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7 Beurteilung der sicherheitspolitischen Lage durch die Bundesrepublik

In Deutschland verstärkte die nordkoreanische Aggression gegenüber Südkorea die Ängste vor der expansionistischen Kraft des Kommunismus. Schließlich war man in Deutschland mit beinahe der gleichen Ausgangslage wie in Korea konfrontiert: nach Ende des Zweiten Weltkrieges war auch Deutschland geteilt. Es hatten sich zwei Staaten gebildet, die sich gegenseitig das Existenzrecht absprachen. Gleichzeitig gehörten sie von Anfang an, als sich die Welt in westliche und östliche Einflußsphären aufzuteilen begann, zu der jeweiligen Einflußsphäre. In beiden deutschen Staaten waren erhebliche Truppenteile der jeweiligen Verbündeten stationiert. Viel stärker noch als in Korea wirkte sich in jenen Jahren der Kalte Krieg auf Deutschland aus, konnte man doch sozusagen aus der Nähe, anhand der SBZ, betrachten, wohin eine kommunistisch ausgerichtete Regierung führen konnte.

Deutschland war zum Frontstaat des Kalten Krieges geworden. Hier prallten nun die Einflußsphären beider Großmächte direkt aufeinander. Daraus ergaben sich vollkommen neue strategische Möglichkeiten und Probleme. Hinter Westdeutschland lag gewissermaßen der Rest Europas, ein für die Rote Armee noch lohnenderes Ziel als Korea: Hatte man Europa bis zum Atlantik besetzt, so wäre der kommunistische Einflußbereich bis an die Grenze des Vorgartens der USA ausgedehnt worden. In der SBZ war schon frühzeitig damit begonnen worden, Einheiten der Polizei zu kasernieren und zu bewaffnen. Allerdings waren diese Waffen größer und stärker, als es der “offizielle” Auftrag, die Sicherung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, verlangte. Mörser und Maschinengewehre gehören nicht unbedingt zur Grundausstattung von Polizeikräften. Auf westdeutscher Seite lag damit der Schluß nahe, daß ein Szenario wie in Korea jederzeit auch auf deutschem Boden möglich war.272

Die oben erwähnte militärische Unterlegenheit der Staaten Westeuropas und die exponierte Lage Westdeutschlands im besonderen wurden zu dieser Zeit auch immer mehr zu einem Thema. Besonders durch die Presseberichte über die internationale Diskussion zur Frage der Einbeziehung Westdeutschlands in die Verteidigung Europas und aufgrund von anderen Berichten, die sich mit dem Problem der “Verteidigung so weit östlich wie möglich” beschäf-tigten, bei der Deutschland dann eine Art Glacis gebildet hätte, rückte dieser Themenkom-plex ganz oben auf die politische Agenda. Waren diese Meldungen schon besorgniserregend genug, so verschärften zum einen die Berlin-Krise ab Jahresmitte 1948 und zum andern Meldungen, daß in der SBZ Maßnahmen zur Aufrüstung gestroffen wurden, die Lage ganz erheblich. Die Westmächte garantierten noch nicht für die Sicherheit Westdeutschlands und waren sich wahrscheinlich selbst noch nicht sicher, wie lange sie in Deutschland präsent sein würden. Zu ihrem Schutz konnten die Westdeutschen selbst, aufgrund der alliierten Entmili-tarisierungspolitik, nichts unternehmen.273

273 vgl. Wiggershaus, Norbert: Die Entscheidung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag 1950; in:

Foerster, Roland G.; Greiner, Christian et al. [Hrsg.]: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945 -1956, Bd. 1. Von der Kapitulation bis zum Pleven-Plan; München 1982, S. 325 - 402, hier S. 332, im

272 vgl. Schwengler, Walter: Der doppelte Anspruch: Souveränität und Sicherheit. Zur Entwicklung des Völkerrechtlichen Status der Bundesrepublik Deutschland 1949 - 1955; in: Abelshauser, Werner;

Schwengler [Hrsg]: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945 - 1956, Bd. 4. Wirtschaft und Rüstung, Souveränität und Sicherheit; München 1997, S. 187 - 566, hier S. 352 - 353, im folgenden zitiert als Schwengler: Der doppelte Anspruch...

Für die Bundesrepublik Deutschland galten im Bezug auf die Bedrohungsanalyse im wesent-lichen die gleichen Prinzipien, wie sie auch zu dieser Zeit für die USA galten. Schließlich konnte die BRD erst durch die Protektion der drei Westmächte ihren eigenen politischen Kurs verfolgen. Die Hauptperson der für die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik wie für die Bundesrepublik selbst formativen Jahre war ihr erster Bundeskanzler, Konrad Adenauer.

Von der Gefahr, die vom Kommunismus und von der expansiven Machtpolitik der Sowjet-union ausging, war Adenauer schon lange überzeugt. Die oben dargelegte sowjetische Politik gegenüber dem Iran und das sowjetische Gebaren in der SBZ, die Blockade West-Berlins, bestätigten diese Ansichten.

Adenauers Politik hatte vor diesem Hintergrund zwei Ziele: Zum einen die Stabilisierung der Demokratie nach Innen und die Einbindung Westdeutschlands in ein geeintes und von daher kraftvolles Europa. Zum anderen die Sicherung dieses Systems durch eine enge Bindung an die USA und die NATO. Die Adenauersche Politik wird von Norbert Wiggershaus wie folgt charakterisiert:

“[...] Somit war die Politik Adenauers insgesamt auf Kriegsverhinderung durch Einigkeit und Stärke des Westens sowie durch deren Demonstration gerichtet, bzw. war die Westbindung der Bundesrepublik das dominante sicherheitspolitische Strukturprinzip. [...]”274

Angesichts der oben geschilderten Diskussion auf alliierter Ebene ist klar, daß Adenauer seinen Standpunkt zum Fragenkomplex einer deutschen Wiederbewaffnung ebenfalls deutlich machen wollte. Er tat dies in verschiedenen Interviews mit ausländischen Zeitungen.

Dabei vermied er es allerdings, von einer rein deutschen Armee zu sprechen, wohl im Bewußtsein, daß eine solche Äußerung purer Sprengstoff war und sie von daher seinen Zielen kontraproduktiv gewesen wäre. Die öffentliche Meinung wie auch die Regierungen in den Staaten der Alliierten hätten ein solches Ansinnen mit Empörung aufgenommen.275 Indem Adenauer bei jeder Gelegenheit betonte, er wolle keine eigene nationale Armee, sondern einen Beitrag zu einer multinationalen europäischen Armee leisten, nahm er einem Teil der vor allem auf französischer Seite existierenden Ängste vor einem wiedererstarkten Deutschland mit einer eigenen Armee, die Grundlage.276

7.1 Erste Studien zur Information der politischen Entscheidungsträger

Adenauer gehörte zu den wenigen westdeutschen Politikern, die sich intensiv mit der sicher-heitspolitischen und strategischen Lage Westdeutschlands vertraut gemacht hatten. So verwundert es nicht, wenn er über die konventionelle Überlegenheit der sowjetischen Streit-kräfte bestens informiert war. Das Kräfteverhältnis konnte nach Aussagen der Fachleute, die Adenauer befragte, nicht schlechter sein. Diese Fachleute waren als Offiziere Mitglieder der Wehrmacht gewesen, ein Umstand, der zu jener Zeit keine große Rolle spielte, und die einzi-gen, die sich in militärischen Dingen gut genug auskannten. Außerdem hatten sie als Generalstabsoffiziere genau das getan, was sie auch jetzt wieder tun sollten: dem Gegner in die Karten zu blicken und Analysen zu verfassen. Die meisten von ihnen hatten zuvor in

276 vgl. Rautenberg: Himmerroder Denkschrift..., S. 139

275 vgl. Rautenberg: Himmerroder Denkschrift..., S. 137

274 Wiggershaus: Die Entscheidung..., S. 332

folgenden zitiert als Wiggershaus: Die Entscheidung...;

ähnlicher Tätigkeit im Dienste der Alliierten, insbesondere im Dienste der amerikanischen

“Historical Division”277, gestanden und verfügten daher auch über excellente Kontakte.

Namentlich waren dies zunächst Generalleutnant a.D. Dr. Hans Speidel, später dann noch General a.D. Hermann Foertsch und Generalleutnant a.D. Adolf Heusinger.

Adenauer wandte sich zunächst an General a.D. Speidel. Wie dieser Kontakt zustande kam, kann heute nicht mehr vollständig rekonstruiert werden. Vermutlich wurde dieser Kontakt von Eberhard Wildermuth278, dem späteren Bundesbauminister, vermittelt.279 Wahrscheinlich war man zu dieser Zeit von mehreren Seiten auf Speidel aufmerksam gemacht worden.

Speidel berichtet in seinen Memoiren “Aus unserer Zeit” von dem Besuch eines Mitarbeiters Adenauers. Dieser Besucher, Alexander Böker, kam auf den Ratschlag einen amerikanischen Freundes von Speidel, um sich mit ihm über die Weltlage auszutauschen. Im Dezember 1948 erhielt Speidel einen Anruf seines ehemaligen Ordonnanzoffiziers Rolf Pauls. Dieser, zu jener Zeit ein Mitarbeiter des Ministerialdirigenten Herbert Blankenhorn, war von Adenauer gefragt worden, ob er einen in den Fragen der Sicherheitspolitik erfahrenen ehemaligen General kenne.280

Speidel hatte sich schon vergleichsweise früh, im Juni 1948, mit der aktuellen politischen Situation und Bedrohungslage befaßt und seine Erkenntnisse in einer Denkschrift “Die Sicherheit Westeuropas” festgehalten.281 Er ging darin, man könnte fast sagen, dem Zeitgeist entsprechend, von einer potentiell expansionistischen Außenpolitik der Sowjetunion aus.

Stichworte sind in diesem Zusammenhang “Erringung der Weltherrschaft” und “Primat über ganz Europa”.282 Speidel schätzte den Umfang der sowjetischen Armee auf 300 - 400 Divisionen und betrachtete Europa, im Falle eines Krieges zwischen der UdSSR und den USA, nur als Nebenkriegsschauplatz. Der Schwerpunkt der Auseinandersetzungen würde im Mittelmeerraum und im Nahen Osten liegen. In Europa gebe es für die Rote Armee folgende Operationsmöglichkeiten:

282 Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 454

281 Diese Denkschrift ist abgedruckt in Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 454 - 465

280 vgl. Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 252 - 253, siehe hierzu auch den Bericht Pauls, Rolf Friedemann:

Adenauer und die Soldaten; in: Thoß, Bruno: Vom Kalten Krieg zur deutschen Einheit, Analysen und Zeitzeugenberichte zur deutschen Militärgeschichte 1945 bis 1995; München 1995, S. 37 - 41, hier S. 37

279 Dies läßt sich einem Nebensatz in Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 239 entnehmen: “[...] Das Jahr 1947 war für mich gekennzeichnet durch Vorbereitungen für die Verteidigung meines Bruders Helm in Nürnberg, [...] durch Gespräche mit Minister Eberhard Wildermuth über einen Schutz der westlichen Welt und durch Begegnungen mit den alten, in Gefangenschaft gehaltenen Kameraden in Hoechst und Allendorf, [...]”;

siehe auch BA - MA, BW 9 / 1323 “Gedanken über die Frage der äusseren Sicherheit der Deutschen Bundesrepublik, Denkschrift General Dr. Speidel”, fol. 1, Aktenvermerk Olt i.G. Johannes Fischer über die Provinienz dieser Akte vom 16. 09. 1971: “[...] Bei einer Befragung am 15. 9. 1971 in Bad Honnef bestä-tigte General a.D. Prof. h.c. Dr. Hans Speidel, daß er diese Denkschrift im Auftrag Adenauers (übermittelt durch den damaligen Minister Wildermuth) ausgearbeitet hat. [...]”

278 Wildermuth war zu diesem Zeitpunkt, 1947, Staatsminister in Württemberg-Hohenzollern, vgl. Speidel:

Aus unserer Zeit..., S. 243

277 In etwa mit der 7. Abteilung (Kriegsgeschichte) des ehemaligen Generalstabes der ehemaligen deutschen Wehrmacht vergleichbar. Zu Ursprung und Arbeit der “Historical Division” siehe ausführlich Meyer, Georg: Zur Situation der deutschen militärischen Führungsschicht im Vorfeld des westdeutschen Verteidi-gungsbeitrages 1945 - 1950/51; in: Foerster, Roland G.; Greiner, Christian et al. [Hrsg.]: Anfänge westdeut-scher Sicherheitspolitik 1945 - 1956, Bd. 1. Von der Kapitulation bis zum Pleven-Plan; München 1982, S.

579 - 736, hier S. 680 - 683, im folgenden zitiert als Meyer: Zur Situation...

“[...] a) eine Operation aus den Aufmarschräumen beiderseits der Elbe mit rechtem Flügel über Hamburg Bremen zur Nordseeküste, mit Südflügel (hier Schwerpunkt) über das Ruhrgebiet -Antwerpen zur Kanalküste. Abdecken durch Abwehrflanken auf den Bergriegeln des Erzgebirges - Thüringer Waldes - Westerwalds.

b ) Eine Operation aus dem Aufmarschraum Slowakei - Ungarn - Österreich zur Adria zur Inbesitznahme von Triest, Bedrohung Italiens, Verbindung mit Jugoslawien zur späteren Gewin-nung der Balkan-Halbinsel.

c ) Eine Operation zur Inbesitznahme von Gesamtdeutschland, Österreich und der Schweiz und Durchstoß zum Atlantik und zu den Pyrenäen, die als Nebenoperation aber zu viele Kräfte binden würde. [...]283

Speidel hielt die Variante “a” für die wahrscheinlichste. Er argumentierte mit nicht näher spezifizierten Gründen politischer, wirtschaftlicher und militärischer Natur. Auch ließen, ebenfalls nicht näher spezifizierte, “gewisse Nachrichten” auf ihre theoretische Vorbereitung schließen.284 Insgesamt macht diese Denkschrift einen etwas zergliederten und verwirrenden Eindruck, Speidel hat teilweise Pressemeldungen ausgewertet und sie mit seiner Sicht der Dinge in Deckung gebracht. Bei dem Besuch Bökers gab Speidel ihm diese Arbeit zu lesen.

Es steht also zu vermuten, daß Adenauer von mindestens zwei Seiten Kenntnis über die Tätigkeiten Speidels erlangte.

Auf die vermutlich auf Betreiben Pauls ausgesprochene Einladung nach Bonn, wo Speidel mit Adenauer zusammentraf, folgte die in Zusammenarbeit mit Blankenhorn überarbeitete Fassung von Speidels Denkschrift vom Juni 1948, die diesmal den Titel “Gedanken zur Sicherung Westeuropas”285 trug. Diese Denkschrift datiert auf den 15. Dezember 1948. Am Tag nach der Gründung der NATO, am 5. 4. 1949, verfaßte Speidel eine aktualisierte Version seiner “Gedanken zur Sicherung Westeuropas”286. Darin schätzte er nun die Stärke der Landstreitkräfte der UdSSR auf die Gesamtzahl von 200- 220 Divisionen. Freilich war dies nur die angenommene Sollstärke in Friedenszeiten. In Kriegszeiten rechnete Speidel mit 385 Divisionen. In Ostdeutschland waren von diesen Divisionen 30 “schnelle Divisonen”

stationiert.287

Im Falle eines Krieges würde die Rote Armee, so Speidels Voraussage, in drei Gruppen antreten: Eine Nordgruppe würde aus ihrem Aufmarschraum Mecklenburg heraus versuchen, Dänemark, Schleswig, die Städte Hamburg-Bremen und die Nordseeküste in ihren Besitz zu bringen, um von da aus dann gegen England operieren zu können. Die Mittelgruppe mit dem Aufmarschraum Magdeburg-Thüringen würde versuchen, in die Lücke zwischen Teutoburger Wald und Main zu stoßen, um dann das Ruhrgebiet und die Rheinübergänge zu nehmen. Der Operationsschwerpunkt würde bei dieser Gruppe liegen. Einer Südgruppe schließlich, die aus ihrem Aufmarschraum Thüringen, ostwärts der Saale, versuchen würde, zumindest Süddeutschland, wenn nicht sogar die Schweiz, in ihren Besitz zu bringen.288 Da die Frontli-nie bei einer Gesamtlänge von ca. 800 km in den Augen Speidels und vermutlich aufgrund seiner Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg unmöglich verteidigt werden konnte, sollte man zu einer beweglichen, flexiblen Verteidigung übergehen. Speidel schlug vor, zwei starke

288 vgl. Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 473

287 vgl. Schwengler: Der doppelte Anspruch..., S. 353, siehe auch Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 472

286 abgedruckt in Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 472 - 476

285 abgedruckt in Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 468 - 471

284 Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 457

283 Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 457

Eckpfeiler einzurichten, den einen im Bereich Bremen - Hamburg - Lübeck und den anderen im süddeutschen Raum, etwa der Linie Passau Böhmerwald Fichtelgebirge Hassberge -Röhn entsprechend.289 Speidels Plan macht gegenüber der Studie vom Juni 1948 schon einen wesentlich ausgereifteren Eindruck, ist allerdings, was wohl bei Speidels Vergangenheit und Erfahrungsschatz wenig verwundert, sehr stark von den Erfahrungen des Zweiten Weltkrie-ges geprägt. Auch seine Aussagen zur Einbeziehung deutscher Kräfte klingen nun realisti-scher.

7.2 Das Entscheidungsjahr 1950

Adenauer erhielt erst im Sommer 1950 von weiteren Zahlen, die Fähigkeiten, Ausrüstung und Dislozierung der sowjetischen Armee betreffend, Kenntnis. An dieser Studie arbeiteten, unter der Federführung Speidels auch die Generäle Foertsch und Heusinger mit.290 Diese Ausarbeitung mit dem Titel “Gedanken über die Frage der äußeren Sicherheit der Deutschen Bundesrepublik”291 datiert auf den 7. August 1950.

Speidel und seine beiden Co-Autoren sahen die Bundesrepublik in der militärpolitisch ungünstigten Situation: Die Niederlage von 1945 war noch wesentlich verheerender als die Vergleichsmöglichkeiten von 1806 und 1918. Deutschland hatte sich zwar mehrfach zur Westorientierung bekannt, dies aber wurde von den Westmächten bisher nicht genügend gewürdigt. Eine Sicherheitsgarantie der Westmächte gab es nicht. Die Besatzungstruppen waren, wie oben schon erwähnt, “[...] nach Stärke und Ausrüstung nicht in der Lage, unsere [der Bundesrepublik Deutschland] Sicherheit zu gewährleisten [...].”292 Bedingt durch den Krieg in Korea, habe es auf der ganzen Welt Betrachtungen über die strategische Situation und das Schicksal Deutschlands gegeben. In Europa herrschten immer noch Ängste vor einem wiedererstarkten Deutschland vor. Man erkenne zwar auf internationaler Ebene die Gefahr, die von der Sowjetunion ausginge, sei aber kaum in der Lage, daran etwas zu ändern.

Diesen eher schwachen, mehr oder minder verbündeten, Kräften stünde ein hochgerüsteter Feind gegenüber, der über 60.000 Panzer und 20.000 Flugzeuge, von denen mindestens 5000 Düsenjäger seien, gebiete. Die Kriegsstärke liege indes noch weit höher, man rechne mit einer Zahl von 375 - 400 Divisionen und 30.000 - 40.000 Flugzeugen. In der DDR seien 22 Panzer-, mechanisierte-, motorisierte- Schützendivisionen293 sowie neun FLAK- und drei

293 Gemäß sowjetischer Militärdoktrin ist eine motorisierte Schützendivision das gleiche wie eine deutsche Panzergrenadierdivision. Vor das Problem gestellt, daß eine klassische Infanteriedivision kaum in der Lage war, im Gefecht mit den Panzertruppen mitzuhalten, begann man nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.

Diese fand man in der Motorisierung der Infanterie. Die Infanterie konnte nun ins Gefecht fahren und dann abgesessen kämpfen. In der Sowjetunion bildete sich dann schließlich die moderne mot. Schützendivision.

Unter mechanisierter Infanterie sind solche Truppen zu verstehen, die nicht mit Schützenpanzern, wie ihre motorisierten Kollegen, sondern mit allenfalls leichtgepanzerten Lastkraftwagen oder Mannschaftstrans-portwagen in das Gefecht fahren. Vgl. Brühl, Reinhard: Wörterbuch zur deutschen Militärgeschichte, Bd.

292 BA-MA, BW 9 / 1323, fol. 4, siehe auch Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 478

291 abgedruckt in Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 477 - 496, siehe auch die, allerdings kaum lesbare, Kopie in BA-MA, BW 9 / 1323, fol. 2 - 27

290 zu dieser Ausarbeitung siehe auch BA-MA, BW9 / 3105, fol. 98, Aktennotiz, Brief Speidel am Schwerin, die Abfassung des Sicherheitsgutachtens mit Heusinger und Foertsch betreffend, 9. 8. 1950

289 vgl. Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 474

Artilleridivisionen stationiert. Von diesen, in der DDR stationierten, Divisionen ginge, nach Ansicht der Autoren, eine besondere Gefahr aus, da sie bereits voll ausgerüstet und daher binnen 24 bis 48 Stunden bereit zum Einsatz seien.294 Zum Zeitpunkt, zu dem diese Studie erstellt wurde, waren außerdem alle Divisionen auf Truppenübungsplätzen disloziert, so daß an einer offensiven Ausrichtung kaum ein Zweifel mehr bestand (vgl. Karte). Nur die Angst vor dem Ausbruch des dritten Weltkrieges und die noch vorhandene Rückständigkeit auf dem Gebiet der atomaren Rüstung halte die Sowjetunion von einem Angriff ab. Dieser Zustand halte allerdings nur so lange an, wie Moskau davon überzeugt sei, ein Angriff auf Westdeutschland führe automatisch zum Krieg mit den USA und damit dann auch zum Dritten Weltkrieg.295

Die Autoren warnten auch vor der bisher noch nicht richtig erkannten Gefahr der kommuni-stischen Subversion. Gerade in öffentlichen Ämtern säßen mehr “[...] Feinde des Volkes und Staates [...], als es im Lichte erscheint [...]”296. Der wohl interessanteste Punkt ist aber die Haltung der Generäle zu dem, im Grundgesetz garantierten, Recht auf Kriegsdienstverweige-rung: “[...] Das Grundgesetz enthält in seiner Anerkennung des Rechts auf Kriegsdienstver-weigerung für viele das unausgesprochene Eingeständnis, daß es sich nicht lohnt, für die in diesem Grundgesetz festgelegten Ideale Opfer zu bringen. [...]297

Diese Feststellung in Verbundenheit mit der ebenfalls konstatierten “[...] Weltanschauung

“Ohne mich” [...]” und im Zusammenhang mit dem in der “[...] westdeutschen Gedanken-welt noch sehr virulent[en]”298 Neutralitätsgedanken führte zu folgender Schlußfolgerung:

“[...] 1. Noch nie ist ein Kampf mit Aussicht auf Erfolg ohne eine leitende und packende Idee geführt worden. Der Gedanke der reinen Verteidigung der Heimat ist vielleicht nicht mehr so kraftvoll wie zu früheren Zeiten. Der Mensch will und muß wissen, wofür er sein Leben einsetzen soll. Die “Freiheit” wird erst dann erhaltenswert, wenn sie vorhanden [sic!] ist. Es wird eine der wichtigsten Aufgaben sein, dem Deutschen Volke zu zeigen, daß es noch Ideale gibt, die den Einsatz des Lebens lohnen [...]”299

Dieser Mangel an klaren Zielsetzungen führte zu der Forderung an die Politik, die Diffamie-rungskampagnen gegen das deutsche Soldatentum nicht weiter zu unterstützen. Eine Forde-rung, die den Generälen außer Dienst, wenn nicht im eigenen Interesse so doch im Interesse ihrer Kameraden, am Herzen gelegen haben muß. Waren Kampagnen dieser Art zu dieser Zeit etwas, das viele ehemalige Soldaten verbitterte und sie nicht unbedingt einer Mitwirkung an der Verteidigung Deutschlands positiv gegenüberstehen ließ, so verwundert es nicht, wenn Adenauer schließlich im Bundestag eine “Ehrenerklärung für das deutsche Soldatentum”

abgab.300

300 siehe hierzu ausführlich Echternkamp; Jörg: Wut auf die Wehrmacht? Vom Bild des deutschen Soldaten in der unmittelbaren Nachkriegszeit; in: Müller, Rolf-Dieter; Volkmann, Hans-Erich: Die Wehrmacht. Mythos und Realität; München 1999, S. 1058 - 1080, zur Vorgeschichte dieser Erklärung siehe auch BA-MA, BW 9 / 2404, Vertrauenserklärung für das deutsche Soldatentum (Handakte Heusinger) zu den

unterschiedli-299 BA-MA, BW 9 / 1323, fol. 17, siehe auch Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 488

298 BA-MA, BW 9 / 1323, fol. 5, siehe auch Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 480

297 BA-MA, BW 9 / 1323, fol. 6 - 7; siehe auch Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 480

296 BA-MA, BW 9 / 1323, fol. 6, siehe auch Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 480

295 BA-MA, BW 9 / 1323, fol. 9, siehe auch Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 482

294 BA-MA, BW 9 / 1323, fol. 5 - 6, siehe auch Speidel: Aus unserer Zeit..., S. 479 - 480, siehe auch Schwengler: Der doppelte Anspruch..., S. 353, siehe auch Rautenberg: Himmerroder Denkschrift..., S. 139 1; Berlin (Ost) 1985, S. 303 - 313; siehe auch Brühl, Reinhard: Wörterbuch zur deutschen Militärgeschichte, Bd. 2; Berlin (Ost) 1985, S. 655 - 656

Dem oben erläuterten massierten Aufmarsch sowjetischer Truppen konnte der Westen Europas kaum etwas entgegenstellen, standen in Westeuropa doch nur 13 Divisionen: zwei amerikanische und zwei britische, sieben französische und zwei belgische. Von diesen 13 Divisionen waren sieben in Deutschland stationiert. Dies waren in der Hauptsache die

Dem oben erläuterten massierten Aufmarsch sowjetischer Truppen konnte der Westen Europas kaum etwas entgegenstellen, standen in Westeuropa doch nur 13 Divisionen: zwei amerikanische und zwei britische, sieben französische und zwei belgische. Von diesen 13 Divisionen waren sieben in Deutschland stationiert. Dies waren in der Hauptsache die