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Eine Folge dieser Entwicklungen war, daß sich das Schwergewicht der Weltpolitik von Europa weg - hin zu einer globaleren Auseinandersetzung verlagerte:

“[...] Die Weltpolitik nach 1945 wurde das Aktions- und Machtfeld der USA und der UdSSR. Ihr Gegensatz, aber auch ihr Zusammenspiel beschreiben den Kreis, in dem die weniger Mächtigen sich bewegen mußten. Der Anfang der fünfziger Jahre zeigte eine fast völlige Teilung der Welt in zwei Blöcke und zwei Einflußsphären. Große Politik wurde nun offenbar ausschließlich in Washington und Moskau gemacht [...]117

Das sowjetische Vorgehen in Polen und anderen osteuropäischen Ländern wurde im Westen allgemein als Außenpolitik der Sowjetunion interpretiert, die auf grundsätzlichen Expansio-nismus ausgerichtet ist. Diese Sichtweise schien sich in den direkten Konflikten zwischen sowjetischen und amerikanischen bzw. britischen Interessen zu bestätigen. Zu solchen Konfliktfällen wurden der Iran und Polen. In einer Welt, in der große Politik nur noch von Washington und Moskau gemacht wurde, sind diese beiden Fallbeispiele die ersten Konflikte, in denen sich Washington und Moskau gegenüberstanden. Da sich an beiden Konfliktfällen die späteren Konfrontationsmuster und Vorgehensweisen der beteiligten Seiten aufzeigen lassen, soll auf diese eingegangen werden, obwohl die Problematik nicht unmittelbar mit dem Thema der Arbeit, der Gründung der Bundeswehr, zusammenhängt.

Der Konflikt um den Iran sollte zum Testfall einer neuen amerikanischen Politik der Härte gegenüber Moskau werden, während der Konflikt in Polen zum Testfall für den amerikani-schen Einfluß in Europa werden sollte.

Es hat heute den Anschein, daß das Phänomen des Kalten Krieges auch ein Produkt jener ersten Nachkriegsmonate ist, in denen sich viel zu viele Probleme stellten, während sich gleichzeitig immer mehr verdeutlichte, daß die Friktionen zwischen den Alliierten immer mehr zunahmen. Nicht zuletzt zeigen sich in jenen ersten Monaten schon die zukünftigen Konflikte ideologischer Art, die eine weitere Zusammenarbeit mit fortschreitender Zeit immer unmöglicher machten.

Ein detaillierteres Eingehen auf diese beiden Testfälle amerikanischer Politik scheint daher notwendig und sinnvoll. Gleichzeitig sind diese Konflikte auch ein Beispiel dafür, wie konzeptionslos die Politik der Großmächte nach 1945 war. Gewiß, die Anti-Hitler-Koalition war ein Zweckbündnis auf Zeit, doch scheint sich in den beteiligten Ländern niemand ernst-haft die Mühe gemacht zu haben, ein konkretes, schlüssiges und vor allen Dingen durchführ-bares Konzept für die Zeit nach dem Kriege zu entwickeln. Die amerikanischen Forderungen nach freien und demokratischen Wahlen in Polen sind ein Beispiel für diese Art von Konzep-tionslosigkeit.

117 Brill, Heinz: Bogislaw von Bonin im Spannungsfeld zwischen Wiederbewaffnung Westintegration -Wiedervereinigung, Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Bundeswehr; Baden-Baden 1987, S. 11; im folgenden zitiert als: Brill: Bogislaw von Bonin...

3.1.1 Der Iran - Präzedenzfall des Kalten Krieges?

Nachdem die Sowjetunion am 2. August 1941 in die Gemeinschaft der Länder aufgenommen worden war, die von den Bestimmungen des “Lend-Lease- Act” profitierten, begann man von Seiten der USA und Großbritanniens mit den Hilfslieferungen. Bedingt durch die Schwierig-keiten, zum einen genügend Schiffsraum bereitzustellen, zum anderen aber sichere Routen zu den Häfen von Archangel´sk, Murmansk und Vladivostok zu gewährleisten, suchte man schon bald nach einer sichereren und besser geeigneten Route.118 Von sowjetischer Seite schlug man den Iran als Transitland vor.119 England und die Sowjetunion begannen massiven diplomatischen Druck auf die Regierung des Iran auszuüben.

Die Geschichte der britisch-sowjetischen Interessen an Persien und am Iran ist indes weitaus länger und komplizierter: Beide Staaten betrachteten Persien als ihrer Einflußsphäre zugehö-rig. Persien wurde in den Jahren von 1800 bis 1921 zum Spielball britischer wie auch sowje-tischer Großmachtinteressen. Bei den jeweiligen militärischen Aktionen und diplomatischen Schach- und Winkelzügen wurde jedoch immer der Anschein einer eigenständig arbeitenden Regierung in Teheran gewahrt.120

Am 25. August 1941 wurde der Iran von britischen und sowjetischen Truppen besetzt. Diese Invasion geschah nur zehn Tage nach der Verabschiedung der Atlantik-Charta, in der die Verletzung der souveränen Rechte und Aggressionshandlungen gegenüber anderen Staaten ausdrücklich verdammt wurden. Die Atlantik-Charta war, wohlgemerkt, von zwei der drei beteiligten Nationen, den USA und England, unterzeichnet worden.

Dies geschah, nachdem Hitler etwa ein Jahr vorher eingeräumt hatte, “[...] Aspirationen ... in der allgemeinen Richtung Persischer Golf [...]” zu haben.121 Die Planungen für einen deutschen Angriff auf Afghanistan und Indien waren indes nicht weit fortgeschritten und nur

121 Handzik, Helmut: Politische Bedingungen sowjetischer Truppenabzüge. Iran; Ebenhausen 1991, S. 5; im folgenden zitiert als: Handzik: Politische Bedingungen...; zu diesem Aspekt des Zweiten Weltkrieges siehe auch: Fabry, Philipp Walther: Iran, die Sowjetunion und das kriegsführende Deutschland im Sommer und im Herst 1940; Göttingen 1980; siehe auch: Schreiber, Gerhard: Politik und Kriegführung 1941: in: Schrei-ber, Gerhard; Stegemann, Bernd et al. [Hrsg.]: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 3. Der Mittelmeerraum und Südosteuropa, Von der “non belligeranza” Italiens bis zum Kriegseintritt der Vereinig-ten StaaVereinig-ten; Stuttgart 1984, S. 516 - 587, hier S. 579; im folgenden zitiert als: Schreiber: Politik und Kriegführung...,

120 Zur Geschichte Irans und den britisch-sowjetischen Interessen am Iran siehe Meister: Intervention im Iran (I)...

119 Hoffmann, Joachim: Die Kriegsführung aus Sicht der Sowjetunion. Die Bildung der Anti-Hitler-Koalition;

in: Boog, Horst; Förster, Jürgen: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 4. Der Angriff auf die Sowjetunion; Stuttgart 1983, S. 798 - 809, hier S. 801; im folgenden zitiert als: Hoffmann: Sicht der Sowjetunion...

118 Eine andere Position vertritt Meister, Jürg: Die britisch-sowjetische Intervention im Iran im August 1941 (I); in: Marine-Rundschau 79 / 12 1982, S. 647 - 654; im folgenden zitiert als: Meister: Intervention im Iran (I)...; der bemerkt, daß die wenigen Hilfsgüter, die England und die USA im Jahre 1941 senden konnten, genausogut über den Pazifik nach Archangel`sk und Murmansk und Vladivostok hätten verschifft werden können. Er übersieht hierbei allerdings, daß diese Route genau im Operationsgebiet der japanischen Flotte und ihrer U-Boote lag. Außerdem war der Hafen Murmansk am besten über den Atlantik zu erreichen, auf dem Atlantik war zu jener Zeit schon die “Atlantikschlacht” voll entbrannt. Die Verluste des Geleitzuges PQ 17 hatten dies gezeigt. Man konnte es sich auf alliierter Seite kaum leisten, die Auslieferung der wenigen Hilfsgüter noch durch Schiffsverluste im Atlantik zu gefährden.

in den allerersten Planungsstadien. Sie kamen auch über dieses Stadium nie hinaus. Sie fanden sich lediglich in den Weisungen Hitlers.122

Die Besetzung des Iran durch England und die Sowjetunion geschah also zum Schutz vor einer möglichen deutschen Invasion. Nichts konnte für England und die Sowjetunion beäng-stigender sein als der Gedanke, Hitler hätte nun auf einmal Zugriff auf den Persischen Golf.

Aus sowjetischer Sicht bestand die Gefahr der Einkreisung, standen doch zu diesem Zeitpunkt, Ende August 1941, deutsche Truppen kurz vor Moskau. Weitere deutsche Truppen an der Südflanke der Sowjetunion waren also das wenigste, was Stalin zu diesem Zeitpunkt gebrauchen konnte. Aus britischer Sicht war der Gedanke, Hitler herrsche über den Persischen Golf, genauso besorgniserregend, wenn auch aus anderen Gründen. Großbritan-nien mußte fürchten, daß Hitler nun mit seiner Kriegsmarine auch den Pazifik und damit auch die britischen Verbände dort bedrohen könne.123 Außerdem wäre damit Indien direkt angreif-bar geworden.124

Die offizielle Begründung für den Einmarsch hingegen war die subversive Tätigkeit deutscher Agenten im Iran.125 Der Hintergrund dieser Begründung ist in der vergleichsweise großen deutschen Kolonie im Iran zu sehen. Diese Kolonie war jedoch immer noch kleiner als die britische. Im Jahre 1941 dürften ca. 2000 Deutsche im Iran gelebt haben, während England allein 11 Konsulate unterhielt und die A.I.O.C. mindestens 2500 Mitarbeiter im Iran stationiert hatte.126 Der Vorwurf, Berlin habe im Iran eine Art “fünfte Kolonne” eingerichtet, geht sicherlich zu weit. Unter den ca. 2000 Mitgliedern der deutschen Kolonie befanden sich auch deutsche Diplomaten, von denen wahrscheinlich einige Kontakte zu Deutschen Abwehr hatten. Ferner dürfte es auch noch ein paar weitere Agenten der Abwehr gegeben haben. Von einer “fünften Kolonne” Berlins zu sprechen, fällt hier schwer, da diese Aktivitäten eher das normale Maß an nachrichtendienstlicher Tätigkeit darstellen, die in jedem Land, zu jeder Zeit stattfinden. Der britische Geheimdienst hingegen hatte durch die große Anzahl der Konsulate und in den Mitarbeitern der A.I.O.C. eine Vielzahl von Zuträgern, die ihn über die Lage im Land stets auf dem laufenden hielten. Hier von einer “fünften Kolonne” Londons zu sprechen, ist wohl gerechtfertigter als die deutschen Aktivitäten so zu charakterisieren.127 Hinter all diesen Argumenten steht noch ein weitaus zutreffenderes Argument: der Iran besaß schon zu dieser Zeit erhebliche Ölvorräte. Diese Vorräte waren schon länger der Zankapfel zwischen dem Iran, England und Rußland. Der amerikanische Geschäftsträger in Moskau, George F. Kennan, schreibt hierüber:

127 vgl. Meister: Intervention im Iran (I)..., S. 652

126 Zahlen entnommen aus: Meister: Intervention im Iran (I)..., S. 652 - 653

125 siehe: Handzik: Politische Bedingungen..., S. 6, 10; Meister: Intervention im Iran (I)..., S. 652

124 So Hitler zum japanischen Botschafter Oshima: “[...] Wenn England Indien verliert, stürzt eine Welt ein.

Indien ist der Kern des englischen Empire. [...]”; Zitiert nach: Hoffmann, Peter: The Gulf Region in German strategic projections, 1940 - 1942; in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 2/88, S. 61 - 73, hier S.

70, im folgenden zitiert als Hoffmann: The Gulf Region...

123 “[...] Fortsetzung des Kampfes gegen die britische Position im Mittelmeer und in Vorderasien. [...]” zitiert nach: Schreiber: Politik und Kriegführung..., S. 579 - 580

122 vgl. KTB OKW, Bd. 1, Eintragung vom 13. Juli 1941, S. 433; ferner: Hubatsch, Walther: Hitlers Weisun-gen für die Kriegsführung 1939 - 1945. Dokumente aus dem Oberkommando der Wehrmacht; Koblenz 19832, Weisung 32, vom 11. 6. 1941, S. 129 - 134; Weisung 32 b, vom 14. 07. 1941, S. 136 - 139

“[...] Das Öl Nord-Irans ist wichtig nicht als etwas, das Rußland braucht, sondern als etwas, das eine Gefahr darstellen würde, wenn man seine Förderung einem anderen überließe. Das Gebiet liegt nahe den lebenswichtigen kaukasischen Ölzentren, die im gegenwärtigen Krieg nur knapp der Eroberung entgingen. Der Kreml betrachtet es als wesentlich für die Sicherheit Rußlands, daß keine andere Großmacht auch nur die Chance hat, sich dort festzusetzen. [...]128

Von amerikanischer Seite wurde nun eine Versorgungsroute quer durch Afrika über Ägypten und den Iran in die Sowjetunion betrieben. Dazu errichtete man ein eigenes US-Persian-Gulf-Command, das, mit bis zu 30000 Mann besetzt, die Abwicklung der Transporte koordinieren sollte.129

Wenige Monate nach der Invasion vereinbarte man, die Truppen spätestens ein halbes Jahr nach Kriegsende wieder abzuziehen. Dies jedoch geschah nicht. Erste Anzeichen für die Nichteinhaltung des Abkommens gab es schon, als Molotov auf der Konferenz von Jalta den Vorschlag ablehnte, den Iran früher als vereinbart zu räumen. Nach der Unterstützung der Ausrufung eines autonomen aserbaidschanischen und kurdischen Staates im sowjetisch besetzten Teil des Irans stellte auch Stalin selbst den rechtzeitigen Abzug in Frage.

Der vereinbarte Abzugstermin war der 2. März 1946. Dieser Termin wurde von der Sowjet-union nicht eingehalten, sie verstärkte im Gegenteil noch ihre Präsenz in ihrem Teil des Irans. Erst nach massiven Druck durch die USA und die gerade erst neugeschaffenen Verein-ten Nationen zog sich die Sowjetunion schließlich zurück. Damit war die schwerste Krise nach dem Ende des Krieges beendet worden. Dieser Druck mußte der Weltöffentlichkeit so massiv vorkommen, weil die USA in diesem Fall zum ersten Mal die neue Politik Trumans anwandten, nach der sie Entscheidungen nicht mehr ewig vor sich herschieben, sondern gleich entschlossen handeln wollten.

3.1.2 Der Präzedenzfall in Europa - Polen

Die geographische Lage Polens zwischen der Sowjetunion und Deutschland brachte es mit sich, daß dieses Land automatisch zum Spielball politischer, wirtschaftlicher und territorialer Interessen wurde. Allerdings waren nicht nur die beiden erwähnten Staaten an polnischem Territorium interessiert, sondern beinahe alle europäischen Staaten hatten Interesse an Polen.

Die Liste der Kriege, die um Polen oder polnisches Territorium geführt wurden, ist beinahe endlos lang.

So erscheint auch die britische Garantie für Polen im Falle einer deutschen Aggression in einem anderen Licht. London bezweckte mit dieser Garantieerklärung, Deutschland von einem Angriff auf Polen abzuhalten. Diese Beistandserklärung war ein Element der klassi-schen britiklassi-schen Großmachtdiplomatie einem Staat gegenüber, dessen Führer nichts von der klassischen Großmachtdiplomatie hielt und verstand. London wollte mit der Kriegsdrohung Hitler beeindrucken, doch dieser besaß die Chuzpe, sich davon nicht im mindesten beein-drucken zu lassen. Ob man sich in London allerdings der Risiken, mit denen ein solcher

129 siehe hierzu: Vail Motter, Thomas H.: The Persian Corridor and Aid to Russia; Washington 1952; Matloff, Maurice; Snell, Edwin M.: Strategic Planning for Coalition Warfare 1941 - 1942; Washington 1966, S. 336 - 339; siehe auch: Handzik: Politische Bedingungen..., S. 21

128 zitiert nach: Handzik: Politische Bedingungen..., S. 21, siehe auch S. 10, 12

Vertrag verbunden war, bewußt war, läßt sich heute leider nicht mehr rekonstruieren.130 Die Beistandserklärung muß wohl auch als eine Demonstration der Handlungsfreiheit als europäi-sche Großmacht interpretiert werden. Ironieuropäi-scherweise hatte man sich aber genau durch diese Demonstration der Handlungsfreiheit einer Großmacht, zumindest was die Polenfrage anging, in eine Position manövriert, die jeglichen Handlungsspielraum nicht unwesentlich beschränkte. Mit dem Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes verschlechterte sich die strategische Lage Polens dramatisch. Die britische Beistandsgarantie für Polen erreichte genau das Gegenteil von dem, was sie bewirken sollte: Da nun der Weg eines wie auch immer gearteten deutschen Ausgleiches mit England unmöglich geworden war, trieb sie Deutschland direkt in die Arme der Sowjetunion und damit auch auf den Weg zum Nichtangriffspakt.

Die Wehrmacht eroberte Polen, der Begriff des “Blitzkrieges” war noch nicht erfunden, in einem raschen Feldzug: Warschau fiel am 27. September. Für England hätte eigentlich jetzt der Bündnisfall hätte eintreten sollen. Als dann, wie schon erwähnt, am 17. September 1939 auch die Sowjetunion in Ostpolen einmarschierte, um die ihr im Geheimen Zusatzprotokoll zugesprochenen Gebiete zu annektieren, war die Existenz Polens als Nationalstaat vorläufig beendet. Die polnische Regierung mitsamt dem polnischen Staatspräsidenten und der Militär-führung floh nach Rumänien, wo sie beinahe sofort interniert wurde.

Für England stellte sich die Lage jetzt wesentlich komplizierter dar. Wäre es nach der reinen Logik des britisch-polnischen Bündnisvertrages gegangen, so hätte England nun auch der Sowjetunion den Krieg erklären müssen. Da aber England für einen Krieg mit Deutschland kaum gerüstet war und daher noch weniger für einen weiteren Krieg gegen die Sowjetunion, mußte man versuchen, eine Konfrontation mit der Sowjetunion hinsichtlich der polnischen Frage zu vermeiden. So verwundert es nicht, wenn der britische Außenminister Lord Halifax im britischen Oberhaus in aller Deutlichkeit sagte, daß er allein den Überfall Hitlers auf Polen als casus belli ansehe, den sowjetischen Einmarsch hingegen als Reaktion darauf. Die Sowjetunion hätte sich ja schließlich auch an die im Versailler Vertrag festgehaltene Curzon-Linie als Grenze ihre Territoriums gehalten.131

Noch am Tage der Kapitulation von Warschau trat der, in Rumänien internierte, Präsident Moscicki zurück. Er ernannte den Senatspräsidenten Raczkiewicz, der es geschafft hatte, nach Paris zu fliehen, zu seinem Nachfolger. Dieser wiederum beauftragte General Sikorski am 30. 9. 1939 mit der Bildung einer Exilregierung. Die USA, England und Frankreich erkannten diese Regierung an. Gleichzeitig bemühten sich verschiedene Kräfte um die Einrichtung einer Résistance, der es auch gelang, mit ihren Attentaten und Sabtotage-Aktio-nen den deutschen Truppen das Leben zu erschweren.132 Während des Krieges hielt sich die Kommunistische Partei Polens mit Untergrundaktivitäten zurück. Dies änderte sich erst mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Nach diesem begann man eine eigene Untergrundorganisation aufzubauen und damit den polnischen Widerstand zu stärken.

132 Eine Darstellung der verschiedenen Gruppen des polnischen Widerstandes würde an dieser Stelle zu weit führen, zu diesem Thema siehe Hoensch, Jörg K.: Geschichte Polens; Stuttgart 19983, S. 300; im folgenden zitiert als Hoensch: Geschichte Polens..., siehe auch Mankowska, Klementyna Gräfin: Odysse einer Agentin. Ein Frauenschicksal im Zweiten Weltkrieg; Berlin 1995

131 vgl. Foschepoth: Westverschiebung Polens..., S. 62

130 vgl.: Foschepoth, Josef: Großbritannien, die Sowjetunion und die Westverschiebung Polens; in: Militärge-schichtliche Mitteilungen 2 / 83, S. 61 - 90; im folgenden zitiert als: Foschepoth: Westverschiebung Polens...

Nach dem deutschen Angriff auf Frankreich zog die Exilregierung nach London um, wo sie keine große Rolle spielte bis zu dem Tag, als Hitler die Sowjetunion überfiel. Auf einmal sah man sich in eine intensive diplomatische Tätigkeit verwickelt, von der Sowjetunion umwor-ben. Nach dem deutschen Überfall mußte der sowjetischen Regierung daran gelegen sein, ihr Verhältnis zu Großbritannien zu intensivieren und ihr Verhältnis zu Polen so schnell als möglich zu normalisieren. Bereitwillig nahm man das britische Vermittlungsangebot an, und am 30. Juni konnte eine Abkommen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und gegenseitige militärische Hilfeleistungen unterzeichnet werden. Eine Einigung über das, aus polnischer Sicht, drängendste Problem konnte indes nicht erreicht werden: die Bestätigung der 1921 im Vertrag von Riga festgelegten polnisch-sowjetischen Grenze. Zwar erreichte man die Annullierung des “Geheimen Zusatzprotokolls”, doch war die Sowjetunion zu keinerlei Zugeständnissen in der Grenzfrage bereit.133 Auf britisches Drängen hin gab man sich polnischerseits mit der britischen Zusicherung, “[...] [daß] His Majesty’s Government do not recognise any territorial changes which have been effected in Poland since August 1939 [...]”134, zufrieden. Allerdings hatte diese Zusicherung den Charakter eines Danaer-Ge-schenkes, legte doch der britische Außenminister Eden gleichzeitig Wert auf die Festellung, daß die Nichtanerkennung territorialer Veränderungen in Polen nicht als “any guarantee of frontiers”135 gesehen werden dürfe.

Nach Abschluß des Abkommens mit der Sowjetunion löste sich der polnische Nationalrat am 3. September 1941, bedingt durch die Demission einiger Minister, auf. Diese Krise konnte erst einige Monate später, am 22. Januar 1942, durch die Bildung einer “Regierung der natio-nalen Einheit”, ebenfalls wieder unter der Leitung Sikorskis und eines erweiterten National-rates, beigelegt werden.

Die sich deutscherseits weiter verschärfende Besatzungspolitik trieb immer mehr Polen in den Untergrund. Hoensch gibt an, daß die Zahl der im Generalgouvernement operierenden Kräfte bei etwa 100 000 Mann lag. Seit aber auch die Kommunisten, nach ihrer

“Einsatzorder” aus Moskau, anfingen im Untergrund mitzumischen, nahmen die Spannungen zwischen den einzelnen Gruppen, Gruppierungen und Grüppchen immer mehr zu. Schließ-lich konnten die Kommunisten, dank der Unterstützung aus Moskau, die Vormachtstellung unter den Mitgliedern der Résistance einnehmen. Als sich im Winter 1942 / 1943 der Streit um polnische Grenzen zwischen Stalin und der Exilregierung immer mehr zuspitzte, entschied man sich in Moskau dafür, auf Kosten der bürgerlich-demokratischen Kräfte die polnischen Kommunisten, die in der Sowjetunion im Exil lebten, wie auch die Kommunisten in Polen verstärkt zu fördern.136

Im Rahmen der sowjetischen Sommeroffensive des Jahres 1944 überschritten Teile der Roten Armee, mit Unterstützung durch Einheiten des polnischen Untergrundes, auf breiter Front den Bug und begannen mit der “Befreiung” Polens. Kaum war mit dieser Aktion begonnen worden, konstituierte sich in Chelm (dt. Cholm) ein “Polnisches Komitee der Nationalen Befreiung”. Dieses Komitee beanspruchte die Regierungsbefugnis für die Distrikte westlich der Curzon-Linie für sich. Wenige Tage später zog dieses Komitee in das benachbarte größere Lublin um. Dort erhielt es auch den Namen, unter dem es in die Geschichtsbücher

136 Zu den politischen Zielen der Kommunisten siehe Hoensch: Geschichte Polens..., S. 285 - 287

135 zitiert nach Foschepoth: Westverschiebung Polens..., S. 68

134 zitiert nach Foschepoth: Westverschiebung Polens..., S. 68

133 vgl. Foschepoth: Westverschiebung Polens..., S. 68; siehe auch Hoensch: Geschichte Polens..., S. 284

eingehen sollte: Lubliner Komitee. Bedingt durch die landesweite, kaum zu übersehende sowjetische Präsenz, durch die Übergriffe der Besatzungsmacht gegen die Zivilbevölkerung

eingehen sollte: Lubliner Komitee. Bedingt durch die landesweite, kaum zu übersehende sowjetische Präsenz, durch die Übergriffe der Besatzungsmacht gegen die Zivilbevölkerung