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Informanten vor Ort

Im Dokument Johann Jakob Scheuchzer (Seite 156-159)

7. Zürcher Umfeld

8.1. Informanten vor Ort

Während Scheuchzers mehrwöchigen Bergreisen wurden nicht nur barome-trische Messungen vorgenommen, Heilquellen untersucht oder Naturalien gesammelt, sondern auch Wissen im mündlichen Gespräch generiert. Der Dialog mit unterschiedlichsten Personen, wie Jäger oder ortsansässigen Geistlichen, war ebenso von Bedeutung wie die eigenen Beobachtungen und Untersuchungen.

Scheuchzer und seine Begleiter diskutierten während ihrer Wanderung nach Linthal im Kanton Glarus darüber, ob die Besiedelung der Schweiz im Flachland und in den Tälern oder in den Bergen begonnen hatte: «Auf allen insonderheit aber den sonst beschwerlichen Berg-Reisen, machet man die Zeit mit nützlichen und anmuthigen Discursen kurz und angenehm. Also ist auch hier in währendem Steigen unter uns geistlichen und weltlichen Reissgefehrten eine Frage, von der ersten Bewohnung dieser Landen entstanden, ob die ersten

7 Vgl. Scheuchzer, Einladungs-Brief / zu Erforschung natürlicher Wunderen / so sich im Schweitzer-Land befinden (1699), abgedruckt in Küster/Küster, Garten und Wildnis (1997), S. 14–31, hier S. 15.

8 Ebd.

Einwohner derselben in den tieffen Gründen und Thälern, oder auf den Höhen der Berge möchten gewohnet haben?»9

Insbesondere in den noch kaum erschlossenen Bergregionen waren Führer, die sogenannten Wegweiser, unverzichtbar. Ohne ihre Hilfe war die Reisegesellschaft manchmal gezwungen, einen Umweg auf sich zu nehmen, wie Scheuchzer in der Beschreibung seiner achten Bergreise bemerkt: «Den folgenden Tag, nemlich den 12. Herbstmonat, stiegen wir durch viele Umwege, weil wir keinen Wegweiser hatten, den Berg hinunter nach Elm.»10 Die Führer wiesen den Gelehrten nicht nur den Weg durch unwegsames Gelände, sondern sie vermittelten ihnen auch ihr lokales Wissen. Auch die Säumer, deren Saum-tiere die Gerätschaften der Gelehrten transportierten, erteilten bereitwillig Auskunft: «Nun ists Zeit, dass wir unsre Reise fortsetzen; wir wollen es aber thun in Begleit der Säumer, mit welchen wir den Gotthard-Berg ab ins Liviner-thal zu gehen Vorhabens sind; unterwegs aber uns mit diesen arbeitsamen Bergsteigern, ihrer Lebensart, Namens, und Gesetzen halber so sie unter sich haben, ersprachen.»11

Die Alpenreisen waren aber auch eine gute Gelegenheit, um mit Bergar-beitern, Bauern und Jägern Kontakte zu knüpfen, Informationen zu erhalten oder Naturalienlieferanten direkt vor Ort aufzusuchen, wie das folgende Bei-spiel veranschaulicht: Von grossem Interesse für die Naturforscher waren die Strahler, die in den alpinen Gegenden nach Mineralien suchten. Einer dieser Mineraliensammler war der Wirt Johannes Amport aus Amsteg. Scheuchzer hatte im Jahr 1699 von einem Bekannten einen aussergewöhnlichen roten Kristall bekommen, den dieser zuvor von Amport erhalten hatte. Scheuchzers Interesse war geweckt. Er nahm Kontakt mit Amport auf und bat ihn um Infor-mationen über seine Kristallfunde: «[…] auch zu bitten, das, so unter denen bey sich habenden Crystallen einiche andere auf selzame weren die etwann an Farb sonderlich ungemein, oder an Figur curios, etwann 3 eckicht, vier eckicht, fünf eckicht, 7, 8 etc eckicht, da die gemeinen 6 eckicht sein, oder das sie innwendig etwas sonderlichs haben von Wasser, oder groos oder Splitter, und so fort an, so bitte mich dessen zu berichten oder […] Muster zu senden.»12

Anders als die Mineralienhändler legte Scheuchzer keinen Wert auf die Makellosigkeit oder die Grösse der Kristalle. Sein Interesse richtete sich viel-mehr auf die Einzigartigkeit oder auch die Ausgefallenheit der Steine. Scheuch-zer berichtete Amport von seinem Vorhaben, eine «Beschreibung zu machen

9 Scheuchzer, Natur-Geschichte, Bd. 2 (1746), S. 74.

10 Ebd., S. 299.

11 Ebd., S. 132.

12 Johann Jakob Scheuchzer an Johannes Amport, 29. Juni 1699, ZBZ, Ms H 150, S. 61.

von denen selzamen Wunderen, so sich befinden im ganzen Schweizerland».13 Falls Amport unbekannte Kristalle für ihn habe, werde er sie in der ganzen gelehrten Welt bekannt machen. Dieser Anreiz scheint Amport nicht sonder-lich beeindruckt zu haben. Er antwortete nicht auf Scheuchzers Schreiben.

Vier Jahre später, im Jahr 1703, erfuhr Scheuchzer, dass sich sein Cousin Hans Heinrich Scheuchzer (1684–1753) auf der Durchreise in Amsteg auf-halten werde. Scheuchzer hatte Amport nicht vergessen, ergriff die gute Gelegenheit und beauftragte den Cousin, sich beim Mineraliensammler nach Kristallen zu erkundigen. Hans Heinrich berichtet in einem Brief vom 23. Sep-tember 1703 Folgendes: «Wegen bewuster mir auffgegebner Commission der Kristallen halber berichte, das am Stäg bey Herren Johannes am Port einkehrt und daselbst zumittag gespeist. Diser Herr hat mir mit gantzer hofflicher und manierlicher Discretion seine crystalla gewisen.»14

Der Cousin beschrieb die Kristalle, deren Farbe und Grösse und nannte den Verkaufspreis. Zudem hatte Amport sich anerboten, etliche Mineralien nach Zürich zu senden. Nach dem Erhalt dieses Briefes verfasste Scheuchzer erneut ein Schreiben an Amport. Er lobte dessen grosse Erfahrung und Wis-sen über die Kristalle, schon lange habe er sich gewünscht, mit ihm schriftlich oder persönlich bekannt zu werden.15 Scheuchzer bezog sich dabei auf seinen Cousin Hans Heinrich, der ihm von Amports Sammlung berichtet hatte.

Schliesslich machte er ihm das Angebot, einige Kristalle zu einem günstigen Preis abzukaufen. Es wäre interessant zu erfahren, ob Scheuchzers Bemühun-gen dieses Mal fruchteten, doch der weitere Verlauf der Verhandlung kann mangels Zeugnissen nicht rekonstruiert werden.

Allerdings nutzte Scheuchzer seine Bergreise im Jahr 1705 dazu, den Strah-ler Amport persönlich kennenzuStrah-lernen. Nach einem dreistündigen Weg über Erstfeld und Silenen erreichte die Reisegesellschaft das von Amport betriebene Wirtshaus am Stäg, wo Amport ihnen seine Kristallsammlung präsentierte.16 Scheuchzer erwarb ein Exemplar und verhandelte mit Amport über den Ver-kauf weiterer Mineralien. Doch dieser scheint nicht sonderlich interessiert gewesen zu sein, Scheuchzer mit den begehrten Objekten zu versorgen. Im Oktober 1705 klagte Scheuchzer in einem Brief an Amport, dass er weder die Kristalle noch einen Bericht von ihm erhalten habe.17

13 Ebd.

14 Hans Heinrich Scheuchzer an Johann Jakob Scheuchzer, 23. September 1703, ZBZ, Ms H 341, S. 9.

15 Vgl. Johann Jakob Scheuchzer an Johannes Amport, 26. September 1703, ZBZ, Ms H 150a, S. 261.

16 Vgl. Scheuchzer, Natur-Geschichte, Bd. 2 (1746), S. 91.

17 Vgl. Johann Jakob Scheuchzer an Johannes Amport, 7. Oktober 1705, ZBZ, Ms H 150b, S. 141.

Aus diesem Beispiel wird ersichtlich, wie sehr die Naturforscher auf «unge-lehrte» Naturalienlieferanten angewiesen waren. Wiederholte Male hatte sich Scheuchzer mit Amport in Verbindung gesetzt, ihm Geld angeboten und ihn mit dem Ruhm der gelehrten Welt zu locken versucht.

Scheuchzer bemühte sich, ein Netz von Mitarbeitern aufzubauen, die in der Lage waren, Wetterbeobachtungen direkt vor Ort durchzuführen. Auf dem Gotthard gelang ihm dies. Der Pater Joseph de Seissa, Prior des Kapuzinerhos-pizes, hielt regelmässig seine Beobachtungen der Witterungsverhältnisse fest.18 Auch der ehemalige Schüler Laurenz Zellweger war bestrebt, verschiedenste Personen für meteorologische Beobachtungen zu gewinnen. Am 12. März 1718 schrieb er an Scheuchzer: «Der […] Bruder im wilden Kirchlein würde villeicht sich auch persuadieren lassen, dergleichen [meteorologische] obser-vationes aufzuzeichnen, wan mans verlangte und er ja schreiben kann, dann er von armen Eltern von Urnäschen gebohren und die Religion changiert.»19

Im Dokument Johann Jakob Scheuchzer (Seite 156-159)