• Keine Ergebnisse gefunden

Häufigkeit der Konfrontation mit potenziell traumatisierenden Ereignissen

2. Die Posttraumatische Belastungsstörung

2.4 Häufigkeit der Konfrontation mit potenziell traumatisierenden Ereignissen

Abbildung 3: Neurobiologische Grundlagen der PTBS im Vier-Ebenen-Modell (aus Bering, 2005,S. )

2.4 Häufigkeit der Konfrontation mit potenziell traumatisierenden Ereignissen und

1995). Kessler et al. (1995) untersuchten im Rahmen des National Comorbidity Survey (NCS) in den USA 5 877 Personen. 61% der befragten Männer und 51% der befragten Frauen machten Angaben zu potenziell traumatisierenden Ereignissen in ihrem bisherigen Leben. Häufig be-nannt wurden: Zeuge einer schweren Verletzung oder des Todes anderer Personen sein, schwere Unfälle oder Naturkatastrophen erleben. Breslau et al. (1998) fanden in einer Untersu-chung junger Erwachsener in Detroit, dass die meisten potenziell traumatisierenden Ereignisse in der Altersgruppe der 16 bis 20 Jährigen berichtet wurden. Kessler et al. (1995) zeigten auf, dass Frauen eher Vergewaltigungen und sexuelle Belästigungen, Männer dagegen eher Kriegserlebnisse und die Beobachtung von Tod oder Verletzung anderer erleben.

Die Lebenszeitprävalenz für die PTBS betrug in der NCS im Mittel 7.8% (Männer: 5%, Frauen:

10.4%). Einflüsse auf die PTBS-Rate ergaben sich insbesondere durch die Art bzw. Schwere des Stressors. Geschlechts-unabhängig konnten nach Vergewaltigungen die höchsten PTBS-Prävalenzraten beobachtet werden.

Für die BRD ist das Ausmaß traumatischer Expositionen nur schwer in Zahlen zu fassen, da repräsentative Bevölkerungsstudien bisher seltener durchgeführt wurden. Daten zur Häufigkeit potentiell traumatisierender Ereignisse können z. B. aus Statistiken des Statistischen Bundes-amtes (Verkehrsunfallstatistiken) oder des BundeskriminalBundes-amtes (Statistiken über Gewaltver-brechen) gewonnen werden. Hier werden allerdings nicht alle von einem potenziell traumatisie-renden Ereignis betroffenen Personen erfasst. Nach Katastrophen, wie der Flutkatastrophe 2002, kann die Anzahl der Betroffenen zwar geschätzt werden. Die Zahl derer, die dabei eine traumatische Erfahrung machten, bleibt jedoch offen.

Perkonigg Kessler, Storz und Wittchen untersuchten im Jahr 2000 14- bis 24-Jährige im Raum München zur Häufigkeit potenziell traumatisierender Ereignisse in ihrem bisherigen Leben. 17%

der Gesamtstichprobe berichteten potenziell traumatisierende Ereignisse (A1- und A2-Kriterium (DSM IV) erfüllt). Männer (18.6%) wurden häufiger als Frauen (15.5%) mit potenziell traumati-sierenden Ereignissen konfrontiert. Überwiegend wurden Ereignisse im Zusammenhang mit körperlicher Gewalt (9.6%) und Unfällen (7.5%) bschrieben.

Auch hier wurden die höchsten PTBS-Raten nach Vergewaltigungen (50%) bzw. Misshandlung und sexuellem Missbrauch in der Kindheit (30.6%) sowie Kriegserfahrungen (25%) beobachtet.

Insgesamt lag die Lebenszeitprävalenz für die PTBS bei 7.8%. 14.5% der befragten Mädchen und Frauen gegenüber 2.2% der männlichen Befragten gaben PTBS-Symptome für einen Zeit-raum in ihrem bisherigen Leben an. Die höheren Zahlen in der weiblichen Teilstichprobe wur-den, gleich der Studie von Kessler et al. (1995) in den USA, mit einer häufigeren Konfrontation mit interpersonellen Ereignissen im Zusammenhang gebracht. In der Gesamtstichprobe lag die Lebenszeitprävalenz für die PTBS nach potenziell traumatisierenden Ereignissen (A1-Kriterium) bei 1.3%, die Ein-Jahresprävalenz bei 0.7%.

Aus dem Jahr 2008 liegt eine weitere Studie aus dem deutschsprachigen Raum in der Alters-gruppe der 18- bis 97-Jährigen vor (Maercker, Forstmeier, Wagner, Glaesmer & Brähler, 2008).

Die Ein-Jahres-Prävalenz für die PTBS lag bei 2.3%. Geschlechtsunterschiede konnten in die-ser deutschen Stichprobe nicht ermittelt werden. Jedoch wurden altersspezifische Unterschiede deutlich, wobei in der älteren Gruppe der über 60-Jährigen im Zusammenhang mit früheren Kriegserfahrungen die höchste PTBS-Prävalenzrate (3.2%) gefunden wurde.

Polizeiliche Gefahrenabwehr: Die Forschung zu traumatischen Erfahrungen bei gefährdeten Berufsgruppen, wie z. B. der Polizei, hat im anglo-amerikanischen Sprachraum eine längere Tradition, erlebte in Deutschland insbesondere nach dem Zugunglück von Eschede 1998 ein zunehmendes Forschungsinteresse (Flatten, Seiger, Rossaint & Petzold, 2003; Heinrichs et al., 2002; Teegen & Yasui, 2000). Bisher wurden überwiegend zwei Arten von Studien durchge-führt. Einerseits wurden im Anschluss an ein potenziell traumatisierendes Ereignis (z. B. Zug-unglück in Eschede) alle exponierten Einsatzkräfte untersucht. Dabei wurde die Erfüllung des A2-Kriteriums häufig vorausgesetzt und nicht explizit erfasst (s. Bengel, Barth, Frommberger, &

Helmerichs, 2003). Andererseits wurden generelle Prävalenzen für traumatisch erfahrene Er-eignisse und die PTBS bestimmt (s. Arndt, Hering & Beerlage, 2008; Beerlage, Arndt, Hering, Nörenberg & Springer, 2008; Beerlage, Arndt, Hering & Springer, 2009b; Klemisch et al., 2005;

Teegen 1999; Teegen, Domnick & Heerdegen, 1997). Klemisch et al. (2005) nehmen an, dass die Mehrheit der Einsatzkräfte in der Polizei mindestens ein potenziell traumatisierendes Ereig-nis im Rahmen der Ausübung des Dienstes erlebt. Diese Annahmen bestätigen Untersu-chungsergebnisse von Teegen et al. (1997), wonach 60% bis 90% der Einsatzkräfte der Feu-erwehr und der Polizei in Ausübung ihres Berufes ein- bis mehrmals mit potenziell traumatisie-renden Ereignissen konfrontiert werden. Im Mittel wurden in der Erhebung sogar 22 derartige Ereignisse von Polizeibeamten berichtet.

Diese Daten liegen deutlich über den Zahlen zur Konfrontation mit potenziell traumatisierenden Ereignissen in der Allgemeinbevölkerung. Eine Besonderheit in der Diskussion um berufliche potenziell traumatisierende Ereignisse in der polizeilichen Gefahrenabwehr bildet der Gebrauch der Schusswaffe. Obwohl das besonders traumatisierende Potenzial eines Schusswaffenge-brauches häufig besprochen wird, werden derartige Einsätze nur relativ selten in der Bundesre-publik Deutschland erlebt. Klemisch et al. (2005) verweisen auf Ergebnisse einer eigenen Un-tersuchung wonach 98% der 327 Befragten bereits Einsätze mit Leichen erlebt hatten, 95%

hatten Konfrontationen mit Schwerverletzten erlebt, 55% bis 64% erlebten Lebensgefahr bzw.

die eigene körperliche Verletzung im Einsatz, 45% bis 61% erlebten schwere Verletzungen von Kollegen im Einsatz bzw. den Suizid eines Kollegen, jedoch nur 14% berichteten den Einsatz der Schusswaffe. Im Zusammenhang mit den Folgen von Einsätzen mit gezielter Schussabga-be wird in der Literatur auch der Begriff des Post Shooting Traumas verwendet (Gill, 1990).

Insgesamt verdeutlichen die Daten, dass Polizisten als Risikogruppe für die Konfrontation mit potenziell traumatisierenden Ereignissen im Rahmen der Ausübung ihres Berufes bezeichnet werden können (Arndt et al., 2008; Teegen, 1999; Teegen et al., 1997).

Gleich den Daten für die Allgemeinbevölkerung, schwanken auch die Angaben zu den PTBS-Raten in Einsatzorganisationen. Im Mittel werden PTBS-PTBS-Raten für Polizisten im deutschspra-chigen Raum zwischen 5% und 12% berichtet (s. Bengel et al., 2003; Krampl 2003; Teegen et al., 1997). Diese Angaben liegen deutlich über den PTBS-Prävalenzraten in der Allgemeinbe-völkerung (s. Kapitel 2.4). Sie sind jedoch vergleichbar mit den Angaben für weitere Einsatzor-ganisationen im deutschsprachigen Raum, wie z. B. der Feuerwehr (9% chronische PTBS, s.

Teegen et al., 1997), sowie mit Ergebnissen aus den Niederlanden (Carlier, Lamberts &

Gersons, 1997).

Darüber hinaus werden aber auch deutlich höhere PTBS-Raten diskutiert. So gaben in der Er-hebung von Gasch (1998) bei Polizisten in Baden-Württemberg 82.4% der Befragten an, min-destens ein „sehr belastendes Ereignis“ (S. 12) im Laufe ihrer Dienstzeit erlebt zu haben. Von den 146 Teilnehmern, welche Ereignisse nannten, die das A1-Kriterium des DSM IV erfüllten, litten 38 Personen (26%) zum Zeitpunkt der Erhebung wahrscheinlich unter einer PTBS. In ei-ner Untersuchung von Heuft et al. (2008) bei deutschen Polizisten (N = 50) ein halbes Jahr nach einem potenziell traumatisierenden Einsatz (insbesondere Schusswaffengebrauch, schwerer Verkehrsunfall) wurde auf Basis eines ausführlichen diagnostischen Interviews eine PTBS-Prävalenzrate von 28% gefunden.

Dem gegenüber existieren aber auch Erhebungen, die auf deutlich niedrigere Konfrontationsra-ten mit poKonfrontationsra-tenziell traumatisierenden Ereignissen und niedrigere PTBS-RaKonfrontationsra-ten verweisen. Sen-nekamp und Martin (2003) berichten Untersuchungsergebnisse, wonach rund ein Drittel der Polizisten keine potenziell traumatisierenden Erfahrungen angeben. Die Autoren nehmen zu-dem an, dass ein hoher Prozentsatz der Einsatzkräfte potenziell traumatisierende Ereignisse ausreichend bewältigen kann. Ergebnisse einer Untersuchung bei Einsatzkräften der Bundes-polizei aus dem Jahr 2006 stützen diese Annahme (Arndt et al., 2008). Lediglich 28.1% der 562 befragten Bundespolizisten wurden mindestens einmal im Rahmen ihres Dienstes mit potenziell traumatisierenden Ereignissen konfrontiert. Die PTBS-Rate lag bei 1%. In der bundesweiten Studie von Beerlage et al. (2009b) bei hauptamtlichen Einsatzkräften der Landes- und Bundes-polizei, der Berufsfeuerwehr, der Rettungsdienste und des Technischen Hilfswerkes wurde eine PTBS-Prävalenz von 0.8% nach beruflichen Ereignissen, die mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen erlebt wurden, ausgemacht. In diesem Kontext verweisen Teegen et al. (1997) sowie Klemisch et al. (2005) darauf, dass gemessen an der Anzahl der Konfrontationen mit po-tenziell traumatisierenden Ereignissen nur wenige Polizisten posttraumatische Belastungsstö-rungen ausbilden.

Carlier et al. (1997) begründen die niedrigen PTBS-Prävalenzen in Einsatzorganisationen der Polizei mit Aspekten spezifischer Auswahlverfahren im Vorfeld der Berufsausbildung (Selektion vulnerbaler Personen), einer Selbstselektion psychisch vulnerablerer Personen in den ersten Berufsjahren und einer speziellen Berufsausbildung, welche das Handling in Extremstresssitua-tionen integriert.

Verschiedene Autoren betonen jedoch auch ein gehäuftes Auftreten einzelner PTBS-Symptome bzw. subsyndromaler Beeinträchtigungen in der polizeilichen Gefahrenabwehr (Gasch, 1998;

Klemisch et al., 2005; Heuft et al., 2008; Steinbauer, 2001). Unter subsyndromalen Beeinträch-tigungen bzw. partieller PTBS werden allgemein posttraumatische Beschwerden verstanden, welche die Kriterien der PTBS nicht vollständig erfüllen. Nach Blanchard et al. (1996) sowie Heinrichs et al. (2002) erfordert eine subsyndromale PTBS mindestens die Erfüllung des A-Kriteriums, des Intrusionskriteriums und eines der beiden Kriterien Vermeidung oder Übererre-gung im entsprechenden Zeitfenster.

In der Untersuchung von Krampl (2003) berichteten z. B. 28% der befragten Einsatzkräfte der österreichischen Polizei subsyndromale Beeinträchtigungen. Teegen et al. (1997) fanden bei 15% der durch sie befragten 155 Hamburger Polizisten partielle PTBS-Beeinträchtigungen, al-lein 40% berichteten Intrusionssymptome. Die Betrachtung subsyndromaler

PTBS-Ausprägungen scheint für die Abschätzung der psychischen Belastung der Einsatzkräfte be-deutsam.

Vor dem Hintergrund insgesamt uneinheitlicher Daten zu potenziell traumatisierenden Ereignis-sen und PTBS-Prävalenzen empfiehlt Maercker (2009a) insbesondere in der Gruppe der auf Extremsituationen trainierten Einsatzkräfte in Feuerwehr, Rettungsdienst, Polizei etc. stets das subjektive Erlebensmerkmal zu erfassen, da Fälle in denen zwar potenziell traumatisierende Ereignisse erlebt wurden (A1-Kriterium), jedoch das A2-Kriterium nicht vorlag, keine Seltenheit sind. Dem gegenüber verweisen Albus und Siol (2001) darauf, dass z. T. schwerste Ereignisse gut bewältigt werden, andererseits leichtere Ereignisse zu PTBS-Symptomen führen.

Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die Forschung seit Langem mit der Bestimmung mögli-cher Risiko- und Schutzfaktoren. Der aktuelle Stand der Erkenntnisse zu möglichen Schutz- und Risiskofaktoren soll nachfolgend dargestellt werden.