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Die arbeitende Familie

Im Dokument Exit from Work (Seite 135-139)

4 Ergebnisse der empirischen Untersuchung

4.1 Arbeitskonzepte als biographische Orientierung

4.1.1 Traditionen und Tradierung

4.1.1.1 Die arbeitende Familie

„Da hieß es arbeiten, arbeiten, arbeiten.“107

Unter dem Blickwinkel von Erfahrungen mit Arbeit in der Herkunftsfamilie fallen zwei Themen besonders ins Gewicht. Zum einen formt sich im Erzählten der hohe Stellenwert von Arbeit im Familienalltag heraus, und zum anderen wird ein Wert von Arbeit vermittelt. Arbeit erlangt durch die Sichtbarkeit der Ergebnisse Wertigkeit, so z. B. durch das mit eigenen Händen ge-schaffene Haus oder durch messbare Einheiten, wie dem Gehalt oder den Arbeitsstunden.

Arbeit im Familienalltag

Im Rückblick betrachtet nahm körperliche Arbeit – im privaten Haushalt als auch im Erwerbs-leben – einen zentralen Stellenwert im Familienalltag des befragten Personenkreises ein. Je nach den ausgeübten Berufen der Eltern und anfallenden Arbeiten z. B. auf dem eigenen Hof variierte

107 Sabine Fesser, t2, Z142

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das Familienleben jedes Einzelnen im Hinblick auf die Art und den Umfang der Arbeiten. So-wohl Mütter als auch Väter werden als stetig arbeitend erlebt; Frau Schulz erinnert sich an die harte Arbeit, die ihre Mutter in der Familie leistete.

Brigitte Schulz: „Mutter hat schon viel, hat sich gut drum gekümmert, also um uns alle. Da hat‘s keine Ausnahme gegeben. […] Sie hat auch viel gemacht für uns also, wenn man so zurückdenkt.

Das tät mancher heute nicht mehr auf die Reihe kriegen, was die auf die Reihe gekriegt hat. Das hat mich immer gewundert, an meiner Mutter, da hat’s ja auch noch keine Waschmaschine oder so gegeben, wie es heut gibt, ne? Hat ja alles mit der Hand waschen müssen und Kochkessel auf‘m Herd, um Kochwäsche zu machen.[…] also sie hat, hat schon viel geopfert mit acht Kindern. Also Hut ab, das bringt mancher heute mit zwei Kindern nicht mehr auf die Reihe, ne?“ (t2, Z367-377) Einprägsam war zudem, wenn man als Kind selbst arbeiten musste. Sabine Fesser und Hans Kirch berichteten, wie sie schon früh ans Arbeiten herangeführt wurden:

Sabine Fesser: „Mein Vater war Bäcker und meine Mutter die war immer im Haushalt angestellt.

Die hat keine Ausbildung. […] Bei uns war das zu Hause von meinem Vater her auch nicht, der hat uns eher so als Arbeitstiere gesehen, also mithelfen zu Hause. Er war später dann selbstständig, Antiquitätenhändler und da mussten wir halt mithelfen, die Kinder die drei großen sowieso. Sind fünf Kinder und ich bin die jüngste von fünf, und meine Schwester ein Jahr älter. Wir zwei haben's da noch nicht so viel, so hart abgekriegt, wie die drei großen.“ (t1, Z337-345)

Hans Kirch: „Das Haus […] das hätte damals der Vater an neunzehnhundertfünfundsiebzig ge-baut. Das haben wir ohne fremde Leistung alleine hochgezogen, innerhalb von sechs Wochen. [...]

Wir haben morgens um sechs angefangen und abends um zehn aufgehört. [...] Aber das war wahn-sinnig, innerhalb von sechs Wochen, aber da hat jeder mitgeholfen. Also zwölf Stunden, da hätte keiner geschaut da war, irgendwo was drückt oder was da geht. Das war eigentlich eine ziemlich harte, harte Zeit. Ich war hab dann angefangen, wo wir fertig waren habe ich angefangen mit der Lehre als Maurer dann. Das war genauso hart, also von dem her war ich schon vorbelastet.“ (t2, Z231-248)

Übergreifend betrachtet, formt sich das Modell der immer arbeitenden Familie heraus. In diesen Familien wird Arbeiten allgemein und speziell im Beruf als eine selbstverständliche und tages-füllende Tätigkeit erlebt. „Ich bin damit aufgewachsen“, (t2, Z402f) formuliert es Katharina Rieger, die damit beschreibt, dass in ihrer Familie immer gearbeitet wurde, da ihre Großeltern und Eltern gemeinsam ein Familiencafé betrieben. Diese Eindrücke waren für den befragten Personenkreis prägend für die eigene Haltung zu Arbeit. Hans Kirch spricht im vorangegangen Beispiel von „Vorbelastung“. Dieser Begriff lässt sich in unterschiedliche Richtungen interpre-tieren: er kennt hartes Arbeiten von zu Hause und im eigenen beruflichen Leben. Gleichzeitig verweist er auf die körperliche Belastung, die hartes Arbeiten mit sich bringt, und findet für seine eigene Erkrankung vielleicht bereits eine mögliche ursächliche Erklärung in seiner Kind-heit. Wie sich diese Prägung im eigenen Leben wiederfindet, kommt am Beispiel von Katharina Rieger besonders gut zum Ausdruck. In Frau Riegers Familie wurde „immer“ gearbeitet – früher im Familienbetrieb und später durchgängig in den einzelnen beruflichen Stationen ihrer

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Eltern. Sie zieht Vergleiche zu ihrem Bruder, in dem sie seine intensive berufliche Tätigkeit schildert und anfügt „der braucht das aber glaub ich auch“ (t2 Z340f). Sie findet diese Einstel-lung auch bei sich selbst wieder. Sie erwähnt in diesem Zusammenhang, dass auch ihr an Krebs erkrankter Vater weiterhin gearbeitet hat.

Katharina Rieger: „Immer, bis er gestorben ist ja. Ja das war schon immer so. [...] meine Mutter [...] also die hat ja die Witwenrente. Wird ja alles gestrichen und darf ja deswegen nicht aufsto-cken. [...] Ja gut, die braucht das auch, die liebt Ihren Job, die ist so ja? [...] ist da Fachverkäuferin und hat ja auch dann irgendwann mal den Wechsel geschafft. Die war au- ist auch so eine, wo lan-ge irlan-gendwo bleibt und macht und tut [...] Die liebt ihren Job auch. Das ist, ich glaub es lan-geht gar nicht ohn- also ich könnt's nicht ohne.“ (t2, Z343-365)

Wert der Arbeit

In den Schilderungen der ‚arbeitenden Familie‘ kommt ein gewisser Stolz darüber zum Aus-druck, dass man durch eigene körperliche Arbeit etwas erschaffen hat; durch die Sichtbarkeit der Ergebnisse erlangt Arbeit einen unvergleichbaren Wert. Arbeit führt unmittelbar zu Erfolgs-erlebnissen, wenn etwas geschafft oder geschaffen wurde. Besondere Symbolik hat dabei das Haus, wie im vorhergehenden Zitat von Hans Kirch deutlich wurde. Auch Peter Hain greift in seiner Ausführung über den Stellenwert von Arbeit in seinem Leben den Hausbau auf:

Peter Hain: „Ja gut Arbeit. Ich mein das Haus ist selbst gebaut. Ich brauchte die Arbeit, um Geld zu verdienen. Ich habe gearbeitet, um das Haus zu bauen und insofern war natürlich Arbeit in jeder Richtung, sowohl im Privaten als auch im Geschäftlichen, natürlich immer sehr hoch im Stellen-wert.“ (t2, Z491-494)

Sichtbarkeit erlangt Arbeit ebenfalls durch messbare Einheiten, wie dem Gehalt, den Stunden und Schichten, den vielen Aufgaben, die man gleichzeitig zu erledigen hat, dem Gewicht, das man heben muss und den Urlaubstagen, den Wochenenden und Pausen, die man für seine Arbeit opfert. Durch Spuren an Körper und Psyche wird die täglich verrichtete Arbeit sichtbar, wenn auch erst in späteren Jahren (vgl. Kapitel 4.2.1.1).

Brigitte Schulz108: „Meine jüngste Tochter […] die hebt ja auch Walzen. Die sind sechzig Kilo-schwer, ne? Und ist eine Frau von - was wiegt sie wenn's hoch kommt fünfundfünfzig Kilo, groß schlank, ne? Schafft halt auch in der Männerwelt. Das ist die einzige Frau im Betrieb, ne? Und ich habe ihr auch (unverständlich), also ich gebe dir vielleicht noch fünf sechs Jahre und dann darfst heimgehen, ne? Das ist nicht so einfach. Grad die Schicht-Schafferei, die Schwerheberei hab ich's, ich hab's auch immer gemeint wie ich jung war, […] das wirst‘ merken später mal, wart noch.“

(t1, Z294-302)

108 Diese Interviewpassage wie auch weitere Interviewauszüge werden an anderen Stellen der empirischen Ergebnis-darstellung erneut aufgeführt. Der Grund hierfür liegt in den vielschichtigen interpretativen Bezügen des Gesagten, die in unterschiedlichen Kontexten von Bedeutung sein können. Die hier aufgeführte Aussage bezieht sich auf die tätigkeitsbezogenen Beanspruchungen im Beruf (hier am Beispiel von Frau Schulz Tochter), die erst in späteren Jahren zu Beeinträchtigungen führen können. An anderer Stelle wird dieses Zitat erneut herangezogen, um die Rolle der Frauen im Beruf zu illustrieren.

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Hinter dem sichtbaren Wert von Arbeit stehen darüber hinaus personenbezogene Werte wie Pflichtgefühl, Hilfsbereitschaft, Zuverlässigkeit und Kompromissbereitschaft, die in der Her-kunftsfamilie vermittelt wurden.

Sabine Fesser: „Ich find das dann gut, dass wir zum Anpacken erzogen wurden und das ist förder-lich. Das ist gut, tut dem Menschen gut. Arbeit tut gut, ja ja nö nö also, ist schon okay.“ (t2, Z579-581)

Fast alle Befragten können auf ein nahtloses Berufsleben mit vorhergehender Ausbildung zu-rückblicken. Einzige Ausnahme bildet Frau Schulz. Fallübergreifend wird eine Berufsausbil-dung als unhinterfragtes Element im beruflichen Lebenslauf dargestellt. Frau Fesser führt an-hand ihres Neffen aus, wie eine Ausbildung auf die Persönlichkeit einwirken kann:

Sabine Fesser: „Bin froh, dass ich überhaupt eine Ausbildung gemacht hab. Finde es überhaupt wichtig, dass man eine Ausbildung macht, weil ist einfach förderlich für die Persönlichkeit, in jun-gen Jahren eine Ausbildung zu machen. Ich seh's jetzt auch an meinen Nichten und Neffen, die in einer Ausbi- der eine der hat Maurer, nein, Dachdecker, […] genau, hat der jetzt Dachdecker (un-verständlich). War eine harte Zeit. In der Zeit aber, es hat ihn einfach gut geformt. Ist so zuverläs-sig, stark, wenn die Oma ihn anruft und Hilfe braucht, steht der da. Da gibt's keine Ausflüchten und so. […] Ich mach einfach die Beobachtung, auch bei welchen, die keine Ausbildung gemacht haben (unverständlich) ja, komm ich heut nicht, komm ich morgen. Also (unverständlich) weiß nicht, ob man das pauschal sagen kann, aber ich find schon, also die Beobachtung habe ich schon oft, es ist einfach gut, sehr gut für die Persönlichkeit für das weitere Leben von Mensch, wenn er in der Lehrzeit war.“ (t2, Z206-222)

Brigitte Schulz hat selbst keine Ausbildung; nach der Schule ging sie zum Geld verdienen direkt arbeiten. Umso wichtiger ist es ihr, dass beide Töchter eine Ausbildung absolvieren. Sie „hat alles dran gesetzt“ (t2, Z462), um für ihre beiden Töchter eine Lehrstelle zu finden. Ihre älteste Tochter rettet sie damit regelrecht aus einer Drogenkarriere: „Dann hat sie eine kaufmännische Lehre abgeschlossen. Dann hat sie sich gedreht um hundertachtzig Grad.“ (t2, Z452f) Um ihrer jüngsten Tochter die Lehre zu ermöglichen, fährt sie ihre Tochter täglich zwei Jahre lang mor-gens um fünf zur Arbeit, obwohl sie damit selbst eine Stunde zu früh auf ihrer eigenen Arbeits-stelle ist. Ihr Mann hat seine Tochter dann nach seiner eigenen Frühschicht wieder abgeholt.

Betrachtet man in diesem Zusammenhang nochmals die tradierten Werte von Arbeit innerhalb der Familiengenerationen, ist ein Unterschied zwischen der älteren und der jüngeren Generation beobachtbar. Dieser Unterschied liegt in der zunehmenden Bedeutung der Qualität von Berufs-arbeit, d. h. es geht nicht nur darum, im Berufsleben zu stehen, sondern auch darum, einem per-sönlichen Berufswunsch nachzugehen. Zu „ihrer Zeit“, so berichten Sabine Fesser (geb. 1969), Hans Kirch (geb. 1960) und Brigitte Schulz (geb. 1963) wurde von den Eltern verlangt, den Berufseinstieg schnellstmöglich ohne Rücksicht auf eigene Wunschberufe zu vollziehen. Ob man die Arbeit gern ausübt oder nicht, spielte dabei keine Rolle. In der heutigen Zeit, so die

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Einschätzung der älteren Interviewpartnerinnen und Interviewpartner, haben die jungen Men-schen größere Freiheiten und setzen ihre Interessen selbstbewusst um. Sie können über Praktika in Berufe reinschnuppern (wie Katharina Rieger), alternative Berufswege entwerfen (wie im Fall von Claudio Osdorf) oder gar die Ausbildung wechseln: der älteste Sohn von Hans Kirch beginnt eine zweite Lehre, als er merkt, dass der Beruf als Landschaftsgärtner ihm keinen Spaß macht.

Hans Kirch: „[...] der älteste hat die erste Lehre als Landschaftsgärtner gemacht und jetzt lernt er Schlachter[...] Aber das hat er schon wählen, bevor er Landschaftsgärtner gemacht hat, hat er dann schon gewollt, aber meine Frau ist auch Fleischereifachverkäuferin [...] und jetzt hat er, naja drei Jahre Landschaftsgärtner gemacht. Hat er ein Jahr lang in der Gemeinde geschafft, auch als Bau-hofmitarbeiter. Das hat ihm also überhaupt keinen Spaß gemacht. Hat er aufgehört und hat zweite Lehre angefangen. Muss ich sagen aber, das macht ihm wahnsinnig Spaß. Also fängt er morgens früh um fünf oder halb sechs fängt er an, also ohne Probleme. [...] also vorher als Landschaftsgärt-ner war's schon schwieriger für ihn.“ (t1, Z519-533)

An diesem Beispiel wird deutlich, dass innerhalb dieser Familie eine gewisse Berufsfeldprä-gung stattfand. Der älteste Sohn ergreift erst den Beruf des Vaters, dann den der Mutter. So kön-nen auch berufliche Tätigkeiten von den nachfolgenden Generatiokön-nen fortgeführt werden. Im Folgenden wird es darum gehen, den Aspekt der Tradierung aufzugreifen, um den Blick auf die Einbettung späterer beruflicher Neuorientierungsprozesse zu schärfen.

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