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1 Einleitung

1.2 Entwicklung der Koordination im Kindes- und Jugendalter

Wie bereits eingangs erwähnt ist das Kindes- und Jugendalter die wichtigste Phase zur Entwicklung der Koordination. Im frühen Schulkindalter laufen Vernetzungs- und Ausdifferenzierungsprozesse im Gehirn ab, welche in Zusammenhang mit einer sehr guten motorischen Lern- und Leistungsstruktur, sowie einem hohen Bewegungsdrang und Sportinteresse stehen. Man spricht hier vom guten Lernalter, wobei die Kinder zwischen sieben und zehn Jahren alt sind (Ferrauti, 2020). Ist die neuronale Plastizität im Kindesalter hoch, spricht man von sensiblen Phasen, „in denen spezifische motorische Fähigkeiten sehr schnell erworben werden können, während dies vor und nach diesen Phasen weit mehr Zeitaufwand beansprucht oder nur unzureichend gelingt (hohe Trainingswirksamkeit)“ (Ferrauti, 2020, S. 511).

Auf Grund der Komplexität der Koordination ist es schwierig biologisch-kinetische Merkmale im Altersverlauf anzugeben. Dennoch lassen sich im Altersverlauf fünf Phasen abgrenzen, welche eng mit den Ausreifungsprozessen des ZNS und der Entwicklung der Analysatoren verknüpft sind (Baur et al., 2009). Abbildung 2 stellt die Entwicklung graphisch dar. Der Verlauf zeigt „die motorischen Leistungen steigen im Kindes- und Jugendalter an, erreichen im späteren Jugend- oder frühen Erwachsenenalter ihren Höhepunkt oder stagnieren, um spätestens ab dem dritten Lebensjahrzehnt wieder abzunehmen“ (Ahnert & Schneider, 2007, S. 14).

Abb. 2 Koordinative Entwicklung im Altersverlauf (Baur et al., 2009, S. 200)

Die erste Phase vom Vorschulalter bis ins Schulkindalter, wird als Phase des weitgehend linearen Anstiegs bezeichnet. Es ist die Phase des größten Anstiegs im gesamten Altersverlauf, da die Reifung des ZNS den anderen Wachstumsprozessen, wie der Körpergröße, voraus ist. Gefolgt wird diese Periode von der Phase der Instabilität, Neuanpassung und Regression. In der Pubeszenz fokussiert sich die Entwicklung des Körpers auf die Kraftentwicklung und damit einhergehend auf das Längenwachstum und die Gewichtszunahme. Aus diesem Grund zeigt sich in Abbildung 2 eine Stagnation. Der erneute Anstieg des koordinativen Niveaus ist die Phase der vollen Ausprägung. In der Adoleszenz passen sich die Koordinationsprozesse an die vorangegangenen körperlichen Entwicklungen an und es werden individuelle Bestleistungen erreicht. Die darauffolgende Plateaubildung wird als Phase der relativen Erhaltung bezeichnet. Im frühen Erwachsenenalter kommt es häufig zu einer vermehrten sportlichen Inaktivität, was zur Verschlechterung des koordinativen Niveaus führt. Mit Beginn des 30. Lebensjahres beginnt die Phase des allmählichen und schließlich irreversiblen Abbaus, welche ab dem Alter von 45 verstärkt einsetzt. (Baur et al., 2009)

Nicht alle koordinativen Fähigkeiten entwickeln sich gleich, so zeigen kleinmotorische Aufgaben einen Rückgang in ihrer Leistungsfähigkeit bereits ab dem 17. Lebensjahr, die optische und räumliche Wahrnehmung, sowie die Reaktionsleistung haben ihre Leistungsspitze mit ca. 20 Jahren (Baur et al., 2009). Die Gleichgewichtsfähigkeit erreicht ihr Maximum ebenfalls im frühen Erwachsenenalter (Ahnert & Schneider, 2007), wohingegen die Koordination unter Zeitdruck, sowie die Ganzkörperkoordination in der Pubeszenz die höchste Leistung aufweisen (Baur et al., 2009).

Betrachtet man die Entwicklung der koordinativen Fähigkeiten im Geschlechtervergleich, so zeigt sich sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen ein Knick in der Verlaufskurve. Bis zu diesem Einbruch, welcher im Alter von zehn/elf Jahren auftritt, sind keine signifikanten Geschlechtsunterschiede vorhanden (Baur et al., 2009). Der Knick erklärt sich durch den Wachstumsschub. „Erst am Ende des Wachstumsschubs werden mit der Geschlechtsreife und den damit verbundenen hormonellen Veränderungen auch die Leistungen in zentral-nervaler Vorgänge kurzfristig und geringfügig beeinträchtigt“ (Baur et al., 2009, S. 206). Abbildung 3 zeigt diesen Knick in der Pubeszenz deutlich.

Abb. 3 Koordinative Entwicklung, differenziert nach Geschlecht (Baur et al., 2009, S.209)

Die wachstumsbedingten Unterschiede führen zu zwei parallel verlaufenden Kurven, welche gleichmäßig ansteigen, sich jedoch auf unterschiedlichen Niveaus befinden (Baur et al., 2009). Umso höher der motorische Anteil und der Zeitdruck, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit für einen Leistungsvorteil zu Gunsten des männlichen Geschlechts. Frauen weisen hingegen bei niedrigem motorischem Anteil und steigendem Präzisionsdruck ein höheres Niveau auf (Baur et al., 2009). Grundsätzlich erreichen Mädchen ihr Leistungsmaximum mit 14-15 Jahren, Jungen erreichen ihr Leistungsmaximum am Ende der Pubertät (Ahnert & Schneider, 2007). Die Longitudinalstudie zur Genese individueller Kompetenzen (LOGIK) zeigt im Bereich der Koordination einen hochsignifikanten Haupteffekt des Alters (p < 0,001). Ab dem frühen Erwachsenenalter ist der Einfluss des Geschlechts zusätzlich hochsignifikant (p < 0,001) (Ahnert & Schneider, 2007). Bei konditionellen und kraftorientierten Aufgaben, wie beispielsweise Sprungparcours, nimmt die Leistungsfähigkeit der Männer vom 12. bis 23. Lebensjahr hochsignifikant zu (p < 0,001) und es kommt zu einem Schereneffekt, der sich ab der Pubertät zu Gunsten der Männer zu öffnen beginnt. Die Entwicklung der Sprungkoordination ist beim männlichen Geschlecht im Altersverlauf hochsignifikant (p < 0,001), bei den Mädchen kam es jedoch im Alter von 15 Jahren zu einer Stagnation der Leistung, was bedeutet, dass die Jungen ab einem Alter von 15 Jahren ein hochsignifikant besseres Ergebnis erzielten (p < 0,001) (Raschner, 2013). Durch den Wachstumsschub in der Pubertät generiert der männliche Körper ein besseres Last-Kraft-Verhältnis. Die längeren Gliedmaßen sind für großmotorische koordinative Bewegungen ebenfalls von Vorteil (Raschner, 2013).

In Bezug auf das Gleichgewicht nimmt die Leistungsfähigkeit bei beiden Geschlechtern im Altersverlauf ab (Ahnert & Schneider, 2007). Das Gleichgewicht entwickelt sich im Altersverlauf früh und wird im Erwachsenenalter automatisiert (Steindl et al., 2006). Schedler et al. (2020) konnten einen signifikanten Einfluss des Alters (p = 0,008) auf das Gleichgewicht bei Jugendlichen im Alter von 14/15 Jahren nachweisen, gerade in diesem Alter spielt das visuelle System eine wichtige Rolle für die Ausprägung des Gleichgewichts, da der Einfluss des visuellen Systems mit ca. 15 Jahren fertig entwickelt ist (Steindl et al., 2006). Raschner et al. (2017) und Jastrzębska (2020) bestätigen dieses Ergebnis. Ab dem Alter von 15 Jahren zeigte sich ein signifikanter geschlechterspezifischer Unterschied zu Gunsten der Mädchen (p < 0,05), welcher sich durch den Wachstumsschub in der Pubertät erklären lässt. Die Längenverhältnisse der Extremitäten verändern sich und verschaffen den Mädchen einen Vorteil, da sie kürzere Extremitäten und ein breiteres Becken haben, was zu einem tieferen Schwerpunkt führt, der die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts erleichtert (Raschner et al. 2017).