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2.3 Das Phänomen der Bohrkanalerweiterung

2.3.9 Klinische Relevanz

2.3.9.1 Revisionsoperationen

Dem Phänomen der Bohrkanalerweiterung kommt in Hinblick auf Revisionsoperationen eine hohe klinische Relevanz zu.

Die Rekonstruktionen nach Verletzungen bzw. Rissen des vorderen Kreuzbandes werden in den USA jährlich an etwa 102 000 Patienten vorgenommen (OWINGS u. KOZAK 1998).

Ein Versagen dieser primären Kreuzbandersatzoperation tritt jährlich bei 3 bis 10% der US-amerikanischen Patienten auf, was sehr häufig einen erneuten operativen Eingriff nach sich zieht. Eine andere Studie aus dem Jahr 1996 schätzt die Revisionsrate 5-10 Jahre nach der Erstoperation auf 8% (WETZLER et al. 1996), eine weitere deutsche Studie gibt gemäß ihrer Untersuchungsergebnisse den Revisionsanteil mit 13% an (WIRTH u. PETERS 1998). Kinder und Jugendliche müssen sich wahrscheinlich weitaus häufiger einem erneuten operativen Eingriff am Knie unterziehen, da die Rerupturrate des Transplantates bei Heranwachsenden deutlich höher als bei erwachsenen Patienten ist (AICHROTH et al. 2002; BALES et al.

2004). In einer Studie von MCINTOSH et. al. (2006), in der bei 16 jugendlichen Patienten ein Kreuzbandersatz mit Hamstringsehnen durchgeführt wurde, lag die Revisionsrate bei 43,8%.

Ein Fehlschlagen nach Kreuzbandrekonstruktion liegt dann vor, wenn eine postoperative In-fektion aufgetreten ist, Schmerzen den freien Gebrauch des Gelenks verhindern, eine erhebli-che Bewegungseinschränkung vorliegt und das Knie instabil geblieben ist oder wieder wurde (KOHN u. RUPP 2000).

Ätiologisch teilen die Autoren das Misslingen in drei Kategorien ein: Zum einen werden ope-rationstechnische Fehler, zum anderen die mangelhafte Einheilung des Transplantates und ein erneutes Trauma als Ursachen angesehen. Andere Autoren beschreiben eine fehlerhafte Bohr-kanalpositionierung, eine erneute traumatische Einwirkung und eine posterolaterale Defizienz als Hauptfaktoren des Scheiterns des primären Kreuzbandersatzes (NOYES u. BARBER-WESTIN 2001).

Das Vorliegen einer Bohrkanalerweiterung kann die Revisionsoperation erheblich erschwe-ren. Die Schwere der Komplikationen ist abhängig von der Art der Fehlpositionierungen der initial gebohrten Knochentunnel. Diese fehlerhaften Bohrkanalplatzierungen treten sehr häu-fig bei Doppelbündelrekonstruktionen mit insgesamt drei gebohrten Knochenkanälen auf.

Diese Doppelbündelrekonstruktionen werden von vielen Autoren als die überlegenere Kreuz-bandoperationsmethode erachtet, da sie im Vergleich zur Einbündel-Technik der anatomi-schen Komplexität und Stabilität des nativen Kreuzbandes mit zwei Bandanteilen sehr nah kommen (RADFORD u. AMIS 1990). Allerdings konnten dieselben Autoren einige Jahre später diese Hypothese durch einen erneuten Vergleich der unterschiedlichen OP-Techniken im Schafmodell nicht mehr bestätigen (RADFORD et al. 1994). Es zeigte sich, dass bei der DB-Technik die Bohrkanalwände und der Gelenkknorpel verstärkt degenerierten (ossäre Re-sorption) und in Folge dessen die Kniegelenke instabiler wurden.

Da diese diffizile operative Technik sehr oft durchgeführt wird, spielt sie vor dem Hinter-grund der Fehlpositionierungsfrequenz der Bohrtunnel und der Revisionen mit dem erhebli-chen Einfluss des Phänomens der Bohrkanalerweiterung eine bedeutende Rolle.

Die Erschwerung von Revisionen bei vorhandenem „Tunnel Enlargement“ hängt von der Art der fehlerhaften Kanalplatzierung ab. Eine komplette Fehllage des primär gebohrten Tunnels deutlich zu weit ventral ist unproblematisch: der neue Kanal kann dorsal ohne Überlappung des alten angelegt werden. Schwierig wird es bei einer inkompletten Fehllage, hierbei wird ein neuer Kanal gebohrt, der sich mit dem alten überschneidet, wobei eine Fixation mit Inter-ferenzschrauben nicht mehr möglich ist, da diese auf die Integrität der Knochenwand an-gewiesen sind. Bei gleichzeitig vorhandenen Kanalaufweitungen ist eine korrekt anatomische Positionierung des Transplantates äußerst problematisch. Deswegen muss in diesem Fall der Defekt durch Kürettage mit autologem Knochen z.B. aus dem Tibiakopf oder Beckenkamm aufgefüllt werden (KOHN u. RUPP 2000).

Nach diesem ersten Eingriff muss die Einheilung dieser Knochenplastik abgewartet werden, wobei die Angaben über diesen Zeitraum sehr verschieden sind. So empfehlen einige Autoren eine Karenzzeit von sechs bis 12 Wochen (GETELMANN u. FRIEDMANN 1999) und an-dere vier bis sechs Monate bis zur eigentlichen Revision (OETTEL u. IMHOFF 1998). Auch bei anderen Faktoren, die eine korrigierende Operation notwendig machen, etwa ein erneutes Trauma des Gelenkbandes, muss bei einem erweiterten Bohrkanal trotz korrekter Platzierung des alten Kanals ein zweizeitiges Vorgehen erfolgen.

Wenn das Phänomen der Bohrkanalerweiterung nicht auftritt, kann die Durchführung dieser aufwändigen zweizeitigen Prozeduren in ihrer Zahl verringert werden. Deshalb sollte in Hin-blick auf Revisionsoperationen die Ausbildung eines „Tunnel Enlargements“ vermieden oder minimiert werden (KLEIN et al. 2003). Außerdem wird die Revision mit Doppelbündel-Transplantaten und drei Bohrkanälen bei gleichzeitigem Vorliegen einer stark ausgeprägten Bohrkanalerweiterung nicht angeraten (ZANTOP u. PETERSEN 2007).

2.3.9.2 Kniestabilität und Bohrkanalerweiterung

Von sehr großem Interesse ist auch der Zusammenhang einer postoperativ auftretenden Bohr-kanalaufweitung mit der Stabilität des Kniegelenks. Diverse ältere Studien konnten keinen Beweis dafür liefern, dass es eine Abhängigkeit zwischen klinischen Messergebnissen, wie etwa der AP-Translation als wichtiger Stabilitätsparameter und einer Erweiterung des Bohr-kanals nach vorderer Kreuzbandrekonstruktion gibt (AGLIETTI et al. 1998; CLATWORTHY et al. 1999; FINK et al. 2001; KLEIN et al. 2003). In einer Publikation aus dem Jahr 2005 wurde zwar beschrieben, dass die Laxizität und auch der Anteil von TE (≥ 2mm) bei extra-kortikaler Fixation (Gruppe B) deutlich häufiger auftritt als bei gelenknaher Befestigung (Gruppe A), aber eine Abhängigkeit konnte jedoch nicht bewiesen werden. So traten auch bei Ausschluss der Patienten mit Stabilitätsproblematik signifikant mehr TE in Gruppe B auf (FAUNO u. KAALUND 2005). Allerdings konnte eine andere Studie erstmalig und bisher alleinig eine signifikante Beziehung zwischen einem tibialen „Tunnel Enlargement“ und der anterioren Laxizität des Kniegelenks aufzeigen (WEBSTER et al. 2005). In der Studie von FAUNO u. KAALUND (2005) wurde außerdem die These aufgestellt, dass die ansteigende Steifigkeit des Transplantates bei gelenknaher transkondylärer Fixation einen Einfluss auf das Transplantatverhalten hat. Eine weitere Studie hob hervor, dass die funktionelle und

ge-wünscht hohe Steifigkeit weitgehend abhängig von der Fixation und in Hinblick darauf die gelenknahe Befestigung im Vergleich zum Endobutton® die überlegenere Methode ist (TO et al. 1999).