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4. AKTUELLE FORSCHUNGEN ZUM THEMA SCHULISCHE INKLUSION

4.4. I NKLUSIVE S CHULE – EINE S CHULE FÜR WIRKLICH ALLE

Entwicklung einer optimierten Lernkultur zu leisten, könnte eine spezifische Form inklusiver Schulentwicklung entstehen. Zusätzlich entstünde durch diesen kreativen Austausch und die Begegnung oft ein gemeinsam geteiltes Verständnis, das Grundlage einer inklusiven Kultur sein könnte.

(Vgl. ebd. S. 34).

4.4. Inklusive Schule – eine Schule für WIRKLICH ALLE

Die Schulische Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit „Komplexer Behinderung“

ist eine ganz besondere Herausforderung. Aufgrund der sehr individuellen und schwierigen Lebens- und Lernvoraussetzungen entstehen besondere Bedingungen, um den Besuch einer inklusiven Schule erfolgreich gestalten zu können. Die besondere Wahrnehmungs- und Kommunikationssituation dieser Schüler/Schülerinnen muss berücksichtigt werden. Dazu sind didaktisch-methodische Kompetenzen notwendig, um den Unterricht dementsprechend gestalten zu können.

Gleichzeitig sollen diese Methoden aber auch Lernfortschritte bei allen anderen Schülern/Schülerinnen bewirken. Da es auch individuelle Lernbedürfnisse zu befriedigen gilt, muss neben dem Klassen- auch ein Einzelunterricht möglich sein.

Neben der Didaktik ist auch die medizinisch-pflegerische und therapeutische Versorgung in hoher Qualität zu sichern.

(Vgl. Schlichting, 2014, S. 141).

4.4.1. Schüler/Schülerinnen mit „Komplexer Behinderung“

Der Begriff komplex verrät schon, dass es sich hierbei um eine heterogene Gruppe handelt. So fallen u.a. folgende Bezeichnungen in diese Gruppe:

 Menschen mit schweren, mehrfachen, schwersten „Behinderungen bzw.

Beeinträchtigungen“,

 mit hohem Unterstützungsbedarf,

 mit basalen Lernbedürfnissen,

 mit „Komplexer Behinderung“

Bei dieser heterogenen Gruppe handelt es sich überwiegend um Menschen, die in gravierender Weise in allen Lebensbereichen von anderen abhängig sind und somit auf die besondere Fürsorge und achtsame Begleitung durch ihre Angehörigen und

45 durch Professionelle aus medizinisch-pflegerischen, therapeutischen und pädagogischen Bereichen angewiesen sind.

(Vgl. ebd. S. 141f.).

Viele Menschen mit Lernschwierigkeiten stoßen in ihrem Leben oft an ihre Grenzen, werden ausgeschlossen und erfahren Abbrüche sozialer Beziehungen, und das, weil sie vorgegebenen Selbstbestimmungen und Integrationserwartungen nicht entsprechen (vgl. Fornefeld, 2008 in Schlichting, 2014, S. 142). Selbst im Handbuch der Parlamentarier zur Erläuterung der UN-BRK steht, dass 80 oder 90 Prozent der Kinder mit speziellen Lernbedürfnissen gut in einen regulären Unterricht integrierbar seien (vgl. Deutscher Bundestag, 2008, S. 85). Diese Aussage bestätigt aber gleichzeitig, dass es auch Kinder und Jugendliche gibt, die nicht (so leicht) integrierbar sind. Zu diesen gehören wohl jene mit „Komplexer Behinderung“ (vgl. Jennessen &

Wagner, 2012 in Schlichting, 2014, S. 142). Darum ist die Forderung nach einer uneingeschränkten Teilhabe an einer inklusiven Schule richtig und auch sehr wichtig.

Davon abgesehen ist die Teilhabe ein unveräußerliches Menschenrecht. Bei der Verwirklichung einer inklusiven Schule muss aber auch auf Qualität geachtet werden.

(Vgl. Schlichting, 2014, S. 142).

Denn wie Bernd Ahrbeck beschreibt, ist es mit einer rein formalen Zugehörigkeit zu einer Klasse nicht getan. Diese Zugehörigkeit sagt nichts darüber aus, ob das Kind oder der/die Jugendliche in die Gruppe aufgenommen wurde. Als Beispiel nennt der Ahrbeck Kinder und Jugendliche mit schweren Verhaltensstörungen. Diese seien sehr schwer zu integrieren, würden oft gemobbt und entwickelten sich zu Außenseitern.

Schließlich stellt er sich die Frage, ob eine Schule, die äußerlich inkludiert, eine hilfreiche Institution ist, auch wenn sie Kinder in extreme soziale Randlagen bringt, emotional überfordert und alleine lässt.

(Vgl. Ahrbeck, 2014, S. 30).

Aufgrund dieser Überlegungen müssen gerade für Kinder und Jugendliche mit

„Komplexer Behinderung“ bestimmte Bedingungen geschaffen werden, damit eine inklusive Beschulung gelingen kann.

46 Andreas Fröhlich versucht in diesem Sinne, sich in die Lage dieser Kinder und Jugendlichen zu versetzen und stellt Thesen über ihre Bedürfnisse auf:

 Sie brauchen möglicherweise körperliche Nähe, um andere Menschen überhaupt wahrnehmen zu können.

 Sie brauchen andere Menschen, die sie auch ohne Sprache verstehen und sich auf ihre Ausdrucksmöglichkeiten einstellen.

 Sie brauchen andere Menschen, die ihnen die Umwelt und sich selbst auf verständliche Weise nahebringen.

 Sie brauchen andere Menschen, die ihnen Fortbewegung und Lageveränderung nachvollziehbar ermöglichen.

 Sie brauchen andere Menschen, die sie zuverlässig versorgen und fachlich kompetent pflegen.

(Vgl. Fröhlich 2003 in Schlichting, 2014, S. 143)

Bis heute ist die Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit „Komplexer Behinderung“

in die allgemeine Schule eine Seltenheit und dementsprechend gibt es auch kaum Erfahrungen. Daniel Dolležals Verweis auf einige Modellversuche zur gemeinsamen Beschulung zeigt, dass eine sinnvolle und gewinnbringende Integration durchaus möglich ist, wenn bestimmte Bedingungen eingehalten werden, welche in den folgenden Punkten erläutert werden.

(Vgl. Schlichting, 2014, S. 142f.).

4.4.2. Konstante professionelle Begleitung

Meist ist es so, dass Menschen mit „Komplexer Behinderung“ in ihrer Wahrnehmung und Kommunikationsmöglichkeit eingeschränkt sind. Somit besteht die Notwendigkeit einer konstanten Bezugsperson, die die individuellen Äußerungsformen gut kennt und auch deuten kann, und die zusätzlich über eine qualifizierte sonderpädagogische Ausbildung verfügt. Diese spezifische Ausbildung ist deshalb so wichtig, da sehr hohe Ansprüche an diese Person gestellt werden. So muss zum Beispiel auf Kau- und Schluckstörungen bei der Essensaufnahme richtig reagiert werden oder es müssen Spastiken gelöst werden. Kinder und Jugendliche müssen eventuell auch aus Rollstühlen gehoben werden und manchmal ist die Entwicklung eines alternativen Kommunikationssystems notwendig.

(Vgl. ebd. S 143f.).

47 4.4.3. Materielle und sachliche Anforderung

Alle notwendigen Räumlichkeiten müssen mit dem Rollstuhl zugänglich sein, also ist eine barrierefreie Schule erforderlich. Kinder und Jugendliche mit „Komplexer Behinderung“ brauchen Rückzugsmöglichkeiten, um sich auszuruhen, da sie sich natürlich nicht den ganzen Schultag durchgehend im Rollstuhl aufhalten können, sowie für spezielle pädagogische Angebote. Um ihre Bewegungsfähigkeiten zu erhalten, brauchen sie die Möglichkeit, sich hinzulegen bzw. sich auf dem Boden oder auf einem Therapiebett zu bewegen. Für die Durchführung hygienischer Maßnahmen wird ein Pflegeraum mit Wickelauflage benötigt. Bei diesen Maßnahmen muss darauf geachtet werden, dass die Intimsphäre des/der Betroffenen geschützt wird. Selbst die Hygienemaßnahmen bieten Schülern/Schülerinnen mit „Komplexer Behinderung“

vielfältige Lernmöglichkeiten. Sie lernen unterschiedliche Bewegungsabläufe kennen, die beim Essen und Trinken, beim Händewaschen oder bei der Mitgestaltung von Bewegungen aus dem oder in den Rollstuhl hilfreich sind.

(Vgl. ebd. S. 144f.).

4.4.4. Schulorganisation

Bezüglich der Schulorganisation gibt es für Gottfried Biewer und Daniel Dolležal zweierlei Überlegungen: Soll eine überregionale integrative Schule zur Verfügung gestellt werden, die entsprechend ausgestattet ist und besondere Angebote bereitstellt, oder sollen grundsätzlich alle allgemeinen Schulen so gestaltet werden, dass sie Schüler/Schülerinnen mit Lernschwierigkeiten aufnehmen können ? Diesbezüglich wird zwischen den Modellen „integrative Schwerpunktschule“ und

„wohnortnahe Integration“ unterschieden. Das Modell der „integrativen Schwerpunktschule“ scheint für Schüler/Schülerinnen mit „Komplexer Behinderung“

geeigneter zu sein, weil notwendige sachliche Ausstattungen und personelle Ressourcen gezielter bereitgestellt werden können. Allerdings steht dieses Modell im Widerspruch zu dem von der Integrationspädagogik geforderten Prinzip der Regionalisierung, da die Kinder und Jugendlichen aus einem großen räumlichen Einzugsgebiet kommen (vgl. ebd.) und womöglich viele schließlich doch ausgegrenzt werden.

(Vgl. Schlichting, 2014, S. 145).

48 4.4.5. Methodisch-didaktische Überlegungen

Eine besondere Herausforderung ist die Entwicklung eines methodisch-didaktischen Konzeptes. Schüler/Schülerinnen mit „Komplexer Behinderung“ müssen erreicht werden und gleichzeitig will man, dass andere Schüler/Schülerinnen ebenfalls neue Lernerfahrungen hervorbringen. Die Bildungsangebote können nach folgenden Kriterien befragt werden:

 Entspricht das Lernangebot der Lebenswirklichkeit von Schülern/Schülerinnen mit „Komplexer Behinderung“? Knüpft es an ihre Erfahrungswelt und ihre Wahrnehmungsmöglichkeiten an?

 Ist das Lernangebot für betroffene Schüler/Schülerinnen bedeutsam?

 Ermöglicht das Lernangebot die Eigenaktivität von Schülern/Schülerinnen mit „Komplexer Behinderung“? Können sich die Schüler/Schülerinnen als selbstwirksam erleben? Wird an ihre Handlungsmöglichkeiten angeknüpft?

 Eröffnet das Lernangebot Möglichkeiten zur Selbstwahrnehmung?

 Haben die Schüler/Schülerinnen Entscheidungsmöglichkeiten?

 Wie wird ein dialogisches Lernen ermöglicht? Kommt es zu gemeinsamen Interaktionen?

 Wird die Kommunikationsebene der Schüler/Schülerinnen berücksichtigt?

(Vgl. ebd. S. 145f.).

Hans Wocken entwickelte eine Theorie der „gemeinsamen Lernsituation“, in der er erklärt, dass gemeinsames Lernen unterschiedliche Formen annehmen könne, die nicht immer mit gemeinsamen Lerninhalten bzw. –gegenständen verbunden sein müssten:

 Bei den „koexistenten Lernsituationen“ arbeiten die Schüler/Schülerinnen individuell für sich. Ein Miteinander-Arbeiten entsteht dabei eher zufällig.

Reinhard Markowetz betrachtet diese Lernsituation als kritisch für Schüler/Schülerinnen mit „Komplexer Behinderung“. Er meint, dass diese Schüler/Schülerinnengruppe Gefahr laufe, nur passiv räumlich anwesend zu sein und gar kein adäquates Angebot zu erhalten.

 „Kommunikative Lernsituationen“ hingegen seien besonders wertvoll sowohl für Schüler/Schülerinnen mit „Komplexer Behinderung“ als auch für alle anderen Schüler/Schülerinnen der Klasse. Hier steht die Interaktion miteinander im Vordergrund und weniger die Frage eines gemeinsamen Lernens. Durch das

49 Knüpfen von Beziehungen mit einem Aufeinander-Reagieren entstehen hohe soziale Kompetenzen, die weit über die Schulzeit hinaus wirken können und Einstellungen und Handlungen stark beeinflussen. Die Schüler/Schülerinnen brauchen jedoch Anleitung und Unterstützung, damit eine gute Interaktion und Kommunikation gelingen kann. Sie müssen wissen, wie eine Kontaktaufnahme mit Schülern/Schülerinnen mit „Komplexer Behinderung“ funktioniert, wie die Begrüßung gestaltet werden kann oder über welche Themen gesprochen werden kann.

 „Individuelle Lernsituationen in Form von Einzelunterricht“ sind besonders wichtig, weil nur da bspw. basale Anwendungen zur Körperwahrnehmung und Körpererfahrung in Form verschiedener Massagen und Bewegungsangebote durchgeführt werden können. Ebenso ist es in diesen vertraulichen Settings möglich, die oft wenig sichtbaren Äußerungen der Schüler/Schülerinnen mit

„Komplexer Behinderung“ zu erkennen, auf diese für sie wahrnehmbar zu reagieren und daraus passende Förderangebote zu gestalten.

 Verschiedene therapeutische Angebote wie Logopädie, Physiotherapie und Ergotherapie sollten in der Schule durchgeführt werden können. Anhand dieses Angebotes werden die Schüler/Schülerinnen und ihre Eltern von einem nachmittäglichen Besuch in Therapiepraxen entbunden. Die therapeutischen Angebote sollten nicht abseits vom Unterricht angesiedelt werden. Sie können ihre Verknüpfung und Anwendung zum Beispiel bei der Lagerung und in der Gestaltung von Transfersituationen im Unterricht finden

(Vgl. ebd. S. 145ff.).

4.5. Die Mathetik – neben der Didaktik bedeutsame Methode der