• Keine Ergebnisse gefunden

2 Literaturübersicht

2.2 Der Krankheitserreger

Die Ätiologie der spongiformen Enzephalopathie konnte trotz intensiver Forschungstätigkeit bislang nicht mit letzter Sicherheit entschlüsselt werden. Der Erreger weist ungewöhnliche Eigenschaften auf, die ihn von den geläufigen Krankheitserregern unterscheiden. Er ist daher der Gruppe der unkonventionellen Krankheitserreger zuzuordnen.

2.2.1 Hypothesen zur Natur des Erregers 2.2.1.1 Die Prion-Hypothese

Bei Inaktivierungsstudien mit ionisierender und UV-Bestrahlung, Maßnahmen die Nukleinsäuren schädigen oder zerstören, blieb die Infektiösität des Erregers erhalten, weshalb ALPER et al. (1967) bereits die Vermutung äußerte, dass der Erreger keine Nukleinsäure enthält. Es wurde bereits zu dieser Zeit angenommen, dass es sich bei diesem Erreger um

infektiöse Proteine handeln könnte (GRIFFITH 1967). PRUSINER veröffentlichte 1982 eine Hypothese, in der er ein Eiweiß als alleinigen Bestandteil des infektiösen Agens von spongiformen Enzephalopathien darstellte. Für diesen neuartigen Erreger prägte PRUSINER aus der Bezeichnung „proteinaceous infectious particle“ den Begriff „Prion“, dem eine eigenständige Nukleinsäure fehlt (PRUSINER 1998). Mit der Gewissheit, dass es sich bei diesen Prionen konstant um ein Protein handelt, bezeichnete man den Erreger auch als Prion-Protein (PrP). Die Bauanleitung für dieses Prion-Protein befindet sich nicht im Erreger selbst. Ein wirtseigenes chromosomales Gen kodiert für das Prion-Protein (CHESEBRO et al. 1985;

OESCH et al. 1985). Dieses Gen lässt sich bei allen bislang untersuchten Säuger- und Vogelarten nachweisen. Es ist aktiv, das heißt, der Organismus produziert Prion-Proteine ohne daran zu erkranken (OESCH et al. 1985; BASLER et al. 1986). Dieses physiologische Prion-Protein reagiert im Gegensatz zum Erreger sensibel auf den Verdau durch die Proteinase K (PK) (MEYER et al. 1986). Somit werden zwei Formen von Prion-Proteinen unterschieden: Zum einen die physiologische oder auch zelluläre Form (PrPc), zum anderen das pathogene oder auch Scrapie-Prion-Protein (PrPSc), welches nicht sensibel auf den Verdau durch Proteinase K reagiert. Gemäß dem Heterodimer-Modell soll es durch Anlagerung eines PrPSc an die physiologische Proteinform zu einer Umwandlung in die pathogene Form kommen (PRUSINER 1991). Es wird ein katalytischer Zyklus in Gang gesetzt, in dem das neu entstandenen PrPSc weitere Umwandlungen induzieren kann. Über die mögliche Unterstützung durch einen Katalysator („Protein X“) wird diskutiert (TELLING et al. 1995;

KANEKO et al. 1997). Der Umwandlungsprozess vom natürlichen zum abnormen Prion-Protein ist bislang nicht vollständig geklärt. Im Gegensatz zu PrPc kann PrPSc nicht vollständig metabolisiert werden. Es aggregiert und lagert sich in Form von Amyloid ab. Obwohl das Prion-Modell bis heute nicht mit letzter Sicherheit bestätigt werden kann, wird es derzeit von den meisten Wissenschaftlern akzeptiert.

2.2.1.2 Die Virus-Hypothese

Die Virushypothese, die aktuell von DIRINGER (1994) und MANUELIDIS (1994) vertreten wird, geht davon aus, dass ein bislang unentdeckter viraler Erreger die Ursache der TSE ist.

Das Prion-Protein fungiert bei dieser Hypothese als Rezeptor auf der Zelloberfläche und

ermöglicht eine Infektion der Zelle, bei der es im Rahmen von Zelluntergängen zur Aggregation der Rezeptorproteine kommt. Es wird davon ausgegangen, dass eine erregerspezifische Nukleinsäure vorhanden sein muss, deren außergewöhnliche Resistenz gegenüber chemischen und physikalischen Behandlungen einer besonderen Art von Hülle zugeschrieben wird (DIRINGER 1994; MANUELIDIS 1994, 2003). Trotz intensiver Bemühungen konnten bislang weder Scrapie-spezifische Nukleinsäuren nachgewiesen, noch vollständig ausgeschlossen werden. Für die mögliche Existenz entsprechender Nukleinsäuren wurden allerdings stark einschränkende Bedingungen ermittelt (MEYER et al. 1991;

KELLINGS et al. 1992).

Für virale Infektionen ist das Vorkommen verschiedener Erregerstämme nicht ungewöhnlich.

Mit der Prion-Hypothese lässt sich diese Tatsache nur schwer erklären. Eine mögliche Erklärung bieten hier genetische Aspekte.

2.2.1.3 Die Virino-Hypothese

Diese, von DICKINSON und OUTRAM (1988) vorgeschlagene Hypothese geht davon aus, dass es eine besonders kleine wirtsfremde Nukleinsäure gibt, die sich durch ihre feste Verpackung, z.B. im aggregierten Prion-Protein, den Nachweisversuchen entzieht. Diese Hypothese ist in den letzten Jahren kaum weiterverfolgt worden.

2.2.2 Das zelluläre Prion-Protein (PrPc)

Hierbei handelt es sich um ein Zelloberflächenprotein von 33-35 kDa, das von einem wirtseigenen Gen kodiert wird und sensibel auf den Verdau durch Proteinase K reagiert. Je nach Spezies besteht das Translationsprodukt aus 253-273 Aminosäuren (AS). So kodiert zum Beispiel das Prion-Protein-Gen des Menschen für 253 AS (KRETZSCHMAR et al. 1986), das der Maus für 254 AS (OESCH et al. 1985; LOCHT et al. 1986) und das für Schaf und Ziege für 256 AS (GOLDMANN et al. 1990, 1996). Bei der Prozessierung des PrPc im endoplasmatischen Retikulum und im Golgi-Apparat wird das Signalpeptid aus den ersten 21

AS am Aminoterminus abgespalten. Es folgt die Abspaltung von 23 AS vom C-terminalen Ende und das Anhängen eines Glykophosphatidyl-Inositol-(GPI)-Ankers. Bevor PrPc mit Hilfe des Ankers an die zelluläre Plasmamembran gekoppelt wird, wird es zweifach glykosyliert und erhält eine Disulfidbrücke, die für die Stabilität der dreidimensionalen Struktur wichtig ist (PRUSINER 1998). Mit Hilfe der magnetischen Kernresonanzspektroskopie (NMR= nuclear magnetic resonance) konnte Mitte der neunziger Jahre die dreidimensionale Struktur des PrPc am Beispiel des PrPc der Maus aufgeklärt werden. Es können zwei Domänen unterschieden werden, von denen die C-terminale drei gut ausgebildete α-Helices und zwei antiparallele ß-Faltblätter enthält. Die N-terminale Hälfte der Polypeptidkette bildet einen flexiblen Schwanz (RIEK et al. 1996, 1997). Obwohl PrPc in nahezu allen Geweben zu finden ist, wird es vor allem von neuralen Zellen produziert (OESCH et al. 1985; BASLER et al. 1986; BENDHEIM et al. 1992). Die funktionellen Aufgaben des zellulären Prion-Proteins sind trotz intensiver Forschung bis heute noch nicht klar. Verschiedene Untersuchungen weisen darauf hin, dass die kupferbindenden Eigenschaften von PrPc eine funktionelle Bedeutung haben (STOCKEL et al. 1998; VILES et al. 1999). In diesem Zusammenhang wird auch über eine Bedeutung des PrPc für die Funktion der Dioxid-Dismutase diskutiert, die die zelluläre Resistenz gegenüber oxidativem Stress beeinflusst (BROWN et al. 1999). Aufgrund des Auftretens im neuronalen Bereich, vor allem an synaptischen Plasmamembranen, wird PrPc auch eine eventuelle Funktion bei der synaptischen Erregungs-Übertragung zugesprochen. So konnte bei Mäusen, die kein Prion-Protein exprimieren (sogenannte Prion-Prion-Protein-Knock-Out-Mäuse), eine Verlängerung der Aktivierungszeit von GABAA-Rezeptor vermittelten, inhibitorischen, postsynaptischen Strömen beobachtet werden (COLLINGE et al. 1994; HERMS 1999). Ebenfalls am Model von Knock-out-Mäusen konnte eine, für die Wiederherstellung des Ruhemembranpotentials bedeutende Beeinflussung der Amplitude kalziumaktivierter Kaliumströme in Purkinjezellen registriert werden (HERMS et al. 2001).

2.2.3 Die Scrapie-Isoform des Prion-Proteins (PrPSc)

Die pathologische Isoform des Prion-Proteins kann immunhistochemisch bei allen an TSE erkrankten Individuen nachgewiesen werden. Es akkumuliert im zentralen Nervensystem

hauptsächlich im Hirngewebe und bei einigen Spezies in bestimmten lymphatischen Geweben, wie zum Beispiel in den Peyer´schen Platten nach oraler Aufnahme. Geringere Mengen an PrPSc können je nach Spezies auch in anderen Geweben und Körperflüssigkeiten nachgewiesen werden. Bereits 1972 gelangen PATTISON Infektionsversuche bei Schaf und Ziege mit Nachgeburtsteilen von Scrapie-infizierten Tieren. Bei natürlich infizierten Schafen der Genotypklasse G5 kann PrPSc in lymphatischen Geweben wie der Milz, den Lymphonodi mesenteriales und retropharyngeales und den Tonsillae palatinae schon vor Ausbruch klinischer Symptome nachgewiesen werden (VAN KEULEN et al. 1996). Bei Versuchen mit Hamstern und Schafen, die auf oralem Wege mit Scrapie infiziert wurden, konnten vor dem Auftreten klinischer Symptome geringe Mengen an PrPSc in Muskelgewebe nachgewiesen werden (ANDREOLETTI et al. 2004; THOMZIG 2004). Allerdings sind größere Mengen an PrPSc in der Muskulatur erst im fortgeschrittenen Stadium der klinischen Phase nachweisbar und reichen für eine Infektionsübertragung wahrscheinlich nicht aus.

Da die Aminosäurenzusammensetzung des PrPSc der entspricht, die das vom Wirtsgen verschlüsselte physiologische Prion-Protein aufweist (BASLER 1986), kommt es zu keiner immunologischen Reaktion beim erkrankten Individuum. Während PrPc einen höheren Anteil an α-helikalen Strukturen aufweist, besteht PrPSc zu einem höheren Anteil aus β-Faltblatt-Strukturen (PAN et al. 1993).

Bei einer Behandlung des Erregers mit Proteinase K (PK) verbleibt ein 27-30 kDa großes Proteinfragment, welches gegenüber einem weiteren PK-Verdau stundenlang resistent ist.

Dieses Proteinfragment (PrP 27-30) ist das Kernstück des PrPSc (PRUSINER et al. 1987;

BARRY al. 1986; MCKINLEY 1983 ). Es aggregiert und bildet regelmäßige, amyloide Strukturen, die man nach Aufreinigung als Prion-Rods bzw. Scrapie-assoziierte Fibrillen (SAF) findet (PRUSINER et al. 1983). An transgenen Tieren, die nur noch PrP 27-30 exprimieren, konnte gezeigt werden, dass dieser Teil des Proteins zur Infektion sowie zur Ausbildung des entsprechenden Krankheitsbildes und zur weiteren Übertragung ausreicht (FISCHER et al. 1996).

Abbildung 1: Beta-Helix-Modell von PrP 27-30: Aufbau durch Zusammenfügung von hier fünf scheibenförmigen Trimeren, gebildet aus parallel linksgewundenen ß-helikalen, Strukturen (gelb). Die spiralförmigen Windungen stellen die α-helikalen Strukturen dar (rot) (GOVAERTS et al. 2004).

2.2.4 TSE-Erregerstämme

Bereits Anfang der sechziger Jahre entdeckte man klinische Unterschiede bei seriellen Passagen von zwei Scrapie-Isolaten in Wiederkäuern und Nagetieren (PATTISON u.

MILLSON 1961). Zahlreiche verschiedene TSE-Erregerstämme konnten seitdem identifiziert werden (BRUCE 1993; PRUSINER 1998; BRUCE et al. 2002; BRUCE 2003). Die Erregerstämme lassen sich anhand der klinischen Symptomatik (PATTISON u. MILLSON 1961), der Länge der Inkubationszeit, der Übertragbarkeit, der histopathologischen Läsionsprofile und der Art von PrPSc-Ablagerungen in bestimmten Gehirnarealen unterscheiden. Diese Unterschiede werden besonders deutlich im direkten Vergleich von

immer gleichen, hochempfänglichen Mausstämmen. Weitere Unterscheidungsmerkmale sind die Resistenz gegenüber Proteinase K, das Verhalten bei Inaktivierungsversuchen und die Glykosylierung des PrPSc. Neuere Untersuchungen lassen vermuten, dass die natürlich vorkommenden Scrapie-Stämme im Laufe der letzten 20 Jahre immer wieder Veränderungen unterlegen sind. Konnten ursprünglich fünf Scrapie-Stämme von Schafen phänotypisch definiert werden, so sind daraus im Laufe der Zeit, wahrscheinlich im Zusammenhang mit zahlreichen Mauspassagen mehr als 20 unterscheidbare Maus- und Hamster-adaptierte Stämme entstanden (BRUCE 1993, 2003).