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6 Erste alliierte Planungen für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag

Gleichzeitig waren aber die amerikanischen Streitkräfte ihren sowjetischen Pendants in punkto konventioneller Ausrüstung unterlegen. Die USA wie auch die meisten Staaten in Europa verließen sich auf die abschreckende Wirkung der Atombombe und des militärischen Potentials der amerikanischen Streitkräfte. So war es kein Wunder, wenn man sich in den Planungsstäben der Westmächte schon relativ früh, im Jahre 1947, mit der Frage des westdeutschen Potentials an Menschen und “Know-How” befaßte. Wie konnte dieses Poten-tial am besten für die Verteidigung Europas genutzt werden? Diese und andere - mehr oder minder gleichlautende Fragen - wurden damals in allen Hauptstädten der Welt gestellt. Dabei kam es zu der absurden Situation, daß die Demilitarisierung Deutschlands und die Diskussion um einen Beitrag Westdeutschlands zu Verteidigung Europas eine Zeitlang parallel liefen.256 Für die Westalliierten bot sich durch diese Diskussion die verlockende Möglichkeit, mit jenem westdeutschen Potential das militärische Gleichgewicht der Kräfte zwischen Ost und West zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Auf amerikanischer Seite begannen sowohl in Deutschland, also an der “Front” des Kalten Krieges, dienende Offiziere als auch die G-3-Abteilung257 der US-Army im Pentagon, sich mit dieser Möglichkeit zu beschäftigen.

Auf britischer Seite plädierten Beamte des britischen Außenministeriums, des Foreign Office, in einer Kabinettsvorlage für die Einbeziehung Spaniens und Deutschlands in die Verteidi-gung Westeuropas, “sobald es die Umstände erlauben”258. Die Blockade Berlins und der erste erfolgreiche Test der sowjetischen Atombombe wirkten als Katalysatoren für diese Diskussion. Wurde diese Diskussion bis zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich in militärischen Kreisen geführt, so beteiligten sich ab jetzt auch zunehmend Politiker. Der erste, der einen Vorstoß in diese Richtung wagte, war Winston Churchill, der am 16. März 1950 betonte, daß man aus der Bedrohung durch die sowjetischen Divisionen die Notwendigkeit eines westdeutschen Verteidigungsbeitrages folgern müsse. Diese Forderung, von so einem promi-nenten und legendären Staatsmann unterstützt, mußte in der Presse und in der Öffentlichkeit ein enormes Echo haben, das bis ins Ausland ausstrahlte. Faßt man die bis Ende 1949 von politischer und militärischer Seite öffentlich geäußerten Argumente zusammen, die die Einbeziehung westdeutscher Soldaten befürworteten bzw. ablehnten, erhält man die ganze Bandbreite der Argumente und der sich aus dem Pro und Contra einer Einbeziehung der Bundesrepublik ergebenden Modalitäten.259

Fest schien nach allen Einlassungen der militärischen Experten dabei nur eines zu stehen:

Nur mit einer Einbeziehung deutscher Truppen in die Verteidigung Europas konnte, im Falle eines Angriffs der UdSSR, die konventionelle Überlegenheit der Sowjetunion ausgeglichen werden. Diese, so scheint es, einfache Erkenntnis warf wiederum eine für die Verteidigung Europas wichtige Frage auf: Was für einen Einsatz konnten (und wollten) die Vereinigten Staaten für die Verteidigung Europas mit konventionellen Waffen leisten? Diese Frage war indes mit einer anderen, für Westdeutschland und die westeuropäischen Länder

259 vgl. Wiggershaus: Die Entscheidung..., S. 327 - 328

258 zitiert nach Wiggershaus: Die Entscheidung..., S. 327

257 G-3-Abteilung = Operations- und Planungsabteilung

256 vgl. Wiggershaus: Die Entscheidung..., S. 327; siehe auch Greiner: Die alliierten Planungen..., S. 139

lebenswichtigen, Problematik verbunden: mit der Verteidigung Europas so weit östlich wie möglich. Die Lösung dieser Probleme schien in der sich in der NATO abzeichnenden Arbeitsteilung zwischen den USA und den europäischen Ländern zu liegen. Danach waren die USA für die strategische Luftverteidigung und die europäischen Staaten für die Verteidi-gung auf dem Land zuständig. Als zusätzlicher Bedrohungsfaktor wurden die zu jener Zeit, Ende 1947, beginnenden Vorbereitungen militärischer Art empfunden.260

Waren die militärischen Argumente, die die Befürworter einer Einbeziehung westdeutscher Truppen in die Verteidigung Europas einbrachten, von überwiegend pragmatischer Natur, so waren die politischen Argumente eher durch bestimmte politische Ziele und Zielvostellung gekennzeichnet, die zwar nicht minder pragmatisch, aber auch wesentlich durch ideologische und taktische Erwägungen motiviert waren. Eine Einbeziehung des westdeutschen Potentials in die Verteidigung Europas implizierte zugleich auch die Beeinflussung der westdeutschen Politik in Richtung der Westmächte. Damit war dann auch eine zu enge außenpolitische Orientierung nach Osten hin verhindert. Bei all diesen Argumentationen gehörte stets der, in diese Argumente eingeflochtene, Seitenhieb auf die Verantwortung Moskaus für die mögli-che Aufstellung westdeutsmögli-cher Verbände zum Repertoire der Redner. Neben diese politi-schen Argumente traten auch wirtschaftliche. Eine Einbeziehung westdeutscher Verbände brachte neben der außenpolitischen Westorientierung Deutschland einen anderen, vielleicht sogar noch größeren Vorteil: die Sicherung des westlichen Zugriffs auf das Ruhrgebiet.

Ferner argumentierte man mit volkswirtschaftlichen Argumenten, mit der Einbeziehung könnte man eigene westalliierte Leistungen einsparen.261

Allerdings stand bei diesen Überlegungen und Argumenten für einen westdeutschen Verteidi-gungsbeitrag auch immer das Moment des Schutzes vor Deutschland im Vordergrund. Es war eine zwingende Notwendigkeit, zu verhindern, daß die Bundesrepublik Deutschland wieder etwas aufbaute, das rein nationalen Interessen diente. Eine Armee nach dem Muster der Wehrmacht war also ausgeschlossen. Als Lösung dieses Problems sah man entweder ein deutsches Kontigent in einer alle westeuropäischen Staaten umfassenden Armee oder eine reine Söldnerarmee vor. Von grundsätzlicher Natur war ferner der Vorschlag, Deutschland jegliche Rüstungsproduktion zu verbieten.262

Die Gegner einer westdeutschen Beteiligung an der Verteidigung Europas argumentierten in der Hauptsache mit den Erfahrungen der letzen beiden Kriege. Eine erneute Gefährdung des Friedens könne bei einer deutschen Wiederbewaffnung nicht ausgeschlossen werden, außer-dem sei dieser Entschluß der Öffentlichkeit in den anderen europäischen Ländern auch nur schwer zu vermitteln. Neben diesen beinahe klassischen Befürchtungen spielten auch neue Ängste ein wesentliche Rolle. Man fürchtete vor allem die politischen Komplikationen und Implikationen, die eine Einbeziehung der Bundesrepublik in die Verteidigung Europas mit sich bringen würde. Bestünde durch diesen Entschluß, so die Gegner, nicht auch die Möglichkeit der Verschärfung des Kalten Krieges? Konnte es, durch die Einbeziehung des Bundesrepublik, nicht zu einer Stimmung kommen, die die Staaten Osteuropas noch stärker in die Arme Moskaus trieb? Nicht zuletzt spielt auch hier wieder der Versuch, Europa vor Deutschland zu schützen, eine Rolle, befürchtete man doch, daß ein wiedererstarktes

262 vgl. Wiggershaus: Die Entscheidung..., S. 329

261 vgl. Wiggershaus: Die Entscheidung..., S. 328

260 vgl. Wiggershaus: Die Entscheidung..., S. 328

Deutschland durch territoriale Forderungen den Frieden erneut gefährden könnte. Ferner fürchtete man die Reaktion der Sowjetunion auf eine deutsche Wiederbewaffung.263

Während interessierte Kreise innerhalb der Westmächte über eine deutsche Wiederbewaff-nung in der Öffentlichkeit spekulierten, verfolgten die Westalliierten gleichzeitig den in Potsdam gefaßten Entschluß zur Entmilitarisieung Deutschlands weiter. Im Petersberger Abkommen vom November 1949 legten die Westalliierten die gerade erst neugegründete Bundesrepublik darauf fest, “[...] die [Politik der] Entmilitarisierung ... aufrechtzuerhalten und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die Neubildung irgendwelcher Streitkräfte zu verhindern [...]”264. Noch 1952 wird durch eine Karikatur in der Zeitung “Die Zeit” darauf angespielt.

Abb. 6_1: Michel im Examen: “Well und nun auf amerikanisch, I want-to-be-a-soldier...”265

Die von den Alliierten erlassenen Gesetze Nr. 16 “Ausschaltung des Militarismus” vom 16.

Dezember 1949 und Nr. 24 “Verhinderung der deutschen Wiederaufrüstung” vom 8. Mai 1950 bekräftigten deren Wunsch nach einer Weiterverfolgung der Entmilitarisierung. Die offizelle Politik der Westmächte war nach wie vor die Politik der Entmilitarisierung. Daher verwundert es nicht, wenn die Reaktionen auf diese, vermehrt in den Medien geführte Diskusssion nicht gerade euphorisch ausfielen. So legte US-Außenminister Dean Acheson im April 1949, während eines Hearings über die nordatlantische Allianz, dar, daß die amerikani-sche Regierung an einer “vollständigen und unbedingten Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands” festhalte und eine Diskussion über die Einbeziehung der Bundeswehr in die

265 Karikatur entnommen aus: Die Zeit, 11. 9. 1952

264 zitiert nach Wiggershaus: Die Entscheidung..., S. 329

263 vgl. Wiggershaus: Die Entscheidung..., S. 329

NATO “nicht möglich” sei.266 Die Französische Position war nicht wesentlich anders.

Außenminister Schumann äußerte während der Debatte über die Ratifizierung des Nordatlan-tikpaktes in der Nationalversammlung:

“[...] Was Deutschland betrifft, so ist mir diese Frage mehrmals gestellt worden: “Kann man es zulassen, daß Deutschland dem Atlantikpakt beitritt?” Es ist eine Frag, die gegenstandslos ist, nicht nur jetzt, sondern auch später ... Es erscheint für Frankreich und seine Alliierten undenkbar, daß Deutschland dem Atlantikpakt betreten könnte als eine Nation, die fähig sei, sich zu verteidigen oder die Verteidigung der anderen zu unterstützen. [...]”267

Auch die britische Regierung erklärte in den Monaten November und Dezember des Jahres 1949 insgesamt sechs Mal, daß sie nicht die Absicht habe, ihre Entmilitarisierungspolitik zu revidieren. Sie ließ sich allerding eine Hintertür offen: Am 21. November erklärte der Sprecher des britischen Außenministeriums, daß die Deutschlandpolitik der Besatzungs-mächte schon öfters “unter dem Zwang der Ereignisse” angepaßt worden sei.268

Diese alle Westmächte übergreifende Haltung wurde noch mehrere Mal im Verlauf des Jahres 1950 bekräftigt. Dementsprechend ablehnend reagierte die britische Regierung auf den oben erwähnten Vorstoß Churchills vom 16. März 1950. Dieser Vorstoß Churchills brachte die öffentliche Diskussion erneut wieder in vollen Gang, gleichzeitig aber die alliierten Regierungen dazu, ihre Standpunkte nochmals in aller Deutlichkeit darzulegen. Für die USA taten dies Außenminister Acheson und der amerikanische Hohe Kommissar in Deutschland, John McCloy. Er hielt es für unabdingbar, das Wiedererstarken einer deutschen Kriegsma-schinerie durch wirksame Kontrollen zu verhindern. Auch in Frankreich war die offizielle Haltung gegenüber einer deutschen Wiederbewaffnung klar. Sowohl Außenminister Schuman als auch Staatspräsident Auriol brachten ihre Vorbehalte gegenüber dieser Frage klar zum Ausdruck. Die Ursache für diese harte Haltung waren Frankreichs historische Erfahrungen mit Deutschland, wie Auriol in einer Rede in Reims am 7. Mai 1950 deutlichmachte:

“[...] Wie verlangen keine Erniedrigung Deutschlands. Wir verlangen aber einen ehrlichen und offenen Verzicht auf den Geist der Rache und der Vorherrschaft und einen konkreten Beweis dafür, daß Deutschland bereit ist, seinen Platz unter den friedlichen und freien Völkern der Welt einzunehmen. Wir, die wir unter der Grausamkeit der Deutschen, den Verbrechen der Gestapo und ihrer Folterknechte schrecklich gelitten haben, sind bereit, mit Stillschweigen über unsere Leiden hinwegzugehen unter der Bedingung, daß das deutsche Volk die notwendige internatio-nale Kontrolle auf sich nimmt und daß es weder im Osten noch im Westen wieder eine Armee schafft. [...]”269

Auffällig an allen diesen Stellungnahmen ist, daß sie sich im Kern nur gegen eine nationale und unkontrollierte Aufrüstung wandten. Von einer Armee, die fest in ein, wie auch immer geartetes, Bündnis integriert war, schien bedeutend weniger Gefahr für den Frieden in Europa auszugehen als von einer rein nationalen, in kein Bündnis intergierten deutschen Armee. Die konsequente alliierte Entmilitarisierungpolitik schien das Ende der Frage einer westdeutschen Bewaffnung zu sein. Doch der Kalte Krieg und die zunehmende Kriegsangst auf Seiten der amerikanischen und britischen Regierung ließen Raum für eine, in längerfristiger Perspektive, positive Beantwortung dieser Frage.

269 zitiert nach Wiggershaus: Die Entscheidung..., S. 331

268 vgl. Wiggershaus: Die Entscheidung..., S. 330

267 zitiert nach Wiggershaus: Die Entscheidung..., S. 330

266 Beide Zitate finden sich bei Wiggershaus: Die Entscheidung..., S. 329

Welche Gründe hatten die Westmächte, insbesondere die USA, trotz des offiziellen Kurses der Entmilitarisierung für eine Aufrüstung Westdeutschlands zu plädieren? Zum einen war es sicherlich der Wunsch nach Hilfe zur Selbsthilfe. Sollte Europa längerfristig wieder in der Lage sein, seine Geschicke selbst zu bestimmen, dann bedurfte es der Bundesrepublik, die mit eigenen Streitkräften in der Lage war, an der Verteidigung Europas mitzuarbeiten.

Gerade weil die USA noch der Auffassung waren, ihre Präsenz in Europa könne nicht von Dauer sein, war dies notwendig, um die durch den amerikanischen Abzug entstehende Lücke wenigstens wieder teilweise zu füllen. Die latente Bedrohung durch die Sowjetunion gebot eigentlich die deutsche Wiederbewaffnung, da nur durch sie die Überwindung des chroni-schen militärichroni-schen Ungleichgewichts möglich schien. Zum anderen hätte durch die deutsche Wiederaufrüstung die amerikanische Containmentpolitik an Glaubwürdigkeit gewonnen.

Dadurch wäre dann wiederum die Westbindung der Bundesrepublik verstärkt worden.270 Zu einem Meinungswechsel, der auch die offizielle Politik der Entmilitarisierung, zumindest auf Seiten der USA, ablöste, kam es aber erst nach Ausbruch des Korea-Krieges. Die Einbe-ziehung Deutschlands in die Verteidigung Europas und damit des Westens, bisher nur immer eine vage Möglichkeit, wurde durch den Ausbruch des Korea-Krieges zum Gebot der Stunde.

In Washington konnten sich die Joint Chiefs of Staff mit ihrer Meinung durchsetzen: Westeu-ropa sollte sein militärisches Defizit gegenüber den Staaten des Ostblocks von selbst ausglei-chen. Dafür sollte man auch auf das bisher ungenutzte, gewissermaßen brachliegende deutsche Personalreservoir zurückgreifen können. Dies hätte für die USA die Folge gehabt, daß die amerikanischen Truppen, die durch den Korea-Krieg stark gebunden waren, an einer

“Front” entlastet worden wären. Außerdem wäre damit eine finanzielle gerechtere Lastenver-teilung zwischen den USA und Westeuropa erreicht worden. Daher billigte der amerikani-sche Präsident Harry S. Truman am 9. September 1950 diese Empfehlung der JCS.271

271 vgl. Rautenberg: Himmerroder Denkschrift..., S. 138, 141

270 vgl. Rautenberg: Himmerroder Denkschrift..., S. 138

7 Beurteilung der sicherheitspolitischen Lage durch die