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Für diese Arbeit wurde das Forschungsdesign einer explorativen Studie übernommen und durch vier Interviews ergänzt. Besagte Studie trägt den Titel Wie lösen NovizInnen und ExpertInnen in der Sozialen Arbeit professionelle Probleme? Eine Mikroanalyse

3 epistemischer Aktivitäten und der Wissensanwendung2 an. Mit Hilfe einer Fallvignette wurden in Einzelinterviews Sozialarbeiter_innen aus dem Handlungsfeld Bewährungshilfe miteinander verglichen, um der Frage nachzugehen, wie wissenschaftlich fundiertes Wissen und Erfahrung die professionelle Praxis beeinflussen und zur Anwendung kommen (vgl. Ghanem at al. 2018: 6). Die zwei Gruppen bestanden aus einerseits Bachelorstudierenden zwischen dem 3. und 7. Semester und andererseits Sozialarbeiter_innen der Bewährungshilfe mit durchschnittlich 18 Jahren Berufserfahrung (vgl. Ghanem et al. 2018: 7). Für diese Arbeit wurde die Grundgesamtheit modifiziert, insofern es sich hier nicht um Vertreter_innen der Sozialen Arbeit aus dem Bereich der Bewährungshilfe handeln wird, sondern der Vergleich zwischen Sozialarbeiter_innen und klinischen Sozialarbeiter_innen unabhängig des Handlungsfelds zentral ist. Um Wissenschaftlichkeit, also das Anwenden von Wissen in der Praxis überhaupt konzeptualisieren zu können, wurde auf das Modell des „scientific reasoning and argumentation“ (SRA) zurückgegriffen, welches nach Fischer et al „acht epistemische Handlungen“ beinhaltet (vgl. Fischer et al. 2014: 58ff). Diese Handlungen oder Aktivitäten sind beispielsweise systematisches Fragen („questioning“), Problemidentifizierung („problem identification“) oder „Evidence Generation“ und „Evidence Evaluation“3. Es wird deutlich, dass einige dieser Aktivitäten explizit zur evidenzbasierten Praxis gehören und andere weniger. Anhand dieser acht Handlungen wurden die Interviews der qualitativen Erhebung kategorisiert, um sie dann in quantitative Modelle zu überführen. Durch die simulierte Fallarbeit wird sich zeigen, wie häufig die Aktivitäten bei den Absolvent_innen anzutreffen sind.

Die erste Forschungsfragen dieser Studie lautet: Unterscheiden sich grundständige Sozialarbeiter_innen von klinischen Sozialarbeiter_innen im erkenntnistheoretischen Prozess? Es ergibt sich folgende Hypothese:

1. Wenn Sozialarbeiter_innen einen Master absolviert haben, dann werden höhere Werte bei den epistemischen Aktivitäten erreicht, als bei Bachelorabsolvent_innen.

Die zweite Forschungsfrage lautet:

2. Ist es möglich, verschiedene Typen des Problemlösens zu identifizieren?

2 Ghanem, Kollara, Fischer, Lawsone und Pankofer, 2018

3 Aufgrund der Einfachheit werden manche der Aktivitäten im Englischen belassen, werden aber im theoretischen Teil zugunsten des Verständnisses zumindest sinngemäß übersetzt. Im empirischen Teil werden nur mehr die englischen Begriffe verwendet.

4 Für die erste Hypothese werden t-Tests durchgeführt und eine Varianzanalyse (MANOVA), um den Einfluss des Alters und der Praxiserfahrung zu prüfen. Für die zweite Forschungsfrage wird eine Clusteranalyse gemacht. Die quantitative Auswertung wird mit SPSS durchgeführt.

Durch vier anschließende Interviews zur Einstellung gegenüber evidenzbasierter Praxis soll anhand einer Themenanalyse/Textreduktion überprüft werden, ob sich a) die Aussagen mit dem aktuellen Diskurs zur EBP in der sozialen Arbeit decken und b) ob sich die Einstellung zur EBP in der vorhergehenden Erhebung und deren Ergebnisse wiederspiegelt.

Nun beginnt der theoretische Teil dieser Arbeit. Das vermeintliche Spannungsfeld Wissenschaft und Praxis wird thematisiert, dann der theoretische Hintergrund zu Denken und Problemlösen, Erkenntnis und Wissen, um dann zum wissenschaftlichen Argumentieren zu kommen. Schlussendlich wird das Thema evidenzbasierte Praxis in der sozialen Arbeit erläutert. Der aktuelle Stand der Forschung zur wissenschaftlich fundierten Praxis wird nicht in einem separaten Kapitel erläutert, sondern ist in den entsprechenden Kapiteln untergebracht.

2. Kriterien der wissenschaftlichen Praxis

Spätestens seit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge in der sozialen Arbeit stehen neben praxisbezogenem Wissen auch die Vermittlung qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden im Zentrum. Die empirische Forschung zur Wirksamkeit von sozialer Arbeit solle nicht nur angewandte Methoden untersuchen, sondern auch Wissen, Theorien und Methoden generieren, sowie das Selbstverständnis als eigenständige, wissenschaftliche Disziplin fördern (vgl. Dewe, Otto 2011: 1735).

Genaugenommen hat die Professionalisierung eine lange Geschichte: Ilse Arlt beispielsweise befasste sich mit der Überprüfung der Wirksamkeit und sprach sich für die

„Notwendigkeit einer Fürsorgewissenschaft“ aus (Staub-Bernasconi 2007: 41). Das vermeintliche Spannungsfeld zwischen Theorie, Praxis und Politik schließt sich für Staub-Bernasconi, da Professionalität einerseits die „Verpflichtung zur Anwendung der Regeln wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens, zur Suche nach Wahrheit […] zur disziplinierten Verwendung von Wissen“ mit sich bringe und andererseits die Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen auf wissenschaftlicher Basis (ebd.: 242). Wissenschaft und Praxis sollten Hand in Hand gehen, was sich auch mit Pauls Motto „Praxis schafft Wissen und Wissen schafft Praxis“ ausformulieren ließe (vgl. Pauls 2006a: 27). Für ihn benötige praxisbezogene Forschung die Kooperation mit Hochschulen, da diverse

5 Praxiseinrichtungen meist keinerlei Ressourcen für die empirische Forschung anbieten können (vgl. ebd.: 26). Es scheint hier, dass die Praxis der Theorie zuarbeiten soll und vice versa. D.h. auch, dass Praktiker_innen über entsprechende Kompetenzen verfügen müssen, um wissenschaftlich fundierte Methoden einschätzen und anwenden zu können.

Für Pauls ergeben sich folgende Merkmale, die wissenschaftlich fundierte Praktiker_Innen ausmachen (vgl. ebd.: 26):

- Nach wissenschaftlichen Kriterien entwickelte und begründete Methoden in Diagnostik und Intervention anwenden zu können

- Im Praxisfeld Hypothesen entwickeln und Daten gewinnen zu können, die im Rahmen der Praxisforschung in den Wissenschaftsprozess einfließen können - Die Kompetenz, empirische Forschungsergebnisse auf die Praxis beziehen zu

können

- Sich selbst als Bestandteil der Praxis reflektieren zu können

Diese Kriterien spielen auch in dem hier verwendeten Forschungsdesign eine zentrale Rolle, insofern der erkenntnistheoretische Prozess untersucht wird. Dieser Prozess wird verstanden als systematischer Weg der Lösungssuche. Die sogenannte evidenzbasierte Praxis dient inzwischen in vielen Disziplinen als Konzept, um wissenschaftlich fundiert zu arbeiten. Zunächst wird nun der theoretische Hintergrund der Themen Denken und Problemlösen erläutert. Anschließend das Konzept der evidenzbasierten Praxis und dessen Relevanz für (klinische) soziale Arbeit dargestellt. Schlussendlich werden die acht epistemischen Aktivitäten expliziert, die das (offene) Kategorienmodell der Untersuchung darstellen. Damit wäre der theoretische Teil dieser Arbeit abgeschlossen. Im empirischen Teil gilt es dann, das Forschungsdesign zu beschreiben, um dann die Ergebnisse vorzustellen.

3. Denken und Problemlösen

Das Verhältnis von Theorie und Praxis, bzw. Wissen und dessen Anwendung werden seit geraumer Zeit von verschiedenen Disziplinen beforscht. Der Anfang liege bei den Gestaltpsychologen (u.a. Koffka 1935, Köhler 1925), die zwei Wege des Problemlösens postulierten: den „default mode“, der auf analytischem Denken beruhe und den Weg via Erkenntnis, der durch ein „Aha-Erlebnis“ ausgelöst werde (vgl. Weisberg 2015: 5). Die verschiedenen theoretischen Standpunkte, die sich bis dato entwickelt haben, lassen einige Fragen unbeantwortet oder seien nach wie vor den alten Paradigmen verhaftet,

6 weshalb z.B. Weisberg von einem vielfältigeren Set möglicher Denkprozesse ausgeht, die beim Lösen von Problemen im Spiel sein können (vgl. Weisberg 2015:5). Fraglich war auch häufig, wie man den Prozess des Problemlösens und der Wissensanwendung überhaupt untersuchen könnte. Die Fähigkeit, mit Wissen umzugehen ist nicht aus dessen Struktur heraus erkennbar, (gespeichertes) Wissen ‚in Aktion‘ ist also nicht direkt beobachtbar. Daher sei es notwendig, diesen Prozess über Modellvorstellungen zu beschreiben (vgl. Bösel 2001: 81) und dies wird hier mit den acht Kriterien epistemischer Aktivität umgesetzt. Die Idee ist grob übertragen folgende: Das Gedächtnis etabliert Schemata (im Sinne von Hohlformen) und Elemente des Wissens könnten sich in diese einfügen. Reize aktivieren diese Schemata dann, also „setzen konzeptgeleitetes Wissen in Gang“ (ebd.: 81.), wie z.B. hier durch die Konfrontation mit einer Fallvignette. Diese Schemata können sich verändern: Durch Handlungen kann man aktiv auf die Umwelt, die Umgebung einwirken. Eine Handlung wird durch einen Reiz ausgelöst, dieser Reiz triggert ein Schema und löst eine wissensgeleitete Handlung aus. Die Wirkung der Handlung stimmt aber vielleicht nicht mit den Erwartungen überein. In diesen Fällen kann sich ein Schema verändern. Hier wird auch die Verbindung von Gedächtnis und Wissen deutlich (vgl. ebd.: 81f.). Durchaus zeigen sich Parallelen zum Prozess der Evaluation, der dazu da ist, das eigene Handeln und die Konsequenzen zu beobachten, also zu überprüfen. Ändert sich das Gedächtnisschema, ändert sich auch das Element des Wissens. Übertragen auf die Praxis bedeutet das beispielsweise eine Intervention zu verwerfen oder zu justieren und in einer spezifischen Situation neu zu bewerten.

Der Prozess des Problemlösens wird als innerlicher (nicht unmittelbar beobachtbarer) Prozess betrachtet, der durch die Aufforderung der verbalen Äußerung empirisch zugänglich gemacht werden könne (vgl. ebd.: 292). Dies entspricht der Methode des lauten Denkens. Ein Problem wird u.a. definiert als „Wahrnehmung einer Handlungsbarriere“ oder auch als „Lücke im inneren Abbild der Aufgabenumwelt“ (Bösel 2001: 292). Ein Modell einer Problemsituation enthält laut Bösel folgende Kriterien (vgl.

Bösel 2001: 294):

1) Zunächst können die objektiven Komponenten einer Problemsituation überhaupt wahrgenommen werden. Das Problem kann als solches also identifiziert werden.

2) Es gibt eine Aufgabeninstruktion und eine damit verbundene Zielerwartung. Die oben genannten Schemata werden mit der Situation verbunden, wodurch sich ein Vorstellungsbild über den möglichen Ausgang ergibt (inklusive einer möglicherweise beeinträchtigten Erfolgserwartung).

7 3) die verfügbaren Handlungsmöglichkeiten können dann eingeschätzt und

abgewogen werden.

Die Fallvignette dieser Studie erfüllt diese Kriterien, denn der Klient der Fallvignette und dessen Rahmenbedingungen beinhalten klare Ziele, die Handlungsmöglichkeiten variieren je nach z.B. Grundausbildung, Erfahrungs- oder Wissensstand. Außerdem bringt der Fall genannte „Lücken“ mit sich, da eine bestimmte und potentiell unbekannte Substanz Teil der Vignette ist. Die Fallvignette wird natürlich im empirischen Teil dargestellt. Als nächstes wird es im den Themenkomplex Erkenntnis und Wissen gehen, also auch um entsprechende Kernkompetenzen.

3.1 Erkenntnis und Wissen

Ging man mit den Forschungsergebnissen von Piaget (1958) noch davon aus, dass rationales, wissenschaftliches Denken eine verallgemeinerbare Eigenschaft sei, die im Grunde das Ergebnis jeder geistigen Entwicklung sei, so setzt man heute vielmehr voraus, dass Kompetenzen rund um das Begründen und Schlussfolgern kontextabhängig seien (vgl. Fischer et al. 2014: 29). D.h. dass solche Kompetenzen und ihre Anwendung vor allem mit Fachwissen, oder der Aufgabenstellung selbst zusammenhängen und nicht universell, geradezu a priori ausgebildet werden. Dies wurde in Studien mit Laien und Wissenschaftler_innen, sowie mit Kindern im Grundschulalter nachgewiesen. Letztere könnten bereits zwischen Hypothesen und Fakten unterscheiden und Studien aus den Jahren 2005 und 2009 mit Kindern im Vorschulalter zeigten, dass sie über Grundkenntnisse in Sachen Datenevaluation verfügen (vgl. Fischer et al. 2014: 30).

Demgegenüber zeige eine andere Studie mit Kindern und Erwachsenen fehlendes methodisches Wissen, um evidenzbasierte Argumente zu generieren und einschätzen zu können (vgl. Fischer et al. 2014: 30). Zusammenfassend heißt das, dass es zwar einerseits ein klares Verständnis dafür gibt, Tatsachen von Behauptungen, Hypothesen von Fakten zu unterscheiden, sich aber Schwierigkeiten zeigen, wenn eigene Argumente (wissenschaftlich) begründet werden sollen, oder Argumente in ihrer Aussagekraft auf wissenschaftliche Weise einzuschätzen sind.

Die Annahme also, wissenschaftliches, oder allgemeiner formuliert: rationales Denken sei das Ergebnis einer natürlichen, rationalen Entwicklung, kann als obsolet betrachtet werden. Inzwischen gibt es weitaus vielseitigere Theorien zu diesem Thema. Dies zeigt sich z.B. auch an der Popularität diverser Forschungsschwerpunkte der Entwicklungs-

8 und Bildungspsychologie im englischsprachigen Raum: personal epistemology, epistemological beliefs, epistemic beliefs, epistemic positions, epistemic cognition, epistemological reflection und reflective judgment (vgl. Chinn et al. 2011: 141). Die Forschung rund um Wissen und Erkenntnis differenzierte sich also in diverse Bereiche aus, u.a. Reflektion von Erkenntnis, dessen Begründungszusammenhang, oder Erkenntnis, Reflektion und Überzeugungen.

Ein bezeichnendes Model in der Entwicklungspsychologie stammt von Kuhn (2002), bei dem vier Stufen in der Entwicklung voneinander abgrenzt werden. Veränderungen in der Entwicklung werden in Hinblick auf Veränderungen in den Überzeugungen bezüglich der Sicherheit von Wissen diskutiert: Kinder seien zunächst sozusagen Realisten, d.h.

Wissen würde als unmittelbare Kopie der Realität empfunden (vgl. Chinn et al. 2011:

143). Darauf folgt eine absolutistische Phase, in der Gedanken und Vorstellungen als definitiv richtig oder falsch betrachtet werden. Daraufhin komme es zu einer multiplizistischen Phase, d.h. widersprüchliche und verschiedene Gedanken können gleichermaßen vertretbar sein: „all opinions are equally good or valid“ (ebd.: 143).

Schlussendlich eröffne sich die evaluative Phase: Wissen wird als ungesichert betrachtet, vorläufige Schlussfolgerungen sind aber dennoch möglich, denn, „claims are judgements to be evaluated accordnung to criteria of arguments and evidence“ (ebd.: 143). Dies stellt nur eine von vielen Konzepten dar, soll aber beispielhaft für den Zusammenhang zwischen Überzeugung, Wissen und Lernen sein. Beispielsweise zeigt eine Studie mit Studierenden (Grotzer und Basca 2003), dass - je nach (durchaus unbewusstem) individuellem Verständnis von Kausalität - diese anders lernen. „Thus, tacit commitments about causal structure were strong predictors of students learning“ (Chinn et al. 2011:

151). Collins and Ferguson (1993) nennen Wissensstrukturen epistemische Formen, z.B.

können das Listen sein, Baumdiagramme, etc. (ebd.: 151). Es handelt sich um eine Anordnung von Wissen, dessen Strukturierung. Nicht nur um eine Übersicht zu haben, sondern auch die Möglichkeit, Erkenntnisse zu generieren. Die Wissensstrukturen hängen wiederum mit persönlichen Überzeugungen zusammen.

Was meint der Begriff Epistemologie überhaupt? Er wird übersetzt mit Erkenntnistheorie.

Hierbei geht es um Fragen nach den Bedingungen von Erkenntnis. Im Cambridge Lexikon wird Epistemologie definiert als „the study of the nature of knowledge and justification“, im Speziellen die Erforschung von entsprechenden Merkmalen, den wesentlichen Bedingungen, oder Quellen von Wissen und dessen Grenzen (vgl. Chinn et al. 2011: 145). Auch diese klassische Definition lässt sich erweitern: Fragen nach

9 erkenntnistheoretischen Zielsetzungen sind ebenso Gegenstand der Forschung, wie Fragen nach der Reliabilität der Wissensgenerierung, Tugenden und Fehler im erkenntnistheoretischen Prozess, oder auch individuelle und soziale Aspekte desselben (vgl. Chinn et al. 2011: 145).

Neben der Psychologie befassen sich vor allem die Bildungs- und Sozialwissenschaften mit der individuellen Perspektive. Sie legen ihren Fokus also auf “the externalised processes and products of scientific reasoning within social contexts” (Fischer et al. 2014:

30). Einige Studien wie z.B. die von Kollar et al 2007, McNeill 2011 und Stegmann et al 2012 befassten sich konkret mit der Struktur von Argumenten, deren Beweisführung und Rechtfertigung, sowie kontextbezogenen Bedingungen, beispielsweise im gemeinsamen Debattieren (vgl. Fischer et al. 2014: 30). Zwei zentrale Resultate waren, dass Studierende erstens häufig dazu tendieren, Behauptungen aufzustellen, ohne sie zu begründen und zweitens: Studierende des sozialwissenschaftlichen Bereichs versäumen es häufig, sich auf wissenschaftliche Konzepte oder Informationen zu beziehen (vgl. ebd.:

30). Es gebe zahlreiche Studien, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen (um etwas vorzugreifen: diese Arbeit eingeschlossen), weshalb sich die Frage stellt, wie man Studierende darin fördern könne, ihre Argumentationen schlüssig und nachvollziehbar zu gestalten, sowie deren Umgang mit wissenschaftlichem Wissen in eben diesem Prozess (vgl. Fischer et al 2014: 30f). Auf die Problematik der Vermittlung solcher Kompetenzen wird noch eingegangen.

3.2 Begründen und Argumentieren (SRA)

Es werden nun neben dem von Fischer et al. entwickelten Modell weitere Aspekte zu diesem Thema erläutert.

In der Erhebung von Fachwissen zeigt sich folgendes Problem: Bisherige Studien deuten an, dass es schwierig zu sein scheint, professionelles Wissen auf „real-world problems“

anzuwenden, also dass man zwar diverse Techniken lernt, aber kein Bewusstsein dafür habe, wann und wie diese anzuwenden seien (vgl. Ghanem et al. 2018: 6). Als weiteres mögliches Problem führen die Autor_innen an, dass theoretisches Wissen für einige Praktiker_innen nutzlos erscheinen könnte. Jedoch kann man davon ausgehen, dass sie prinzipiell theoretisches Wissen allein aufgrund jahrelanger praktischer Erfahrung, wenn auch unbewusst, ansammeln (vgl. ebd.: 6). Es wird also davon ausgegangen, dass Fachwissen zwar, auf welchem Weg auch immer, internalisiert wurde, jedoch nicht unmittelbar zugänglich ist. D.h. dass sich solche Proband_innen im Interview nicht explizit auf theoretische Modelle beziehen werden, sie aber dennoch z.B. Fragen zur

10 Problemidentifikation gezielt stellen und sie im systematischen Nachfragen präzisieren könnten.

In den Interviews geht es also nicht notwendigerweise darum, bekannte, fallspezifische Methoden oder Theorien zu benennen, sondern um die Art und Weise, wie an das Fallbeispiel herangegangen wird und wie die Zusatzinformation (das Abstract) in die Fallarbeit integriert wird. Um es nochmal zu betonen: Geht man der Frage nach, ob jemand wissenschaftlich fundiert arbeitet, wird das Wie in der Praxis (die durchaus simuliert werden kann) untersucht.

Als wesentlichen Faktor für die Anwendung seines Modells bestimmt Fischer fachspezifisches Wissen: dadurch werde eine Problemsituation überhaupt mental vorstellbar, um Aspekte einer Situation identifizieren zu können, die dann wissenschaftlich fundierten Fragen zugänglich seien (vgl. Fischer et al. 2014: 35). D.h.

dass ein Laie angesichts einer Fallvignette wahrscheinlich nicht die verschiedenen Ebenen, auf denen Probleme bestehen können, wahrnehmen wird. Professionist_innen werden beim Lesen der Fallvignette eine systematische Vorstellung vom Fall haben, also etwaige Probleme auf verschiedenen Ebenen verorten, z.B. gesundheitlich, psychologisch, sozial und dementsprechend systematisch vorgehen.

Allerdings ist die Rolle des fachspezifischen Wissens in Problemlösestrategien, sowie etwaige Unterschiede zwischen verschiedenen Disziplinen bis dato nur wenig beforscht (vgl. ebd.: 37). Ebenso mangele es an Studien, die den Zusammenhang zwischen Emotionen und SRA untersuchen, auch bleibe der soziale Kontext unberücksichtigt, obgleich es epistemische Aktivitäten gäbe, die genuin kollaborativer Natur seien (vgl.

ebd.: 37). In Hinblick auf (klinische) soziale Arbeit könnte man hier an die Intervision oder kollegiale Beratung denken, da mehrere Personen an einem gestellten Problem arbeiten.

Das Konzept SRA mit seinen drei epistemischen Modi stimme allerdings mit fachspezifischen, sowie generalistischen Komponenten überein (Fischer et al. 2014: 39) und kann somit in Studien zur Frage nach Problemlösestrategien und Wissenschaftlichkeit breite Anwendung finden. Mehrmals betonen die Autor_innen die Notwendigkeit in dieser Hinsicht mehr zu forschen, denn SRA sei eine Schlüsselkompetenz in Wissensgesellschaften. Mehr Wissen über diese Kompetenz, etwaige Zusammenhänge mit Emotionen und technischen Veränderungen könnten hilfreich dabei sein, beispielsweise Curricula entsprechend zu gestalten (vgl. ebd.: 39).

11 In einer qualitativen Studie aus Finnland wurden zehn Studierende im 3. Semester (Biologie) mittels einer Vignette befragt. Es wurde eine spezifische Situation und damit verbundene Aufgabestellungen simuliert. Anhand der Methode des lauten Denkens wurden die kognitiven Vorgänge, wie in dieser Arbeit, zugänglich gemacht.

Es wurden Zusammenhänge zwischen kritischem Denken, erkenntnisbezogenen Überzeugungen und Problemlösestrategien bei Studierenden untersucht. Es stellte sich die Frage nach dem Wie: „we assume that critical thinking cannot be formulated by referring to skills alone, but also always involves a disposition to use these skills adequately (Hyytinen et al. 2014: 2). Kritisches Denken wird hier im Zusammenhang mit Wissen gedacht und zunächst definiert als Prozess, der eine Person dazu in die Lage versetzt, eine sachkundige Entscheidung in widersprüchlichen Situationen zu treffen.

Weiters sei es ein zielgerichtetes, reflektives Denken, „[that] knows how to assess the strength of evidence and the reasons that are relevant to the particular context or type of task, and also shows the disposition to draw on these skills (ebd.: 2). Charakterisiert man kritisches Denken, werden die Parallelen zu einerseits dem Kategorienmodel deutlich und außerdem zur wissenschaftlich fundierten, oder eben auch evidenzbasierten Praxis, die noch vorgestellt wird. Aspekte kritischen Denkens sind z.B. (vgl. ebd.: 2):

- die Fähigkeit, Elemente eines logisch aufgebauten Sachverhalts zu identifizieren, vor allem Gründe und Schlussfolgerungen

- die Fähigkeit, Annahmen zu identifizieren und zu evaluieren

- Behauptungen auf ihre Glaubwürdigkeit hin beurteilen und einschätzen zu können - Erklärungen formulieren zu können

- Schlussfolgerungen ziehen zu können

- Die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, sie analysieren und evaluieren zu können

Es handelt sich beim kritischen Denken also um das Kombinieren von verschiedenen Arten von Wissen. Hyytinen et al. Unterscheiden Wissenstypen nach Kriterien aus der epistemologischen Philosophie, also nach z.B. aussagenlogischem und prozessualem Wissen. Erstes meint Wissen um einen Sachverhalt, „that such-and-such ist the case“, während letzteres ein Wissen um das Wie eines Sachverhalts meint, also z.B. wie ein Argument zu analysieren sei (vgl. ebd.: 2). Allerdings, wie schon dargestellt, ergibt sich das Problem, dass das Lernen diverser Kompetenzen, also zu wissen wie, noch lange keine adäquate Anwendung mit sich bringen muss: „Previous studies have called attention to the fact that students´ critical thinking skills do not always develop during

12 university studies“ (ebd.: 3). Es ergeben sich also keine signifikanten Veränderungen bei z.B. den Kompetenzen Begründen und Problemlösen durch ein Hochschulstudium, was scheinbar an fehlender Praxis liegt. Das kritische Hinterfragen, Analysieren und Evaluieren von z.B. Argumenten muss also geübt werden, was auch durch eine andere Studie (Heijltjes et al. 2014) belegt werden konnte: „the combination of explicit instruction and practice has proven succesfull in improving students´ performance in reasoning skills“ (Hyytinen 2014: 3). Ein weiterer Einflussfaktor ist die individuelle Einstellung zu

12 university studies“ (ebd.: 3). Es ergeben sich also keine signifikanten Veränderungen bei z.B. den Kompetenzen Begründen und Problemlösen durch ein Hochschulstudium, was scheinbar an fehlender Praxis liegt. Das kritische Hinterfragen, Analysieren und Evaluieren von z.B. Argumenten muss also geübt werden, was auch durch eine andere Studie (Heijltjes et al. 2014) belegt werden konnte: „the combination of explicit instruction and practice has proven succesfull in improving students´ performance in reasoning skills“ (Hyytinen 2014: 3). Ein weiterer Einflussfaktor ist die individuelle Einstellung zu