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־ Gerhard Teich, Kiel

2. Zur Klärung des Begriffs "Bibliographie"

2.1. Bibliographie, bibliotheca, Historia l i t t e r a r i a

Außerdem s o llte Bibliographie nicht eingeengt le d ig lich als Ti- t e l l i s t e , -katalog oder -Verzeichnis aufgefaßt werden. Das

Wort Bibliographie besitzt außer dem Sinninhalt "Buchbeschrei- bung" auch die Bedeutung von Buchkunde. Noch im 19. Jahrhundert verstand man in Deutschland die Bibliographie als die gesamte Wissenschaft vom Buch- und Bibliothekswesen. In diesem Verstand- nis t r i t t die Bibliographie an die Stelle der Historia l i t t e r a - r ia , so wie sie bei uns im vorigen Jahrhundert als selbständi- ges Fach gelehrt wurde: nämlich als Geschichte der Wissenschaft und der Wissenschaften, über die Bücher handeln.

Bereits als 1633 der später als Bibliothekar Mazarins bekannt gewordene Gabriel Naudé das Wort "bibliographia" als T ite l für seine "Bibliographia p o litic a . . . " schöpfte, legte er kein ein- faches Verzeichnis von Büchern vor. Vielmehr gab Naudé mit sei- ner Bibliographie eine wertende Einführung in das politikwissen- schaftliche Schrifttum seiner Zeit.

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Um die Wende vom 17. zum 18• Jahrhundert erscheint mit dem gleichen Inhalt wie das Wort Bibliographie 1•Bibliotheca” oder

"Bibliothek". Viele dieser damals entstandenen Werke - wie die

"Allgemeine Deutsche Bibliothek" - erweisen sich uns auch heu- te noch als eine unerschöpfliche Informationsquelle über die Ergebnisse wissenschaftlichen Bemühens, über Persönlichkeiten des wissenschaftlichen Lebens und über gelehrte Gesellschaf- ten oder Institutionen.

2.2 Dokumentation

Mit diesen "Bibliographien" und "Bibliotheken” strebten Ratio- nalisten und Aufklärer bewußt eine Ökonomisierung des wissen- schaftlichen Arbeitens an. Dieses spezielle Ziel gibt etwa s e it der Jahrhundertwende die Dokumentation als ihren Inhalt aus. Tatsächlich l e i t e t aber gerade der Begriff Dokumentation zur Bibliographie zurück. Dieser wenig bekannte Umstand soll hier kurz g e s tre ift werden:

Den Begriff "Dokumentation" erdachten die als Gründer des "In - s t i t u t International de Bibliographie" bekannten Paul Otlet und Henri Lafontaine. Sie erhielten 1903 von der Verwaltung der staatlichen Eisenbahnen Belgiens den Auftrag, zu deren 70.

Jahrestag eine Quellensammlung über Geschichte und Zustand der Staatsbahnen in Belgien zu veranstalten. Diese "Historia

l i t t e r a r i a " der belgischen Eisenbahn schloß außer Schrifttum und Biographien ihrer Begründer, Förderer und Manager auch Kar- ten, Bilanzen, Fahrpläne und T a riftabellen ein. Deshalb ver- zichteten Otlet und Lafontaine auf die Benennung Bibliographie und tauften ihre Quellensammlung "Dokumentation", ein Wort, das sich in diesem Zusammenhang sicher nicht von Dokument ab-

leiten läßt, wie es fälschlicherweise die neue "Brockhaus- Enzyklopädie" behauptet•

3• Historia l i t t e r a r i a und Südosteuropa-Forschunq

Die der Dokumentation zugedachten Aufgaben sind also durchaus nicht neu. Sie diskutierte bereits die frühe Aufklärung. Die

"bibliographiae", "bibliothecae" oder Historia l i t t e r a r i a s o

ll-ten wie die Dokumentation über die se it der Erfindung des Buchdrucks stetig steigende L ite ra tu rfü lle informieren und eine Ökonomisierung der Forschungsarbeit herbeiführen•

Die Ostforschung im engeren Sinn, das heißt speziell die Rußlandkunde, hat sehr früh über eine systematisch durchge- führte Literaturberichterstattung verfügt. Dafür schufen August Ludwig Schlözer und Anton Friedrich Büsching brauch- bare Instrumente, und Hartwig Ludwig Christian Bacmeister gab seine ” Russische Bibliothek" von 1772 bis 1787 mit der ausdrücklichen Absicht heraus, "Kenntniß des Zustandes der . . . Literatur in Rußland" zu vermitteln. Im Gegensatz dazu fe h lt es der Südosteuropa-Forschung als einer‘ selbständigen Wissenschaft in dem von F ritz Valjavec^ oder Franz Ronneber- ger^ definierten Verständnis noch in der Gegenwart an einer Konzeption, L ite ra tu r und überhaupt die für die Forschung vorgetane Arbeit systematisch bereitzustellen und den Be- darfsträgern zuzuführen•

Verständlicherweise konnte sich - auf Grund der politischen Verhältnisse - die Wissenschaft Südosteuropas als eines kom- plexen Gegenstandes nicht vor dem ausgehenden 19• Jahrhundert annehmen• Der Beginn der Südosteuropa-Forschung f ä l l t aber in eine Periode, als die Diskussionen über die Ökonomisierung der wissenschaftlichen Tätigkeit und über die Fragen der sinnvol- len Erschließung von Literaturquellen wieder einem Höhepunkt zustrebten• Es i s t die Zeit, als zahllose bibliographische Repertorien auf allen Gebieten entstehen, und in Budapest Ervin Szabó die Grundlagen für eine "Bibliographie oeconomica universalis" legt.

Es erscheint übrigens auch als eine besondere Aufgabe der Süd- osteuropa-Bibliographie, die Ursachen zu ergründen, weshalb die immer auf interdisziplinäres Zusammenwirken angewiesene Südosteuropa-Forschung der Sicherung ihrer Grundlagen und er- sten Ergebnisse durch Literaturdienste, Bibliographien oder kurzum einer Historia l i t t e r a r i a wenig Aufmerksamkeit schenkte.

Wie weit dieses Gebiet von der Südosteuropa-Forschung

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lässigt wurde, bezeugt der Umstand, daß der bisher bekannte früheste Versuch einer literarischen Quellensammlung über Süd- osteuropa verschollen i s t . Der 11Essai d'une notice b ib lio - graphique sur la question d*Orient", ein kumulierender Zusam- mendruck der Rezensionen über Südosteuropa aus der Z e its c h rift der "Société slave de Paris",läßt sich heute weder in deut- sehen noch in Bibliotheken des Auslandes nachweisen.

Eine laufende Literaturberichterstattung über Südosteuropa setzte sich vierzig Jahre später Leon Savadjan in Paris zum Ziel,die er von 1931 bis 1938 durchführte. Und läßt man die

"Osteuropäische Bibliographie", an der auch Josef Matl mit- wirkte, außer acht, die ebenfalls südosteuropäisches S chrift-

tum zwischen 1921 und 1923 erfaßt, so treten Deutsche erst zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg als Herausgeber einer selbständigen, allerdings retrospektiven und deshalb nicht aktuell unterrichtenden Bibliographierung des Schrifttums aus und über Südosteuropa mit der "Südosteuropabibliographie" in Erscheinung.

Ein Register der Ergebnisse der deutschen Südosteuropa-Forschung der Jahre zwischen 1938 und 1945 fe h lt überhaupt gänzlich. Al- lerdings sind seit dem Ersten Weltkrieg immer wieder sporadi- sehe Versuche einzelner nachweisbar, die sich um eine syste- matische Sammlung von Literaturquellen bemühen: Aber ein aktu- e lle r, kontinuierlich laufender, zentral nach den Bedürfnissen der Südosteuropa-Forschung ausgerichteter Informationsfluß i s t niemals zustande gekommen, und wir ermangeln seiner heute wie eh und je.