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1 Einleitung

1.5 Koordinative Anforderungen im Skirennsport

Das Anforderungsprofil im alpinen Skirennlauf ist breit. Die konditionellen Fähigkeiten wie beispielsweise Kraft und anaerobe, sowie aerobe Ausdauer haben einen ebenso großen Einfluss auf die Leistung wie die komplexen motorischen Fähigkeiten Koordination und Gleichgewicht (Raschner et al., 2013). In Bezug auf die koordinativen Fähigkeiten nach Hirtz (1985) zeigen sich diese folgendermaßen im alpinen Skirennlauf: Die Orientierungsfähigkeit steht in Beziehung mit der Orientierung im Gelände, genauer der Piste, aber auch innerhalb einer Kurssetzung. Die Differenzierungsfähigkeit kommt in Bezug auf die variierenden Schnee- und Pistenverhältnisse zur Geltung, dies ist gekoppelt mit der Reaktionsfähigkeit. Die Athletinnen und Athleten müssen sich an die veränderten Verhältnisse anpassen.

Diese Fähigkeit zeigt sich außerdem auch bei der Reaktion auf Fahrfehler, die von den Sportlerinnen und Sportlern korrigiert werden müssen, um nicht zu stürzen und das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Die Gleichgewichtsfähigkeit zeigt sich durch die permanente Ausgleichsbewegung, um den Körperschwerpunkt über der Unterstützungsfläche zu halten. Der Slalom ist die Disziplin des Skirennsports, bei der die Rhythmisierungsfähigkeit am besten veranschaulicht ist. Die Skirennläuferinnen und -läufer prägen sich den Rhythmus des Kurses ein und geben ihn während des Fahrens zwischen den Toren wieder. (Dür, 2013)

Betrachtet man den alpinen Skirennsport mit Hilfe des Koordinations-Anforderungs-Reglers nach Neumaier (1999), der in 1.4. bereits näher beschrieben wurde, so könnten die einzelnen Teilbereiche wie folgt übertragen werden:

Der Präzisionsdruck kommt in der Renntechnik zum Ausdruck, wobei die Skirennläuferinnen und -läufer versuchen, die Linie zwischen den Toren optimal zu treffen. Umso schwieriger die Kurssetzung, umso höhere Anforderungen werden an den Präzisionsdruck gestellt.

Zeitdruck wirkt sich im Bereich der Reaktionsschnelligkeit unter anderem am Start von Teamevents und Parallelbewerben aus, aber auch während des Fahrens sind die Athletinnen und Athleten gefordert schnell auf äußere Faktoren wie die Kurssetzung oder sich verändernde Pistenverhältnisse zu reagieren. Auch auf Fahrfehler muss reagiert werden, um die stabile Position über der Unterstützungsfläche, welche zwischen den Ski entsteht, bewahren zu können (Dür, 2003).

Der alpine Skirennlauf weist eine hohe koordinative Anforderung auf, weshalb der Komplexitätsdruck hoch ist. Ski und Schnee sind ein instabiles System, an welches sich die Sportlerinnen und Sportlern ständig anpassen müssen. Dies steht auch in Zusammenhang mit dem Situationsdruck. Beim alpinen Skirennlauf liegt eine statische, aber örtlich variierende Situation vor (Neumaier, 1999). Eine Kurssetzung kann auf verschiedenen Pisten unter verschiedenen Bedingungen, wie Eis, weicher Schnee oder gut präparierte Piste, gefahren werden, wobei die Umstellungsfähigkeit der Skirennläuferinnen und -läufer entscheidend ist. Wie schnell sind sie in der Lage sich an wechselnde Pisten- oder Lichtverhältnisse anzupassen. Zudem hat der Informationsumfang durch die Analysatoren Auswirkung auf den Situationsdruck. Bei einem Trainingslauf sind diese geringer als im Rennen, da im Wettkampf Zuschauer, Stadionsprecher und Kameras zu den Umweltelementen zählen.

Der Belastungsdruck ist für jede Sportlerin und jeden Sportler individuell zu definieren.

Im Bereich der Psyche ist zwischen den Trainings- und Wettkampfläufen zu unterscheiden, wobei die Beanspruchung bei letzterem höher ist. Physisch ist sie zwischen den einzelnen Disziplinen unterschiedlich, so liegt die Belastungszeit bei einem Abfahrtslauf bei rund zwei Minuten. Ein Riesenslalom dauert ca. 1 Minute 15 Sekunden. Der Slalom ist zeitlich noch kürzer, die Laufzeit liegt bei ca. 55 Sekunden.

Wobei in diesen beiden Disziplinen jeweils zwei Durchgänge zu absolvieren sind (International Ski Federation, 2018).

Bei den Informationsanforderungen weisen zwei Teilbereiche eine besonders hohe Relevanz auf, die optischen und vestibulären Anforderungen, welche im Folgenden in ihrer Bedeutung für den alpinen Skirennsport näher beschrieben werden.

1.5.1 Bedeutung der optischen Informationsanforderungen

Ein Training der visuellen Wahrnehmung ist besonders in Sportarten von Bedeutung, die eine schnelle Muskelreaktion auf visuelle Reize ausführen, wozu auch der alpine Skirennlauf zählt (Erickson, 2018). Im alpinen Skirennlauf führen Minderungen der Sehfähigkeit „selbst beim Vorliegen automatisierter Bewegungsabläufe zu koordinativen und damit technomotorischen Verschlechterungen“ (Jendrusch & Brach, 2003, S. 178). Durch die hohen Geschwindigkeiten beim Skifahren ist die Informationsaufnahme stark erschwert, dennoch zeigte die Studie von Schläppi et al.

(2016), dass für die Athleten die visuelle Information von großer Bedeutung ist, da dadurch das Schwungtiming und die Körperposition besser ist und infolgedessen schnellere Zeiten gefahren werden können. Die interviewten Athleten betonten die Relevanz der Nah-Fern-Umstellung des Blickes, wenn sie zwischen dem aktuellen und den darauffolgenden Toren wechseln. Gute Sichtverhältnisse spielen für eine gute Leistung eine entscheidende Rolle. So beeinflussen diffuse Lichtverhältnisse die Leistung negativ. Eine Vielzahl von optischen Hinweisen helfen den Skirennläufern sich zu orientieren, dazu zählen die blauen Pistenmarkierungen im Schnee, die Tore aber auch Hintergrundhinweise wie der Wald, Berge oder Häuser. (Schläppi et al., 2016)

Visuelle Wahrnehmung lässt sich nicht nur durch Training verbessern, sondern auch mit Hilfe von verschiedenen Gläsern in der Skibrille wird die visuelle Wahrnehmung unterstützt. Beispielsweise werden rot getönte Gläser oft bei Nebel gefahren, da diese Tönung gewisse Spektren absorbiert und so die Athletinnen und Athleten ein klares Sichtfeld bekommen (Erickson, 2018). Mit zunehmender Erfahrung kommen Skirennläuferinnen und -läufer auch besser mit schlechteren Sichtbedingungen klar.

Sie können sich besser auf ihr peripheres Sehen verlassen und dadurch das, beispielsweise durch Nebel, eingeschränkte foveale Sehen kompensieren und ihr Blickverhalten entsprechend anpassen (Vater et al., 2019).

Gerade peripheres Sehen spielt für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts eine zentrale Rolle. In einer Untersuchung von Vater et al. (2019) änderte sich der Blick beim Übersteigen eines Hindernisses oder einem sich verändernden Untergrund nur bei ca. 18% der Probanden. Die Bedeutung des Gleichgewichts für den Skirennlauf wird in Kapitel 1.5.2 näher erläutert. Über die Augen als optischer Analysator werden die meisten sensorischen Informationen bereitgestellt, worauf sich die Sportlerinnen

und Sportler einstellen. Herrschen nun aber schlechte Sichtverhältnisse, so wirkt sich dies negativ auf das Gleichgewicht aus (Raschner et al., 2017).

1.5.2 Bedeutung der vestibulären Informationsanforderungen

Gleichgewicht ist für eine gute Skitechnik von großer Bedeutung, da die eingenommenen Kurvenlagen eine gute Regulation sowohl entlang der sagitalen Körperachse als auch in den lateralen Bewegungen fordern. Umso höher die Geschwindigkeiten während der Fahrt, umso stärker wirken die kinetischen Kräfte auf die Läuferinnen und Läufer ein. Um diese auszugleichen, muss der Kanteneinsatz und die Regulation des Körperschwerpunkts dosiert werden (Raschner et al., 2017). Diese Aufrechterhaltung des Gleichgewichts kann nur durch ständiges, schnelles Feedback des optischen Analysators, des vestibulären Systems und somatosensorischen Strukturen gehalten werden, die dafür sorgen, dass durch das neuromuskuläre System aufeinander abgestimmte Bewegungen ausführt werden (Hrysomallis, 2011).

Die enge Verbindung des Gleichgewichts mit dem optischen Analysator wird durch zahlreiche internationale Studien belegt: Untersucht man nun die Gleichgewichtsfähigkeit von Skirennläuferinnen und -läufern, so würde man annehmen, dass international aktive Athletinnen und Athleten mit mehr Erfahrung bei Wegnahme des optischen Analysators trotzdem noch ein besseres Gleichgewicht aufweisen. Noe und Paillard (2005) konnten mit ihrer Studie diese Hypothese nicht bestätigen, denn beim Vergleich von international aktiven Athleten mit Athleten aus dem Regionalkader zeigten sich bei beiden Gruppen schlechtere Werte im Vergleich zu Messungen mit geöffneten Augen. Jedoch zeigte sich bei den Messungen mit Skischuhen und geschlossenen Augen ein signifikanter Einfluss (p < 0,05) der Gruppe zu Gunsten des Regionalkaders. Die Autoren erklären das Ergebnis durch die höhere Zeit der internationalen Athleten in Skischuhen. Dort ist das Sprunggelenk, welches maßgeblich an der sensomotorischen Kontrolle zum Erhalt des Gleichgewichts beteiligt ist, in seiner Beweglichkeit eingeschränkt. Aus diesem Grund ist für die Athleten das visuelle Feedback von größerer Bedeutung, da sie sich weniger auf die sensomotorische Kontrolle durch das Sprunggelenk verlassen können.

In Bezug auf den Geschlechterunterschied konnte Jastrzębska (2020) feststellen, dass die Balance, getestet auf einer Kraftmessplatte, bei Mädchen signifikant (p < 0,05) schlechter war, verglichen mit den Jungen. Dieses Ergebnis widerspricht

jedoch der biologischen Erklärung. Das Vestibulärsystem, welches für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts verantwortlich ist, entwickelt sich bei Mädchen früher, weshalb sie mit geschlossenen Augen besser die Balance halten sollten. Auch gilt für Jungen eine schlechtere posturale Gleichgewichtskontrolle, da sie weniger sensorische Informationen in das zentrale Nervensystem integrieren (Jastrzębska, 2020). Raschner et al. (2017) konnten mit ihren Studienergebnissen die biologische Erklärung bestätigen. Sowohl in lateralen Bewegungen als auch in der Anterior-Posterior-Achse zeigten die Mädchen signifikant (p < 0,05) bessere Ergebnisse, verglichen mit den männlichen Probanden. Dieser signifikante geschlechterspezifische Unterschied trat im Alter von 15 Jahren und speziell für die Vor-Rück-Regulation ebenfalls im Alter von 14 und 16 Jahren auf. Die Autoren geben eine anatomische Erklärung für diesen signifikanten Unterschied. Mädchen sind im Vorteil, da sie in der Pubertät kürzere Beine und ein breiteres Becken haben, was zu einem tieferen Schwerpunkt führt, mit dem sich das Gleichgewicht besser halten lässt (Raschner et al., 2017).

Die ständige Aufrechterhaltung des Gleichgewichts spielt auch für die Verletzungsprophylaxe eine wichtige Rolle, so führten Niedermeier et al. (2019) ein schlechtes Gleichgewicht als Risikofaktor für Knieverletzungen an. Werden die Analysatoren zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts durch exogene Faktoren, wie das Wetter und damit verbunden eine schlechte Sicht, beeinträchtigt so steigt das Verletzungsrisiko erneut. Im Geschlechtervergleich zeigte sich bei den Probandinnen unter allen getesteten Bedingungen, mit und ohne eingeschränktem optischen Analysator, ein hochsignifikant (p < 0,001) besseres Gleichgewicht als bei den Probanden.

1.5.3 Bedeutung der taktilen Informationsanforderungen

Über die Augen werden die meisten sensorischen Informationen bereitgestellt. Die taktilen Informationsanforderungen, welche über den Fuß wahrgenommen werden, beeinflussen das Gleichgewicht und in weiterer Folge den Kanteneinsatz ebenfalls (Raschner et al., 2017). Während der einzelnen Schwungphasen ändert sich der plantare Druckmittelpunkt, um den Körper im sagitalen Gleichgewicht zu halten und beide Skier bestmöglich zu belasten (Raschner et al., 2017). Skirennläuferinnen und -rennläufer zeigten in einer Untersuchung von Cresswell und Mitchell (2009) sowohl barfuß als auch mit Skischuhen ein signifikant besseres Ergebnis (p = 0,008) bei der Aufrechterhaltung des statischen Gleichgewichts im Vergleich mit weniger erfahrenen Skifahrerinnen und -fahrern. Noe und Paillard (2005) kamen mit ihrer Untersuchung von Regional- und Nationalkaderathleten zu dem Ergebnis, dass ein längerer Zeitraum im Skischuh während des Winters bei Nationalkaderathleten zu einer verminderten sensomotorischen Kontrolle führt. Sie begründen dies durch das fehlende sensomotorische Training des Knöchel-Fuß-Komplexes, welcher maßgeblich an der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts beteiligt ist.

Wird während des Winters ergänzend Gleichgewichtstraining durchgeführt, bekommt das sensomotorische System mehr Aufmerksamkeit was zu einer Leistungsverbesserung führen kann (Hrysomallis, 2011) und gleichzeitig zur Verletzungsprophylaxe beiträgt (Raschner et al., 2017).

Bezogen auf den Geschlechterunterschied konnten Raschner et al. (2017) bei ihrer Untersuchung mit dem MFT S3-Check nur ein signifikanter Unterschied in der Stabilität (p = 0,003) zu Gunsten der Mädchen bei den 15-jährigen festgestellt werden.