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Konzept zur ganzheitlichen Betrachtung des betrieblichen Gesundheitsmanagements

3 Konzeptioneller Rahmen

3.2 Konzept zur ganzheitlichen Betrachtung des betrieblichen Gesundheitsmanagements

Ein grundsätzliches Problem des BGM zum derzeitigen Entwicklungsstand ist, dass betriebliche Gesundheitsförderung meist noch nicht strategisch in die Unterneh-mensprozesse integriert ist, sondern tendenziell durch betriebliche Einzelmaßnah-men umgesetzt wird. Dieser Fakt widerspricht der Forderung der WHO, die eine stär-kere Vernetzung unterschiedlicher, sich ergänzender Maßnahmen fordert. Durch ei-ne mangelnde strategische Ausrichtung könei-nen die Maßnahmen ihr volles Potenzial nicht umfassend entfalten.

Traditionelle Maßnahmen der Arbeitsgestaltung verfolgen das Ziel, gesundheits-schädliche Einflüsse in der Arbeitssituation so weit wie möglich zu reduzieren (siehe bspw. HACKER, 1991; KERN et al., 2005). Neuere BGM-Ansätze unterstützen zu-sätzlich die gesundheits- und kompetenzförderlichen Potenziale der arbeitenden Person (vgl. Kapitel 2).

Aus der psychologischen Perspektive finden sich durch Aufbau und Stärkung von Gesundheitsressourcen der Beschäftigten weitere Interventionsbereiche, bei denen

vornehmlich am Verhalten der arbeitenden Person, aber auch an externen Faktoren angesetzt wird. Ein solcher Ansatz kann durch das PSO-Modell veranschaulicht wer-den, das auf die Person (P), also z. B. Fähigkeiten und Fertigkeiten des Beschäftig-ten, die Situation (S), z. B. die Arbeitsplatzgestaltung, und die Organisation (O), z. B.

die Unternehmenskultur, fokussiert. Diese Basis führt zu der Annahme, dass das ge-sundheitliche Verhalten eines Beschäftigten durch die Faktoren (P), (S) und (O) so-wie deren Interaktionen P x S, P x O, S x O und P x S x O beschrieben werden kann.

Das heißt gesundheitsförderliches Verhalten wird nicht allein auf einen Faktor zu-rückgeführt, sondern es sind immer alle betrieblichen Komponenten beteiligt und müssen dementsprechend berücksichtigt werden. Darüber hinaus existieren mögli-cherweise „Versandungseffekte“, d. h. einer möglichen positiven Wirkrichtung von Faktoren, die die Gesundheit positiv beeinflussen, können unbekannte Störfaktoren entgegenwirken und somit einen möglichen positiven Effekt reduzieren oder sogar komplett aufheben, insbesondere da es sich bei BGF um dynamische Prozesse han-delt. Die damit verbundene Nachhaltigkeit ist meist durch eine einzige Intervention nicht gegeben. Diese Problematik wird in Abb. 3.4 verdeutlicht. Es ist somit wichtig, alle Einflussfaktoren eines Modells zu kennen, um die direkten bzw. indirekten sowie die positiven bzw. negativen Wirkungen zu identifizieren. Es muss weiterhin beachtet werden, dass die gewünschten Effekte (gerade im Falle von Prävention) gegebenen-falls erst nach längeren Zeiträumen auftreten und nur bei konsequenter Umsetzung entstehen.

Es ist möglich, die PSO-Faktoren und ihre Interaktionen durch statistische Verfahren sichtbar zu machen. Die Varianzaufklärung gibt Informationen darüber, welche posi-tiven Effekte existieren und wie stark diese Interaktionseffekte eine abhängige Vari-able (bspw. den Unternehmenserfolg) erklären.3

3 In der Statistik ist die Varianzaufklärung (beschrieben durch Bestimmtheitsmaß R2; siehe hierzu auch Kapitel 4.4)ein Maß für die durch ein Modell erklärte Streuung eines empirischen Datensatzes.

Die Varianzaufklärung erklärt somit die Wirksamkeit einer (oder mehrerer) unabhängigen Variable(n) auf die abhängige Variable (BORTZ & DÖRING, 2006). Daraus ergibt sich, welche Menge an Informa-tionen (unbekannte Variablen) zur Vollständigkeit des Modells fehlen. Ein Modell mit einer Varianzauf-klärung von 50 % beschreibt die abhängige Variable zu 50 % aus den gewählten unabhängigen Vari-ablen, aber lässt darauf schließen, dass weitere 50 % durch andere, unbekannte Faktoren erklärt werden können. Die Varianzaufklärung bezieht sich naturgegeben auf die Stichprobe. Im vorliegenden Fall sind die Modellaussagen somit in erster Linie für das Fallstudienunternehmen gültig (siehe Kapitel 5).

Organisation

Situation Person

Versandungseffekte Varianzaufklärung

Interaktionen

(zweifach/dreifach)

Abb. 3.4 Person, Organisation und Situation als Bezugsrahmen

Wenn beispielsweise persönliche Einstellungen verändert und Gesundheitswissen erworben wurde (P), die richtigen Anreize gesetzt werden (S) und die Kultur im Un-ternehmen das erwünschte Verhalten belohnt (O), ist die Wahrscheinlichkeit eines gesundheitsbewussten Handelns der Mitarbeiter erheblich höher. Deshalb ist es notwendig, (P), (S) und (O) Faktoren bei der Planung und Evaluation von BGF-Maßnahmen zu berücksichtigen. Tab. 3.1 zeigt Beispielmaßnahmen der Verhaltens- und Verhältnisprävention, die auf die Person, die Situation oder die Organisation ab-zielen.

Tab. 3.1 Beispielmaßnahmen in der Verhältnis- und Verhaltensprävention der Belüftung Fenster einbauen;

Grünpflanzen anschaffen

S Ernährung Gesunde Ernährung schulen und in der Kantine anbieten

PxO

Lärm Schalldämpfung von Maschinen oder

Es ist davon auszugehen, dass die technisch-ergonomische Situationsgestaltung (S) in den Betrieben bereits weitgehend optimiert ist (MÜLLER-GETHMANN et al., 2003). Hingegen weisen psycho-soziale Faktoren, die sich oft aus organisationalen Faktoren, wie Führung und deren Interaktionen mit Personen (PxO), ergeben, noch erhebliches Verbesserungspotenzial auf. Laut KASTNER (2006) resultiert somit aus den Interaktionseffekten von P, S, und O die höchste Varianzaufklärung menschli-chen Verhaltens in Organisationen. Somit sind es diese Faktoren, die als die relevan-ten Stellschrauben für eine optimale Passung der Interaktionen fungieren.

4 Legende: Fokus auf P (=Person), S (=Situation), O (=Organisation) oder deren Interaktion (=x)

In der betriebswirtschaftlichen Logik werden oft nur diejenigen Faktoren und Maß-nahmen in die Entscheidungsfindung einbezogen, deren ökonomische Kosten- und Nutzenrelation bewertbar ist. Betriebliche Effekte beruhen jedoch auch stark auf den Verhaltensweisen, den Fähigkeiten und dem Commitment der Beschäftigten, die sich in Leistungsparametern und damit ebenfalls in betriebswirtschaftlichen Kennzahlen niederschlagen. Angelehnt an die Wertschöpfungskette nach PORTER (1985), die ein Grundkonzept für strategische Planung darstellt, gilt es hier vor allem, die Effekte zu identifizieren, die den Erfolg beeinflussen. KASTNER (2006) hat diese Logik an-hand des Behaviour Evaluation Model (BEM) operationalisiert (vgl. Abb. 3.5). Im Ge-gensatz zum originären Modell von Porter liegt der Fokus dieser Variante stärker auf organisationspsychologischen Ursache-Wirkungsbeziehungen, die wiederum Ein-fluss auf Erfolgsgrößen nehmen.

Person

Abb. 3.5 Logik des BEM-Modells (KASTNER, 2006)

Das BEM identifiziert relevantes (hier: gesundheitsförderliches) Verhalten der Be-schäftigten und beschreibt das Zustandekommen dieses Verhaltens über die oben beschriebenen Faktoren der Person, der Situation und der Organisation sowie deren Interaktionen. Das Modell basiert auf der Logik der „Systemverträglichen Organisati-onsentwicklung“ (Kastner, 1998), die auf den drei Hauptbereichen Personalentwick-lung, Organisationsentwicklung und Personalpflege basiert. Um die Effekte einer Verhaltensänderung messen zu können, sind definierte Leistungsparameter (hier:

empirisch zu erfassende Erfolgsfaktoren wie Produktivität oder Qualität) notwendig, anhand derer die Resultate der BGF-Maßnahmen veranschaulicht und ihre Erfolge bewertet werden können. So lassen sich gesundheitsbezogene „Wertschöpfungs-prozesse“ abbilden, die sowohl steuerbar als auch zu bewerten sein können.

Im Fokus des Modells steht die inhaltliche Evaluation von Verhaltens- und Erlebens-prozessen. Im Rahmen dieser Evaluation werden die komplexen psychologischen Ursache-Wirkungsbeziehungen zu Faktoren zusammengefasst (z. B. Coping oder Motivation), die wiederum Auswirkungen auf die Unternehmensprozesse haben. Ein solcher Effekt ist beispielsweise, dass eine gesunde Belegschaft höhere Produktivität aufweist bedingt durch verschiedene psychische und physische Faktoren, die im Rahmen dieser Untersuchung aufgezeigt werden sollen.

Bei einer statistischen Analyse der Effekte muss berücksichtigt werden, dass die Komplexität der Ursache-Wirkungsbeziehungen in Bezug auf Gesundheit eine Viel-zahl von Effekten bedingen, die allein kein ausreichend großes Gewicht erreichen um Relevanz zu zeigen, aber in ihrer Summe dennoch von Bedeutung sein können.

Damit werden möglicherweise nur die zentralen Ursache-Wirkungsbeziehungen dar-gestellt. So ist bspw. der Zusammenhang zwischen persönlicher Leistung und Pro-duktivität ein direkter Effekt. Faktoren, die jedoch die persönliche Leistung beeinflus-sen (Gesundheit, Psyche, Motivation, Führung etc.) sind hinsichtlich der Produktivität indirekte Effekte, da sie über die Leistung des Mitarbeiters Auswirkungen zeigen. Die Möglichkeit zur Erfolgsanalyse von Ursache-Wirkungsbeziehungen im Rahmen des BGM stellt die Schnittstelle zur BSC dar.

Abb. 3.6 veranschaulicht das Vorgehen der Evaluation im Kontext eines BGM. Vor der Implementierung von gesundheitsfördernden Maßnahmen ist es sinnvoll und notwendig, die betrieblichen Realzustände, also die tatsächlichen Zusammenhänge im Rahmen von Gesundheit und Unternehmenserfolg, zu erfassen. Vor der Erfas-sung der Ist-Zustände ist es wichtig, einen Idealzustand unter gegebenen, nicht ver-änderbaren Umständen, zu definieren. Dieser Idealzustand stellt die optimalen Zu-sammenhänge von Gesundheit und Erfolg eines Unternehmens dar, die erreicht werden können/sollen. Hierzu können wertvolle Hinweise durch die Integration der Beschäftigten gewonnen werden. Durch die Integration von Mitarbeitern in die Ziel-findung ergibt sich zum einen der Vorteil, dass deren individuelle Bedürfnisse und Belange bzgl. Gesundheitsförderung erfasst werden können. Zum anderen führt die Beteiligung der Beschäftigten zu höherer Akzeptanz der BGF im Unternehmen. An-schließend wird durch den Abgleich von Ideal- und Realzuständen bestimmt, welche Interventionen erforderlich sind. Auf dieser Basis werden dann entsprechende Maß-nahmen durchgeführt und evaluiert. Nach Durchführung einer (oder mehrerer) Inter-vention(en) werden die Faktoren erneut erhoben um die Maßnahme hinsichtlich ihres Effektes auf das gewünschte Ziel (z. B. Verhaltensänderung) zu messen. Je nach angestrebtem Ziel kann sich die Evaluation auf Werte, wie Gesundheitszustand der Belegschaft, Mitarbeiterzufriedenheit und Commitment oder ökonomische Parameter beziehen. Vergleicht man die Investitionen mit dem Ergebnis der durchgeführten Maßnahmen kann letztlich die Abbildung des „Return on Investment“ und damit eine entsprechend fundierte betriebswirtschaftliche Begründung der BGF erfolgen.

Das BEM ist als alleinstehendes Modell zur Evaluation von Maßnahmen im Rahmen der „Systemverträglichen Organisationsentwicklung“ (KASTNER, 1998) entwickelt worden. Durch die Verbindung mit der BSC als Rahmenmodell wird das Verfahren dahingehend angepasst, dass der Gesundheitsevaluationsprozess (Idealentwicklung und Realmessung) als Grundlage für die Identifikation von psychosozialen Ursache-Wirkungsketten dient. So ermöglicht das BEM die Identifikation von Faktoren, die in der Lage sind, das komplexe Konstrukt „Gesundheit“ abzubilden und die als Grund-lage für die Ableitung von Kennzahlen innerhalb der BSC-Perspektiven herangezo-gen werden können.

Optimalzustand

Abb. 3.6 Behavior Evaluation Model (BEM)