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Innerfamiliäre Parallelen und Abgrenzungen

Im Dokument Exit from Work (Seite 139-145)

4 Ergebnisse der empirischen Untersuchung

4.1 Arbeitskonzepte als biographische Orientierung

4.1.1 Traditionen und Tradierung

4.1.1.2 Innerfamiliäre Parallelen und Abgrenzungen

„Normal wollt ich Krankenpfleger oder Rettungsassistent werden.“109

Werden die in der Herkunftsfamilie vermittelten Werte und Einstellungen zu Arbeit näher be-trachtet, zeigt sich für den befragten Personenkreis, dass sich einzelne Aspekte in ihrem eigenen Lebenslauf wiederfinden. Erkennbar sind dabei die Fortführung von Strukturen aber auch die Abgrenzungen zu familiären Traditionen. Eine besondere Facette dieser Abgrenzung bildet da-bei die Emanzipation u. a. durch Berufstätigkeit, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.

Fortführung von Strukturen und Abgrenzungsbereiche

Unter der Fragestellung, welche ähnlichen strukturellen Aspekte familialer Berufsbiographien im Leben der befragten Personen fortgeführt werden, findet sich der Aspekt einer angestrebten Kontinuität der Erwerbsarbeit bis zur Rente. Das Modell der immer arbeitenden Familie wird praktisch fortgeführt. Sowohl im eigenen Leben als auch im Leben der Kinder ist die implizite

109 Claudio Osdorf, t1, Z200

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Erwartung eines möglichst kontinuierlichen beruflichen Lebenslaufs erkennbar. Von erwerbsbi-ographischen Brüchen wird im Zusammenhang mit schweren Erkrankungen berichtet, die eine Wiederaufnahme der Tätigkeit nicht erlauben. Katharina Riegers Vater hat bis kurz vor seinem Tod durch eine Krebserkrankung gearbeitet (t2, Z342ff). Auch Frau Schulz’ Vater musste früh-zeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden.

Brigitte Schulz: „Mein Vater war Frührentner [...] Der war aufm Bau und später war er bei der Schließen äh Wach-und Schließgesellschaft als Wachmann. Und das hat er dann gemacht, bis der dann seine Frührente gekriegt hat, bezugsweise durch die Asthmakrankheit, konnte er ja das auch nicht mehr ausführen, ne? Und mit fünfundfünfzig ist er dann gestorben.“ (t2, Z320-332)

Besonders greifbar wird das Streben nach einem kontinuierlichen beruflichen Lebenslauf am Beispiel von Frau Rieger, deren Eltern „immer“ (t2, Z346 und Z403) und lange in ihrem Job (t2, Z363) gearbeitet haben. Nur durch äußere Umstände (Wendezeit und Familiengründung) gab es in ihrer Familie Arbeitsplatzwechsel. Sie selbst arbeitete bisher ununterbrochen als Kranken-schwester, morgens und abends kümmerte sie sich zwischendurch um ihre Pferde. Aktuell kon-frontiert mit der Insolvenz ihres Arbeitgebers hat sie Angst, nicht mehr „unterzukommen“ (t2, Z366). Sie absolviert einen Bewerbungsmarathon einschließlich diverser Probearbeitsstunden.

Schnell merkt sie, dass sie jederzeit als Krankenschwester Arbeit finden kann und sieht ihrer beruflichen Zukunft entspannter entgegen.

Katharina Rieger: „Zwischendurch hat man ja immer die Angst, so ich komme nirgends mehr unter oder aber das ist Quatsch.“ (t2, Z366f)

Die zweite Tradierungskomponente ist das Berufsfeld der Elterngeneration. Berücksichtigt wer-den muss hier natürlich die regionale Spezifik des Arbeitsmarktes und die damit eingeschränkte Wahlmöglichkeit des Berufs. Allerdings zeigt sich, dass mit Ausnahme von Frau Rieger, alle Befragten in ähnlich gelagerten Berufen arbeiten wie ihre Eltern; sei es im handwerklich-technischen Bereich (Herr Hain, Herr Kirch, Herr Osdorf) oder in der Hauswirtschaft (Frau Fesser). Bei Frau Schulz ist es weniger das Berufsfeld als die Tradition, ungelernten Tätigkeiten nachzugehen, die innerhalb der Familie fortgeführt wird. Um Geld zu verdienen, stiegen Brigit-te Schulz und ihre GeschwisBrigit-ter direkt nach der Schule ohne Ausbildung in das Arbeitsleben ein.

Frau Schulz durchbricht mit der Ausbildung ihrer Töchter diese Tradition.

Schaut man gezielt auf die Seite der Abgrenzungsbereiche mit der Frage „Worin unterscheidet sich die berufliche Sphäre von denen der Elterngeneration?“ fällt in den Blick, dass sich eine Abgrenzung zu den elterlichen Berufen durch einen anderen Berufswunsch äußert – auch wenn dieser unerfüllt bleibt. Einzig Peter Hain und Katharina Rieger sprechen davon, ihrem

Wunsch-139

beruf nachgegangen zu sein. Sabine Fessers Wunsch, Hebamme zu werden, bleibt hingegen unerfüllt.

Sabine Fesser: „Also in unserer Familie (unverständlich) Kinder da war das früher noch nicht so, dass man nach Wunschberuf mit Praktikum und mal reinschnuppern. Ne Bekannte hat mir das empfohlen. Die suchen jemand und so bin ich da reingekommen. Also das war jetzt kein Wunsch nee, das war nicht mein Traumberuf. Mein Traumberuf wäre Hebamme.“ (t1, Z285-289)

Claudio Osdorf grenzt sich mit seinem Berufswunsch als Krankenpfleger/Rettungssanitäter deutlich vom Feinschlossergewerbe seines Vaters und Bruders ab und stellt sich damit insbe-sondere gegen den sehr strengen Vater. Er will sein „eigenes Ding“ (t1, Z275f) machen und nicht im Betrieb seines Vaters arbeiten wie einer seiner Brüder. Den Berufswunsch Kranken-pfleger/Rettungssanitäter kann er allerdings auf Grund seines schlechten Hauptschulabschlusses nicht weiterverfolgen und entscheidet sich schließlich zur Ausbildung als Maurer, da er endlich Geld verdienen wolle (t1, Z217ff). Auch Herr Kirch wollte ursprünglich nicht Maurer werden:

Hans Kirch: „Mein Wunschberuf war damals Landmaschinenmechaniker. Das war mein Wunsch.

Früher hat man ja keine Bewerbungen geschrieben. Da ist man zu dem Händler na oder zu der Firma, gefragt wie's aussieht, na ist okay kommst du zu mir. Also das war ein Halbjahr vorher und dann, sind wir nochmal paar Monate vorher [...] dann hat er gesagt, nein, ich kann dich nicht neh-men. Der andere [Bewerber, Anm. S.B.] hat einen neuen Schlepper gekauft. Ich muss den nehneh-men.

Na ist ja kein Thema. Da hat der Vater ganz einfach gesagt, der war ja auch aufm Bau, wir gehen zu meinem Chef. [...] Am ersten August fängst Du an.“ (t2, Z303-313)

Im Kontext der Berufseinstiegsthematik wird seitens der älteren Generationen die Berufswahl zwar zufälliger und weniger an eigenen Interessen ausgerichtet beschrieben, aber der Einstieg in das Berufsleben erwies sich als informeller. Früher, so Hans Kirch, ging alles ohne Bewerbung – heute kann sein Sohn von Glück sagen, dass er überhaupt den einzigen Ausbildungsplatz im Betrieb bekommen konnte (t2, Z317ff). Brigitte Schulz hat ähnliches mit ihrer Tochter erlebt (t2, Z462ff). Auch Peter Hain beschreibt, wie schwer es für seinen Sohn war, einen Studienplatz zu bekommen (t2, Z461ff).

In der Gegenüberstellung von tradierten Strukturen und Abgrenzungsbereichen kommt dem Einstieg in das Berufsleben eine besondere Bedeutung zu. Innerhalb dieses Schnittstellenbe-reichs vereinen sich familiale Prägungen mit realen Möglichkeiten, Pragmatismus mit individu-ellen Interessen. In einer Zusammenschau zeigen sich tendenziell (nicht immer trennscharf von-einander abgrenzbar) drei unterschiedliche Zugänge zum Berufsleben (Abbildung 15).

140 Abbildung 15: Spektrum der Zugänge zum Berufsleben

Vordergründiges Merkmal einer externen Steuerung ist die zufallsgeprägte externe Anbahnung der Entscheidung durch andere Personen aus dem Familien- oder Bekanntenkreis. Es wird pri-mär nach pragmatischen Gesichtspunkten entschieden, schnell und unkompliziert in eine Aus-bildung zu gehen, und dabei sein eigentliches Berufsziel nicht weiter zu verfolgen. Ähnlich gelagert ist die Entscheidung durch einschränkende Umstände, d. h. externe Faktoren, die dazu führen, den Berufswunsch nicht ausüben zu können. Eine Wahlmöglichkeit besteht nicht. Im Gegensatz dazu steht die eigene interessengeleitete und aktive Suche nach einem Ausbildungs-platz. Auch kann diese Suche durch einschränkende Umstände scheitern, wenn bspw. kein freier Ausbildungsplatz vorhanden ist.

Emanzipation durch den Job und die Rolle der Frauen

Übergreifend ist festzuhalten, dass die interviewten Frauen eher frauenspezifische Berufe ergrif-fen (Kranken- und Altenpflege, Küchenkraft) und Männer die handwerklichen (Maurer, Stucka-teur). Verknüpft mit den typischen Frauen- und Männerberufen ist der Grad der Qualifizierung, der wiederum das Einkommen bestimmt. Frau Schulz erwähnt, dass ihr Mann als Werkzeugma-cher gut verdient und sie eigentlich auf ihr geringes Gehalt als Küchenhilfe nicht angewiesen sind.

Geschlechterunabhängig scheint die eigene Höherqualifizierung als Abgrenzung zu beruflichen Familientraditionen darzustellen. Sich abzugrenzen heißt hier, einen Bildungsaufstieg zu vollziehen; entweder in Form einer Ausbildung oder durch Weiterqualifizierungen innerhalb des

Externe Steuerung

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Berufes. Aus einer Verlaufsperspektive heraus kann dieser Prozess als ‚Emanzipation durch die Berufstätigkeit’ bezeichnet werden, denn berufliche Tätigkeiten eröffnen Wege der persönlichen Weiterentwicklung und können damit die eigene Rolle in der Familie und im Kollegium verän-dern. Ein gutes Beispiel hierfür ist Claudio Osdorf, der durch seine Höherqualifizierung vom Maler zum Stuckateur und aktuell zum Bautechniker seine Fähigkeiten ausbaut. Damit sieht er gute Chancen, um mehr Geld zu verdienen (t1, Z228) und einer „variablen“ Arbeit nachzugehen (t1, Z 41). Gleichzeitig emanzipiert er sich vom „einfachen Arbeiter“ zum Fachexperten und erfährt Respekt vom ehemaligen Chef, von dem er sich in der Situation des Arbeitsunfalls im Stich gelassen fühlte:

Claudio Osdorf: „Und nach paar Gespräche und er hat sich dann auch regelmäßig oder ab und zu halt mal gemeldet, wie die Schule läuft. Und hat mir ab und zu auch mal geholfen in ’nen paar Fä-chern, Statik zum Beispiel. Und ja, so hat sich das dann, unsere Beziehung sag ich mal wieder verbessert und ich glaub, er tut mich jetzt auch mehr akzeptieren oder mehr, mehr mit Respekt be-handeln. Also nicht nur der einfache Arbeiter, der ja aufm Bau ist halt, ja?“ (t2, Z327-332) Mit diesem Selbstbewusstsein tritt er auch seinem Vater gegenüber anders auf:

Interviewerin:110„Wie geht dein Vater mit seiner eigenen Gesundheit um?

Claudio Osdorf: Der ist skrupellos. Also er ist, macht viel hobbymäßig in seiner Werkstatt. Er macht Schrottautos tut er renovieren, restaurieren und wenn er halt lackiert oder sonst irgendwas hat er keinen Mundschutz an oder die entsprechenden Sicherheits- macht er halt nicht. Und klar grad durch die Schule jetzt bei mir krieg ich das ja auch vermittelt, Sicherheit. Und wenn ich jetzt dann am Wochenende ab und zu mal daheim bin und sehe ihn in der Werkstatt, dann kriegt er halt von mir jetzt eine drauf. Also das sag ich ihm dann auch. Und ja so langsam […] sieht er mich als voller Mann oder als richtige Person an, wo er auch mal zurück, ja?“ (t2, Z521-530)

Persönlich emanzipiert sich Katharina Rieger während ihrer ersten Berufsjahre durch ständige Auseinandersetzungen mit ihrer Kollegin. Inzwischen trägt sie im Team viel Verantwortung und wird von ihrem Chef sehr geschätzt. In einen anderen Job zu wechseln kann sie sich nicht mehr vorstellen.

Katharina Rieger: „Das erste Jahr war furchtbar. Sag ich Ihnen ganz ehrlich. Meine Arbeitskolle-gin war [...] ein Miststück. Also die war wirklich, die hat einem das Leben zu Hölle gemacht. Ich hab's erste Jahr glaub ich nur geweint nach der Ausbildung. Konnte mich aber auch nicht durch-setzen, das kam- irgendwann kam der Punkt wo ich dann gesagt hab so bis hier hin und nicht wei-ter [...] mittlerweile versteh ich mich gut mir ihr und ja man-irgendwann habe ich gelernt mich ein-fach durchzusetzen.“ (t1, Z212-216)

110 Claudio Osdorf äußerte bereits zum ersten Interview den Wunsch zum ‚Du’ überzugehen, da es ihm so leichter fallen würde, von sich zu erzählen.

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Eine besondere Facette von Emanzipation gegenüber Männern findet sich bei Brigitte Schulz.

Sie ist sehr stolz auf ihre jüngste Tochter, die als Druckerin in der „Männerwelt“ mithalten kann:

Brigitte Schulz: „Meine jüngste Tochter […] die hebt ja auch Walzen. Die sind sechzig Kilo-schwer, ne? Und ist eine Frau von - was wiegt se wenn's hoch kommt fünfundfünfzig Kilo, groß schlank, ne? Schafft halt auch in der Männerwelt. Das ist die einzige Frau im Betrieb, ne?

(t1, Z294-298)

Ein weiterer Blick im Kontext der Rolle der Frau richtet sich auf die Position innerhalb der Familie. Insbesondere die beiden Frauen der älteren Generation betonen, dass es zu ihrer Jugendzeit nicht normal war, als Frau eine Ausbildung zu absolvieren. Frau Fesser vollzielt mit ihrer Ausbildung zur Hauswirtschafterin einen Aufstieg in demselben Berufsfeld ihrer Mutter, die ungelernt als Haushaltshilfe arbeitete. Brigitte Schulz blieb zwar ohne Ausbildung, wie ihre Mutter und Geschwister – wobei sie der Arbeit ihrer Mutter in der Familie große Bewunderung entgegenbringt – ging aber zum Arbeiten aus dem Haus, verdiente Geld und war nicht ‚nur’

Mutter und Hausfrau.

Brigitte Schulz: „War nicht so, dass die [Geschwister von Frau Schulz, Anm. S.B.] jetzt so ausge-powert sind wie ich oder so im Berufsleben standen wie ich. Ich habe das gleich von Anfang an, nach der Ehe, wo ich dann wie die Kinder einigermaßen soweit war, habe ich dann wieder voll dringestanden.“ (t1, Z274-277)

Sie beweist es den anderen regelrecht, dass man Mutter, Hausfrau und erwerbstätig sein kann.

Gleichzeitig bricht sie mit der Familientradition, in dem ihre Töchter eine Ausbildung machen, in die sie viel investiert hat: „Da habe ich alles drangesetzt.“ (t2, Z462) – eine Chance, die sie nie hatte.

Im Datenmaterial lässt sich übergreifend ein Modell der ‚arbeitenden Frau’ finden, entweder als arbeitende Hausfrau oder berufstätige Mutter. Je nach Generation wird die im Beruf arbeitende Mutter als etwas Normales beschrieben, wenngleich die qualifizierte Berufstätigkeit der Mutter eher in den jüngeren Generationen auffindbar ist. Für die befragten Frauen mit Kindern oder mit Kinderwunsch ist es normal, im Berufsleben zu stehen. Frau Rieger hat dies in ihrer Familie vorgelebt bekommen:

Katharina Rieger: „Das heißt nicht, dass ich nicht arbeiten kann. Das habe ich ja mit meinen El-tern gesehen. Das geht. Es ist jetzt nicht so, dass [...] wenn ich sag, ich bin jetzt schwanger, ich muss da alles von mir werfen und kann nichts mehr anfassen weil, ich bin nicht krank. Ich bin dann einfa-krieg vielleicht irgendwann mal ein Kind, ja?“ (t2, Z684-688)

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An diesem Beispiel wird zusätzlich deutlich, dass es eine Herausforderung sein kann, private Lebensbezüge und berufliche Verläufe aufeinander abzustimmen. Diese Aushandlung zwischen dem Privatleben und der Erwerbsarbeit wird im folgenden Kapitel in den Mittelpunkt gestellt.

Im Dokument Exit from Work (Seite 139-145)