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Exemplarische Analysearbeit nach der Grounded Theory und Ergebnisdarstellung Theory und Ergebnisdarstellung

Im Dokument Exit from Work (Seite 124-130)

3 Ziele, Fragen und methodischer Zugang

3.6 Exemplarische Analysearbeit nach der Grounded Theory und Ergebnisdarstellung Theory und Ergebnisdarstellung

Im Folgenden möchte ich auf ausgewählte Analyseschritte exemplarisch eingehen, um den Pro-zess der Forschungsarbeit und Generierung von Konzepten, Kategorien und theoretischen Linien nachvollziehbar zu machen.

Ein zentrales Prinzip der Analysearbeit am Material – und häufig der Einstieg in das Datenmate-rial – stellen die unterschiedlichen Codiermodi des offenen, axialen und selektiven Codierens dar. Diese werden abwechselnd immer wieder parallel durchlaufen, weisen eine höchstmögliche Datennähe auf und sind eng an Textstellen geknüpft. In der Grounded Theory bezeichnet ein Code einen Schlüsselbegriff, der entweder eine Begriffsassoziation zu einer Textstelle darstellt oder direkt im Text vorkommt (‚in vivo‘-Code). Durch das offene Codieren wird ein themati-scher Zugang zum Material erreicht, und es erfolgt in diesem Zuge die Auswahl problemati-scher oder zentraler Datenpassagen zur detaillierten, sequenziellen ‚line-by-line‘ Analyse. Beim offenen Codieren wird zunächst gefragt, was in dem jeweiligen thematischen Abschnitt passiert.

Ein Abschnitt kann dabei eine Zeile lang und durch mehrere Codes beschreibbar sein; ebenso kann sich ein einzelner Code über mehrere Zeilen fortsetzen. Das Ergebnis des offenen Codie-rens ist in der Regel eine Vielzahl von Codes und Subcodes, die sich im Laufe des Forschungs-prozesses reduzieren und verdichten werden. Abbildung 12 illustriert einen Ausschnitt eines noch sehr differenzierten Codebaums (dargestellt mit MAXQDA) aus den anfänglichen offenen Codierschritten.

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Abbildung 12: Ausschnitt des Codebaums nach offener Codierung in MAXQDA

In dieser Phase zeichneten sich in der Analyse meiner Fälle fallübergreifend erste Phänomene ab, bspw. der Bruch im Leben, die hohe Relevanz der beruflichen Identität für die Neuorientie-rung oder die Entwicklung neuer Lebens-Leitsätze. Gleichzeitig ließen sich zentrale Passagen identifizieren, die für die Theoriegenerierung von hoher Bedeutung erschienen. So konnten aus den Abschnitten, die sich auf den „Körper“ bezogen und in denen beschrieben wurde, wie dieser sich „verhält“ oder wie sich ihm gegenüber verhalten wird, mittels sequenzieller Analysen un-terschiedliche Körperdimensionierungen herausgearbeitet werden (vgl. Kapitel 4.2.1.2).

Ein grundlegendes Prinzip der Forschungsarbeit nach der Grounded Theory berührt den Modus der Datenanalyse und Theoriebildung, der als ein ständiges Vergleichen in Bezug zur leitenden Forschungsfrage angelegt ist. Dies bedeutet, dass beobachtete Phänomene im Datenmaterial immer unter der Perspektive des Forschungsproblems und „vor dem Hintergrund von

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sen, thematischen Interessen und forschungspraktischen Erfahrungen“ (Strübing 2010, S. 16) von den Forschenden einer pragmatischen Relevanzprüfung unterzogen werden müssen. Dieses ständige Vergleichen findet zwischen Fällen oder bestimmten Phänomenen und nach dem Prin-zip der minimalen Kontrastierung (die Fälle oder Phänomene sind sich möglichst ähnlich) und maximalen Kontrastierung (die Fälle oder Phänomene sind möglichst unterschiedlich) statt. Ziel des Kontrastierens ist es, in Bezug auf die Forschungsfrage bzw. die angestrebte Problemlösung auf den Kern empirischer Konzepte zu stoßen. In diese Konzepte fließen unterschiedliche Indi-katoren (Daten wie Verhaltensweisen, Ereignisse etc.) ein. Diese IndiIndi-katoren weisen eine stabile Ausprägung über alle bisher verglichenen Fälle oder Phänomene hinweg auf. Häufig ist es der Fall, neben einem Kernkonzept Variationen in Form von Sub-Konzepten beschreiben zu kön-nen. Ergeben sich durch Hinzuziehen weiterer auch heterogener Fälle keine neuen Erkenntnisse in Bezug auf das Kernkonzept und hat sich dieses verdichtet, spricht man in der Grounded The-ory von einer theoretischen Sättigung. In meiner Studie vollzog ich den Prozess des ständigen Vergleichens u. a. auf diesen Dimensionen:

x Minimale und maximale Kontrastierungsdimensionen zwischen unterschiedlichen Fällen:

u. a. gleiches/anderes Geschlecht, gleiche/andere Altersgruppe, z. B.

o Worin gleichen bzw. unterscheiden sich die Erfahrungen von Familienmüttern bzw.

Familienväter in der Arbeitswelt?

o Wie gleichen bzw. unterscheiden sich die beruflichen Perspektiven der jüngeren bzw. der älteren Personen?

x Minimale und maximale Kontrastierungsdimensionen innerhalb eines Falles: Wiederkeh-rende Krankheitsepisoden im Leben oder wiederkehWiederkeh-rende Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit als minimaler Kontrast bzw. akutes vs. chronifiziertes Krankheitserleben als maximaler Kontrast z. B.

o Welche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede kennzeichnen frühere Krankheitsepi-soden und berufliche Unterbrechungen im Vergleich zur aktuellen Situation?

o Worin liegen Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Erleben einer akuten Krankheitssituation und einem chronischen Leiden?

Durch die stetigen Kontrastierungen konnte ich bspw. unterschiedliche Konzepte eines „Bru-cherlebens“ herausarbeiten. Lassen sich mehrere Konzepte einem bestimmten Phänomen zu-ordnen , bilden sie eine Kategorie, die in ihrer Gesamtheit empirische Zusammenhänge sichtbar werden lassen und zunehmend eine theorieförmige Gestalt annehmen. Eine solche verfestigte Kategorie bildet eine zentrale Schlüsselkategorie, die sich auf Grund ihrer Zentralität in Bezug auf andere Kategorien, ihrer aufgetretenen Häufigkeit im Material, ihrer klaren Implikation für die entstehende Theorie und ihrer Einschlussfähigkeit maximaler Variationen auszeichnet. Die unterschiedlichen Konzepte des Brucherlebens bildeten unter diesem Analyse-schritt die Schlüsselkategorie „(Berufs)biographischer Bruch“ (Abbildung 13).

125 Abbildung 13: Entstehung einer Schlüsselkategorie

In dieser Form lagen schließlich neben der Schlüsselkategorie „(Berufs)biographischer Bruch“

(Kapitel 4.2), die Schlüsselkategorien „Arbeitskonzepte als biographische Orientierung“ (Kapi-tel 4.1) sowie „Rückkehr in das Arbeitsleben unter veränderten Bedingungen“ (Kapi(Kapi-tel 4.3) vor.

Wesentlich für die Transformation des eher deskriptiven Gehalts von Kategorien in Konzepte und schließlich in eine Theorie ist die Einbettung in Erklärungszusammenhänge, also einem Modell, in dem Handeln und Umwelt zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dies wird durch das axiale Codieren unter dem Frageschema des Codierparadigmas ermöglicht, in dem die her-ausgearbeiteten Kategorien – wenn sie sich als relevant für die Forschungsfrage und für das zu entwickelnde theoretische Modell als bedeutsam erweisen – befragt werden nach ursächlichen und intervenierenden Bedingungen, Kontext, Handlungs- und interaktionalen Strategien und Konsequenzen (Strauss und Corbin 1996, S. 75ff). Mittels dieser Analyseschritte konnte ich das Zusammenspiel der unterschiedlichen Einflussfaktoren und deren Wirkungsrichtung rund um das Phänomen ‚Gesundheit als Ressource’ spezifizieren (Abbildung 14). Hinter diesem Phäno-men verbirgt sich die Beobachtung, dass sich zwischen dem ersten und dem zweiten Interview-zeitpunkt die Haltung zur eigenen Gesundheit und auch das Gesundheitshandeln verändert hat.

Es zeigte sich, dass Gesundheit an Bedeutung gewonnen hat und sich ein Perspektivwechsel von Arbeit oder Gesundheit hin zu Arbeit und Gesundheit vollzogen hat. Im Unterschied zu früher wird die eigene Gesundheit nun als Ressource bewertet. Die Erkenntnisse zum

veränder-Neue Erfahrungen Ausstieg aus dem

Berufsalltag Verändertes Selbst

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ten Gesundheitskonzept stellten ein zentrales Ergebnis dar, dass an unterschiedlichen Kontexten der Ergebnisaufbereitung zum Tragen kommt, so z. B. als Dimension eines veränderten Selbst (Kapitel 4.2.2.2), als Merkmal gesundheitsbedingter Ausstiegsprozesse aus dem Erwerbsleben (Kapitel 5.2) sowie in Bezug auf ein erweitertes konzeptuelles Verständnis von RTW (Kapitel 5.5).

Abbildung 14: Axiales Codierschema am Beispiel des Phänomens ‚Gesundheit als Ressource'

Mit dem axialen Codieren entstehen eine Serie von Theorie-Miniaturen, die das jeweils fokus-sierte Phänomen erklären. In einem weiteren Schritt muss eine Integration dieser Ergebnisse hinsichtlich der Beantwortung der Forschungsfrage erfolgen. Es müssen Entscheidungen dar-über getroffen werden, welches der entwickelten zentralen Konzepte sich für die Beantwortung der Forschungsfrage am besten eignet und eine Schlüsselkategorie darstellt. Es beginnt nun der Re-Codierungsprozess des selektiven Codierens; das ‚Theoretical Sorting’. Die verdichtete Schlüsselkategorie wird nun zur „Richtschnur“ (Strauss 1998, S. 63) des erneut ablaufenden Codierprozesses, und bereits entwickelte Codes und Konzepte zu dieser Schlüsselkategorie werden in eine neue analytische Perspektive gesetzt mit dem Ziel, diese noch konsistenter zu machen. In dieser Weise verdichtete sich unter der Fragestellung meiner Untersuchung die theo-retische Gestalt des doppelten biographischen Bruches und erlangte im Modell der „Aushand-lungsarena der Krankheitsbewältigung und beruflicher Neuorientierung“ (vgl. Kapitel 5.4) ei-nen generalisierenden Charakter. Soziale Unterstützung zu Hause und am Arbeitsplatz

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Die analytischen Arbeitsschritte der minimalen und maximalen Kontrastierung finden fortwäh-rend im Forschungsprozess statt, „um Konzepte und deren Variationen und Reichweiten zu er-arbeiten“ (Strübing 2010, S. 18). Hier schließt sich der Kreis zu den Samplingstrategien, denn die Fallauswahl richtet sich gemäß des iterativ-zyklischen Prinzips wiederum nach diesem The-oriebildungsprozess, d. h. es müssen unter Umständen gezielt weitere homogene oder heteroge-ne Fälle erhoben werden. Dies ist im Forschungsalltag auf Grund bestimmter Projektkonstella-tionen, z. B. wenn die Datenerhebung zeitlich begrenzt ist und die Erhebung weitere Fälle nicht möglich ist, nicht immer zu leisten, so auch in meinem Fall. Hier greift wieder der Leitli-niencharakter des Forschungsstils der Grounded Theory, demnach die methodischen Vorgaben – in diesem Fall das theoretische Sampling – immer der Forschungssituation angepasst werden müssen.

Den gesamten Forschungsprozess der Grounded Theory rahmt das Schreiben von schriftlichen Analyseprotokollen, den sogenannten Memos. Diese dienen dazu, die eigene Arbeitsweise und Analysearbeit zu reflektieren, zu systematisieren und zu dokumentieren sowie um den „interpre-tativen Dialog“ mit den Daten zu steigern (Berg und Milmeister 2008, Abs. 47), um die Theorie auszuarbeiten. Entsprechend der Komplexität der Forschungsarbeit gibt es unterschiedliche Memotypen: theoretische Memos, in denen das Vorwissen reflektiert wird, operative Memos, in denen die Herangehensweise an die Daten beschrieben wird oder Codememos, die bestimmte Begriffsassoziationen ausdifferenzieren. In meiner Studie bildeten die operativen Memos das Zentrum meiner Analysearbeit und Ergebnisaufbereitung, da ich hier die einzelnen Analyse-schritte, Probleme und analytischen ‚Durchbrüche’ kontinuierlich dokumentierte, um so die Nachvollziehbarkeit von Konzept- und Schlüsselkategorie-Entwicklungen zu gewährleisten.

Durch das ständige Ordnen dieser Memos konnte ein erster theoretischer Rahmen entworfen werden. Die unterschiedlichen Memos waren unter anderem die Grundlage der vorangegange-nen Ausführungen zur Forschungsarbeit nach der Grounded Theory.

Die Ergebnisdarstellung orientiert sich im ersten Teil (Kapitel 4) nah am Datenmaterial und es werden die drei Schlüsselkategorien „Arbeitskonzepte als biographische Orientierung“ und

„(Berufs)biographischer Bruch“ sowie „Rückkehr in das Arbeitsleben unter veränderten Bedingungen“ in ihren vielfältigen Ausprägungen dargestellt. Die Reihenfolge der Kapitel ist durch eine ‚empirisch-chronologische’ Logik bestimmt, da die Arbeitsdimensionen den ersten zentralen Kontextualisierungsrahmen des Forschungsgegenstands bilden, der Bruch in dessen Zentrum steht und die Rückkehr in das Arbeitsleben den Abschluss dieser von mir verfolgten

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biographischen Verläufe kennzeichnet. Im Diskussionskapitel (Kapitel 5) werden die empiri-schen Ergebnisse auf eine konzeptionelle und theoretische Ebene transformiert. Einerseits rich-ten sich einige Ausführungen auf die Beantwortung zentraler Forschungsfragen, z. B. wie sich der gesundheitsbedingte Ausstieg aus dem Erwerbsleben vollzieht, und andererseits führe ich an dieser Stelle meine theoretischen Linien der Forschungsarbeit nach der Grounded Theory im Modell der „Aushandlungsarena der Krankheitsbewältigung und beruflicher Neuorientierung“

(vgl. Kapitel 5.4) zusammen.

3.7 Reflexionen der Forscherinnenrolle und des

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