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Von der Kanzlei auf die Herrschaften und wieder zurück – Aktenlauf eines Normtexts

Im Dokument ISBN 3-205-20354-2 (Seite 46-51)

Dekrete, die für einen größeren Adressatenkreis und/oder mehrere Herr-schaften bestimmt waren, wurden ebenso wie Zirkulare auf die Reise ge-schickt und mussten von den lokalen Obrigkeiten und Gemeinden bestätigt werden. Dies erfolgte durch ein sogenanntes „Praesentatum“122am Ende oder auf der Rückseite des Schriftstücks, womit der Beamte das Datum des Einlangens und somit den Beginn der Bearbeitung vermerkte. Zusätzlich sollte daneben notiert werden, wann das Schriftstück wieder auf die Reise geschickt wurde, quasi als Erledigungsbestätigung. Häufig wurde allerdings nur Eingangs- oder Ausgangsdatum vermerkt. Mit seiner Unterschrift quit-tierte der Beamte den Empfang des Schreibens, gelegentlich auch die Anfer-tigung einer Kopie desselben, danach schickte er es an die nächstgelegene Herrschaft, die meist namentlich erwähnt wurde, weiter. Nachdem es jede adressierte Station passiert hatte, musste das Original wieder an die Hof-kanzlei retourniert werden.

So nahm beispielsweise ein am30. März1703von Fürst Maximilian Jakob Moritz in Mährisch Kromau gefertigtes Dekret123, das die Einstellung des Wildbretschießens auf allen Herrschaften betraf, seinen Weg zunächst zur Kontrolle nach Wien in die Hofkanzlei, wo es am5. April publiziert und wie-derum nach Mährisch Kromau in die Hauptamtskanzlei retourniert wurde.

Am6. April dort empfangen, kam es acht Tage später in Wilfersdorf an, am nächsten Tag in Rabensburg. Am 16. April wurde die Ankunft in Steinitz bestätigt, am18. in Ungarisch Ostra, am21. in Prosnitz und schließlich am 22. April in Frischau. Danach wurde das Stück an die Hofkanzlei zurück-geschickt. Das Prozedere selbst wurde im Dekret bereits zusammengefasst, demnach musste das Stück anunserer gesambten herrschafften würtschaffts haubtleuthe hierob punctual undt ernstlich[. . . ] zugestellt werdenund solle dieses decretum zu jedermännigliches wissen erstlich in unserer fürst(lichen)

122Vgl.Hochedlinger, Aktenkunde,65f.

123Unten Nr.3.2.16.

hoff-canzelley, folgendts auf all unßeren herrschafften bey öffentlichen rath-schlägen publiciret undt zwar in Mähren sowol teutsch als ins böhmische transferirter abgelesen, hiervon allenthalben eine abschrifft genohmen und deme in jederzeit in allweeg unverbrüchlich gehor(sam) nachgekommen wer-den.124Dem ursprünglichen Entwurf wurde im Konzept zudem folgende Zeile (von der Hand Maximilians?) zu Abschrift und Verwahrung des Dekrets er-gänzt:abschrifft genohmen, patent-weis abgeschrieben, unßerer hoffcanzelley ad vidimandum eingeschickht, dan folgendts in der rathstuben semel pro semper aufbehalten.

Das Protokollieren der Arbeitsschritte zwang die Beamten dazu, rasch die entsprechenden Stücke zu bearbeiten und zu expedieren. Offenbar schien dies ein probates Mittel, um den Aktenlauf und die Beamten besser zu kon-trollieren und Säumigkeiten zu unterbinden. Diese Eingangsvermerke lassen es ferner zu, die Zeit-Weg-Relationen, also die zurückgelegten Distanzen in-nerhalb eines angegebenen Zeitraumes, zu rekonstruieren. Dabei stellt sich heraus, dass der Bote für kurze Distanzen häufig länger benötigte als für län-gere oder für dieselbe Distanz in zwei Beobachtungszeiträumen große Unter-schiede auftreten. Antworten auf diese Diskrepanzen würden sich vermutlich durch das Heranziehen von Aufzeichnungen etwa über die damaligen Wet-terverhältnisse, die hier nicht berücksichtigt werden können, finden. Aber nicht nur die Abhängigkeit von den Witterungsverhältnissen, auch die Stra-ßenbeschaffenheit oder die in die Verkehrsmittel investierten finanziellen Mittel stecken in diesen Daten.125Die Präsentatumvermerke selbst bringen aber noch weitere aufschlussreiche Erkenntnisse ans Licht. Abhängig vom jeweiligen Inhalt sowie vom Adressatenkreis werden in den Präsentatum-vermerken meist viele Wirtschaftsbeamte namentlich und in ihrer Funktion genannt, was in einigen Fällen erlaubt, einen Cursus honorum nachzuzeich-nen. Außerdem geht daraus hervor, über welche Herrschaften der Fürst zum jeweiligen Zeitpunkt verfügte, wenngleich – auch in diesem Zusammenhang abhängig vom Empfängerkreis – nicht immer alle Herrschaften genannt werden.

Wie unterschiedlich sich die Routen gestalteten und mit welchem Zeitauf-wand diese verbunden waren, illustriert ein unter Fürst Karl Eusebius von dessen Wirtschaftsräten gefertigtes Patent, das den Kastnern unter Andro-hung einer Strafe in der Höhe von 20Gulden das Verbot erteilte, eigenen

124Unten Nr.3.2.16, §8.

125Helmedach, Verkehrssystem,63, konstatierte einen direkten Zusammenhang zwischen der Briefbeförderungsdauer und dem für das Verkehrsmittel aufgewendeten Kapital, dem Zu-stand der Straßen im Zusammenspiel mit den Witterungsbedingungen sowie ausreichenden Postbetriebsmitteln (Pferde und Poststationen). Eine Optimierung und Intensivierung der vorhandenen Infrastruktur erfolgte in der Habsburgermonarchie erst unter Maria Theresia und Joseph II.

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1.4 Von der Kanzlei auf die Herrschaften

Ackerbau zu betreiben.126Das Stück datiert vom12. März1667und trägt die Unterschrift der drei Wirtschaftsräte. Neun Tage später langte das Patent beim Feldsberger Hauptmann ein. Von dort nahm es seinen weiteren Weg nach Mähren und Schlesien. Über die Stationen Lundenburg, Eisgrub, Posor-schitz, Butschowitz, Plumenau, Mährisch Aussee, Jägerndorf und Troppau wurde es schließlich am20. April in Hohenstadt empfangen (vgl. Tab.1: Route Feldsberg – Hohenstadt1667).

Tabelle 1: Route Feldsberg – Hohenstadt 1667

Ort Eingangsdatum

Feldsberg 21. März 1667

Lundenburg 23. März 1667

Eisgrub 25. März 1667

Posorschitz 27. März 1667

Butschowitz 29. März 1667

Plumenau 30. März 1667

Aussee 31. März 1667

Jägerndorf 4. April 1667

Troppau 5. April 1667

Hohenstadt 20. April 1667

Interessant ist, dass der Bote beispielsweise für die Strecke Feldsberg – Lun-denburg (etwa10km) ebenso zwei Tage benötigte wie für die etwa sechsmal so lange Strecke von Eisgrub nach Posorschitz, oder dass er die etwa60km lange Distanz von Butschowitz nach Plumenau innerhalb eines Tages zurücklegte.

Erstaunlich lang scheint auf den ersten Blick auch die letzte Etappe von Troppau nach Hohenstadt zu sein, allerdings wurde das Patent von Troppau erst am7. April zunächst wieder nach Jägerndorf zurückbefördert und von dort über Aussee etwa90km nach Hohenstadt übermittelt, Verzögerungen durch das Botensystem sind dabei einzurechnen.

Etwa ein halbes Jahrhundert später fällt die Zeit-Weg-Bilanz nicht viel besser aus, ab den1720er Jahren werden die Vermerke allerdings detaillier-ter. So wird dann nicht nur das Eingangs-, sondern auch das Ausgangsdatum am Schriftstück festgehalten, Zirkulare des Fürsten Joseph Wenzel weisen zudem die Tageszeit des Empfangs auf, was auf einen weiteren Kontrollme-chanismus hindeutet. Einige Präsentata einer Verordnung über den Umgang mit untertänigen Beschwerden und Bittbriefen aus dem Jahr1741127(siehe Tab.2: Route Feldsberg – Ebergassing1741) informieren zudem über die Art der Beförderung.

126Unten Nr.3.1.6.

127Unten Nr.3.3.17.

Tabelle 2: Route Feldsberg – Ebergassing 1741

Ort Eingangsdatum/-zeit Ausgangsdatum

Feldsberg 18.11.1741 19:00 18.11.1741

Eisgrub 19.11.1741 16:30 19.11.1741

Ostra 23.11.1741 8:00 23.11.1741

Steinitz 23.11.1741 13:00 23.11.1741

Butschowitz 23.11.1741 später Abend 23.11.1741

Posorschitz 24.11.1741 k. A. 24.11.1741

Mährisch Kromau 25.11.1741 12:00 Mittag 25.11.1741

Plumenau 27.11.1741 17:00 27.11.1741

Aussee 29.11.1741 k. A. 29.11.1741

Sternberg 29.11.1741 nachts 30.11.1741

Jägerndorf 1.12.1741 Abend 2.12.1741

Troppau 2.12.1741 14:00 3.12.1741

Rabensburg 9.12.1741 k. A. 9.12.1741

Wilfersdorf 10.12.1741 k. A. 10.12.1741

Lichtental 13.12.1741 k. A. 13.12.1741

Ebergassing 16.12.1741 17:30 k. A.

k. A. = keine Angabe

Unterschieden wird in dieser Verordnung zwischen der Express- und der ordinari-Beförderung. Die Einträge gestalteten sich demnach folgenderma-ßen:Praesentato Cromau, den25ten Novembris1741umb12uhr mittags und nach genohmener abschrifft per expressum nacher Plumenau exped(iert). Be-ziehungsweise: Praesentato Steinitz, den 23ten Novembris 1741 umb 1 uhr nachmittag und nach beschehener prot(okollierung) also gleich per ordi-nariam nacher Butschowitz befördert.Die Expresszustellung dürfte die er-wünschte Form gewesen sein, wie der Außenseite des Schriftstücks unter den adressierten Herrschaften zu entnehmen ist:per expressos zuzustellen und nach beschehener praesentir- und protocollirung widerumben anhero zur cantz(ley) zu remittiren.

Üblicherweise wurden die Normtexte durch die Ordinaripost oder die fürstlichen Ordinariboten auf den Weg gebracht, wie gelegentliche Einträge wissen lassen: Presentato Feldsperg, den21ten Marty1737nachmittag umb 3uhr und nach beschehener prothocollirung den andern tag hierauf als den 22ten eiusdem mit der fürst(lichen) ordinari zur hochfürstlichen vormund-48

1.4 Von der Kanzlei auf die Herrschaften

schaffts cantzley expediret.128Daneben gab es noch die (Wiener) Kanzleibo-ten. Der Weg von Station zu Station blieb dabei keineswegs dem Zufall und schon gar nicht dem Boten überlassen. Zwei erhaltene, nicht edierte Ordnun-gen129belegen, dass die Routen und Zeiten der fürstlichen Botengänge genau vorgegeben und einzuhalten waren. Wie sich an einem der beiden Stücke zeigt, mussten in Folge von Reformen immer wieder alle Botengänge aufein-ander abgestimmt werden. Gleichzeitig sind diese Botenordnungen ein Indiz dafür, dass der Fürst ein eigenes Netz an Privatboten unterhielt. Der Begriff ordinari, der dieses Botenwesen als eine regelmäßig stattfindende Übermitt-lung von Nachrichten ausweist, kommt aus dem Bereich des Postwesens.

Die Ursprünge der Ordinaripost liegen in den1530er Jahren, als erstmals auf der Strecke Augsburg – Antwerpen eine regelmäßige Postverbindung eingerichtet wurde.130Wann es zur Einrichtung des Botenwesens auf den liechtensteinischen Herrschaften kam und wie lange dieses aufrecht erhalten wurde,131konnte in diesem Rahmen nicht eruiert werden. Das Funktionie-ren der Verwaltung eines Herrschaftskomplexes, über den Fürst Karl und seine Brüder spätestens seit den1620er Jahren verfügten, bedurfte jeden-falls eines gut organisierten Zustellsystems, allein schon, um die geforderten Wochenzettel zuzustellen.132Letztlich gewinnt man aus diesen Details eine Vorstellung davon, wie sich das Regieren sehr umfangreicher und verstreu-ter Güverstreu-terkomplexe wie jener der Fürsten von Liechtenstein unverstreu-ter diesen Umständen gestaltete.

128HAL, H158, Circular an die Herrschaftsvorsteher unter Fürst Joseph Wenzl über die Nach-besetzung der Reitungsführer,18.3.1737(nicht ediert).

129HAL, H166, Ordnung der vorhinigen fürst(lichen) ordinari bothen gängen und wie solche beÿ gegenwärtiger abänderung der einen wiener ordinari auf den herrschafften einzuleiten wären, s. d. sowie ebd., Schema der in Butschowitz alle wochen zweimahl ankommenden und abgehenden fürst(lichen) ordinari bothen,10.3.1787(nicht ediert).

130Dazu und für eine ausführliche Beschäftigung sieheBehringer, Gutenberg-Galaxis,44; sowie ders., Zeichen,78.

131Das Privatbotenwesen wurde zunehmend als Konkurrenz zum staatlichen Postwesen emp-funden, das in Österreich unter der Enns seit den1620er Jahren in der Hand der Familie Paar lag. So wurde es1637erstmals verboten, allerdings gab es auch zahlreiche Ausnahmeregelun-gen für bestimmte Regionen und Personengruppen, siehe dazuKnittler, Verkehrswesen,152. Siehe ausführlicher dazuEffenberger, Geschichte.

132Vgl. unten Nr.3.1.4.

Im Dokument ISBN 3-205-20354-2 (Seite 46-51)