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־ Gerhard Teich, Kiel

4. Bibliothek und Südosteuropa-Forschung

Zustand und Lage der Südosteuropa-Bibliographie decken ein weiteres gewichtiges Hemmnis der Südosteuropa-Forschung auf.

Die weite Streuung der Literaturinformationen über Südosteuro- pa r e fle k tie r t den Mangel zentraler Buch- und Schrifttums- Sammlungen über Südosteuropa. Bleiben Universitäts- und sonsti ge Universalbibliotheken unberücksichtigt, verfügt die Bun- desrepublik nur über zwei Stellen - nämlich in Kiel und in München -, an denen je eine wissenschaftliche Kraft ausschließ

lie h mit der Sammlung und Erschließung von Südosteuropa-Lite- ratur betraut i s t . Die Existenz einiger ausgezeichneter Spe- zialsammlungen und einiger guter Institutsbibliotheken bestrei te t diese Feststellung nicht.

Kleinere Büchereien, denen auch die In s titu t s - und Seminar- bibliotheken zuzuordnen sind, erweisen sich für die gegenwär- tige Südosteuropa-Forschung höchstens bedingt nützlich. Sie besitzen selten - eigentlich nirgends - eine ausreichende per- sonelle und technische Ausstattung, um Auskünfte, thematische

Titelselektionen oder Reproduktionen gesuchter Texte bereitzu- stellen• Als Präsenzbibliotheken bleiben sie außerdem der aus- wärtigen Benutzung im allgemeinen verschlossen.

Darüber hinaus i s t es überhaupt bei uns schwierig, die Ein- richtungen zu ermitteln, die literarisches oder sonstiges Quellenmaterial über Südosteuropa verwalten. Nur langwährende Beschäftigung mit einem Sondergebiet oder eine zufällige, per- sÖnliche Information bringen den mit einem speziellen Problem der Südosteuropa-Forschung Beschäftigten mit gesuchten Daten oder Unterlagen zusammen. Der einzelne bleibt auch heute noch - im Z e italte r der Massenmedien und Elektronik - auf seine Erfahrung und auf die mündliche Überlieferung verwiesen, be- r e it e t er den Stoff für ein neues Forschungsvorhaben vor. In diesem Stadium seiner wissenschaftlichen Tätigkeit sieht er sich gewissermaßen in eine präliterarische Situation versetzt•

Im Gegensatz zum Beispiel zur bulgarischen oder rumänischen kann die deutsche Südosteuropa-Forschung nicht auf ein Hand- buch über oder einen Führer durch die mit Südosteuropa befaß-

ten In s titu te und Sammlungen zurückgreifen.

Die Mängel bei der bibliothekarischen Bearbeitung Südosteuro- pas werden in der Bundesrepublik jedoch in absehbarer Zeit noch gravierender als heute in Erscheinung treten. Nach dem von der UNESCO erstellten Jahrbuch, einer internationalen K u ltu rs ta tis tik , verdoppelt sich in einem ungefähren Rhythmus von zehn Jahren das Schrifttum aus Südosteuropa. Ungeachtet dessen blieb die Zahl der mit Südosteuropa befaßten wissen- schaftlichen Bibliothekskräfte seit etwa zwanzig Jahren kon- stant (nämlich 2). Ihre Leistungen lassen sich weder durch den Einsatz maschineller H ilfs m itte l noch durch sonstige Rationa- lisierungsmaßnahmen steigern. Ein sich stetig dehnendes Volumen des auszuwertenden Materials bei gleichbleibender Verarbei- tungskapazität schließt Spielraum für eine elastische Anpas- sung an diesen Prozeß aus. Die kontinuierliche Minderung der Sammlungsdichte bei den modernen Ergebnissen der

Südosteuropa-Forschung zeichnet sich deshalb unausweichlich ab. Diese Ent- wicklung kann auf die Dauer auch einen Niveauverlust der

deutschen Südosteuropa-Forschung implizieren.

Er hat sich auf einigen Gebieten schon ein g este llt. Deutsche Arbeiten über die Industrialisierung im Habsburger Reich, be- sonders über den ungarischen Teil, operieren zum Teil mit einer Erkenntnisbasis, die um 1931 lie g t, wie A. Paulinyi mehrfach nachgewiesen hat. Die in den letzten 40 Jahren im Ausland gewonnenen Resultate blieben in erheblichem Maße un- bekannt, weil entweder ihren Standort oder ih r Vorhandensein niemand anzeigte.

5• Ergebnis

Im Jahre 1963 hat das ” Science Advisory Committee" beim Fräsi-denten der Vereinigten Staaten eine Untersuchung über den An-t e i l der LiAn-teraAn-turrecherchen am Gesamtzeitaufwand des moder-nen wissenschaftlichen Arbeitens vorgelegt. Der als

"Weinberg-7 )

Report" bekannt gewordene Bericht e rm itte lt dafür einen Wert zwischen 40 % und 60 %. Diese Größen sind gewogene Mit-

t e l, die die Analyseh aus naturwissenschaftlichen und techni- sehen Bereichen einschließen. Sie müssen für die lit e r a t u r in - tensiven Sozial-, Geschichts- und Geisteswissenschaften - das eigentliche Feld der Südosteuropa-Forschung - also höher ange- setzt werden.

Chemie und Einzelgebiete der Technik haben durch adäquate L i- teraturdienste den Beweis erbracht, daß in erster Linie und fast ausschließlich die Reduzierung des Zeitaufwandes für L i- teraturrecherchen eine Senkung der Forschungskosten herbeizu- führen vermag. Diese Erfahrung nutzt mit Erfolg die industriel- le Großforschung. Neben einigen maschinellen Techniken bleibt die Historia l i t t e r a r i a oder Bibliographie des speziellen For- schungsgebietes wie s e it Humanismus und Aufklärung der zuver- lässigste Weg zur Ökonomisierung des wissenschaftlichen Arbei- tens. Ökonomisierung aber heißt: Mit knappen Mitteln hohe Er- gebnisse erbringen.

Dieser Tatsache s o llte sich die Südosteuropa-Forschung heute besonders bewußt sein• Ihre Einbeziehung in die Sonderfor- schungsbereiche der "Deutschen Forschungsgemeinschaft" ver- langt von ih r neue und schnell sichtbare Ergebnisse. Damit zu- sammenhängend i s t eine zunehmende A k tiv itä t der Südosteuropa- Forschung und eine steigende Zahl der an ih r beteiligten wis- senschaftlichen Kräfte zu erwarten. Ihre Leistungspotenz g i l t es im Rahmen der vorhandenen M itte l, haushälterisch zu nut- zen. Die dafür erforderliche Rezeptur haben Technik und ange- wandte Naturwissenschaften erprobt; die Wissenschaftswissen-

schaft hat im "Weinberg-Report" quantitativ die Richtigkeit dieser Methoden bestätigt. Tatsächlich kann es sich die Süd- osteuropa-Forschung nicht länger leisten, die Südosteuropa- Bibliographie in ihrem heutigen, unterentwickelten Zustand zu belassen. Zumindest kann das bibliographische Niveau der deut- sehen Rußlandkunde in der Mitte des 18• Jahrhunderts - also vor zweihundert Jahren - angestrebt werden.

Um zu diesem Ziel zu gelangen, wäre es jedoch wenig ra tio n e ll, für jedes Projekt der Südosteuropa-Forschung einen speziellen bibliographischen Apparat - in dem Sinne, wie Bibliographie hier verstanden sein w i l l - ins Leben zu rufen. Vielmehr i s t es an der Zeit, den Anregungen Franz Ronnebergers zu entspre-chen und die bestehenden bibliographisentspre-chen Einrichtungen in die Lage zu versetzen, den derzeitigen Anforderungen der Südost*־

europa-Forschung zu genügen8 )

In jedem Falle i s t es abwegig, die Südosteuropa-Biblioqraphie der persönlichen, zufälligen I n it ia t iv e einzelner zu überlassen•

Die Südosteuropa-Bibliographie bedarf der koordinierenden Steuerung einer zentralen S te lle .

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Anmerkungen:

1) Turczynski, Emanuel: Deutsche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Südosteuropas. In: East European Quarterly•

1 (1967/68) S. 297 - 340