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Konzeption als Pendantbild

II. DIE EINLEITUNGSSZENE: COMHALS TOD UND FINGALS

3. Konzeption als Pendantbild

Die laut Daniel von Runge anfangs geplante, aber nicht ausgeführte zweite Einlei-tungsszene sollte die Entstehung des Hasses zwischen Starno, dem König von Lochlin (Skandinavien), und Fingal darstellen: “Starno, Annir’s Sohn, ist der finstre Fürst von Lochlin. Er erschlug einst − als sein Vater gestritten hatte mit dem (Corman), der die Seele seiner Tochter (Foina) liebte, und überwunden war die Schwester und ihren Geliebten im Schlaf, da lachte die Hölle in Annir’s Seele. Starno, der finstre Sohn, hat nun (im Gedichte Cathloda) die Herrschaft von Lochlin. Fingal, der Sohn des lichten Selma’s, hatte vorhin Agandecca, die Tochter Starno’s, geliebt; überwunden war Starno von Fingal, dafür wollte er ihn auf der Jagd ermorden; Fingal’s Geliebte warnte diesen und er erschlug seine Mörder; da rannte Starno die Agandecca nieder. Swaran, ihr Bruder, trauerte um die Schwester, doch stritt er gegen Fingal’n in der Kraft seiner Ju-gend. − Bild: Annir, trauernd unter erschlagenen Haufen, wird erfreut durch Starno’s blutige Lanze, triefend vom Blut der, auf einsamem Hügel im Schlaf erschlagenen, Schwester und ihres Geliebten".238)

Die geplante Komposition behandelt somit eine weit zurückliegende Episode aus der Jugendzeit Starnos, die dieser seinem Sohn Swaran im dritten Gesang des Gedichtes

“Kathloda” erzählt.239) Der “finstre Fürst von Lochlin” will mit der Geschichte seines grausamen Mordes an der eigenen Schwester den Sohn dazu ermutigen, seinen großen Gegenspieler Fingal, den “Sohn des lichten Selma’s”, ebenso hinterhältig zu töten.

236) Klenze an Ludwig I., 8. März 1821. Zitiert nach Stolz 1977, S. 69 und Anm. 176. Dazu Traeger 1987, S. 65. Zum Hermannsdenkmal Schmidt 1892, S. 134. Dazu auch Traeger 1987: Walhalla, S.

77 f.

237) Mittig/Plagemann 1972, S. 239.

238) Daniel, Entwürfe: HS I, S. 266 f. Wie Traeger, Kat. Nr. 329 bemerkt, wird die Szene bei Nagler, Bd. 14, 1845, S. 51 irrtümlich auf “Comhals Tod und Fingals Geburt” bezogen.

239) Stolberg, Bd. 1, S. 31 − 37.

Damit bezieht sich die zweite Einleitungsszene auf das Geschlecht von Lochlin, das in der Dichtung durch Bosheit, Niedertracht und Haß charakterisiert wird und dem Stamm des Tugendhelden Fingal im Kampf entgegentritt. Im Hinblick auf den alles übergrei-fenden Dualismus von Licht und Finsternis, der Runges Weltbild unter dem Einfluß des deutschen Mystikers und Theosophen Jakob Böhme (1575 − 1624) begründet, drängt sich eine Interpretation des Blattes “Comhals Tod und Fingals Geburt” im Kontext die-ser nicht verwirklichten Szene geradezu auf.240)

Danach ließe sich die Entstehung des Hasses zwischen dem göttlichen Prinzip des Lich-tes (Fingal und das Geschlecht von Morven) und der Finsternis als dem Prinzip des Bö-sen (Starno, sein Sohn Swaran und das Geschlecht von Lochlin) als die “erste geistige Existenz der Welt” verstehen, in der beide Pole als die “unendlichen Kräfte (...) alle Er-scheinungen verschlingen” und in denen alle Dinge “in ewiger Erzeugung und Auflö-sung” leben.241) Die Verdrängung der Finsternis durch das Licht erklärt sich aus Run-ges Auffassung vom Universum als erster und letzter Qualität: “Die Finsterniß kann das Licht nicht zerstören, wohl aber kann das Licht alle Unwahrheit und Falschheit und Thorheit des Bösen auseinandersprengen in alle vier Winde des Himmels.”242) In sei-nem Brief an Stolberg hatte Runge jeder der drei Heldengestalten Fingal, Oskar und Ossian sowie deren Vorfahr Trenmor jeweils eine Himmelsrichtung zugeordnet, die in Übereinstimmung mit der Textvorlage den Schauplätzen ihrer großen Siege über den Feind entsprechen.243) So wird im Handlungsgeschehen des Ossianischen Epos ein Kampf zwischen Gut und Böse ausgetragen, der sich auf Runges religiös geprägtes Po-laritätsdenken vom feindlichen Kampf zwischen Licht und Finsternis als den Grund-mächten der Welt übertragen ließ.

Wie in der Ossianischen Dichtung vorgegeben, verknüpfte Runge die zweite Einlei-tungsszene gedanklich mit der ganz ähnlichen Geschichte vom Tod der Agandekka, die als Geliebte des jungen Fingal von ihrem Vater Starno aus Haß getötet worden war.244) Der aus Bergamo stammende Maler und Akademielehrer in Carrara Enrico Scuri (1805

− 1884) gestaltete die sentimentale Szene in einem großfigurigen Historienbild, das deutlich von römischen Einflüssen geprägt ist (Abb. 58). Im Katalog der “modernen Schule der k. k. Gemäldegalerie” aus dem Jahr 1861 wird das Gemälde so beschrieben:

240) Zu Böhme s. Traeger, S. 54 − 56. Matile 1979, S. 117 − 129. Möseneder 1981, bes. S. 30 f., 74.

241) Gedanken und Erörterungen, Farbenlehre: HS I, S. 141, 161 f.

242) An Pauline, 9. März 1803: HS II, S. 203.

243) An Stolberg, Frühjahr 1805: HS I, S. 261.

244) Der Tod Agandekkas wird ausführlich im dritten Gesang des Buches “Fingal” erzählt. Vgl. Stol-berg, Bd. 2, S. 81 − 89. Dazu Anhang, S. 37, Z. 25.

“Starno, König von Lochlin, zeigt seinem Feind Fingal seine eben von ihm ermordete Tochter Agandecca, weil sie Fingal, ihren Verlobten, vor den Anschlägen des Vaters gewarnt hatte”.245) Bemerkenswert ist dabei die historisierende Kostümierung des Königs von Kaledonien durch den sogenannten “Schottenrock”, den die hochländischen Clans als Tracht mit jeweils eigenen Farben und Karomustern trugen. Seit der Unter-werfung Schottlands durch die Engländer im Jahr 1746 war das Tragen der traditionel-len “Kilts” oder “Tartans” durch einen Parlamentsbeschluß verboten. Mit der Aufhe-bung dieses sogenannten “Dress Act” 1782 löste das “Schottenkaro” sogar auf dem Kontinent eine regelrechte Modewelle aus.246) Es sei hier bereits erwähnt, dass auch Runge in seinem Bemühen um Authentizität den Kilt als Kleidung für Fingal und seine Krieger wählte.

Die vermutlich auf ein klassisches Vorbild zurückgehende Zeichnung Abildgaards zeigt Agandekka mit dramatisch-erregter Geste, wie sie Fingal vor ihrem Vater warnt und bit-tet, daß er sie dessen Wut entreiße (Abb. 59).247) Der tragische Tod der jungen Gelieb-ten war auch eine bevorzugte Ossian-Szene des Abildgaard-Schülers Christian Gottlieb Kratzenstein-Stub (1783 − 1816), der 1809 in Thorwaldsens Atelier in Rom die Zeich-nungen Kochs gesehen hatte (Abb. 60).248)

Für Runge bedeuteten die erhabenen Gefühle von Liebe, Edelmut und Tapferkeit jedoch geistige Entfaltungsstärken, die über die individuelle Sphäre des Erlebens weit hinaus-greifen, indem sie die menschliche Seele − Abbild der lebendigen Kraft, “wodurch Himmel und Erde geschaffen sind”249) − an ihren göttlichen Ursprung zurückbinden können. Denn in den Augen des Künstlers haben die in der Welt wirkenden Gegensätz-lichkeiten ja ihre gemeinsame Wurzel in Gott. Diese grundsätzliche Einheit der mannig-faltig strukturierten Welt im Zentrum des Göttlichen offenbart sich jedoch nur der von Liebe gnadenhaft durchdrungenen Seele. “Wie man sich in der Schule zersplittert in tausend wissenswürdige Dinge, so geschieht wieder die Verbindung in uns durch die Liebe: das ist die alte Sehnsucht zur Kindheit, zu uns selbst, zum Paradiese, zu Gott, diese ist, meyne ich, die Sehnsucht, das Ich und Du zu verbinden, daß es einst wieder werde, wie es gewesen ist in Gott”, schrieb Runge 1803 über die vereinigende und

245) Zit. nach Ausst. kat. Wien 1989, Kat. Nr. 37.

246) Brown 1971, Bd. 3, S. 329.

247) Ausst. kat. Hamburg 1974, Kat. Nr. 13. Zur Zuschreibungsproblematik der Zeichnung aufgrund ihrer stilistischen Nähe zu dem schwedischen Bildhauer Tobias Sergel (1740 − 1814), einem en-gen Freund von Abildgaard, vgl. Skovgaard 1989.

248) Ausst. kat. Hamburg 1974, Kat. Nr. 48, 49, 50.

249) 1801 in Dresden: HS I, S. 4.

hebende Kraft der Liebe.250) Auch diese Vorstellung fand er in den Liedern Ossians aus vermeintlich längst vergangener Zeit bestätigt.

So weigert sich Swaran, der Trauer über den Tod seiner Schwester Agandekka empfun-den hat, seinen Feind Fingal aus dem Hinterhalt zu töten und antwortet seinem Vater Starno: “Nein, Sohn von Annir (...) nicht/In Schatten werd’ ich schlagen! ich wall’

hervor in Licht”.251) Später, im dritten Gesang des Buches “Fingal”, das von den gro-ßen Kämpfen zwischen Fingal und Swaran in Irland handelt, erblickt der König von Morven im gegnerischen Heer plötzlich “den Sohn von Starno, da dacht’ er an Agan-dekka,/Es hatte Swaran geweint mit der Jugend Thränen/Um die Schwester mit weisser Brust! Es sandte Fingal/Des Gesanges Mund, den Ullin, zu laden Swaran/Zu der Mu-scheln Mahl; die Erinn’rung erster Liebe/Besuchte noch hold des mächtigen Fingal’s Herz”.252) In der Nacht vor seinem Sieg über Swaran erscheint Fingal im Traum der Geist der Agandekka. Sie weint darüber, daß ihr Volk unter der Führung ihres Bruders dem von ihr geliebten Fingal unterliegen wird, eine Szene, zu der es von Koch eine Zei-chnung gibt (Abb. 61).253) So erinnert der König von Kaledonien am nächsten Tag seine Helden daran, daß der gefesselte Gegner Swaran der Bruder seiner Jugendliebe Agandekka sei und mahnt sie: “In Freude wandelt/Ihm seinen Harm”.254) Im sechsten Gesang des Buches “Fingal” heißt es schließlich: “O Bruder von Agandekka! hell wie der Strahl/Des Mittags scheinet, besucht sie mein traurend Herz!/Du weintest Thränen, ich sah’s für die Schöne! Dein/Auch schont ich, als roth von Mord, in den Hallen Star-no’s,/Das Schwerdt mir war, und der Blick von Thränen voll”.255) Es folgt die Versöh-nung zwischen Fingal und Swaran, die von Runge im Sinne einer Aufhebung des welt-lichen polaren Widerspruchs, ermöglicht durch die Liebe als Prinzip der Vereinigung, interpretiert wurde. Im Zusammenhang mit der Kampfthematik der ausgeführten

250) An Pauline, April 1803: HS II, S. 209. Zur Bedeutung der “Liebe” in Runges Weltbild Traeger, S.

77 f. Matile 1979, S. 109. Zuletzt Leinkauf 1987, S. 43 − 51.

251) Stolberg, Bd. 1, S. 35. Kurz darauf besiegt Fingal seinen Feind Starno im Zweikampf, verschont den Besiegten jedoch im Gedanken an dessen Tochter Agandekka.

252) Stolberg, Bd. 2, S. 100. Dazu Anhang, S. 8, Z. 17 f. Vgl. auch den ersten Gesang des Gedichtes

“Kathloda”: “Vergess ich den Strahl des Lichts, die Königstochter mit weissen Händen”. Stolberg, Bd. 1, S. 4, dazu die Anmerkung auf S. 296 mit dem Hinweis, die Geschichte der Agandekka werde “umständlich im dritten Gesange des Gedichtes ‘Fingal’ erzählt”.

253) Stolberg, Bd. 2, S. 125 f. Dazu Anhang, S. 40, Z. 12 ff. Vgl. auch Stolberg, Bd. 2, S. 113. Dazu Anhang, S. 39, Z. 33 ff. Die Zeichnung Kochs in Ausst. kat. Hamburg 1974, Kat. Nr. 31.

254) Stolberg, Bd. 2, S. 155. Dazu Anhang, S. 43, Z. 6 f. Vgl. auch Stolberg, Bd. 2, S. 143 f. (In der Schlacht tötet Fingal Mathon, einen der Helden Lochlins; der König erinnert sich an dessen Trauer über Agandekkas Tod und läßt ihm ein Grabmal errichten). Dazu Anhang, S. 42, Z. 11 ff.

255) Stolberg, Bd. 2, S. 191. Dazu Anhang, S. 45, Z. 20 f.

schen Ossian-Darstellungen soll Runges künstlerische Durchdringung dieser Sinnge-bung noch genauer untersucht werden.

Somit dürfte Runge die beiden Szenen “Comhals Tod und Fingals Geburt” und “Die Entstehung des Haßes zwischen Fingal und Starno” als inhaltlich aufeinander Bezug nehmende Pendantdarstellungen konzipiert haben. Diese “in unserm Künstler damals so vorherrschende Neigung, verschiedene Darstellungen in eine fortschreitende Verbin-dung zu bringen”, ist für die Zeichnung “Quelle und Dichter” und das Gemälde “Ruhe auf der Flucht” in einem Brief Runges vom 10. Mai 1805 belegt.256) Darüber hinaus hatte der Künstler bereits 1803 während seiner Arbeit an den “Vier Zeiten” deren zeitli-che Abfolge rhythmisch verschränkt und “Morgen” und “Abend” sowie “Tag” und

“Nacht” als Gegenstücke beschrieben.257)

256) An Schildener, 10. Mai 1805: HS I, S. 247 mit Daniels Anmerkung. S. oben S. 37 mit Anm. 140.

257) Die Paarbildung der “Vier Zeiten” bei Traeger, S. 51.

III. DIE CHARAKTERBILDER DER HAUPTGESTALTEN