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Literatur Kapitel 2

3.1 Marxistische Kapitalismuskritik

3.1.2 Kritik am Privateigentum an Produktionsmitteln

Marx lehnt das kapitalistische Privateigentum ab, d. h. das Privateigentum an Produktionsmitteln, das die Arbeit fremder Menschen verwertet.

Seine Argumente sind im Wesentlichen:

쑺 Privateigentum an Produktionsmitteln führt zur Ausbeutung der Arbeiter;

쑺 Privateigentum an Produktionsmitteln erfüllt keine positiven ökonomischen Funktionen, sondern behindert die schrankenlose Entwicklung der Produk-tivkräfte durch den Fall der Profitrate und die damit verbundenen Krisen.

Um diese Argumente verstehen zu können, müssen die Grundlinien marxisti-scher Wirtschaftstheorie entwickelt werden. Hier wird wie folgt argumentiert:

Mit Ausnahme völlig unterentwickelter Gesellschaften wird in jeder Gesell-schaft – auch in einer sozialistischen – ein Gesamtprodukt erzeugt, das über den notwendigen Konsum der an seiner Erstellung Beteiligten und den Ersatz-bedarf an bei der Produktion verbrauchten Maschinen, Werkzeugen, Vorpro-dukten und Rohstoffen hinausgeht. Es wird also ein Überschuss, ein Mehrpro-dukt erzeugt (vgl. Abbildung 3-1).

Vorsozialistische Gesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass das von an-deren Menschen hergestellte Mehrprodukt mit dem Ziel, sich zu bereichern, privat angeeignet wird. Entsprechend wird die Geschichte als Geschichte von Klassenkämpfen interpretiert, als Kampf um das Mehrprodukt. Vorsozialistische Gesellschaften beruhen auf Ausbeutung, auch wenn die Art und Weise der An-eignung des Mehrproduktes sich in der Sklavenhaltergesellschaft und der feu-dalistischen Gesellschaft voneinander unterscheidet.

Die Entstehung des Mehrproduktes in einer kapitalistischen Wirtschaft er-läutertMarx anhand des durchschnittlichen Arbeitstages.

Produktion eines Mehrproduktes

Private Aneignung des Mehrproduktes

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Marxistische Kapitalismuskritik

Die Arbeiter arbeiten z. B. im Durchschnitt zehn Stunden pro Tag. Sie erhalten dafür einen Lohn, der ausreicht, ihre Arbeitskraft zu »reproduzieren«, der also ausreicht, die notwendigen Ausgaben für Essen, Wohnen, Kleidung und Unter-halt für sich und ihre Familien zu bestreiten. Die Produktion dieser Güter (Konsumgüter, Wohnungen usw.) beansprucht nun eine durchschnittliche Ar-beitszeit der Arbeiter von weniger als zehn Stunden, z. B. sieben Stunden (»notwendige« Arbeit). In den drei Stunden (»Mehr-« oder »Surplus«arbeit) erarbeiten die Arbeiter also einen Überschuss.Marx bezeichnet den Wert die-ses Überschusdie-ses als Mehrwert und als Mehrwertrate das Verhältnis der Mehrar-beit zur notwendigen ArMehrar-beit (im Beispiel beträgt der Mehrwert 3 Stunden und die Mehrwertrate 3/7).

3.1.2.1 Kapitalistische Ausbeutung

Charakteristisch für die kapitalistische Produktionsweise ist nach Marx die Form, wie dieser Überschuss aus der Produktion entnommen wird. Um die spe-zielle Form der kapitalistischen Ausbeutung, die nach Marx durch die freie Lohn- und Preisbildung nur verschleiert wird, zu verstehen, muss die Marx’sche Arbeitswertlehre skizziert werden.

Marx postuliert, dass der Wert eines Gutes sich nach der durchschnittlichen, gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit bemisst, die benötigt wird, um dieses Gut zu produzieren. Wenn also zur Produktion eines Tisches im Durchschnitt 12 Stunden und zur Produktion eines Zentners Kartoffeln im Durchschnitt 2 Stun-den benötigt werStun-den, verhält sich der Wert von einem Tisch zu einem Zentner Kartoffeln wie 12 zu 2.

Grundprinzip der Marx’schen Analyse ist derwertäquivalente Tausch: Alle Waren (Waren sind in der Marx’schen Begriffswelt Güter, die für den Austausch produziert werden) tauschen sich zu ihrem Wert, dem Arbeitswert. So wird auch die Ware Arbeitskraft auf dem Markt zu ihrem Wert – der in ihr stecken-den Arbeitskraft – getauscht, d. h. die Ware Arbeitskraft erhält einen Lohn, der ausreicht, den Arbeiter und seine Familie zu »reproduzieren«. Für den besitzlo-sen Arbeiter besteht nämlich der ökonomische Zwang, die einzige Ware, die er besitzt – seine Arbeitskraft –, an die Eigentümer der Produktionsmittel zu ver-kaufen. Der Kapitalist erwirbt also die Arbeitskraft und setzt sie im Produkti-onsprozess ein.

Abb. 3-1 Das Mehrprodukt

Mehrprodukt Produktion Notwendige Konsumgüter

für die produktiv Tätigen Ersatz der verbrauchten Maschinen, Werkzeuge, Vorprodukte und Rohstoffe

Zweiteilung des durch-schnittlichen Arbeitstags in »notwendige« Arbeit und Mehrarbeit

Arbeitswertlehre

Waren tauschen sich zu ihrem Wert.

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Funktionsweise der Sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft Marxistische Kapitalismuskritik

Die Arbeit hat nachMarx die einzigartige Fähigkeit, mehr Wert zu produzie-ren, als der Wert der Arbeitskraft selbst beträgt.

In unserem Beispiel hat die Arbeitskraft einen Wert von 7 (7 Arbeitsstunden sind erforderlich, um die existenznotwendigen Konsumgüter zu erzeugen) und produziert insgesamt einen Wert von 10. Die Differenz, den Mehrwert, eignet sich auf dem Wege des wertäquivalenten Tausches der Eigentümer der Produk-tionsmittel (der Kapitalist) an, der als Eigentümer der ProdukProduk-tionsmittel auch das Eigentum an den produzierten Waren erwirbt und diese auf dem Markt in der Regel zu den in ihnen steckenden Arbeitswerten (in unserem Beispiel 10) verkaufen kann. In diesem Sinne spricht Marx von Ausbeutung: Ausgebeutet wird also der Arbeiter, der einen größeren Wert produziert, als er an Lohn er-hält. Das Verhältnis des Mehrwerts m (10 – 7 = 3) zum lebensnotwendigen Kon-sum v (= 7) bezeichnet Marx alsMehrwertrate .

»Die Rate des Mehrwerts ist daher der exakte Ausdruck für den Exploitations-grad (AusbeutungsExploitations-grad) der Arbeitskraft durch das Kapital oder des Arbeiters durch den Kapitalisten.« (Marx 2008, S. 232)

Die Ausbeutung bleibt im Kapitalismus hinter dem Prinzip des wertäquivalen-ten Tausches verborgen – Kapitaliswertäquivalen-ten erwerben ja die Arbeitskraft zu ihrem Wert. Sie wird daher nicht so deutlich erkennbar wie z. B. die Fronarbeit als Form der Ausbeutung im Feudalismus.

In der Beurteilung dieser Analyse ist zunächst drei häufigen Fehlinterpreta-tionen vorzubeugen.

(1) Es ist müßig, darüber zu streiten, ob der Wert eines Gutes »wirklich«

durch die notwendige Arbeitszeit bestimmt wird. Es reicht, diese Aussage als Arbeitshypothese im Rahmen eines ökonomischen Modells anzusehen. Diese Arbeitshypothese ergibt jedenfalls das Fundament für eine gehaltvolle Erklä-rung der Entstehung des Gewinns.

(2)Marx behauptet nicht, dass man durch Mehreinsatz von Kapital (Maschi-nen) nicht eine größere Gütermenge mit entsprechend höherem Wert produzie-ren kann. Marx behauptet lediglich, dass der Wert der Produktion allein von der eingesetzten Menge an durchschnittlich notwendiger Arbeit bestimmt wird und ein Mehrwert nur von der eingesetzten (lebendigen) Arbeit erzeugt wird.

Wir wollen dies kurz anhand der Marx’schen Wertformel verdeutlichen. Nach Marx setzt sich der Wert einer Ware aus drei Elementen zusammen:

쑺 dem Wert der in der Produktion verbrauchten Maschinen, Werkzeuge, Vor-produkte und Rohstoffe (das so genannte »konstante« Kapital);

쑺 dem Wert der unmittelbar eingesetzten Arbeitskraft (»variables« Kapital, entspricht dem existenznotwendigen Konsum);

쑺 dem Mehrwert.

Diese Form der Bestimmung des Wertes einer Ware steht keineswegs im Gegen-satz zur Arbeitswertlehre, sondern ergibt sich unmittelbar aus dieser. Arbeits-kraft fließt ja in zweifacher Form in das Produkt ein:

Lohn ist kleiner als der Wert des Arbeitsproduktes.

m

⎝ ⎠v

⎜ ⎟⎛ ⎞

⎛⎝ ⎞

Mehrwertrate als Maß der Ausbeutung

Fehlinterpretationen

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Marxistische Kapitalismuskritik

쑺 in Form der Arbeitskraft, die in den verbrauchten Maschinen, Werkzeugen, Vorprodukten und Maschinen gespeichert ist (so genannte »geronnene« Ar-beit);

쑺 in Form von »lebendiger« Arbeit bei der laufenden Produktion.

Entscheidend ist nun, dass die geronnene Arbeit nur ihren eigenen Wert auf das neue Produkt überträgt (deshalb wähltMarx die Bezeichnung »konstantes«

Kapital). Die lebendige Arbeit dagegen reproduziert wertmäßig ihr eigenes Äquivalent und einen Überschuss darüber, den Mehrwert (deshalb wähltMarx die Bezeichnung »variables« Kapital).

Bezeichnet man den Wert des Gutes mit w, das konstante Kapital mit c, das variable Kapital mit v und den Mehrwert mit m, so gilt also nachMarx:

w = c + v + m (vgl. Abbildung 3-2)

(3) Auch in einer sozialistischen Volkswirtschaft wird ein Überschuss, ein Mehrwert geschaffen, der nicht zur Gänze den Arbeitern zufließt.Marx fordert nicht, dass den Arbeitern der gesamte Mehrwert für Konsumzwecke zufließen soll. Einen Teil des Mehrwertes braucht man in jeder Gesellschaft, die sich wei-terentwickeln soll, vor allem zur Investition (Akkumulation von konstantem Kapital), den Rest für den individuellen Konsum der nicht produktiv Tätigen und für den gesellschaftlichen Konsum (die staatlich bereitgestellten Güter).

Es ist deshalb ein Irrtum zu glauben (und auchMarx hat vor diesem Irrtum ge-warnt), dass sich der Lebensstandard der Arbeiter kurzfristig nennenswert er-höhen würde, wenn die Kapitalisten sich den Mehrwert nicht länger aneigne-ten. Letztlich verbliebe zum Mehrkonsum der Arbeiter nur das, was man Luxuskonsum der Unternehmer nennt, und dieser ist gesamtwirtschaftlich ver-hältnismäßig unbedeutend.

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Funktionsweise der Sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft Marxistische Kapitalismuskritik

Politisch bedeutsam ist das Argument von Marx, die Übertragung der Ent-scheidungsbefugnis über Produktion, Beschäftigung, Investitionen und Preise an die relativ kleine Gruppe der Eigentümer an Produktionsmitteln spalte die Gesellschaft in eine kleine Gruppe von Verfügungsberechtigten und eine große Gruppe von Befehlsempfängern. Diese Kritik wird durch folgende Argumente relativiert:

쑺 In jedem Wirtschaftssystem wird es eine Zweiteilung in Verfügungsberech-tigte und Verfügungsverpflichtete geben, weil nicht über jede betriebliche Entscheidung abgestimmt werden kann.

쑺 In der kapitalistischen Marktwirtschaft entscheiden letztlich die Nachfrager über Volumen und Struktur der Produktion, jedenfalls bei gut funktionie-rendem Wettbewerb.

쑺 Schließlich lässt sich auch in kapitalistischen Marktwirtschaften eine ge-wisse Mitbestimmung der Arbeiter realisieren, sei es durch Mitbestimmungs-gesetze oder sei es durch eine Förderung der Streuung des Produktiveigen-tums.

Ein gewisses Maß an Ausbeutung imMarx’schen Sinne existiert in der Tat in ka-pitalistischen Marktwirtschaften. Zwar erhalten die Arbeiter nicht nur einen Lohn in Höhe ihrer »Reproduktionskosten«, wie auch immer der Umfang des existenzminimalen Konsums festgelegt werden mag. Aber die Arbeiter erhalten im Durchschnitt und in der Regel auch nicht den gesamten Gegenwert ihrer Ar-beitsleistung. Üblicherweise verbleibt den Eigentümern der Produktionsmittel ein Gewinn, und dieser Gewinn ist im Sinne vonMarx Ausbeutung, aber der Ge-winn (und damit die »Ausbeutung«) ist funktional notwendig als Leistungsan-reiz und Erfolgskontrolle.

Dies war wohl der entscheidende Fehler in der Marx’schen Analyse: Überse-hen zu haben, dass die beschriebene Form der Organisation von Arbeitsbezie-hungen – die Ausbeutung in einem kapitalistischen Unternehmen – funktional notwendig oder zumindest funktional sinnvoll ist. Das Konzept der Ausbeu-tung – die Aneignung der Arbeit anderer Menschen – ist ja letztlich nur dann eine sinnvolle Bezeichnung, wenn eine materiell bessere Alternative realisier-bar ist. Die denkrealisier-bare Alternative ist das Arbeiterunternehmen: Arbeiter schließen sich zusammen, beschaffen sich Kapital, produzieren gemeinsam und teilen das Arbeitsergebnis unter sich auf. Solche Arbeiterunternehmen haben in der Praxis meist nicht zufrieden stellend funktioniert, vor allem weil ein er-folgreiches Unternehmen offenbar Hierarchien, Leistungsanreize und Erfolgs-kontrollen voraussetzt, die in einem Arbeiterunternehmen nur schwer durch-setzbar sind. Umgekehrt scheint das kapitalistische Unternehmen ein ausreichendes Maß an Organisationseffizienz aufzuweisen und kann damit den Arbeitern – trotz Ausbeutung – einen höheren Lohn zahlen als die Arbeiter-unternehmen – ohne Ausbeutung. Daher ist der Begriff »Ausbeutung« irrefüh-rend.

Kritik der Konzentration der Entscheidungsbefugnis

Beurteilung der Ausbeutungshypothese

Ausbeutung und Gewinn sind funktional notwendig.

Arbeiterunternehmen haben nicht funktioniert.

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Marxistische Kapitalismuskritik

3.1.2.2 Tendenzieller Fall der Profitrate

Neben der Ausbeutung begründet das Privateigentum an Produktionsmitteln nachMarx ein Hindernis für die Entwicklung der Produktivkräfte. Das Hemmnis ist der »tendenzielle Fall der Profitrate« (Profitrate = Verhältnis von Gewinn zu eingesetztem Kapital) und die damit verbundenen Krisen. Damit erhob der So-zialismus, was häufig übersehen wird, nicht nur den Anspruch, eine gerechtere, sondern auch den Anspruch, eine materiell wohlhabendere Gesellschaft zu schaffen.

Marx argumentiert, dass die Profitrate die Tendenz habe, im Zuge der lang-fristigen Investitionstätigkeit (Kapitalakkumulation) zu fallen. Und da die Pro-fitrate nach Marx’scher Ansicht die treibende Kraft der kapitalistischen Produk-tion ist, produziert diese ProdukProduk-tion gleichsam die eigene Schranke für ihre ungehinderte Expansion.

Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, wollen wir die Grundstruktur der Marx’schen Erklärung skizzieren. Im Zuge des Wachstumsprozesses zwingt die Konkurrenz zu dauernder Kapitalakkumulation, weil jeder einzelne Unter-nehmer danach strebt, jeweils modernere Produktionsverfahren anzuwenden und damit einenExtraprofit zu machen. Das Verhältnis der Produktionsfakto-ren Kapital zu Arbeit – dieKapitalintensität – nimmt damit laufend zu. Rela-tiv immer weniger Arbeiter produzieren mit relaRela-tiv immer mehr Kapital. Da nach Marx nur die lebendige Arbeit einen Mehrwert (letztlich einen Gewinn) erzeugt, wird das Verhältnis von Gewinn zu eingesetztem Kapital, also die Pro-fitrate, dann abnehmen, wenn der Profit, den der einzelne Arbeiter produziert, im Zuge der Entwicklung konstant bleibt.

Drücken wir die Aussage in der Terminologie vonMarx aus. Im Zuge der wirt-schaftlichen Entwicklung steigt der Wert des konstanten Kapitals c (Material-aufwand und Abschreibung pro Periode) stärker als der Wert des variablen Ka-pitals v (notwendige Lohnkosten pro Periode). Da das konstante Kapital lediglich seinen eigenen Wert auf das Produkt überträgt und nur die im varia-blen Kapital verkörperte Arbeit einen Mehrwert m produziert, wird die Profi-trate p

dann abnehmen, wenn die Mehrwertrate konstant bleibt. (Es steigt ja nur das c im Nenner des obigen Ausdrucks. Im Übrigen sind weitere spezielle Kombinationen denkbar, die hier nicht beschrieben werden sollen.) Der Leser wird bemerken, dass fürMarx Kapital etwas anderes ist, als nach dem heutigen Sprachgebrauch üblich, doch trifft die obige Darstellung in heutigen Begriffen den Kern der Marx’schen Behauptung.

Von fundamentaler Bedeutung für die Richtigkeit des berühmtenGesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate ist die Annahme, dass die Mehrwertrate bei fortgesetzter Kapitalakkumulation tatsächlich konstant bleibt oder mindes-tens nicht stärker steigt als zur Aufrechterhaltung des Gesetzes notwendig.

Die Profitrate fällt, weil die Kapitalintensität zunimmt.

p m

c v

= +

m v

Voraussetzung:

die Konstanz der Mehrwertrate