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3. Bedingungen für Integrationspolitik

3.5 Schwächen im Bildungswesen und in der Arbeitswelt

gesorgt werden, dass auf staatlicher Seite Länder und Kommunen im Vergleich zur ersten Phase stärker vertreten werden, die für die wesentlichen Integrationsleistungen zuständig sind. Man braucht noch dazu Ansprechpartner wie Träger sozialer und religiöser Einrichtungen, vor allem Moscheengemeinden.So eine ähnliche Religionsgemeinschaft hat bereits in Berlin stattgefunden, die das „Berliner Islamforum“143 genannt wird.

Danach wird gestrebt, dass der Islam eine gleichberechtigte Rolle in Deutschland einnehmen könnte.

vom Juli 2007 kommt dem Thema Bildung und Integration eine besondere Bedeutung zu. „Zu den zentralen Zielbestimmungen des Integrationsplans im Themenfeld ‚Gute Bildung und Ausbildung sichern, Arbeitsmarktchancen erhöhen‘ gehören die Schaffung eines Bildungssystems, das ‚Chancen eröffnet, Potenziale entfaltet und Bildungserfolge nicht von sozialer Herkunft abhängig macht‘, die Verbesserung von Schulsituationen durch die Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen und die Veränderung belastender Rahmenbedingungen, die Förderung der Potenziale der Jugendlichen durch Verbesserung der Elternbeteiligung und die Stärkung von Eigenverantwortung sowie eine Verbesserung des Unterrichts und eine Intensivierung der Bildungsforschung.“145

Durch die international vergleichende PISA-Studie146 ist die mangelnde Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungssystems und dessen fehlende Integrationsfähigkeit ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Das deutsche Bildungswesen schneidet im Kreis der Länder mit vergleichbarem Entwicklungsstand äußerst schlecht ab, da die meisten fünfzehnjährigen gegen Ende der Pflichtschulzeit, nur „ein sehr bescheidenes und, gemessen an den gesellschaftlichen Anforderungen, unzureichendes Kompetenzniveau“ erreichen. Selbst die Leistungen auf höheren Niveaustufen bleiben hinter denen in anderen Ländern zurück.147 Deutschland stand bei PISA 2000 an 22. Stelle der internationalen

http://www.berlin.de/imperia/md/content/lb-lkbgg/bfg/nummer34/08_gesemann.pdf?start&ts=1210238176&file=08_gesemann.pdf.

Letzter Zugriff am 12.05.2012, um 10:15 Uhr

145 Ebenda, letzter Zugriff am 12.05.2012, um 10:30 Uhr

146 In den PISA-Studien, der internationalen Grundstudie und der nationalen Erweiterungsstudie, wurden die Basiskompetenzen in den Bereichen Lesen (2000), Mathematik (2003) und Naturwissenschaften (2006) getestet. Grundgesamtheit der international vergleichenden PISA-Studie (PISA-I) ist die Gruppe der fünfzehnjährigen Schülerinnen und Schüler in 32 Staaten, von denen 28 Mitgliedsstaaten der OECD sind.

Die innerdeutsche Vergleichsstudie (PISA-E) ist ein Bundesländer-Vergleich. Hunger, Uwe/Thränhardt, Dietrich: Der Bildungserfolg von Einwandererkindern in den westdeutschen Bundesländern. Diskrepanzen zwischen den PISA-Studien und den amtlichen Schulstatistiken. In: Auernheimer, Georg (Hrsg.): Schieflagen im

Bildungssystem – Die Benachteiligung der Migrantenkinder. Wiesbaden 2010, 4. Auflage, S.52

147 Auernheimer, Georg (Hrsg.) (2010): Schieflagen im Bildungssystem – Die Benachteiligung der Migrantenkinder, Wiesbaden S. 8

Rangliste, dagegen befanden sich die skandinavischen Länder im oberen Drittel. Auch die PISA-Untersuchung 2003 hat alarmierende Ergebnisse für Deutschland gebracht. „Der eigentliche Skandal liegt nicht nur in der geringen Leistungsfähigkeit des deutschen Schulsystems, sondern vor allem in der erheblichen Streuung der Leistungen, die auf mangelnde Chancengleichheit hinweisen. In kaum einem anderen Land ist die Abhängigkeit des Schulerfolgs von sozialer Herkunft so groß und die Förderung benachteiligter Kinder so gering bzw. erfolglos wie in Deutschland.“148

Trotz leichter Verbesserungen in den letzten Jahren, sind immer noch erhebliche Unterschiede in den Bildungserfolgen zu verzeichnen. 85.295 Schülerinnen und Schüler nicht deutscher Herkunft haben die allgemein bildenden Schulen verlassen. Dies entspricht einem Anteil von 8,9 Prozent aller Absolventen bzw. Abgänger. Während bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund jeder Sechste die Schule ohne Abschluss verlässt, ist es bei den Deutschen nur jeder Vierzehnte. Mit dem Abitur verlässt mindestens jeder vierte Deutsche die Schule, bei den nichtdeutschen Jugendlichen ist es demgegenüber nur jeder Zehnte. Einen mittleren oder höheren Abschluss erzielen also 70 Prozent der deutschen, aber nur 40 Prozent der nichtdeutschen Jugendlichen.149 Zudem sind die Differenzen zwischen den Geschlechtern bei den Schulabsolventen und Schulabgängern nichtdeutscher Herkunft stark ausgeprägt. Der Anteil der Mädchen bei den Absolventen mit (Fach-) Hochschulreife ist wesentlich höher als ihr Anteil bei den Schulabgängern ohne Abschluss. Während 46,2 Prozent der ausländischen Mädchen einen Realabschluss oder die Hochschulreife erreichen, sind es bei den ausländischen Jungen 36 Prozent. 21 Prozent der Jungen verlassen die Schule ohne Abschluss, dagegen sind es bei den Mädchen 13,7 Prozent.150

148 Gesemann, Frank: Die Integration junger Muslime in Deutschland – Bildung und Ausbildung als Schlüsselbereiche sozialer Integration. Poltische Akademie – Interkultureller Dialog. Islam und Gesellschaft Nr. 5. Berlin 2006, S. 11:

http://library.fes.de/pdf-files/akademie/berlin/04705.pdf, am 15.05.2012, um 14 :15 Uhr

149 Ebenda, am 15.05.2012, um 14 :23 Uhr

150 Ebenda, S. 13.

Die schulischen Misserfolge können durch die individuellen und familiären Lebensbedingungen (die soziale Position der Eltern, Einreisealter und Aufenthaltsdauer, unzureichende Bildung und Sprachfertigkeit der Eltern bzw. die zu Hause gesprochene Sprache), durch gesellschaftliche und institutionelle Bedingungen (mangelnde Förderung von Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen) sowie durch Unterschiede im Bildungssystem und Qualität der Lehrer/-innen begründet werden.

Ergebnisse aus PISA 2003 zeigen erhebliche Defizite bei den ausländischen Jugendlichen, die stark auf den Sprachgebrauch und den Migrationsstatus zurückzuführen sind. Über ungünstigere Bildungschancen verfügen vor allem Jugendliche, die im Alltag überwiegend eine andere als die deutsche Sprache sprechen, wobei eine seltenere Verwendung der deutschen Sprache mit einem geringeren sozioökonomischen und soziokulturellen Status einhergeht.151 Die Tatsache, dass viele Eltern mit Migrationshintergrund mit ihren Kindern zu Hause nicht auf Deutsch sprechen, bestätigen zwei Schulleiterinnen von Neuköllner Kindertagesstätten sowie „Stadtteilmütter“

bei einem Gespräch mit dem Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky.152 Des Weiteren weisen Ergebnisse der im Herbst 2006 mit 25.143 Kindern durchgeführten Berliner Sprachstandserhebung „Deutsch Plus“ darauf hin, dass 54,4% der Kinder aus Migrantenfamilien intensiv in Deutsch gefördert werden müssen (11,1% der Kinder deutscher Herkunftssprache). Besonders hoch ist der Förderbedarf bei den Kindern, die in Ballungsgebieten mit hohen Migrantenanteilen wie Neukölln leben (64,6%) oder keine Kindertagesstätte besuchen (71,9%).153 Für Kinder aus Migrantenfamilien ist also, neben dem sozioökonomischen Migrationsstatus, die mangelnde Sprachkompetenz die entscheidende Hürde in ihrer Bildungskarriere, die ein erfolgreiches Weiterlernen in Ausbildung und Beruf gefährdet. Die fehlende

151 Ramm, Gesa/Walter, Oliver/Heidemeier, Heike/Prenzel, Manfred (2005):

Soziokulturelle Herkunft und Migration im Ländervergleich, in: PISA-Konsortium Deutschland (Hrsg.): PISA 2003. Der zweite Vergleich der Länder in Deutschland. Was wissen und können Jugendliche? Münster: Waxmann. Zitiert nach: Gesemann, Frank: Die Integration junger Muslime in Deutschland – Bildung und Ausbildung als

Schlüsselbereiche sozialer Integration, a. a. O., S. 16, am 19.05.2012, um 13:22 Uhr

152 Buschkowsky, Heinz: Neukölln ist überall. Berlin 2012, S. 248

153 Gesemann, Frank: Bildung und soziale Lage junger Zuwanderer in Berlin. BFG Nr.34, a. a. O., S. 35. Letzter Zugriff am 12.05.2012, um 10:35 Uhr

individuelle und familiäre Zuwendung und Förderung in der Schule wird psychisch nicht leicht bewältigt und kann zu Leistungsblockaden oder -verweigerung führen. Die Differenzen in der sozialen Lage, insbesondere Unterschiede in den Bildungserfolgen und den Zukunftsperspektiven, aber auch das elterliche Erziehungsverhalten und die familiären Sozialisationserfahrungen gehören zu den Grundfaktoren von schulischen Misserfolgen, die häufig durch Aggressivität und Gewalthandeln kompensiert werden. Der Bericht der Landeskommission Berlin gegen Gewalt ist zu dem Schluss gekommen, dass „Perspektivlosigkeit“, „fehlende Anerkennung und geringes Selbstwertgefühl im Kontext mangelnder Bildungserfolge, geringer Ausbildungschancen und ungünstiger Arbeitsmarktaussichten“ wesentliche Risikofaktoren für gewalttätiges Verhalten seien.154 Auch Studien zur Delinquenz von Jugendlichen zeigen, dass junge Migranten, die ein unzureichendes Bildungsniveau aufzeigen und aus Familien stammen, die einen niedrigeren sozioökonomischen Status aufweisen, generell durch eine deutlich höhere Gewaltbelastung gekennzeichnet sind.155 Weitere bedeutsame Risikofaktoren wie innerfamiliäre Gewalterfahrungen und Gewalt legitimierende Männlichkeitsnormen sind mit dem Bildungsstand und der sozialen Lage eng verknüpft und können nicht der eigenen Kultur der Jugendlichen zugeschrieben werden. Eine Auswertung von Akten der Berliner Staatsanwaltschaft hat zudem gezeigt, dass die „Intensivtäter“ hauptsächlich aus Elternhäusern stammen, die einen niedrigen Bildungs- und Qualifikationsstatus haben und überdurchschnittlich häufig von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Die Lebensbedingungen der Vielfachtäter sind fast ausnahmslos durch geringe Bildung, fehlende berufliche Qualifikationen und mangelnde ‚Integration‘ in den Arbeitsmarkt

154 Statistisches Bundesamt (2007: 28f.); Landeskommission Berlin gegen Gewalt (2007:

107), in: Gesemann, Frank: Bildung und soziale Lage junger Zuwanderer in Berlin. BFG Nr.34, a. a. O., S. 33. Letzter Zugriff am 12.05.2012, um 10:37 Uhr

155 Gesemann, Frank (2005): Junge Zuwanderer und Kriminalität in Berlin.

Bestandsaufnahme – Ursachenanalyse – Präventionsmaßnahmen. Berlin 2004: Der Beauftragte des Senats für Integration und Migration. In: Gesemann, Frank: Bildung und soziale Lage junger Zuwanderer in Berlin. BFG Nr.34, a. a. O., S. 34. Letzter Zugriff am 12.05.2012, um 10:50 Uhr

charakterisiert.156 Zu den Ursachen eskalierender Gewalt bei den Jugendlichen gehören auch „die erlebte fremdenfeindliche Gewalt, die Verweigerung der Anerkennung einer kollektiven Identität durch die Mehrheitsgesellschaft, konkrete Diskriminierungserfahrungen im privaten Bereich, die negativen Folgen der gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse, der Rückzug in die eigene ethnische Gruppe, die Betonung einer auf Abgrenzung ausgerichteten national und religiös begründeten Identität und die Ablehnung ‚moderner‘ Erziehungswerte.“157 Die mangelnde Leistungsfähigkeit und die damit verbundenen schulischen Misserfolge werden auch mit dem selektiven Bildungssystem begründet, so Anna Ratzki: „Die Trennung nach Schulformen war und ist für eine Trennung der sozialen Milieus verantwortlich, wie viele Studien immer wieder nachwiesen. Deutschland schließt einen großen Teil seiner Kinder von besseren Bildungschancen aus, vor allem Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern und aus Migrantenfamilien.“158 Auf die Frage, wie die

‚Integration‘ in den Schulen am besten verlaufen und gelingen würde, antwortet Prof. Werner Schiffauer folgendermaßen: „Wir sollten uns an den skandinavischen Ländern orientieren, die dabei weitaus bessere Bedingungen geschaffen haben, indem sie die Gesamtschule als Regeltyp hatten und darüber auch dieses Charakteristikum des deutschen Schulsystems, sehr früh die Kinder nach Leistungsgruppen zu trennen, umgangen haben. Das sehe ich als eine der Möglichkeiten. Das andere ist:

Die Schulen sind Teile der Gesellschaft, man muss also sozusagen gesamtgesellschaftlich gegen diese Wahrnehmung von Ausländerkindern angehen, so dass sie als Teil der deutschen Gesellschaft oder als Deutsche betrachtet werden, damit sie einbezogen werden. Bisher ist es halt so, dass

156 Ohder, Claudius/Huck, Lorenz (2006): „Intensivtäter“ in Berlin – Hintergründe und Folgen vielfacher strafrechtlicher Auffälligkeit. Teil 1: Eine Auswertung von Akten der Abteilung 47 der Berliner Staatsanwaltschaft. Berliner Forum Gewaltprävention (BFG), Nr.

26. Berlin: Landeskommission Berlin gegen Gewalt. In: Gesemann, Frank: Bildung und soziale Lage junger Zuwanderer in Berlin. BFG Nr.34, a. a. O., S. 34. Letzter Zugriff am 12.05.2012, um 10:30 Uhr

157 Gesemann, Frank: Die Integration junger Muslime in Deutschland – Bildung und Ausbildung als Schlüsselbereiche sozialer Integration, a. a. O., S. 18. Letzter Zugriff am 23.05.2012, um 09:15 Uhr

158 Ratzki, Anna: Skandinavische Bildungssysteme – Schule in Deutschland. Ein provokanter Vergleich. In: Auernheimer, Georg (Hrsg.), a. a. O., S. 24

diese Stigmatisierung als Ausländerkinder dazu führt, dass sich die Lehrer nicht so richtig für diese Kinder verantwortlich fühlen. Und das ist das Problem.“159 Die skandinavischen Länder stützen sich auf erfolgreiche Schulsysteme, auf Individualisierung und Förderung, um jedem Kind den eigenen Lernweg, ohne Aussonderung, ohne Abwertung durch Vergleiche mit seiner Gruppe zu ermöglichen. Die Heterogenität wird in den Schulklassen auch vielfach verstärkt und genutzt, wie bei der ‚Integration‘

Behinderter oder beim altersgemischten Unterricht. Deutschland dagegen hat die homogensten Schülergruppen. Die Schüler/innen werden in bestimmte Schulformen selektiert. Kritisch äußert sich der Soziologe Häussermann zu der Homogenität in den Schulklassen: „Heterogene Schülerschaft entscheidet über den Lernerfolg der Kinder. Im Moment erleben wir, meiner Meinung nach, eine regelrechte Bildungskatastrophe.

Statt beispielsweise für eine gute Mischung zu sorgen, sind bildungsbewusste Eltern gerade dabei, sich mehr und mehr abzusondern.“160 Die Noten, die in den skandinavischen Pflichtschulen keine große Rolle spielen, sind in den deutschen Schulen Mittel zur Selektion. Von ihnen hängen Versetzung oder Sitzen bleiben, Schulverbleib oder Schulwechsel ab. In der Bundesrepublik Deutschland erleben 36 Prozent der SchülerInnen während ihrer Schulzeit Zurücksetzungen durch Sitzen bleiben oder erzwungenen Schulwechsel, die Schule ist „defizit-orientiert“.161 Die Schulsysteme in Schweden, Norwegen und Finnland gehen von einer Pflichtschulzeit auf in einer Gesamtschule von der 1. bis 9. oder 10. Klasse aus. Das ermöglicht einen langen Interventionszeitraum, um Benachteiligungen durch soziale Herkunft oder Lebensumstände auszugleichen. Fachleistungsgruppen gibt es nicht. „Deutschland hat mit vier gemeinsamen Grundschuljahren den kürzesten Interventionszeitraum aller Länder, die Zuweisung zu unterschiedlich anspruchsvollen

159 Interview mit Prof. Dr. Werner Schiffauer über ‚Integration‘ und Islam in Deutschland.

Frankfurt/Oder, den 28.07.2010. Siehe Anhang, S. 233

160 Häussermann. Zitiert nach Buschkowsky, Heinz: Neukölln ist überall. Berlin 2012, S.

259

161 Ratzki, Anna: Skandinavische Bildungssysteme – Schule in Deutschland. Ein provokanter Vergleich. In: Auernheimer, Georg (Hrsg.), a. a. O., S. 30

Schulformen mit unterschiedlichen sozialen Milieus ist für die enormen Leistungsunterschiede zwischen Schulen und Schüler(inne)n in Deutschland hauptverantwortlich.“162

In den Schulen tauchen auch wegen religiös begründeter Kleidungsvorschriften und Vorstellungen konkrete Konflikte auf. Anlässe für solche emotionalen Debatten bieten vor allem das Tragen des Kopftuchs bei Schülerinnen und insbesondere Lehrerinnen sowie die Frage der Teilnahme muslimischer Schülerinnen am Sport-, Schwimm- und Sexualkundeunterricht sowie an Klassenfahrten. Die Schülerinnen, die in ethnisch verdichteten Stadtquartieren wohnen, werden öfter von islamischen Organisationen unter Druck gesetzt.163 Problematischer für den Schulalltag ist die Ablehnung des gemeinsamen Schwimmunterrichts nach islamistischer Interpretation. Organisationen aus dem islamistischen Umfeld haben bundesweit auf Befreiung vom schulischen Schwimmunterricht geklagt, um ihre eigenen Normen durchzusetzen.164 Um diese religiös begründeten bzw. emotionalen Probleme zu bewältigen, soll mehr über neue und erfolgversprechende Ansätze des pädagogischen Umgangs mit dem Thema Islam an deutschen Schulen in Erfahrung gebracht werden. Hier soll auch in Kooperation mit islamischen Organisationen islamischer Religionsunterricht165 etabliert werden. Zu deren Voraussetzung gehört insbesondere, dass Muslime in den Ländern Religionsgemeinschaften bilden, die „den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht werden“

und dass an deutschen Hochschulen Lehrstühle für islamische Theologie

162 Ebenda, S. 31

163 Gesemann, Frank: Die Integration junger Muslime in Deutschland – Bildung und Ausbildung als Schlüsselbereiche sozialer Integration, a. a. O., S. 17-18. Letzter Zugriff am 23.05.2012, um 14:33 Uhr

164 Kleff, Sanem: Zwischen Religion, Tradition und Islamismus. In: Kleff, Sanem (Hrsg.):

Islam im Klassenzimmer – Impulse für die Bildungsarbeit. Hamburg 2005, S. 29

165 Erprobungsformen zum islamischen Religionsunterricht gibt es aufbauend seit 2004 in

Rheinland-Pfalz, sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärschule. Islamunterricht wird, ganz genauso wie der katholische und evangelische Religionsunterricht, in deutscher Sprache erteilt und benotet. Er ist versetzungsrelevant und unterliegt der staatlichen Schulaufsicht. Die Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaft ist für den Religionsunterricht notwendige Voraussetzung, um der gemeinsamen Verantwortung gerecht zu werden. Bildungsserver-RheinlandPfalz: In:

http://religion.bildung-rp.de/islamischer-religionsunterricht-modellprojekt.html. Letzter Zugriff am 12.05.2013, um 10:45 Uhr

eingerichtet werden, die die Ausbildung von Imamen und islamischen Religionslehren übernehmen können.166 Einen wichtigen Beitrag zur

‚Integration‘ vermögen islamische Organisationen und Moscheevereine zu leisten. „‚Aufgeschlossene Moscheevereine‘ können eine

‚Multiplikatorfunktion‘ bei der sozialen Integration von Migranten übernehmen, die es ermöglicht, zentrale Themen und Projekte wie Bildung, Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit oder Gewaltprävention gemeinsam zu bearbeiten und voranzutreiben.“167 Islamische Organisationen sollen nicht erst einbezogen werden, wenn es Probleme gibt und es nur noch um Schadensbegrenzung geht. Darüber hinaus soll der islamische Religionsunterricht den Kindern und Jugendlichen eine Alternative zu den Korankursen in den Moscheevereinen bieten und ihnen den Zugang zu einem modernen Islamverständnis ermöglichen. Der islamische Religionsunterricht ist ein Integrationsbeitrag von elementarer Wichtigkeit und wird seit Jahren in dem Nachbarland Österreich als ordentliches Schulfach in deutscher Sprache gelehrt. Er wird auch in Nordrhein-Westfalen auf Deutsch angeboten und kann daher in alle deutschen Bundesländer eingeführt werden.168 Deutschsprachige muslimische Religionslehrerinnen wie Frau Kaddor vermitteln nicht nur den Inhalt des Islams, sie sind auch Ansprechpartner in der Schule für den interreligiösen Dialog.169 Er soll auch die Teilhabe von Eltern und Schülern am Schulgeschehen fördern. Ein entsprechendes Beispiel dafür sind die

„Stadtteilmütter“ in Neukölln. Ausgebildete Frauen überwiegend

166 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.

Integrationspolitik als Gesellschaftspolitik in der Einwanderungsgesellschaft.

Memorandum der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Berlin 2005. In: Gesemann, Frank: Die Integration junger Muslime in

Deutschland – Bildung und Ausbildung als Schlüsselbereiche sozialer Integration, a. a. O., S. 21. Letzter Zugriff am 24.05.2012, um 14:37 Uhr

167 Gesemann, Frank: Multikulturalismus, Parallelgesellschaften oder lokale Integration, in:

Rüdiger Robert / Norbert Konegen (Hrsg.): Globalisierung und Lokalisierung. Zur Neubestimmung des Kommunalen in Deutschland. Münster/New York/München/Berlin.

2006, S. 231–251 Gesemann, Frank: Die Integration junger Muslime in Deutschland – Bildung und Ausbildung als Schlüsselbereiche sozialer Integration, a. a. O., S. 21. Letzter Zugriff am 24.05.2012, um 14:37 Uhr

168 Alboga, Bekir: Schule und Islam – eine Herausforderung für die Bildungsarbeit. Eine Podiumsdiskussion. In: Kleff, Sanem (Hrsg.): Islam im Klassenzimmer – Impulse für die Bildungsarbeit. Hamburg, 2005, S. 40

169 Ebenda, S. 41

muslimischer und arabischer Herkunft erklären migrantischen Familien mit Kindern bis zu 12 Jahren bei Hausbesuchen das deutsche Schulsystem. Es wird auch über Kindererziehung gesprochen und bei der Anmeldung oder bei den Behördengängen geholfen. Dieses Integrationsprojekt im Bezirk Neukölln fand mittlerweile bundesweit Nachahmer.170

Zu nachhaltiger Erhöhung der Bildungschancen von Kindern muslimischer Herkunft sind tragfähige Brücken zwischen sozialen Räumen, ethnischen Kulturen und religiösen Milieus zu errichten, die die soziale ‚Integration‘

der Migranten fördern. Zu den Voraussetzungen von Bildungserfolgen gehören nicht nur die Entwicklung sprachlicher und kognitiver Fähigkeiten, sondern auch der Aufbau interkultureller und –religiöser Kompetenzen. Bei der Kultusministerkonferenz im März 2003 über die Rolle des Bildungswesens bei der ‚Integration‘ der Muslime in Deutschland wurde beschlossen, die Bedeutung eines friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen, einer gegenseitigen Anerkennung von Nichtmuslimen und Muslimen zu unterstützen. Hierzu wurde hauptsächlich der Dialog auf beiden Seiten betont. Bildungseinrichtungen, insbesondere Schulen, gelten „als hervorragende Orte zum Erlernen des interreligiösen und des interkulturellen Dialogs“, zu deren Bildungs- und Erziehungsauftrag es gehöre, „demokratische Grundwerte zu vermitteln, für unterschiedliche kulturelle Prägungen und religiöse und weltanschauliche Überzeugungen offen zu sein und interkulturelle Kompetenz zu fördern.“171

Für die soziale ‚Integration‘ von Migranten und deren Eingliederung in den Arbeitsmarkt ist in der Bundesrepublik Deutschland eine qualifizierte Berufsausbildung neben einer erfolgreichen Schulbildung von großer Bedeutung. Die Zahl der Auszubildenden mit Migrationshintergrund ist jedoch in den letzten Jahren um knapp 43 Prozent gesunken, so dass die Ausbildungsquote bei 25,2 Prozent liegt. Seit Mitte der 90er Jahre sinkt sie kontinuierlich. Im Jahr 1994 war sie schon mit 34 Prozent außerordentlich

170 Buschkowsky, Heinz, a. a. O., S. 243-256

171 Kultusministerkonferenz, März 2003. In: Gesemann, Frank: Die Integration junger Muslime in Deutschland – Bildung und Ausbildung als Schlüsselbereiche sozialer Integration, a. a. O., S. 22, letzter Zugriff am 24.05.2012, um 14:50 Uhr

niedrig, sie sank bis 2004 weiter auf 25 Prozent und damit um 26 Prozent.

Noch ungünstiger sehen die Zugangschancen junger Frauen ausländischer Nationalität zu einer beruflichen Qualifizierung aus.172 Das Bundesinstitut für Berufsbildung und die Bundesagentur für Arbeit haben 2006 eine repräsentative Befragung von Lehrlingen und -bewerberinnen durchgeführt und sind zum Ergebnis gekommen, dass es den Jugendlichen mit Migrationshintergrund schwerer fällt als deutschen Bewerber/-innen, einen Ausbildungsplatz zu finden. Selbst bei gleichen schulischen Abschlüssen waren die Erfolgsaussichten von Bewerbern und Bewerberinnen mit Migrationshintergrund deutlich geringer als die von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Obwohl sich die Chancen auf einen Ausbildungsplatz mit dem Niveau des Schulabschlusses erhöhen, sind diese Verbesserungen bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund weniger stark ausgeprägt als bei deutschen Bewerbern und Bewerberinnen.173

Die Ursachen für den Rückgang der Ausbildungsbeteiligung ausländischer und besonders türkischer Jugendlicher liegen, so Frank Gesemann, nicht nur in den unzureichenden oder fehlenden Schulabschlüssen und bestehenden Sprachdefiziten, sondern auch in den harten Bildungs- und Bewerbungsbedingungen: „Die Chancen auf Zugang zu einer beruflich-betrieblichen Ausbildung werden vor allem von den Bildungsvoraussetzungen der Jugendlichen und ihrem Nachfrageverhalten, aber auch von den Angebots- und Auswahlverfahren der Betriebe sowie den Entscheidungskriterien und Vorurteilsstrukturen der Personalverantwortlichen beeinflusst.“174 Weitere Ergebnisse der BA/BIBB-Bewerberbefragung zeigen zwar deutlich, dass „generell die Arbeitsmarktbedingungen am Wohnort und die schulischen

172 Granato, Mona: Zunehmende Chancenungleichheit für junge Menschen mit

Migrationshintergrund auch in der beruflichen Bildung. In: Auernheimer, Georg (Hrsg.), a.

a. O., S. 105

173 Bundesinstitut für Berufsbildung und Bundesagentur für Arbeit, in: Bundesministerium für Bildung und Forschung. 2006, 117f. In: Gesemann, Frank: Die Integration junger Muslime in Deutschland – Bildung und Ausbildung als Schlüsselbereiche sozialer Integration, a. a. O., S. 14. Letzter Zugriff am 15.05.2012, um 14:45 Uhr

174 Gesemann, Frank: Die Integration junger Muslime in Deutschland – Bildung und Ausbildung als Schlüsselbereiche sozialer Integration, a. a. O., S. 14. Letzter Zugriff am 19.05.2012, um 11:15 Uhr

Voraussetzungen – wie die Abschlussnote in Mathematik bzw. die Höhe des Schulabschlusses – Faktoren sind, die auf Aussichten von Lehrstellenbewerbern einen signifikanten Einfluss haben. Berücksichtigt man aber zusätzlich den Migrationshintergrund als intervenierende Variable, so liegen die Aussichten von Bewerbern mit Migrationshintergrund bei gleichen Bedingungen, d.h. in schwierigen Arbeitskategorien, mit einem Hauptschulabschluss oder auch mit einem weiterführenden Abschluss, immer deutlich unter den Zugangsmöglichkeiten der Vergleichsgruppe. D.h. der Migrationshintergrund ist bereits für sich allein genommen ein Faktor, der den geringen Zugang von Bewerbern mit Migrationshintergrund beim Zugang zu einer dualen Ausbildung erklärt.“175 Hierzu wurden im Rahmen des Forschungsprojekts an der Forschungsstelle für interkulturelle Studien (FiSt) Jugendliche mit Migrationshintergrund aus Köln mittels eines umfangreichen Fragebogens zu ihren Bildungs- und Ausbildungsverläufen und ihren Erfahrungen mit schulischen und außerschulischen Institutionen befragt. Die meisten Migrantenjugendlichen sprechen über allgemeine Erfahrungen von „Ablehnung“ sowie von „Herabsetzungen“, die zumeist an

„ethnische Homogenisierungen“ („ja ihr Türken“) geknüpft waren.

Außerdem beschrieben sie die Erfahrung von „Besonderung“, das Gefühl, als Migrant beobachtet zu werden, sowie das Erleben von „ungleicher, bzw.

ungerechter Behandlung“ und direkter „schulischer Diskriminierung“

seitens des Lehrenden, z.B. durch ungerechte bzw. als ungerecht empfundene Notengebung.176 Diese Erfahrungen von „Entmutigung und Platzverweisen“ innerhalb des schulischen Systems werden oft in der Beratung seitens des Arbeitsamtes fortgeführt. „Auffällig war, dass auf der einen Seite Jugendliche, die sich beruflich weiter qualifizieren wollten, vermehrt angeben, dass ihnen das Arbeitsamt davon eher abgeraten und

175 Granato, Mona: Zunehmende Chancenungleichheit für junge Menschen mit

Migrationshintergrund auch in der beruflichen Bildung. In: Auernheimer, Georg (Hrsg.), a.

a. O., S. 117

176 Schulze, Erika / Soja, Eva-Maria: Verschlungene Bildungspfade. Über

Bildungskarrieren von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. In: Auernheimer, Georg (Hrsg.), a. a. O., S. 202