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2.2 Kreuzbandriss beim Hund

2.2.1 Klinik, Ätiologie und Pathogenese

Die Ruptur des cranialen Kreuzbandes ist und bleibt in der Veterinärmedizin das größte orthopädische Problem beim Hund (HARASEN, 2003). Bei Hunden ist, mit Ausnahme der akuten traumatischen Form, die genaue Ursache und Pathogenese der Kreuzbandruptur weiterhin unklar (DOOM et al. 2008). Im Gegensatz zum Menschen fehlt beim Hund oft im Vorbericht ein akutes Trauma als Auslöser des Kreuzbandrisses (GALLOWAY and LESTER, 1995; BARRETT et al. 2005). Die durch die Kreuzbandruptur bedingte schmerzhafte Gelenkinstabilität führt zur Lahmheit. Typisch sind wechselnde Perioden von verschiedenen Lahmheitsgraden (FREUDIGER et al. 1997). In einer Vielzahl von Fällen reißt innerhalb Jahresfrist auch das kontralaterale Band. Ohne Operation stabilisiert sich das Gelenk partiell durch die einsetzende Kapselfibrose, damit verringert sich die Lahmheit. Die trotzdem weiter bestehende, wenn auch verminderte Instabilität, schädigt vor allem den medialen Meniskus und den Gelenkknorpel und führt zur Osteoarthrose (NIEMAND u. SUTER, 2000). In einer Studie von GRIFFIN und VASSEUR (1992) zeigen 67% der untersuchten Hunde eine totale Ruptur und 15% eine partielle Ruptur. Dabei waren die Hunde mit partieller Ruptur signifikant jünger und zeigten milde bis mittlere Entzündungsvorgänge in der Synovialflüssigkeit. Jeder dritte Kreuzbandrisspatient erleidet 8 Monate nach der Ruptur eine weitere Kreuzbandrissruptur im kontralateralen Kniegelenk (POND u. CAMPBELL 1972;

BENNETT et al. 1988; DOVERSPIKE et al. 1993). Radiographisch dokumentiert wurde die signifikante Zunahme der Osteophytenformation, also der Progression von osteoarthritischen Prozessen, im kontralateralen Kniegelenk 6 bis 12 Monate nach einer Kreuzbandrissruptur (DE BRUIN et al. 2007 c). Dabei ist die Theorie umstritten, dass aufgrund des schmerzhaften instabilen Gelenks eine erhöhte Gewichtsbelastung zu ungunsten des kontralateralen Kniegelenks erfolgt und letztendlich zu osteoarthritischen Veränderungen führt (RUMPH et al. 1995). Osteophytäre Zubildungen entlang der femoralen Trochlea und der Area intercondylaris der Trochlea werden von TIRGARI (1977) als pathognomonisch für einen Kreuzbandriss angesehen.

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Laut DOOM et al. (2008) ist es zweifelsfrei, dass der cranialen Kreuzbandruptur beim Hund eine multifaktorielle Ätiologie und Pathogenese zugrundeliegt.

Alter, Rasse, Gewicht und Geschlecht sind alles Faktoren, die einen Einfluss auf die Entwicklung eines Kreuzbandrisses haben (GALLOWAY u. LESTER 1995). Nach BENNETT et al. (1988) sind typischerweise kleine bis mittlere Rassen fortgeschritteneren Alters (5-7 Jahre) betroffen oder es handelt sich um junge Hunde (1 bis 3 Jahre) der größeren Rassen (Rottweiler, Bernhardiner, Labrador Retriever, Dogge). HARASEN stellt in seiner Studie von 2003 in den vergangenen Jahren sogar eine Zunahme der Kreuzbandrisse bei jungen großen Hunderassen fest. Fortschreitendes Alter ist mit einer Degeneration des Kreuzbandes verbunden ebenso wie höheres Körpergewicht. Dabei liegen degenerative Veränderungen des Kreuzbandes bei Hunden über 5 Jahre vor, welche mehr als 15 kg wiegen (VASSEUR et al. 1985). Eine Rasseprädisposition für eine Kreuzbandruptur liegt vor allem beim Labrador Retriever und Rottweiler vor (WHITEHAIR et al. 1993). Eine Studie von COMERFORD et al. (2006) zeigt den histologischen Unterschied der parallel angeordneten Kollagenfasern beim Labrador Retriever zu der fibrokartilaginösen Formation der Kollagenfasern des Greyhounds, welche eine Adaption an extreme Bedingungen wie Hunderennen zu sein scheint. Auffallend ist, dass bei dem für Kreuzbandrisse prädisponierten Labrador Retriever eine höhere Anzahl von Kollagenfasern kleineren Durchmessers vorhanden ist als beim Greyhound, wobei letztere Rasse keine Prädisposition für einen Kreuzbandriss besitzt. Auch das Geschlecht scheint als prädisponierender Faktor für einen Kreuzbandriss eine Rolle zu spielen: beim Menschen erleiden weibliche Athleten wesentlich öfter einen Kreuzbandriss als männliche Sportler. Östrogen- Rezeptoren sind in Fibroblasten bei Kaninchen und Menschen in Kreuzbändern gefunden worden. Der Östrogen- Einfluss auf Fibroblasten ist nachgewiesen (INNES 2003). Auch bei Hunden ist vorwiegend das weibliche Geschlecht betroffen, in einer Studie von HARASEN (2003) waren 65% der Kreuzbandrisspatienten Hündinnen.

BENNETT (1990) hat Kreuzbandrupturen untersucht, welche mit einer Gonitis asssoziiert sind. Dabei wirkt der entzündliche Prozess so nachteilig auf das Kreuzband ein, dass dieses durch ein geringes Trauma reissen kann. Immunkomplexe und Antikörper gegen Kollagen 1 und 2, welche im Blut und in der Synovialflüssigkeit gefunden wurden, sind nach BENNETT (1990) nicht primär immunvermittelt, sondern wahrscheinlich ein sekundäres Phänomen.

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Diese Vermutung deckt sich mit den Ergebnissen von DE ROOSTER et al. (1999). Deren These ist, dass die durch die Kreuzbandruptur entstandene Gelenksinstabilität zusammen mit erhöhtem Gewicht zu einem mechanischen Schaden am Gelenkknorpel führt und daraufhin Antigene in Form von Enzymen, Kollagen und Knorpel frei werden, welches dem Immunsystem präsentiert wird, worauf die Produktion von Autoantikörpern eingeleitet wird.

Auch GRIFFIN und VASSEUR (1992) vertreten diese These. So ist für die Autoren die Kreuzbandruptur bei vielen Hunden ein progressiver Prozess mit einer entzündlichen Komponente in den frühen Stadien von Band- und Knorpeldegeneration. In einer Studie von DE BRUIN et al. (2007 a) wurde demonstriert, dass eine zelluläre Reaktivität der T-Lymphozyten im peripheren Blut gegen Kollagen- Typ 1 sowohl bei Hunden mit Kreuzbandriss vorhanden ist, aber ebenso bei gesunden schein- operierten Hunden am Kniegelenk und gesunden Hunden vorkommt. Ein Anstieg der Proliferation der Lymphozyten lag mehrheitlich bei den Hunden mit Kreuzbandriss vor, jedoch war kein Unterschied bezüglich der Lymphozyten Reaktivität zu Kollagen- Typ 1 zwischen Hunden, die einen Kreuzbandriss im kontralateralen Kniegelenk entwickelten und denen, die keine kontralaterale Ruptur erlitten, zu erkennen. Eine Aussage hinsichtlich einer Initiatorrolle der zellulären Immunantwort gegen Kollagen- Typ 1 beim Kreuzbandriss des Hundes kann nicht getroffen werden. Zukünftige Untersuchungen von Synovialflüssigkeit sollen klären, ob lokal im Kniegelenk eine zelluläre Reaktivität der T-Lymphozyten gegen Kollagen- Typ 1 existiert (DE BRUIN et al. 2007 a). Häufig ist der Kreuzbandriss mit einer lymphozytär-plasmazytären Synovitis assoziiert. Entzündungen in der Synovialmembran und entzündliche Veränderungen in der Synovialflüssigkeit bei Hunden mit Kreuzbandruptur sind schon mehrfach beschrieben worden (MUIR et al. 2005; GALLOWAY et al. 1995; LAWRENCE et al. 1998;

HEWICKER-TRAUTWEIN et al. 1999; GRIFFIN u. VASSEUR 1992; LEMBURG et al.

2004). Degenerative Gelenkserkrankungen werden nicht mehr als ein rein nicht-entzündlicher Prozess verstanden (DE ROOSTER et al. 1999). Die Ursache der chronischen Entzündung und welche Rolle diese Entzündung für den Mechanismus einer Kreuzbandruptur spielt ist unbekannt. Die Vermutung eines immunvermittelten Geschehens stützt sich auf die Tatsache, dass in der Synovialmembran IgG- und IgM- Antikörper vorhanden sind und die Entzündungszellpopulation auch zahlreiche dendritische Zellen enthält, welche das MHC II-

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Antigen exprimieren (MUIR et al. 2005 b; LAWRENCE et al. 1998; HEWICKER-TRAUTWEIN et al. 1999; LEMBURG et al. 2004).

Neuere Untersuchungen zeigen den Nachweis von Bakterien- DNA im Kniegelenk bei Hunden mit Kreuzbandriss (MUIR et al. 2007). Dieses bakterielle Material könnte als immunologischer Trigger für die Synovialitis fungieren. Dafür spricht auch der Nachweis einer erhöhten Expression von TLR-2 (toll-like-rezeptor-2) bei Hunden mit einer bestehenden Oligoarthritis nach Kreuzbandrissruptur, welcher eine Aktivierung durch bakterielle Lipoproteine erfährt. Eine Schlüsselrolle des TLR besteht darin, dendritische Zellen zu aktivieren um Th1 T-Zell Antworten zu unterstützen (MUIR et al. 2007). BARRETT et al.

(2005) untersuchten und verglichen bei caninen Kreuzbandrupturen als auch bei humanen Kreuzbandrupturen die Dichte Makrophagen-ähnlicher Zellen in der Synovialmembran, welche kollagenolytische Enzyme wie TRAP (Tartrate-resistant–acid-phosphatase) und Kathepsin K produzieren. In dieser Studie zeigte sich, dass signifikant mehr TRAP- positive Zellen und Kathepsin K- positive Zellen beim caninen Kreuzbandriss vorhanden sind als beim humanen Kreuzbandriss Die Autoren sehen Kreuzbandrisse bei den meisten Hunden als Endstadium einer immunvermittelten entzündlichen Arthropathie an, bei der Kathepsin K und TRAP zu einer irreversiblen Zerstörung des Kreuzbandes führen. Auch MUIR et al. (2005) zeigten, dass bei caninen rupturierten Kreuzbändern die mRNA von Matrixmetalloproteinasen wie MMP-2 und MMP-9 im Vergleich zu gesunden Kreuzbändern ansteigt. Dabei wurden die mRNA von TRAP und Kathepsin S nur in rupturierten Kreuzbändern nachgewiesen. Die Hypothese einer immunvermittelten Entzündung im Synovialgewebe wird durch die Tatsache gestützt, dass Kathepsin S an der Antigenpräsentation und am Matrixabbau beteiligt ist.

Kathepsin K ist sowohl im intakten Gewebe als auch im rupturierten Kreuzband enthalten.

KLOCKE et al. (2005) vermuten, dass Synovialmakrophagen in der Synovialmembran und der Gelenkkapsel von Hunden mit rupturierten Kreuzbändern proinflammatorische Zytokine wie Interleukin-6 und Tumor-Nekrose-Faktor-α produzieren und somit wesentlich beteiligt sind an der Entstehung von pathologischen Veränderungen wie der sekundären Osteoarthritis bei Kreuzbandrissen. Die Dichte der Synovialmakrophagen ist dabei positiv korreliert mit der Schwere der sekundären osteoarthritischen Veränderungen.

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Nach MUIR et al. (2005) sind immunvermittelte entzündliche Veränderungen wichtige Faktoren, welche klinische Erscheinungen wie chronische Lahmheit, bilaterale Erkrankung und die häufig auftretende Osteoarthritis beim Kreuzbandriss erklären könnten.

Die Frage bleibt offen, was sich zuerst entwickelt - die Synovialitis oder die Gelenksinstabilität und die Kreuzbandruptur. Dabei fehlen weitgehend Untersuchungen am Kniegelenk vor dem Eintritt einer Kreuzbandruptur (MUIR et al. 2005). Eine aktuelle Studie von DE BRUIN (2007 b) zeigt beim unilateralen Kreuzbandriss eine signifikante Interleukin-8 Expression im verletzten Kniegelenk nach Kreuzbandruptur beim Vergleich mit dem unversehrten kontralateralen Kniegelenk und bei Hunden mit medialer Patellaluxation. 6 Monate nach der Kreuzbandrissoperation war die Interleukin-8 Expression jedoch auch signifikant im kontralateralen Kniegelenk verglichen mit dem Schultergelenk angestiegen.

Diese Ergebnisse könnten darauf hindeuten, dass ein Entzündungsgeschehen bereits vor der Kreuzbandruptur existiert (De BRUIN et al. 2007 b). Die exakte Rolle von pro-inflammatorischen Zytokinen, anti-pro-inflammatorischen Zytokinen, Wachstumsfaktoren und Matrix abbauenden Enzymen wie Matrixmetalloproteinasen, Kathepsinen und TRAP bleibt weiterhin unklar (DOOM et al. 2008)

Stickstoffmonoxid (NO) spielt eine wichtige Rolle in der Initiation und der Progression von entzündlichen und degenerativen Gelenkerkrankungen (MURELL et al. 1996; EVANS et al.

1995). Stickstoffmonoxid bewirkt einen Knorpelabbau durch Verhinderung der Kollagen- und Proteoglycanproduktion (PELLETIER et al. 1998).

SPRENG et al. (2000) untersuchten die iNOS- (induzierbare Stickoxid Synthase) Produktion in der Synovialmembran und im kranialen Kreuzband. Während sich in der Synovialmembran die iNOS- Konzentration zwischen Hunden mit rupturiertem Kreuzband und gesundem Kreuzband nicht unterschied, sank die iNOS- Konzentration im rupturiertem Band im Gegensatz zum gesundem Band deutlich ab. Die Ursache ist den Autoren nach in der Unterversorgung des Blutkreislaufes im Band bei einer Kreuzbandruptur zu sehen. Aufgrund des Vorkommens von iNOS im gesunden Kreuzband wird vemutet, dass NO eine physiologische Rolle spielt. RIITANO et al. (2002) zeigen in ihrer Studie, dass Explantate von intakten Kreuzbändern iNOS-induziertes NO produzieren. Durch Stimulation der chondroiden metaplastischen Zellen des Kreuzbandes durch proinflammatorische Zytokine wie Interleukin-1 und Tumor- Nekrose- Faktor-α steigt die iNOS- Produktion an. Die Autoren

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gehen davon aus, dass die NO- Produktion eine Rolle im pathophysiologischen Prozess des Kreuzbandrisses spielt.

Nach BENNETT (1990) kann das Kreuzband außerdem durch andere Gelenksentzündungen wie rheumatoide, infektiöse und idiopathische Arthritis geschwächt werden. Eine valgoide Instabilität des Gelenks, welche für gewöhnlich nach Femurfrakturen oder Hüftluxationen folgt, wirkt sich ebenfalls nachteilig auf das Kreuzband aus. Auch eine Deformation der Tibia verändert die Biomechanik des Gelenks, woraus eine degenerative Gelenkerkrankung und eventuell die Ruptur des Kreuzbandes resultiert.