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Bürgerbibliothek und Kunstkammer

Im Dokument Johann Jakob Scheuchzer (Seite 141-146)

7. Zürcher Umfeld

7.2. Bürgerbibliothek und Kunstkammer

Die Gründung der Zürcher Bürgerbibliothek und Kunstkammer geht auf die Initiative von vier jungen Männern der Zürcher Elite zurück.22 Ihre Reisen und Besichtigungen der Bibliotheken in England, Frankreich, Holland und Italien hatten den Anstoss zu ihrem Vorhaben gegeben, denn sie sahen in den Bibliotheken einen «Werth als unentbehrliches Hülfsmittel der Gelehrsamkeit und der Kultur jeder Art».23 Im Februar 1629 trafen sich die jungen Zürcher im Haus des Professors für altgriechische Sprache, Johann Heinrich Ulrich (1575–1630), um ihre Pläne zu besprechen. Die Idee wurde sofort in die Tat umgesetzt, und schon bald konnte die Bibliothek und Kunstkammer in der im Zuge der Reformation säkularisierten Wasserkirche untergebracht werden.24

Das Bestehen der Institutionen wurde zu einem grossen Teil durch die Beiträge der Mitglieder der Bibliotheksgesellschaft sowie der Besucherschaft ermöglicht. Viele Personen, die in Zürich Rang und Namen hatten, waren in irgendeiner Form mit der Bibliotheksgesellschaft verbunden.25 Die Verwaltung wurde mehreren Kuratoren übertragen.

20 Vgl. Müsch, Geheiligte Naturwissenschaft (2000), S. 42 f.

21 Vgl. Scheuchzer, Kupfer-Bibel / In welcher Die Physica Sacra, Oder Geheiligte Natur-Wis-senschafft Derer in Heil. Schrifft vorkommenden Natürlichen Sachen, 4 Bände (1731–1735), S. 3.

22 Johann Balthasar Keller (1605–1665), Felix Keller (1607–1637), Johann Heinrich Müller (geb.

1604) und Johann Ulrich Ulrich (1606–1670).

23 Vgl. Rütsche, Die Kunstkammer in der Zürcher Wasserkirche (1997), S. 53.

24 Vgl. Boscani Leoni, Züricher Naturaliensammlungen (2017), S. 66.

25 Vgl. Rütsche, Die Kunstkammer in der Zürcher Wasserkirche (1997), S. 80.

Die Kunstkammer enthielt eine Sammlung von unterschiedlichen Antiqui-täten, insbesondere von Münzen, Artefakten wie Bilder und Globen sowie eine Naturaliensammlung. Sie bot den Interessierten eine für die damalige Zeit in Zürich einzigartige Fülle von Anschauungsmaterial, sodass die Kunstkammer gleichzeitig Bildungsstätte und Ort der Forschung war. Die Mitglieder der Bibliotheksgesellschaft durften die Bibliothek täglich und auch ausserhalb der offiziellen Öffnungszeiten als Präsenzbibliothek benutzen und die Schlüssel dafür einholen. In der Kunstkammer hatten die Besucher auch die Möglichkeit, die Objekte aus den Schubladen herauszunehmen, um sie zu betrachten und zu analysieren. Auch im Rahmen von Vorträgen und gesellschaftlichen Treffen war es nützlich, das entsprechende Material gleich zur Hand zu haben.

Im Gegensatz zur Münzsammlung und zu den übrigen Antiquitäten entwickelte sich die Naturaliensammlung weniger kontinuierlich. Erst als die Kunstkammer 1677 im obersten Geschoss der Wasserkirche eingerichtet wurde, begann deren Blütezeit. Ihren Erfolg hatte sie auch Johann Jakob Wagner zu verdanken, der in diesem Jahr Mitglied der Bibliotheksgesellschaft geworden war.

Wagner versuchte die Objekte nach ähnlichen Gruppen zu ordnen und verfasste eine erste Beschreibung der Naturalien- und Kunstkammer. Zudem begann er mit der Anlegung eines Donatorenbuches. Die Liste der Schenkun-gen zeigt eine sehr breite Auswahl von Objekten. Im Januar 1675 spendete beispielsweise Hans Heinrich Schüchtzer einen «Armadill aus Amerika» (ein Gürteltier), diverse Fischarten, Korallen und ein Hirschherz. Zwei Jahre später schenkte der Mediziner Johann Jakob Schüchtzer ein Straussenei und Johann Caspar Schweizer, Professor für alte Sprachen am Carolinum, den Stachel eines Meerigels.26 Die Donatoren gehörten grösstenteils der politischen und ökonomischen Elite der Stadt Zürich an.

Auch Wagner vergrösserte die Sammlung um zahlreiche Objekte. Im Donatorenbuch sind zwanzig verschiedene Steine, Fossilien und ein far-benprächtiger Papagei als Geschenke von ihm aufgelistet.27 Später verfasste Wagner die erste bekannte handschriftliche Geschichte der Bibliothek in der Wasserkirche von ihren Anfängen bis zum Jahr 1683.28 Er war auch einer der Mitgründer des Collegium Insulanum, einer Vereinigung, deren Mitglieder sich ab 1679 in der Wasserkirche trafen und welche die Kunstkammer dadurch zu einem Vortragslokal und einem gesellschaftlichen Treffpunkt machte.

Als Nachfolger Wagners nahm die Bürgerbibliothek bereits im Februar 1696 Scheuchzer als einen ihrer Kuratoren auf. Gemeinsam mit seinem

26 Vgl. Boscani Leoni, Züricher Naturaliensammlungen (2017), S. 68.

27 Ebd., S. 69.

28 Vgl. Rütsche, Die Kunstkammer in der Zürcher Wasserkirche (1997), S. 83.

ren Bruder Johannes, der in späteren Jahren ebenfalls an der Bürgerbibliothek und Kunstkammer tätig war, bemühte er sich darum, die Sammlung stetig zu vergrössern. Dieses Engagement ist vor allem auch dem Umstand geschuldet, dass er als Kurator die Möglichkeit hatte, das Material für eigene Forschungen zu benutzen. Zudem wurde er durch bereits vorhandene Objekte zu Unter-suchungen angeregt.

In den Jahren 1698–1702 erstellte Scheuchzer neben seinen eigenen natur-wissenschaftlichen Forschungen eine ausserordentlich umfassende, gegliederte, handschriftliche Aufzeichnung der Zürcher Sammlung mit dem Titel Museum civicum Tigurinum.29

29 Ebd., S. 102.

Abb. 16: Die Kunstkammer im Obergeschoss der Wasserkirche.

Scheuchzers Arbeit bestand auch darin, die Bürgerbibliothek ständig durch Neuerscheinungen anzureichern. Deshalb schrieb er ins Ausland und erkundigte sich nach den Preisen neuer Publikationen, oder er versuchte diese durch seine Korrespondenzpartner zu erwerben. Sein Amt bot ihm eine willkommene Gelegenheit, sich Werke zugänglich zu machen, die er für seine privaten Studien benötigte, aber auf eigene Kosten kaum hätte beschaffen können. Scheuchzer schaffte unter anderem Werke von Hermann Conring, Johann Georg Graevius, Joseph Pitton de Tournefort, John Ray und Martin Lister sowie die Publikationen der Académie des sciences, der Royal Society und der Academia naturae curiosorum an.30 Er beabsichtigte, ein Verzeichnis aller europäischen Kunstkammern und eine Anleitung zu deren Einrichtung herauszugeben. Zu diesem Zweck hatte er schon umfangreiches Material gesammelt, doch er konnte sein Vorhaben aus Zeitgründen nicht zu Ende führen. Johann Kanold schrieb in seinem Vorwort zu Neickels Museographia (1727): «Der berühmte J. J. Scheuchzer in der Schweiz hat bereits vor 20 Jahren die Nothwendigkeit und den Nutzen dieserley Unternehmung eingesehen, und daher mit eigenem rühmlichen Fleisse einen Catalogum aufzusetzen angefan-gen, wo hin und wieder dergleichen Musea angetroffen werden; den er aber wegen anderer Verrichtungen zu prosequiren nicht vermögende gewesen.»31

Aufgrund des Zuwachses der Sammlungsobjekte, vor allem durch die im Toggenburger Krieg abgeführte Kriegsbeute, wurde 1714 eine gesamthafte Neuordnung der Kunstkammer in Angriff genommen. Dabei fand Scheuch-zer in den Vitrinen Münzen, die noch nicht katalogisiert worden waren und übernahm daraufhin deren Ordnung.32

Johannes Scheuchzer wurde mit der Neuordnung der Naturalienreposi-torien beauftragt. Eine Besonderheit dieser Revision lag in der Formulierung eines genau definierten Sammlungsziels. Scheuchzer hatte an den damaligen Präsidenten Waser geschrieben, dass bei den Naturalien eine Revision, Dispo-sition und «Augmentation» nötig sei. Er hatte vorgeschlagen, «ob nit nöthig were aufzurichten ein besonder Cabinet von Helvetischen Mineralibus».33 Das gezielte Sammeln von schweizerischen Fossilien war für Scheuchzers Absicht, eine gesamtschweizerische Naturgeschichte zu schreiben, von grosser Bedeutung.34 Scheuchzers Vorschlag wurde gutgeheissen und man beschloss,

30 Ebd., S. 174.

31 Neickelio, C. F. (mit einigen Zusäzen und dreyfachem Anhang vermehret von D. Johann Kanold), Museographia oder Anleitung zum rechten Begriff und nützlicher Anlegung der Museorum oder Raritäten-Kammern (1727), Vorbericht, [unpag.].

32 Vgl. Rütsche, Die Kunstkammer in der Zürcher Wasserkirche (1997), S. 115.

33 Ebd., S. 120.

34 Ebd.

einen neuen Schaukasten aufzurichten, in dem alle «Fossilia Helvetica» Platz finden sollten.

Die Bürgerbibliothek und Kunstkammer stellte neben dem Grossmüns-ter die Hauptsehenswürdigkeit der Stadt Zürich dar. Der FrankfurGrossmüns-ter Jurist Johann Friedrich von Uffenbach liess sich im November 1714 von Scheuch-zer Bibliothek und Kunstkammer zeigen. Uffenbach war erstaunt über die Ordnung und die Menge der Bücher, die offenbar den Bestand in Basel übertraf. Nachdem er die Bibliothek in Augenschein genommen hatte, stieg Uffenbach mit Scheuchzer eine steinerne Treppe hoch in die Kunstkammer.

Uffenbach rühmte auch hier die Quantität der Objekte und deren Anord-nung. Die Naturalien und Instrumente wurden in geschmackvollen Vitrinen, die mit goldenen Buchstaben beschriftet waren, aufbewahrt. Er bedauerte, dass Scheuchzer die passenden Schlüssel nicht dabei hatte, um die Vitrinen und Schränke zu öffnen. Die Exponate waren unterteilt in «lapidibus figura-tis», «metallis», «mineralia», «petrificata», «terrae», «salia», «animalia» und

«hominis partes». In einem anderen Bereich der Kunstkammer bestaunte Uffenbach die Münzsammlung, welche auch sehr umfangreich war, jedoch wenig seltene Stücke enthielt. Über die Objekte, die in der Mitte des Saals angeordnet waren, beispielsweise der berühmte St. Galler Globus, äusserte sich Uffenbach folgendermassen: «In der Mitten stunden etliche grosse sce-leta, darunter ein Pferd sehr sauber von Hr Scheuchzer selbst aufgesetzt war.

Oben an der Decke hingen viele curiosa von Fischen, Schildgrotten, Leuch-tern und andren Dingen, wie in einer Apo thecke oder materialisten Krahm.

Mitten in dem Saal stunden auch verschiedene Tische mit astronomischen Sachen, als ein Systema copernicanum sehr gros ohne Bewegung […]. Ferner ein sehr grosser gemahlter und nicht getruckter Globus, so ein terrestris und coelestis zugleich war, der auch ein Raub von St. Gallen gewessen. Der Fuss und alle Theilen waren sauber gemachet und überhaubt ein sehr schönes Stück […].»35

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Kunstkammer aufgehoben, und die verschiedenen Sammlungen gingen zwischen 1779 und 1783 an andere Institutionen über. Dabei erhielt die Naturforschende Gesellschaft die Natu-raliensammlung wie auch die wissenschaftlichen Messinstrumente.36

35 Von Uffenbach, Tagebuch (1712–1716).

36 Vgl. Boscani Leoni, Züricher Naturaliensammlungen (2017), S. 68; Rütsche, Die Kunstkam-mer in der Zürcher Wasserkirche (1997), S. 193 f.

Im Dokument Johann Jakob Scheuchzer (Seite 141-146)