• Keine Ergebnisse gefunden

3. Bedingungen für Integrationspolitik

6.3 Hybride Sprache und Kulturen als Widerstand

ausgestopft, […]. Also, ich bin nicht ne brave Türkenmutti hinterm Herd, […]. Ich kenn meine Henker, weißt, klar ist n bißchen großspurig, was ich da sag, aber es gibt so viele, die meinen, was gut für dich ist und was deine Identität ist, und du hörst dir den Mist an und wunderst dich, daß nix von dieser Meinung zu dir paßt, aber echt.“ (Kf, 30-31) Zur Desintegration bzw.

der vermehrten ‚Segregation’ führten nicht nur das System und dessen Grenzziehungsmechanismen, sondern auch die eigene wahrgenommene kulturelle Differenzerfahrung. Dagegen plädiert die Gemüseverkäuferin und legt großen Wert auf das interkulturelle Leben. Sie geht davon aus, dass die Türken ihre Existenz zwischen den Kulturen aufbauen müssen: „Heute brauche ich keine Heimat. Ich habe mich davon befreit. Was machen die Leute, die eine Heimat haben? Geht es ihnen besser? Ich sehe, daß das im Leben eines Menschen nur die Bedeutung hat, die man ihm gibt. Ich gebe einfach nichts mehr darum, Schluß aus! Ich verschwende meine Kraft nicht damit, um etwas zu trauern, was ich nie hätte haben können. […]. Man kann es nehmen, wie man will: Wir werden nie ein Teil der deutschen oder der türkischen Gesellschaft sein. Wir können höchstens der Teil unserer eigenen Gesellschaft sein.“ (Kf, 41-42)

Wendungen. Der Kanake spricht seine Muttersprache nur fehlerhaft, auch das ‚Alemannisch‘ ist ihm nur bedingt geläufig. Sein Sprachsatz setzt sich aus ‚verkauderwelschten‘ Vokabeln und Redewendungen zusammen, die so in keiner der beiden Sprachen vorkommen.“ (KS, 13) In seinen ersten Werken gibt es nicht nur eine Mischung aus zwei oder mehreren Sprachen, sondern auch neue erfundene Verben und Wortbildungen wie z. B. das Verb

„stinkfingern“ oder die Komposita „Dummsinnspruch“, „Starkfrau“,

„Schmerzweib“ und „Weibhärte“. Im Text tauchen noch komplexe, schwer zu begreifende Zusammensetzungen auf: „All das, was so n Liberalpissetrinker vorgeben tut zu verstehen, ist schlimmster Raub vom Reinoriginal, ist Tränendummes und Kontofettes, Toskana-Arsch-fickiges und Weinkenneriges, Billighäutiges und Bürgerdoofzappeliges […].“ (Kf, 11) Die „Kanak“-Texte tragen ganz eindeutig die dichterische Handschrift Zaimoğlus. Der Autor schlägt einen neuen Weg ein, der sich von anderen Wegen der ‚Migrationsliteratur‘ unterscheidet. Hinnenkamp geht davon aus, dass diese literarische Hybridität als Ausdruck von Identität gilt. „Es gibt keine exklusive türkische oder deutsche Identität, eher die ironisch-spielerische Handhabung derselben aus der Position einer eigenständigen Verortung, deutsch-türkisch oder türkisch-deutsch, aber doch gleichzeitig weder das eine noch das andere.“332 Zaimoğlu spielt ironisch mit Identitäten. Er lässt seine ProtagonistInnen zwischen den Sprachen pendeln und neue unbekannte Wörter äußern. Somit erhebt er Hybridität zum

„zentralen künstlerischen Prinzip und zeichnet Identitäten des Weder-Noch nach, in einer Sprache in, zwischen und auch neben den Sprachen“.333 Mit literarischen Mitteln umreißt er eine Identität jenseits des „Bindestrichs“.

Der Autor erzählt in einem Interview mit Sabine Christiansen, wie er von der Sprache seiner Eltern und der Sprache der Straße und Schule beeinflusst war: „Es waren Comicstrips, die mich inspiriert haben, es waren Ein-zu-Eins-Übersetzungen von Kalendersprüchen und Koransprüchen meines

332 Hinnenkamp: Gemischt sprechen, S. 11, in: Skiba, Dirk: Ethnolektale und literarisierte Hybridität in Feridun Zaimoğlus Kanak Sprak, S. 183-204. In: Schenk, Klaus/Todorow, Almut/Tvrdik, Milan (Hrsg.): Migrationsliteratur – Schreibweisen einer interkulturellen Moderne. Tübingen 2004, S. 183

333 Skiba, Dirk, a.a.O., 203

Elternhauses. Ich war draußen, ich war drinnen durch dieses ständige Mich-Zappen zwischen zwei Kulturen, wie das immer gesagt wird, was auch Unfug ist, sondern zwischen vielen Sprachebenen.“334 In seinem Werk

„Koppstoff“ wurden Randgestalten interviewt. Dies spiegelt sich in ihren sprachlichen Äußerungen wider. So trägt die Sprache der Jura-Studentin Hatice weit weniger hybride Züge als die der Rapperin Nesrin. Zaimoğlu verzichtet in seinem Buch auf „Monofrequenz, auf den einheitlichen Ton“, wie er in „Kanak Sprak“ vorherrschte.335 Der Autor fühlt sich verpflichtet, ein schonungsloses Bild vom Leben in der Migration zu zeichnen: „Ich spreche nicht nur von einem Aspekt der Kindheit, ich spreche von tausend mal tausend Gastarbeiterhaushalten der ersten Stunde, ich spreche von den verschimmelten Arbeiterbaracken, von den Hinterhausbuchten und den Elendskabuffs, in denen ‚wir‘ groß geworden sind, ‚wir‘ – das sind die Zuwandererkinder. […]. Die sprachliche Manifestation ‚unserer‘

Mobilmachung heißt Kanak Sprak.“ (KS, 14) Zaimoğlu versteht sich selbst, wie viele seiner ProtagonistInnen, als „Fighter“, der mit der „Kanak-Zunge“

eine Sprache des Widerstandes formuliert: „Kanak Sprak ist eine Kunstsprache. […]. Es ist eine Form der Sichtbarkeit. Am Ende kommt Sichtbarsein und Kenntlichmachung, kommt Öffentlichkeit heraus. Dazu gehört genauso ein kämpferischer Gestus in der Sprache, ein Stakkato oder harter Beat.“336 Zu dieser neu entwickelten ‚Migrationsliteratur‘, die unter anderem Emine Sevgi Özdamar und Feridun Zaimoğlu mitgeprägt haben, äußert sich Jamel Tuschick folgendermaßen: „Manche Autoren der zweiten Generation beschreiben Irritationen aus Fremdungserlebnissen in den Ursprungsgesellschaften der Eltern. Das hält sie nicht davon ab, das Erbe ihrer ausländischen Eltern in die Pflicht zu nehmen, Bilder abzuwerfen. Die Differenz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung gibt ihnen auch Anlaß zu Humorbeweisen. Sie melken den Witz aus Kommunikationsstörungen, kulturellen Mißverständnissen, Ohnmachtserfahrungen. Mit Intelligenz

334 Zaimoğlu bei Sabine Christiansen, in: Skiba, Dirk, a.a.O., 194

335 Zaimoglu in Jamel Tuschick. Auf die Ethnie beziehen sich die Ausgebremsten. Ein Gespräch mit dem Literaturagitator Feridun Zaimoglu, in Junge Welt (30.10.1998). In:

Skiba, Dirk, a.a.O., 195

336 Zaimoglu in Grumbach, Koppstoff, S. 26, in: Skiba, Dirk, a. a. O., S. 197

bewaffnen sie ihre Protagonisten im Kampf gegen einen See von Plagen.

Migration bleibt ein Dauerzustand.“337 Feridun Zaimoğlu verbindet überdies die Künstlichkeit der „Kanak Sprak“ seiner ProtagonistInnen und die Hip-Hop-Kultur, da die Interviewten ihre hybriden Identitäten mit popkulturellen Bezügen herstellen. Der literarische Bezug auf Rap wird hier als symbolischer Widerstand gegen ein essentialistisches Verständnis sozialer Identität begriffen und in ausdrücklichen Kontrast zu stereotypen Darstellungen von Jugendlichen türkischer Herkunft gestellt. Viele Kritiker betonen diese Nähe der „Kanak Sprak“-Texte zum Hip-Hop. Daniel Bax beschreibt Zaimoğlu als den „erfolgreichsten türkischen Rapper deutscher Zunge.“338 Zaimoğlu selbst bestätigt diesen Zusammenhang. „Kanak Sprak“

ist „dem Freestyle-Sermon im Rap verwandt, dort wie hier spricht man aus einer Pose heraus.“ (KS, 13) Die Sprache erscheint hier zunächst als Instrument der Selbstbehauptung, hat aber eine performative Dimension.

Die Jugendlichen sprechen also nicht nur ihre Landessprache, sondern auch deutschen Dialekt und Slang und reichern ihre Sprache mit Anglizismen an.

Daher wird ihnen vorgeworfen, dass sie „Denglisch“ sprechen. Der Rapper Ali beschreibt beispielsweise die Geschichte seiner Musik als

„Widerstandsmedium“. „[…], die elite, bruder, is ne wasserdichte pechversiegelung in puncto oberdogma, das da zu dir spricht: tu nix unter deinem wert, tauch nicht auf und bleib man underground, weil oberwasser scharf geballert wird.“ (KS, 31) Der Rapper Abdurrahman, der Breakdancer Bayram und Rahman von der Flohmarktdisco betrachten den Rap als einen harten „Kodex“: „Bist du'n lamm, fressen sie dich, bist du'n kleiner fisch, fressen sie dich, bist du ohne kodex, fressen sie dich, und weil die beschissensten tarife gängig sind, weil's heißt: friß oder stirb.“ (KS, 41) Durch Posen und Musik konstruieren die Figuren, die rassistische Kategorien ihrer Diskriminierung beschreiben, eine eigene künstliche Welt

337 Tuschick, Jamel: Träger von Zukunftsinformationen. Morgen Land. Neueste deutsche Literatur, Frankfurt am Main 2000, S. 290. In: Skiba, Dirk, a. a. O., S. 203-204

338 Bax, Daniel: Abschwellender Straßenlang, in: taz (10.10.2001). In: Skiba, Dirk, a. a. O., S. 193

der „Gegendistinktionen“.339 Die Abgrenzung des Eigenen vom Fremden ist dabei in einem konstruierten künstlerischen Raum angesiedelt.

Festzustellen ist, dass die Sprache bei Feridun Zaimoğlu eine Erneuerung ins literarische Schreiben der Gegenwart bringt. Sie verleiht eine neue Ausdruckskraft. Seine Romane sind nicht nur aggressive Gesellschaftskritik, sondern auch neue Sprachgewalt mit hohem innovativem Potenzial in der Gegenwartsliteratur. Die Kanak-Sprache ist ein neuer Raum mit neuen Aspekten. Sie reflektiert - aufgrund der Migration in den letzten Jahrzehnten - die Veränderung der deutschen Gesellschaft.