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6   Diskussion

6.3   Implikationen für die Lehrerbildung

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immer klar, was warum zu tun war. Dies kann durch die Beobachtung nicht bestätigt werden, die aber nur an einem einzelnen Seminartermin durchgeführt wurde.

LV 11 besitzt den großen Vorteil, sehr authentische Anforderungssituationen für das Lernen der Studierenden zu nutzen. Diese Anforderungssituationen stellen jedoch außerhalb des

„Schonraums Hochschule“ den Ernstfall dar, was auch die eingeschränkte Planbarkeit von Schule und Unterricht, von Lernen und Lehren offenlegt und eine große Flexibilität von den Studierenden abverlangt. Dies muss zwangsweise zu einer Verschiebung der Wirksamkeits-erwartung sowie der Kontrollüberzeugung hin zu einer realitätsnahen Vorstellung führen. Der große zeitliche Umfang ermöglicht eine gute Verbindung zur Theorie, so dass die Begleitung durch die Expertin dennoch gegeben ist und durch sie eine ständige Rückversicherung mög-lich wird.

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166 Forschungsfrage 4:

Lassen sich bestimmte Veranstaltungsmerkmale erkennen, die einen Einfluss auf die Verän-derungen der studentischen Überzeugungen bezüglich Natur und Freilandarbeit ausüben?

Hypothese B:

Für die Änderung dieser Überzeugungen können bestimmte Merkmale der Lehrveranstaltun-gen als Einflussfaktoren diagnostiziert werden.

Zeitlicher Umfang der Lehrveranstaltung und Reflexion des Gelernten

Der zur Verfügung stehende Zeitrahmen wirkt sich wahrscheinlich in dreierlei Hinsicht auf die Überzeugungsänderungen bei den Studierenden aus: Erstens steigt die Quantität der Lern-gelegenheiten, aus denen Überzeugungsänderungen resultieren können. Zweitens sinkt mit größerem Zeitrahmen häufig der Leistungsdruck, was sich positiv auf die Arbeitsatmosphäre auswirkt. Lernen braucht Zeit – die Möglichkeit, Erlebtes zu überdenken, in größere Zusam-menhänge einzuordnen und Verknüpfungen mit bereits Bekanntem zu vollziehen, erfordert Ruhe innerhalb der Lehrveranstaltung. Drittens zeigen die Ergebnisse, dass das Zeitempfin-den bei Zeitempfin-den StudierenZeitempfin-den relativ hoch mit der durchgeführten Reflexion korreliert. Gerade für die Veränderung berufsbezogener Überzeugungen ist die Reflexion und Absicherung der Er-lebnisse essentiell, so dass die Zeit dafür nicht gespart werden sollte.

Gute Verknüpfung von Theorie und Praxis

Biologischer Freilandunterricht mit hohem praktischen Anteil – eine Bedingung, die alle der Kurse zu erfüllen hatten – erscheint den meisten Studierenden unmittelbar sinnvoll und im späteren Beruf brauchbar. Notwendig für eine gute Festigung und Rückführung zu bekanntem Wissen ist jedoch auch eine klare Begleitung durch theoretische Anteile, die dabei die Grund-lage liefern und gleichzeitig helfen, das Erlebte zu reflektieren. Insofern steht der Theorie-Praxis-Bezug in engem Zusammenhang mit dem vorher Gesagten. Kurse, die einen eigen-ständigen Theorieblock aufweisen, sind offenbar sehr gut in der Lage, diese Bedingung zu erfüllen. Die Forderung nach guter Theorie-Praxis-Verknüpfung greift zudem die oben er-wähnte Bedeutung von Reflexion wieder auf, was essenziell für das Aufbrechen, Bewusstma-chen und neue Bewerten von Überzeugungen aus der eigenen Schulzeit ist. Gleichzeitig wird durch die gründliche theoretische Vorbereitung von Freilandaufenthalten deren „Event-Charakter“ genommen, was auch in der Literatur vielfach als wichtige Bedingung für effekti-ves Arbeiten angesehen wird (Orion & Hofstein 1994; Guderian 2007).

Kooperation unter den Lehrenden von Parallelkursen

Dieser Punkt wird stärker von der Literatur (Steinmann & Oser 2012) angeregt, als dass er sich aus den gewonnenen Daten eindeutig ableiten ließe. Zumindest widerlegen die Ergebnis-se die Vermutung nicht, dass die enge Zusammenarbeit mehrerer Lehrender einen positiven Effekt auf deren Überzeugungskraft den Studierenden gegenüber ausübt. Steinmann & Oser (2012) sprechen hierbei von shared beliefs, also geteilten Überzeugungen, die eine konsisten-tere Ausbildung der Studierenden ermöglichen könnten, die in diesem Fall nicht auf stark unterschiedliche Ansichten über das Lehren und Lernen treffen. Im Fall der hier vorliegenden Untersuchung könnte eine weiterer Effekt von shared beliefs auftreten: Dozentinnen, die sich

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im Team vorbereiten, müssen ihre eigenen Überzeugungen formulieren und unter Umständen anpassen. Sie erfahren eine größere Rückversicherung und wertvolle Denkanregungen im Dialog, anders als Dozentinnen, die nicht im Team arbeiten. Das sicherere Auftreten der Do-zentin könnte schließlich überzeugender auf die Lernenden im Seminar wirken.

Motivierende, positive Arbeitsatmosphäre

Bereits in der Selbstbestimmungstheorie nach Decy & Ryan (2000) wird postuliert, dass eine wertschätzende und motivierende Lernumgebung sich positiv auf das Lernen auswirkt (vgl.

auch Helmke 2007b, Meyer 2004). Das entsprechende Item im Evaluationsbogen für die Stu-dierenden (EV 15: „D. sorgte für eine gute Atmosphäre.“) korreliert tatsächlich mit fast allen anderen Items des Bogens, wie auch mit der Veränderung der Selbstwirksamkeit, so dass die-ses Merkmal als grundlegend für einen effektiven Arbeitsprozess betrachtet werden kann. Zur Atmosphäre gehört – den Korrelationsergebnissen zufolge – das geduldige Beantworten von Fragen, der wertschätzende und motivierende Umgang mit den Teilnehmerinnen, das flexible Reagieren auf Anregungen und Unvorhergesehenes, aber auch das verständliche und nach-vollziehbare Erklären. Ebenfalls mit der Atmosphäre im Zusammenhang steht die Klarheit der Aufgabenstellung, eine ausreichende Reflexion sowie der Zeitfaktor, der nicht nur objektiv gesehen, sondern als empfundene Ruhe im Seminar eingeht.

Zusammenfassung günstiger Parameter

Die gefundenen günstigen Parameter für eine didaktische Lehrveranstaltung mit positiver Wirkung auf die berufsbezogenen Überzeugungen bezüglich biologischen Freilandunterrichts sind insgesamt wenig spezifisch für dieses besondere Anliegen. Sie gelten im Wesentlichen sehr allgemein für Unterricht. Bezogen auf die Freilandthematik jedoch sieht die „Idealveran-staltung“ folgendermaßen aus: Sie hat einen großen zeitlichen Rahmen, der vielfältiges Erle-ben und Lernen in und mit der Natur ermöglicht, im Idealfall mit einem vorangestellten oder begleitenden Theorieblock, in dem die anschließenden Aktivitäten erläutert und eingeordnet werden. Zudem steht genügend Zeit zur Reflexion und Nachbereitung des Gelernten zur Ver-fügung. Die Dozentin steht im regen Austausch mit weiteren Lehrenden, die parallele oder ähnliche Kurse betreuen, und ist in der Lage, eine ruhige, positive und motivierende Lernat-mosphäre zu erzeugen.

Daneben gibt es einige Veranstaltungsmerkmale, die sich nicht als ausschlaggebend für güns-tige Überzeugungsveränderungen erwiesen haben. Sie sind im Folgenden aufgeführt.

Zeitliche Blockung des Freilandanteils: Die Frage, ob stark geblockte oder semesterbeglei-tende Freilandanteile für die positive Entwicklung von Naturbezug oder Selbstwirksamkeit besser geeignet sind, ist aufgrund der gewonnenen Evaluationsergebnisse nicht zu beantwor-ten. Zu vermuten war, dass insbesondere die Kurse 6 und 7 aufgrund der Ungestörtheit über den Zeitraum eines ganzen Wochenendes hinweg größere Verbesserungen stattfinden, was sich aber nicht in dieser Weise empirisch bestätigen lässt.

Schülereinbindung: Die Einbindung von Schulklassen in das Seminar zur Erprobung von vorher erarbeiteten Freilandsequenzen oder auch zur individuellen Betreuung durch die

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dierenden über einen längeren Zeitraum hinweg verspricht sehr authentische Anforderungssi-tuationen, die die vorher gelernten Inhalte und Methoden für die Studierenden überzeugend als relevant für die spätere Berufspraxis erscheinen lassen. Zudem wirken die Reaktionen der Schülerinnen als direktes Feedback zum pädagogischen Handeln. Dennoch sind keine Vortei-le hinsichtlich der Überzeugungsänderungen bei den Studierenden in Lehrveranstaltungen mit Schülereinbindung erkennbar. Eventuell werden die Studierenden teilweise sogar überfordert.

Es muss daher davon ausgegangen werden, dass dieses Lehrveranstaltungsmerkmal eine eher untergeordnete Bedeutung beispielsweise für die Verbesserung der didaktischen Selbstkom-petenz besitzt.

Art, Ausstattung und Entfernung des Freiland-Lernorts: Untersucht wurden Seminare, die sehr unterschiedliche Freiland-Lernorte nutzen, vom nahegelegenen Hochschulgarten und Stadtwald bis hin zu völlig unstrukturiertem, naturbelassenen Gelände. Eine Auswirkung die-ses Merkmals auf eines der Überzeugungskonstrukte ist auch hier nicht erkennbar, weder im Hinblick auf die Erreichbarkeit, noch im Hinblick auf die Gestaltung und Ausstattung des Lernorts.

Zu beachten ist bei der Betrachtung dieser Aussagen stets, dass sie sich allein auf die für die Untersuchung ausgewählten Lehrveranstaltungen beziehen. Für gesicherte Aussagen mit all-gemeingültigen Ergebnissen müsste eine größere Stichprobe unter kontrollierten Bedingungen (inhaltliche und strukturelle Gestaltung, Dozentin, usw.) und mit verschiedenen Lerngruppen untersucht werden.

Weitere Empfehlungen für die Lehreraus- oder -fortbildung

Mit Blick auf die Ergebnisse aus der Lehrerbefragung können speziell für späteren Freiland-unterricht weitere Empfehlungen für die Lehrerausbildung oder auch -fortbildung gegeben werden, die im Folgenden aufgeführt werden.

1. Analyse von Curricula und Lehrplänen:

Der Realisierung von Freilandunterricht steht häufig der wahrgenommene Zeitmangel bei großer Lernstofffülle entgegen. Wie Lehnert (2005) zeigt, können jedoch etliche der vor-geschriebenen Inhalts- bzw. Kompetenzbereiche sehr gut im Freiland verortet werden (vgl. Kap. 2.1.4). Aufgabe der Lehrerbildung sollte daher sein, den Blickwinkel der Stu-dierenden dahingehend zu erweitern, dass derartige Möglichkeiten erkannt und umgesetzt werden können. Hierfür könnten Lehrpläne und Curricula auf freilandgeeignete Inhalte analysiert und Umsetzungspläne entworfen und erprobt werden. Freilandunterricht sollte nicht als zusätzliche Belastung empfunden, sondern als Chance für authentische, motivie-rende Lerngelegenheiten mit engem Bezug zur Lebenswelt der Schülerinnen begriffen werden.

2. Ermutigung zur Wissenslücke bei Lehrpersonen:

Einen weiteren häufigen Hinderungsgrund, im Unterricht das Freiland einzubeziehen, se-hen insbesondere viele Biologielehrpersonen in ihrer möglicherweise mangelhaften Ar-tenkenntnis. Freilandunterricht stellt zwar spezifische Anforderungen an die Kompetenzen

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der Lehrperson, dennoch muss keinesfalls jede Schülerfrage nach einem Pflanzen- oder Tiernamen sofort beantwortet werden können. Ihre Aufgabe sollten die Lehrpersonen in erster Linie im Arrangieren von guten Lerngelegenheiten durch die Entwicklung passen-der Konzepte und die Bereitstellung motivierenpassen-der Materialien sehen. Darunter fällt auch, angemessene Bestimmungshilfen zu geben. Die Ermutigung der Studierenden (in Fortbil-dungen: der Lehrpersonen), mit den Schülerinnen gemeinsam zu lernen und damit das Bild der allwissenden, instruierenden Lehrperson aufzugeben, könnte eine große Hürde zum Freilandunterricht abbauen und sogar das Verhältnis zu den Schülerinnen stärken.

3. Vermittlung von Fachwissen im Rahmen von Freilandseminaren:

Die gegenteilige Tendenz zur oben beschriebenen Angst vor der Wissenslücke scheint bei Sachunterrichtslehrerinnen verbreitet zu sein: die Annahme, Umweltunterricht erschöpfe sich in der „Vermittlung von Naturliebe“ (Godemann et al. 2004). Besonders im Grund-schulalter bringen die Schülerinnen ein sehr starkes Interesse an Tieren und Pflanzen und teilweise auch großes Wissen über sie mit, das erweitert und entwickelt werden sollte. Es stellt den Grundstein auch für die spätere Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen Themen und einen gelungenen Übergang zur Sekundarstufe dar. Eine Aufgabe der Lehr-erbildung muss somit darin bestehen, das bei vielen Lehramtsstudierenden längst ad acta gelegte Wissen über Tiere und Pflanzen wiederzubeleben und einen soliden Grundstock an für Grundschülerinnen relevanten Kenntnissen aufzubauen. Häufig genug ist der na-turwissenschaftliche Anteil der Sachunterrichtsdidaktik auf ein Minimum reduziert, was den Anforderungen in der Grundschule nicht gerecht wird.

Wie die evaluierten Lehrveranstaltungen in der vorliegenden Arbeit zeigen, sind bereits einige Hochschulen auf einem sehr guten Weg, Freilandunterricht in der Schule zu stärken. Hierzu trägt auch eine Veränderung der Hochschuldidaktik allgemein bei, indem auch für studenti-sches Lernen der Anwendungsbezug und die Interessen der Lernenden stärker berücksichtigt und damit gewinnbringende Lehr-Lern-Situationen vorgelebt werden. Im Interesse eines mo-tivierenden, sinnstiftendem Biologie- und Sachunterricht ist zu wünschen, dass sich dieser Trend auch in Zukunft fortsetzt.