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1 Einleitung

1.2 Klassifikationssysteme der AML

Zur Diagnose der AML wurde 1976 von der French-American-British (FAB) Cooperative Group das erste große international anerkannte Klassifizierungssystem vorgestellt, welches vorwiegend auf morphologischen Kriterien der Zelldifferenzierung basiert und die AML bis zu Beginn der 90er Jahre in die Subtypen M0 bis M7 einteilt: [6]

M0: Undifferenzierte Leukämie

M1: Myeloische Leukämie ohne Ausreifung M2: Myeloische Leukämie mit Ausreifung M3: Promyelozyten-Leukämie

M4: Myelomonozytäre Leukämie M5: Monoblasten-Leukämie

5A: ohne Ausreifung 5B: mit Ausreifung M6: Erythrozyten-Leukämie M7: Megakaryozyten-Leukämie

In den letzten Jahren wurde diese Klassifikation basierend auf neuen Forschungsergebnissen weiterentwickelt und auch das Vorhandensein genetischer Aberrationen berücksichtigt. Bei fast 55 % der adulten AML-Patienten werden bei Diagnosestellung strukturelle und numerische klonale Chromosomen-Aberrationen (z.B. balancierte Translokationen, Inversionen, Deletionen, Insertionen, Trisomien und Monosomien) entdeckt. Diese chromosomalen Veränderungen stellen die wichtigsten prognostischen Faktoren für das Ansprechen auf therapeutische Maßnahmen und die Überlebensrate dar. Die Patienten wurden je nach zytogenetischen Veränderungen der leukämischen Zellen sowie deren Ansprechen

auf Therapie, rückfallfreies Überleben (RFS) und Gesamtüberleben (OS) in zusätzliche Klassifikationssysteme eingeteilt. [30]

Diese Systeme ordnen den AML-Patienten ein zytogenetisches Risikoprofil mit günstiger, intermediärer oder ungünstiger Prognose zu. [46, 79] Innerhalb einer Gruppe kann der klinische Verlauf sehr heterogen sein. Patienten mit der Translokation t(8;21)(RUNX1-RUNX1T1) oder der Inversion (16)(CBF- -MYH11), auch als Core-binding-factor (CBF)-Leukämien bezeichnet, haben einen prognostisch günstigen Karyotyp. [80, 99] Die Translokation t(15;17) mit dem Fusionsgen PML-RARA (Promyelocytic leukemia-retinoic acid receptor alpha) ist spezifisch für die akute promyelozytäre Leukämie (APL), einer mit am besten heilbaren Untergruppe der AML. Die initiale Therapie bestand aus einer Kombination von All-trans-Retinoidsäure (ATRA) und Anthrazyklin-basierter Chemotherapie. [105, 109] In zwei randomisierten Studien zur Therapie der APL wurde mittlerweile eine signifikant niedrigere Rezidivrate und eine bessere Überlebensrate mit der Kombination von ATRA und Arsentrioxid bei Patienten mit niedrigem oder intermediärem Risiko gegenüber der Therapie mit ATRA und Anthrazyklin-basierter Chemotherapie gezeigt. Daher stellt der chemotherapiefreie Ansatz mit Arsentrioxid und ATRA nun die aktuelle Erstlinientherapie für Patienten mit Standardrisiko dar. [10, 70, 93] Komplexe Karyotypen, definiert mit mehr als drei Chromosomenaberrationen und Chromosomenveränderungen wie -5/del (5q) des langen Arms von Chromosom 5 sowie ein monosomaler Karyotyp, wie der Verlust von Chromosom 7, sind mit einer ungünstigen Prognose verbunden. Komplexe Karyotypen machen ca. 10 - 12 % aller Patienten aus. [8, 12, 46] Fast 50 % der AML-Patienten weisen einen normalen Karyotyp (CN) auf und gehören mit allen anderen Patienten, die weder einer günstigen noch ungünstigen Risikogruppe zugeordnet werden können, zur größten Untergruppe mit intermediärem Risikotyp.

[13, 78]

Einen wesentlichen Fortschritt der Klassifizierung der AML stellt die aktuell gültige Einteilung der World Health Organization (WHO) dar, welche erstmals morphologische, zytogenetische und molekulargenetische Faktoren der AML berücksichtigt. 2008 wurden in die WHO-Klassifikation die molekularen Marker NPM1 (Nucleophosmin 1) und CEBP- (CCAAT/enhancer binding protein- ) als vorläufige Entitäten aufgenommen und diese in der aktuellen Versionvon 2016 um die AML mit biallelischen Mutationen von CEBP- und NPM1 als eigenständige

Entität, AMLmit BCR-ABL1 (Breakpoint cluster region-Abelson murine leukemia viral oncogene homolog 1) und mutiertem RUNX1 (Runt-related transcription factor 1) als vorläufige Entitäten ergänzt: [3, 113]

Tabelle 1: World Health Organization (WHO) Klassifikation der akuten myeloischen Leukämie (AML) und zugehörige Neoplasien; t = Translokation, RUNX1 = Runt-related transciption factor 1, inv = Inversion, PML-RARA = Promyelocytic leukemia-retinoic acid receptor alpha, BCR-ABL1 = Breakpoint cluster region-Abelson murine leukemia viral oncogene homolog 1, NPM1 = Nucleophosmin 1, CEBP- = CCAAT/enhancer binding protein- [3]

AML mit wiederkehrenden genetischen Anomalien - AML mit t(8;21)(q22;q22.1);RUNX1-RUNX1T1

- AML mit inv(16)(p13.1q22) oder t(16;16)(p13.1;q22);CBFB-MYH11 - AML mit PML-RARA

- AML mit t(9;11)(p21.3;q23.3);MLLT3-KMT2A - AML mit t(6;9)(p23;q34.1);DEK-NUP214

- AML mit inv(3)(q21.3q26.2) oder t(3;3)(q21.3;q26.2); GATA2, MECOM - AML (megakaryoblastisch) mit t(1;22)(p13.3;q13.3);RBM15-MKL1 AML mit Genmutation:

- AML mit BCR-ABL1 (vorläufige Entität) - AML mit mutiertem NPM1

- AML mit biallelischen Mutationen von CEBP -- AML mit mutiertem RUNX1 (vorläufige Entität)

AML mit myelodysplasie-verwandten Veränderungen

Im Verlauf der letzten Jahre haben sich diese zytogenetischen sowie molekular-genetischen Erkenntnisse als eine der wichtigsten prognostischen Faktoren der AML erwiesen, sowohl für die Risikostratifizierung der Patienten als auch im Hinblick

auf genotypspezifische Therapiekonzepte. Eine Expertengruppe des European LeukemiaNet (ELN) schlug 2010 aufgrund dieser Erkenntnisse eine neue standardisierte Einteilung für AML-Patienten, insbesondere für zytogenetische normale AML, basierend auf NPM1-, CEBP- - und FLT3 (FMS-like tyrosine kinase 3)-Mutationen vor, die die Patienten in 4 Gruppen einteilt: Niedrig-, Intermediär I und II- sowie Hoch-Risiko. [25] Diese Einteilung wurde 2017 von der ELN überarbeitet und auf die Gruppen Niedrig-, Intermediär- und Hoch-Risiko reduziert. RUNX1-, ASXL1 (Additional sex comb-like 1)-, und TP53 (Tumorprotein p53)-Mutationen wurden zur Hoch-Risikogruppe hinzugefügt. Weiterhin zeigten aktuelle Studien, dass Patienten mit NPM1-Mutation und FLT3-ITD (FLT3-internal tandem duplication) mit einer allelic ratio (Quotient aus Mutant- und Wildtyp-Allel) < 0,5 (FLT-ITDniedrig) eine günstige Prognose zeigen. Patienten mit Wildtyp-NPM1 und einer allelic ratio ≥ 0,5 (FLT-ITDhoch) weisen jedoch eine schlechte Prognose auf und wurden zur Hoch-Risikogruppe zugeteilt. Tabelle 2 stellt diese Zusammenhänge dar. [26]

Tabelle 2: Risikoeinteilung der akuten myeloischen Leukämie (AML) gemäß zytogenetischen und molekulargenetischen Veränderungen nach European LeukemiaNet;

t = Translokation, RUNX1 = Runt-related transciption factor 1, inv = Inversion, NPM1 = Nucleophosmin 1, FLT3-ITD = FMS-like tyrosine kinase 3-internal tandem duplication, CEBP- = CCAAT/enhancer binding protein- , BCR-ABL1 = Breakpoint cluster region-Abelson murine leukemia viral oncogene homolog 1, del = Deletion, abn = Abnormalität, ASXL1 = Additional sex comb-like 1, TP53 = Tumorprotein p53, DNA = Deoxyribonucleic acid [26]

Risikokategorie° Genetische Veränderungen

Günstig t(8;21)(q22;q22); RUNX1-RUNX1T1

inv(16)(p13.1q22) oder t(16;16)(p13.1;q22); CBFB-MYH11

NPM1-Mutation ohne/mit FLT3-ITDniedrig*

biallelisch mutiertes CEBPA

Intermediär NPM1-Mutation und FLT3-ITDhoch*

Wildtyp-NPM1 ohne ITD oder mit FLT3-ITDniedrig*

t(9;11)(p22;q23); MLLT3-KMT2A**

Zytogenetische Veränderungen weder als günstig oder ungünstig klassifiziert

* niedriges Allel-Verhältnis (< 0.5); hohes Allel-Verhältnis ( 0,5); semiquantitative Bewertung des FLT3-ITD Allel-Verhältnis (unter Zuhilfenahme von DNA-Analysen) ist definiert als Verhältnis der Fläche unter der Kurve „FLT3-ITD“ geteilt durch die Fläche unter der Kurve „FLT3-Wildtyp“; aktuelle Studien zeigen, dass eine AML mit NPM1-Mutation und FLT3-ITDniedrig auch mit einer günstigen Prognose einhergehen kann. Diese Patienten sollten keine routinemäßige allogene Stammzelltransplantation erhalten.

** Die Anwesenheit von t(9;11)(p21.3;q23.3) hat Vorrang vor seltenen, gleichzeitig auftretenden Mutationen mit ungünstigem Risikoprofil.

*** drei oder mehr nicht verwandte chromosomale Aberrationen beim Fehlen einer von der WHO (World Health Organization) bestimmten Translokation oder Inversion wie t(8;21), inv(16) oder t(16;16), t(9;11), t(v;11)(v;q23), t(6;9), inv(3) oder t(3;3)); AML mit BCR-ABL1

§ Definiert durch die Anwesenheit einer einzelnen Monosomie (ausgenommen der Verlust von X oder Y) in Assoziation mit mindestens einer zusätzlichen Monosomie oder strukturellen chromosomalen Veränderung (ausgenommen core-binding factor AML).

Diese Faktoren sollten nicht als ungünstige Prognosefaktoren angesehen werden, falls sie zusammen mit prognostisch günstigen AML-Subtypen auftreten.

# TP53-Mutationen sind signifikant mit einer AML mit komplexem und monosomalem Karyotyp assoziiert.

In Bezug auf die Risikostratifizierung und sich daraus ergebender spezifischer Therapiekonzepte der AML müssen neben diesen prognostisch sehr wichtigen zytogenetischen und molekulargenetischen Merkmalen jedoch noch weitere Patientencharakteristika wie zum Beispiel das Alter, die Begleiterkrankungen und der Allgemeinzustand sowie zuvor bestehende hämatologische Erkrankungen und eine hohe Leukozytenzahl bei Erstdiagnose berücksichtigt werden. [25, 28]