Arbeit erweitert: „a decision-making process integrating best research evidence, practitioner experience, and client or community characteristics, values, and preferences in a manner compatible with the organizational systems and context in which care delivery occurs“ (Chonody, Teater 2018: 1238).

Zunächst ist EBP eine Behandlungsform oder Intervention „based on the best available science“ (McNeece, Thyer 2004: 8). Wie schon angedeutet, sind Kenntnisse der aktuellen Forschung und Literatur ein Aspekt dieser Praxis, denn der Prozess sollte dadurch angeleitet werden. Im Sinne der Evaluation sollen Interventionsziele klar und messbar formuliert sein, die laufende Überprüfung und etwaige Veränderungen der

(24)

17 Interventionen knüpfen daran an. Außerdem soll der Interventionsplan individuell ausgearbeitet werden, denn die Adressat_innen stehen neben der „besten Evidenz“

ebenso im Fokus. Dementsprechend sind sie es schlussendlich, die die letzte Entscheidung über die Behandlung treffen. EBP bedeute nämlich auch, Informationen bezüglich der verschiedenen angedachten Interventionsmöglichkeiten im Sinne des informed consent weiterzugeben (vgl. McNeece, Thyer 2004: 9). Durch und mit evidenzbasierter Praxis könne also auch das Recht auf die effektivste Form der Hilfe und jenes auf Transparenz gewährleistet werden (vgl. Reidinger 2015: 172). Nun gibt es also die zwei zentralen Forderungen, „das effektivste Programm durchzuführen“, sowie die Entscheidungsfindung bei den Adressat_innen zu verorten (vgl. ebd.: 172). Eine Frage, die sich daraus ergibt ist, ob das nicht in Widerspruch zueinanderstehen kann, wenn sich Adressat_innen für ein ‚weniger effektives‘ Programm entscheiden? Man könnte argumentieren, dass es in der EBP nicht zwangsläufig um die effektivste Intervention geht, sondern darum, dass es solche sind, die sich bewährt haben, die also in ihrer Wirksamkeit und etwaigen Nebeneffekten geprüft und belegt sind. Wie schnell man zum Ziel kommt, wird wohl auch eine Frage der Ressourcen aller Beteiligten sein.

Wie noch dargelegt werden wird, muss es sich bei EBP keinesfalls um einen praktischen Imperativ handeln, sondern lediglich um eine mögliche Form in der Fallarbeit, „eine Möglichkeit zu bewerten, zu intervenieren und zu evaluieren“ (Mullen, Bellamy, Bledsoe 2007: 11). Sie ist Beweis-basiert und will mit den individuellen Fällen „auf Basis der besten zur Verfügung stehenden Daten über sozialarbeiterische Praxis“ arbeiten (Pauls 2010: 38). Empirische klinische Praxis ist kein Novum in der sozialen Arbeit (Jayaratne, Levy 1979), EBP überprüft laufend die Wirkung ihrer Praxis und bezieht sich auf bewährte Interventionen, „based on objective evaluation rather than subjective feeling“

(Pauls 2010: 38). Gerade aber der Bezug auf Objektivität, rationale Standards und entsprechende Studien ist ein strittiger Aspekt in der Debatte.

Die Wirksamkeit ist eng mit EBP verknüpft, denn ebendiese soll durch diese Praxis nachweisbar sein. Sogenannte Outcome-Analysen, also Evaluation sind Teil der evidenzbasierten Praxis, jedoch braucht es eigentlich Kontrollgruppen, um eine Wirkung klar nachzuweisen. D.h., dass Adressat_innengruppen, die eine bestimmte Maßnahme erhalten haben, mit jenen ohne Maßnahme verglichen werden, wobei zwischen Outcome-Analysen und „validen Wirkungsanalysen“ unterschieden werden müsste (Otto, Polutta, Ziegler 2010: 13). RCTs (also randomisierte kontrollierte Studien) könnten im Gegensatz zu Outcome-Analysen sicherstellen, dass keine anderen Einflüsse das Ergebnis beeinflussen. „RCTs stellen einen Studiendesign dar, das es erlaubt, den Einfluss von Störvariablen durch Verfahren der Randomisierung zu eliminieren“ (ebd.:

(25)

18 13). Allerdings ergebe sich das Problem, dass die Wirkungsaussagen dieser Art Studien

„zunächst ausschließlich für die tatsächlich geprüften Kontexte […] gültig sind“ (ebd.: 15).

Die ‚klassische‘ evidenzbasierte Praxis bezieht sich vor allem oder sogar ausschließlich auf derartige Studien, was vielleicht für Bereiche wie Medizin oder Pharmazie legitim sein kann. Dies führt nun zu der Diskussion darum, welche Studien für eine evidenzbasierte Praxis herangezogen werden könnten.

Die Art der Orientierung an wissenschaftlichem Wissen ist also ein weiteres Problem, denn welches ist denn das „Beste“? McNeece und Thyer stellen eine Hierarchie an Forschungsmethoden hinsichtlich ihrer Beweiskraft auf. Für sie gibt es eine klare Rangfolge der Methoden: Ganz oben finden u.a. Meta-Analysen, Reviews (systematische Übersichtsarbeiten), randomisierte, kontrollierte Studien und an letzter Stelle tauchen die qualitativen Studien auf (vgl. McNeece, Thyer 2004: 8). Eine vermeintlich rein rationale Orientierung, die der EBP inhärent sei, steht immer wieder in der Kritik. Andersherum haften an qualitativen Studien, nach wie vor negative Assoziationen, wie beispielsweise der Eindruck, sie seien unzuverlässig, oder nicht aussagekräftig. Einzuwenden ist hier, dass klinische, oder auch medizinische Studien häufig in einem sterilen Setting stattfinden, quasi unter Laborbedingungen. Qualitativen Studien werde vorgeworfen, nicht verallgemeinerbar zu sein, also in Hinblick auf EBP nicht dazu geeignet, Ergebnisse auf einen Fallverlauf zu übertragen. Kuckartz et al. argumentieren, dass mittels qualitativer Forschung „kontextintensive Daten erhoben werden, wodurch eine Komplexität der Wirklichkeit berücksichtigt werden kann, die standardisierte Forschung nicht eröffnen kann“ (Kruse 2015: 51). Der Orientierung an rein quantitativen Modellen liege ein psychologisches Motiv zugrunde, denn die Idee der Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit von Problemen habe für viele Menschen eine beruhigende Wirkung (vgl. ebd.: 53). Die Argumente, die den vermeintlichen Paradigmenstreit zwischen qualitativer und quantitativer Forschung betreffen, können sehr gut auf die Diskussion zur evidenzbasierten Praxis übertragen werden.

Die alleinige Orientierung an quantitativen Modellen wird von Kritiker_innen der EBP also häufig als Hauptproblem betrachtet (vgl. Staempfli, Kunz, Tov 2012: 62). Damit ist auch eine Art Paradigma der rationalen Entscheidungsfindung gemeint, „which is fraught with difficulties because rational thinking has been shown to be influenced by a number of biases“ (ebd.: 62). Fraglich ist auch, inwieweit sich Wert- und Zweckrationalität mit dem professionellen Handeln evidenzbasierter sozialer Arbeit vereinbaren lassen, denn sie unterscheiden sich wesentlich. Wertrationalität meint ein Handeln „ohne Rücksicht auf die vorauszusehenden Folgen“, sondern orientiere sich vielmehr am Wert im Sinne z.B.

ethischer Überzeugungen (vgl. Wendt 2007: 77). Zweckrationales Handeln wiederum

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19 orientiere sich an Mittel, Zweck und Nebenfolgen, jedoch sei professionelles Handeln in Humandiensten (auch bei aller Zweckgerichtetheit) immer wertorientiert: „Rational wird diese Orientierung eingesetzt, um Zwecke präferieren und einen Mitteleinsatz über einen Kosten-Nutzen-Kalkül hinaus rechtfertigen zu können“ (ebd.: 77). Außerdem bestehe soziale Arbeit wesentlich auch darin, „in solidarischer Weise mit Menschen Beziehung zu pflegen“, die Effekte der Beziehungsarbeit hätten subjektive Wirkung und intersubjektiven Wert und „selbst wenn man weiter nichts erreicht, sind diese Wirkung und dieser Wert zu schätzen“ (Wendt 2007: 76). Es scheint allerdings unumgänglich, dass die sogenannte beste Evidenz als Orientierung herangezogen werden soll und dementsprechend muss die soziale Arbeit einen Weg für sich finden, insofern sie EBP in ihr Methodenrepertoire aufnehmen will. Denn „würde man nur diejenigen Stufen der Evidence berücksichtigen, die erreicht sein müssen, um eine Bildung nationaler Standards auf der Makro-Ebene vornehmen zu können […], bestünde für die Soziale Arbeit heute kaum die Möglichkeit, mit Hilfe von evidenzbasierter Praxis die Qualität ihrer Dienstleistungen zu sichern“

(Schmidt 2006: 101). Das liegt in einem Mangel an entsprechenden Studien begründet.

Es gäbe in der sozialen Arbeit vor allem Expert_innenmeinungen, qualitative Studien und Evaluationsberichte (ohne Vergleichsgruppen) und insofern erscheine „das Konstrukt der besten erreichbaren Evidence“ als ausreichender Grund eine „wissensbasierte Weiterentwicklung praktischen Handelns im Sinne evidenzbasierter Praxis einzuleiten“

(ebd.: 101). Schmidt will damit allerdings betonen, dass innerhalb der Sozialen Arbeit unterschiedlichen Umständen Rechnung getragen werden muss, „die es verhindern, hohe Grade an Evidence zu erreichen“ (ebd.: 101). Er meint damit klinische Situationen, bei denen aus ethischen oder forschungsmethodischen Gründen keine randomisiert- kontrollierte Studien durchgeführt werden können und dementsprechend methodisch hochwertige Studien fehlen. Es kann auch problematisch sein, Ergebnisse ausländischer Studien zu übernehmen, da etwaige kulturelle Unterschiede unbekannt bleiben, oder

„weil die Erfolgsdeterminanten als ungeklärt gelten und ermittelte Wirksamkeitsnachweise als unspezifisch anzusehen sind“ (ebd.: 101). In solchen Fällen stellen qualitative Forschungen ein Mittel für die EBP dar, oder auch Expert_Innenmeinungen, die jedoch durch „Konsensbildung erzielt werden bei nicht nachgewiesener oder strittiger Evidence“

(ebd.: 101). Somit lässt sich eine vermeintlich einseitige Orientierung an quantitativen Modellen verhindern und es zeigt sich, dass evidenzbasierte Praxis ein Verfahren ist, dass sich durch Flexibilität auszeichnet. Viel zentraler sei die Offenlegung der Güte eines Wirksamkeitsbeleges und die Herstellung von Transparenz, das hieße für die Praxis, dass man mit unterschiedlichen Graden von Evidenz arbeiten wird (vgl. ebd.: 101).

Besonders deutlich kann dies in der Fallarbeit werden, die multidimensional stattfindet,

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20 also auf mehreren Ebenen („bio-psycho-sozial“): Eine pharmakologische Behandlung kann „auf der Grundlage hoher Evidence empfohlen werden, während in der sozialtherapeutischen Behandlung keine Behandlungsmethode nachweislich einer anderen überlegen ist“ (ebd.: 101). Der ‚Streit‘ um die beste Evidenz und die evidenzbasierte Praxis als Teil sozialer Arbeit ist damit allerdings nicht beendet, weshalb die häufig kontrovers geführte Diskussion hier noch etwas weiter vertieft wird.

Ein weiteres Argument gegen ein Dogma evidenzbasierter Praxis bezieht auf das professionelle Handeln, welches sich „nicht prinzipiell binär auf ein Schema von richtig und falsch, wirksam und nicht wirksam reduzieren lässt“ (Cloos, Thole 2007: 67). Damit wird ein gewisser Positivismus in der EBP kritisiert. D.h., dass davon ausgegangen wird, es liege Wissen vor und man müsse es nur finden und richtig anwenden. Jedoch ist

„Wissen […] in großen Teilen als inkorporiertes und habitualisiertes Wissen Ausdruck einer routinierten Praxis“ (ebd.: 67) und eine evidenzbasierte Praxis könne dem nicht entgegenwirken, sondern würde Routinen noch verstärken (vgl. ebd.: 67). Gemeint ist die Orientierung an der scheinbar besten Evidenz, die eine Art beidseitige Objektivität vortäuscht und somit die Professionist_innen in ihrer Situiertheit außer Acht lässt.

Will man aber streng nach diesem Konzept arbeiten und die Ressourcen für diese durchaus zeitaufwändige Praxis sind vorhanden, dann könnte der Prozess wie folgt aussehen (Vgl. ebd.: 14f):

1) Im Rahmen der ersten Gespräche/des Erstgesprächs sollte eine beantwortbare Frage extrapoliert werden. Die Frage kann sich auf eine Einschätzung, Intervention, Beschreibung oder Prävention beziehen. Einige Beispiele: Wie kann das Missbrauchsrisiko zuverlässig und valide bewertet werden? Wie kann man die Selbst- und Fremdeinschätzung des Unterstützungsbedarfs am besten beschreiben? Oder: Wie kann man einem z.B. riskanten Sexualverhalten am besten vorbeugen?

2) Es folgt daraus Suche nach der besten Evidenz bezüglich der formulierten Frage:

Bestenfalls findet man Übersichtsartikel (systematische Reviews), eine Meta-Analyse oder ähnliches, um nicht dutzende Einzelstudien durchzuarbeiten. Mullen, Bellamy und Bledsoe empfehlen z.B. die Homepage der Campbell Collaboration.

3) Eine kritische Bewertung der gefundenen Evidenzen in Hinblick auf ihre Validität, Effektgröße und Anwendbarkeit sind der nächste Schritt. Letzteres lasse sich lösen, in dem man sich Gedanken über die „Austauschbarkeit“ mache, also inwieweit der aktuelle Fall dem Klientel der Studien ähnelt.

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21 4) Die praktischen Erfahrungen und die kritischen Bewertungen sollen nun „mit den Stärken, Wertvorstellungen und Lebensumständen“ (ebd.: 17) des eigenen Falles zusammengeführt werden.

5) Evaluation: Beurteilung der Effektivität und Effizienz der Schritte 1-4, sowie Überlegungen der Verbesserung für etwaige künftige Fälle.

6) Sichern und Bereitstellen der Ergebnisse: Im letzten Schritt sollen Kolleg_innen von der Intervention erfahren, „lehren Sie andere, ebenfalls nach diesem Konzept zu arbeiten“ (ebd.: 18).

Die genannten Schritte sollten, wenn möglich, immer kooperativ erfolgen.

Die Etablierung tragfähiger Beziehung ist kein Bestandteil der genannten Schritte, was aber natürlich nicht ausschließt, dass dies den Rahmen für eine möglichst gelingende EBP darstellt. Ist die Qualität der therapeutischen Beziehung auch wesentlicher Bestandteil evidenzbasierter Praxis? Die Beziehungsarbeit wird von vielen Vertreter_innen der „clinical social work community“ als der wesentliche therapeutische Faktor sozialer Arbeit betrachtet, denn die Wirksamkeit tragfähiger Beziehungen ist belegt (vgl. Torsone 2013: 251). Die Beziehungsebene werde aber in der evidenzbasierten Praxis vernachlässigt, so eine häufige Annahme: EBP sei eine reduktionistische Praxis, denn Operationalisierung und Methoden stünden im Vordergrund und weniger die Adressat_innen (vgl. Hüttemann 2014:11). Auch werde gerade die Beziehungsebene vernachlässigt, denn „from a contemporary psychodynamic or relational clinician’s perspective, EBP often represents a rigid, manualized approach to client care“ (Torsone 2013: 249). Die evidenzbasierte Praxis sei also weder am individuellen Erleben orientiert, noch interessiert. Entscheidungen würden lediglich aufgrund von Forschungsergebnissen getroffen (vgl. Greybeal 2014: 116). Diese reine

„what works“ Perspektive sei zwar adäquat für den klinischen, pharmazeutischen Bereich, kann jedoch nicht sinnvoll auf die soziale Arbeit übertragen werden.

Psychosoziale Interventionen könnten nicht beliebig standardisiert werden, vielmehr erfasse besagte „what works“ Perspektive die Komplexität psychosozialer Intervention kaum (vgl. Hüttemann 2014:11 und Kelly 2017: 246). EBP-Befürworter_innen betonen andererseits eine berufsethische Verpflichtung gegenüber den Adressat_innen, die mit evidenzbasierter Praxis einhergehe: „What distinguishes EBP from other models of social work interventions is that practitioner is seen having an ethical and professional obligation to seek out the best available evidence“ (McNeece, Thyer 2004: 10). Wie schon erläutert,

(29)

22 ist die sogenannte Ko-Produktion der Adressat_innen wesentlicher Bestandteil der evidenzbasierten Praxis, neben dem Anspruch auf beste wissenschaftliche Evidenz.

Zu den bereits genannten Zweifeln kommen vor allem neben mangelnden zeitlichen Ressourcen, psychologische Barrieren hinzu, die eine Verbreitung dieser Praxis in der sozialen Arbeit verhindern würden: Die Rede ist von Wissenslücken, „the lack of skills and awareness that practicioners often experience in relation to accessing, understanding and critically evaluating reasearch findings“ (Kelly 2017:246).

Unzureichender Zugang zu qualitativ hochwertigen Studien wird neben der Dauer, bis Studien veröffentlicht werden als weitere Barriere genannt (vgl. ebd.: 246). Das bereits erwähnte Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis erscheint hier als umfassende Problematik, die es künftig zu bearbeiten gelte (vgl. ebd.: 247). Interessanterweise ist es gerade die EBP, deren Anliegen auch die Verbindung zwischen Theorie und Praxis ist.

Dasselbe gilt für eine reflektierte Praxis „as the idealway to link theory and practice“

(Staengli, Kunz, Tov 2012: 64). Eine reflektierte, evidenzbasierte Praxis scheint der Schlüssel zu sein, also auch reflektiert in Hinblick auf den Umgang und die Quellen bester Evidenz.

Einige Aspekte evidenzbasierter Praxis haben sich also als relevant für den Bereich sozialer Arbeit erwiesen, weshalb man sie nicht (mehr) über Bord werfen kann. Für Hüttemann stellt EBP ein neues Paradigma dar, eine professionsethische Verpflichtung, sowie eine kritische Denkungsart, „welche an die Stelle von Autoritäten, ExpertInnenmeinungen, Traditionen des Fachs wissenschaftliche Evidenz setzt“ (vgl.

Hüttemann 2014: 11). Nun könnte man einwenden, dass die wissenschaftliche Evidenz an Stelle alter Autoritäten tritt, jedoch lässt sich das entkräften, da ein reflektierter und kritischer Umgang mit wissenschaftlichem Material welcher Art auch immer zentrales Charakteristikum der EBP ist.

Evidenzbasierte Praxis ist, auch Greybeal folgend, ein Prozess, in dem Wissenschaftlichkeit und die Adressat_innenperspektive auf einen Nenner gebracht werden sollen. Unsicherheiten im Entscheidungsfindungs-, und Problemlöseprozess können also auf seriöse Weise bewältigt werden, da sich auf Methoden und/oder Forschungsergebnisse bezogen wird - immer in Hinblick auf die spezifische Situation der Adressat_innen. Nicht ohne Grund ist die Rede von einem Prozess, da neue Studien oft neue Ergebnisse bringen, die wiederum in die Praxis einfließen können. Sei es, um

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