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Grundlegende Zusammenhänge zwischen Intelligenz und

Im Dokument Freie Universität Berlin (Seite 146-153)

Die Intelligenzforschung und die Wissenspsychologie entstammen zunächst unter-schiedlichen Forschungstraditionen. Einerseits basiert der Untersuchungsgegenstand der Differentiellen Psychologie vorwiegend auf der Erforschung des Konstrukts Intelligenz.

Andererseits werden die Forschungsgegenstände Wissen und Lernfähigkeit eher der Allgemeinen Psychologie zugeordnet, wobei insbesondere die Lernfähigkeit unter ih-rem Anwendungsaspekt auch in die Subdisziplin der Pädagogischen Psychologie ein-gegliedert werden kann. Dieser Sachverhalt impliziert gleichzeitig, dass verschiedene Interessensschwerpunkte bestehen und unterschiedliche konzeptuelle Methoden einge-setzt worden sind. Hinsichtlich dieser vermeintlichen Differenzierung erwägen Guthke und Beckmann (2001), die Intelligenzdiagnostik verstärkt kognitionspsychologisch zu fundieren, um die Erforschung des geistigen Leistungsgrades durch den gegenseitigen Austausch von Erkenntnissen voranzutreiben. Eine gute Möglichkeit zur Integration stellt der kognitive Korrelate-Ansatz und der Komponenten-Ansatz dar (siehe Kapitel 4.3).

Vor diesem Hintergrund wird im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs die Frage thema-tisiert, welche Bedeutung das Wissen und die Intelligenz für berufliche oder akademi-sche Leistungen hat (Fragestellung 1). Die andere grundlegende Frage behandelt darauf aufbauend das Verhältnis bzw. den Zusammenhang zwischen Wissen und Intelligenz (Fragestellung 2).

Zu 1) Im Hinblick auf das in diesem Zeitalter schnell veraltende Wissen sprechen einige Fachleute der allgemeinen geistigen Fähigkeit und damit der Intelligenz einen höheren Stellenwert zu. In diesem Zusammenhang werden Modebegriffe wie systemisches und vernetztes Denken, emotionale Intelligenz, Erfolgsintelligenz etc. verwendet. Die Wis-senspsychologen betonen hingegen, dass gerade das domänenspezifische Wissen der beste Prädiktor für gute schulische oder berufliche Leistungen ist. Eine Bestätigung er-fährt diese Annahme durch die Ergebnisse der Expertiseforschung hinsichtlich des Ver-gleichs von Experten und Novizen. Schneider (1993, zitiert nach Stern, 2001) zeigt in seinen Studien, dass vor allem die langjährige und effiziente Nutzung von Lern- und Übungsgelegenheiten eine Voraussetzung für geistige Höchstleistungen in den Berei-chen wie z.B. Musik ist. Ericsson, Krampe & Tesch-Römer (1993) stellen des Weiteren heraus, dass es bei einer Überschreitung einer bestimmten Intelligenzschwelle weniger auf die Intelligenz ankomme, sondern vielmehr auf die Art und Intensität der Übung.

Darüber hinaus gelangen Weinert und Helmke (1998) in ihren Untersuchungen zu dem Schluss, dass ein überdurchschnittliches Vorwissen Defizite in der allgemeinen Intelli-genz ausgleichen kann und dass es keine eindeutigen Differenzen zwischen über- und unterdurchschnittlich intelligenten Personen gibt, die über ähnliches Vorwissen verfü-gen. In diesem Kontext konstatiert Weinert (1994), dass Wissen als Ergebnis

inhaltsbezogener Lernprozesse, mit stets begrenzter Verallgemeinerung und Abstraktion der erworbenen Kenntnisse, (…) zugleich die wichtigste Bedingung für zukünftiges Lernen innerhalb der gleichen Inhaltsdomäne [ist]“ (S. 197). Im Bezug auf eine reprä-sentative Befragung verschiedener Experten stellt Süß (2007) zudem die Annahme auf,

„dass außergewöhnliche Leistungen im Wesentlichen auf bereichsspezifische Fertigkei-ten zurückzuführen und nicht das Resultat interindividueller Unterschiede in basalen Fähigkeiten und Intelligenz sind“ (S.18). Sternberg (1985) kommt dagegen zu der An-nahme, dass sich intelligente und weniger intelligente Experten womöglich bei der Be-arbeitung von neuen Aufgaben unterscheiden, in denen sie kein direktes Vorwissen be-sitzen. Die Ergebnisse seiner Studie konnten die Vermutung jedoch nicht untermauern und zeigten eher niedrige Korrelationskoeffizienten zwischen der Höhe der Intelligenz und der Lösung neuartiger Aufgaben. Hinsichtlich der Vermutung, dass die Intelligenz die Ursache für interindividuelle Unterschiede sei, führte Stern (1994, 1998) eine weite-re Studie durch. Auf Basis von Wissenstestergebnissen und Intelligenzmessungen zum Zeitpunkt der Erhebung und durch längsschnittliche Daten des zwei Jahre zurückliegen-den Vorwissensstandes war es Stern möglich, die Einflussstärke der Intelligenz und des Vorwissens bezüglich der Lösung von mathematischen Textaufgaben gegeneinander abzuwägen. Das Resultat zeigte, dass Kinder mit kontinuierlichen, überdurchschnittli-chen Mathematikleistungen (Vorwissen), unabhängig von ihrer Intelligenz, die besten Leistungen erbrachten und dass überdurchschnittlich intelligente Kinder mit unterdurch-schnittlicher Mathematikleistung ähnlich schlechte Leistungen bei der Lösung von Textaufgaben erzielten wie Kinder mit unterdurchschnittlichen Mathematik- und Intel-ligenzleistungen. Entgegen der Vermutung stellte Stern (1994, 1998) fest, dass das Vorwissen und weniger die Intelligenz die entscheidende Leistungsdeterminante für den Lerntransfer in Textaufgaben ist. In die gleiche Richtung weisen auch die Forschungen von Weinert (1988). Hinsichtlich der Bearbeitung von leichten und schwierigen Ma-thematikaufgaben stellte Weinert heraus, dass das Vorwissen bei anspruchsvollen Auf-gaben maßgeblich für die erfolgreiche Lösung war. Das Vorwissen übernimmt demnach eine kompensatorische Funktion bezüglich der kognitiven Fähigkeiten (Intelligenz). Bei leichten Fragestellungen konnte hingegen ein Kompensationseffekt in beide Richtungen ermittelt werden. Mit anderen Worten wächst die Relevanz des Vorwissens mit steigen-der Aufgabenkomplexität. Die aufgeführten Befunde konnten auch in weiteren zahlrei-chen Studien auf ähnliche Weise repliziert werden (z.B. Reinmann, 1988; Schneider, Körkel & Weinert, 1989; Waldmann & Weinert, 1990; Schneider & Bjorklund, 1992).

Eine Erklärung für die vorwissensgestützte Dominanz in der Experten-Novizen-Forschung wird letztendlich darin gesehen, dass durch das Vorwissen wichtige Informa-tionen schneller erkannt, effizienter vernetzt , leichter gespeichert und abgefragt werden können. Aufgrund der automatisierten Aktivierung des Vorwissens können adäquate Problemlösestrategien zügig erarbeitet werden und die kognitive Bewusstseinskapazität gleichzeitig entlastet werden (z.B. Waldmann & Weinert, 1990).

Die Konklusion, dass Vorwissenstests oder Zensuren prinzipiell eine bessere Vorhersa-ge garantieren können als IntelliVorhersa-genztests, muss an dieser Stelle indessen relativiert werden. Der Schulerfolg oder Berufserfolg wird nicht einzig allein durch die Intelligenz oder das Vorwissen bestimmt, sondern er ist vielmehr multifaktoriell determiniert. Die Forschungen von Guthke und Beckmann (2001) bestätigen den Befund, dass der Wis-senserwerb in einer experimentell kontrollierten Lernsituation sowohl von der Intelli-genz als auch durch das Vorwissen beeinflusst wird. Dieser Argumentationsstruktur folgend stellt sich auch Süß (1996) in seinen Studien die berechtigte Frage, wie Perso-nen die Aneignung vollkommen unbekannter InformatioPerso-nen bewerkstelligen oder in fremden Situationen erfolgreich handeln können. Resümierend ziehen die Autoren den Schluss, dass die Informationsaufnahme und die anwendungsbereite Organisation der Wissenseinheiten im gleichen Maß von der Intelligenz und dem Vorwissen abhängen.

Im Übrigen vermuten sie auch einen Zusammenhang zwischen der Intelligenzstruktur und dem erfolgreichen Erwerb von Expertise. In diesem Sinne kann die gegebene Intel-ligenz den Wissenserwerb und die Wissensanwendung begrenzen oder erleichtern. Die Intelligenz bildet folglich eine notwendige Voraussetzung für die Aneignung, Verände-rung und Verwendung von Wissen. Ein logisch erscheinender Hinweis für das postulier-te Zusammenspiel von Wissen und Inpostulier-telligenz sind beispielsweise die Leistungsunpostulier-ter- Leistungsunter-schiede bei gleich erfahrenen Experten oder die Tatsache, dass ein zehnjähriger Junge mit wenig Schacherfahrung erfahrene Schachspieler schlug (Guthke & Beckmann, 2001). In diesem Bezugsrahmen bekräftigen Gruber (1991) bzw. Gruber & Mandl (1996) die Resultate und konstatieren, dass Schachgroßmeister sowohl durch ihre exzel-lente Gedächtniskapazität und Kombinatorik auffallen als auch durch die auf Erfahrung basierende schnelle Identifikation und Wahrnehmung von Spielkonstellationen.

Schlussfolgernd erklärt neben dem bereichsspezifischen Vorwissen gleichermaßen die Intelligenz die bestehenden Leistungsunterschiede. Guthke und Beckmann (2001) spre-chen in diesem Zusammenhang auch von intelligentem Wissen, das gut strukturiert, vernetzt und flexibel anwendbar ist. Im Hinblick auf die Experten-Novizen-Forschung

wird die Lösung von schwierigen mathematischen Textaufgaben bspw. durch die Kom-bination von Intelligenz, Wissen und Motivation determiniert. Die effektive und effi-ziente Verknüpfung und die Interdependenz zwischen der allgemeinen geistigen Grund-ausstattung (Intelligenz) und dem erworbenen Wissen stehen dabei im Vordergrund.

Zusammenfassend kann man festhalten, dass das Wissen und die Intelligenz in mögli-cherweise variierender Einflussstärke mit dem Handeln verbunden sind und sich gegen-seitig bedingen. Zu diesem Ergebnis kommt auch Schmidt (1992), der anhand seines pfadanalytischen Modells deutlich macht, dass beruflicher Erfolg sowohl von dem be-rufsspezifischen Wissen als auch von den kognitiven Fähigkeiten abhängt und somit nur unter Berücksichtigung multifaktorieller Moderatorvariablen begründet werden kann.

Demgemäß lässt sich auch die allgemeine Leistungsvarianz nach Renkl und Stern (1994) auf drei Effekte zurückführen: „(a) den spezifischen Effekt des Vorwissens, in den der intelligenzunabhängige Übungseffekt eingeht; (b) den spezifischen Effekt der Intelligenz, in den Unterschiede in der allgemeinen Problemlösekompetenz eingehen;

dieser kann in der Problemlösesituation zur Kompensation fehlenden Vorwissens ge-nutzt werden; (c) den konfundierten Effekt aus Vorwissen und Intelligenz, in den die Auswirkungen der Intelligenz auf die Lerngeschichte eingehen“ (S.30).

Zu 2) Auf Basis dieser Annahme rückt die zweite Frage in den Mittelpunkt der Betrach-tung. Süß (1996) nimmt in diesem Zusammenhang zunächst eine begriffliche Differen-zierung vor und versucht darauf aufbauend die Intelligenz und das Wissen im Sinne der Investmenttheorie in Beziehung zu setzen. Die Intelligenz wird demnach „als Voraus-setzung für den Erwerb und die Anwendung von Wissen konzeptualisiert und Wissen, wie in der Investmenttheorie von Cattell (1987), als investierte Intelligenz begrif-fen“(Süß, 1996, S.80). Die Intelligenz bezeichnet nach dieser Auffassung intellektuelle Fähigkeiten zu „induktivem und zu deduktivem Denken, zur Erinnerung und zur Auf-merksamkeitssteuerung (…), die den Erwerb und die Anwendung von Wissen begren-zen und individuell variieren“ (Süß, 1996, S.80). Die postulierte Beziehung lässt im Weiteren vermuten, dass in empirischen Untersuchungen positive Korrelationen zwi-schen den intellektuellen Fähigkeiten (Intelligenz) und dem gegenstandsspezifizwi-schen Wissen bestehen. Ein bestätigendes Ergebnis zeigten Hunter und Schmidt (1989), die eine durchschnittliche Korrelation von r = .80 bezüglich des Zusammenhangs von Intel-ligenztestleistungen und beruflichem Fachwissen errechneten. Eine ähnliche Auffassung

vertritt auch Stern (2001), die die Intelligenz als Potential des Menschen versteht, „um Lern- und Bildungsangebote zur Aneignung von Wissen zu nutzen“(S.163).

Guthke und Beckmann`s (2001) Studien weisen in diesem Bezugsrahmen in eine ähnli-che Richtung. Die folgende Grafik (siehe Abbildung 8) soll den grundlegenden Zusam-menhang zwischen Wissen und Intelligenz verdeutlichen:

Abbildung 8: Die Interdependenz zwischen Wissen und Intelligenz ( Guthke & Beckmann, 2001)

Die angeborene Intelligenz (Intelligenz A) bildet den Grundstock für den Wissenser-werb. Hinsichtlich der Investmenttheorie von Cattell (1971a, 1987) können hier konver-gierende Elemente zur fluiden Intelligenz abgeleitet werden. Der Wissenserwerb, der unter verschiedenartigen Einflüssen stattfindet, bestimmt darauf aufbauend den Wis-sens- und Intelligenzstatus (Intelligenz B). Die Intelligenz B ist somit an den WisWis-sens- Wissens-erwerbsprozess und an die angeborene Intelligenz A rückgekoppelt. Im Bezug zur In-vestmenttheorie weist die Intelligenz B einige Parallelen zu der kristallisierten Intelli-genz auf. Die aufeinander bezogenen IntelliIntelli-genzformen A und B äußern sich dann in der aktuellen Kompetenz (z.B. Schulleistung, IQ).

Prozess des Wissenser-werbs Ergebnis des Wissenserwerbs:

Wissensstatus Intelligenzstatus Motivation

(Anstrengungs- bereitschaft) Interessen

Interessen

Motivation Qualität der Instruktion

Intelligenz A („angeborene Lernfähigkeit“)

Allgemeine/ spezifische Umweltbedingungen Qualität der Instruktion (z.B. des Unterrichts) Allgemeine/ spezifische Umweltbedingungen (z.B. familiäre Anregung) Aktuelle Kompetenz

(z.B. Schulleistung)

In einem ähnlichen Bezugsrahmen steht auch der Ansatz von Asendorpf (2004, siehe Abbildung 9). In diesem Rahmenmodell wird die Bedeutung der Intelligenz und des Wissens für die geistige Leistung ebenfalls hervorgehoben.

Abbildung 9: Das Rahmenmodell geistiger Leistung ( Asendorpf, 2004, S. 351)

Die Intelligenz wird in diesem Modell durch verschiedenartige Faktoren direkt (durch-gezogene Pfeile) und indirekt (gestrichelte Pfeile) beeinflusst. Die Haupteinflussfakto-ren sind durch die genetische Grundausstattung und die familiäre Umwelt gekennzeich-net, die wiederum wechselseitig aufeinander bezogen sind. Im Bezug auf die Struktur-theorie von Cattell (1971a, 1987) kann die Intelligenz an dieser Schnittstelle als fluide Intelligenz charakterisiert werden. Unter dem Einfluss weiterer Umweltfaktoren kristal-lisieren sich auf Basis der latenten (fluiden) Intelligenz dann wissensabhängige Kompe-tenzen heraus, die als kristallisierte Intelligenz bezeichnet werden können. Die Intelli-genz und das Wissen determinieren darauf aufbauend das geistige Leistungsverhalten der Person. Die Entfaltung des gegebenen Leistungspotentials ist jedoch an die jeweili-gen Interessen und individuellen Umwelteinflüssen der Person (rück-) gekoppelt.

Fazit

Es lässt sich festhalten, dass die Intelligenz als Leistungsgrad psychischer Funktionen verstanden werden kann, der die Aneignung, Verarbeitung und Anwendung des Wis-sens in hohem Maße beeinflusst. Auf der Grundlage des gegebenen Leistungspotentials kann das generierte Wissen dann dazu dienen, die beruflichen und privaten Anforderun-gen durch ständige Lern- und Problemlöseprozesse zu bewältiAnforderun-gen (Klix & Spada, 1998). Die Intelligenz und das Wissen stellen demnach entscheidende Determinanten für den beruflichen und privaten Erfolg dar (z.B. Süß, 2001; Schmidt & Hunter, 1998;

siehe auch Kapitel 3.4), die aufgrund ihrer engen und wechselseitigen Verbindung stets simultan betrachtet werden sollten (Guthke & Beckmann, 2001). Das Modell von Cattell (1971a, 1987) stellt in der Theorie einen integrativen Ansatz dar, der hinsichtlich der kristallisierten Intelligenz einen engen Bezug zum Wissen aufweist. In der praxis-orientierten Eignungsdiagnostik stellt der I-S-T 2000 R durch die Verknüpfung von Wissen und kristallisierter Intelligenz eine abgesicherte Möglichkeit dar, die Faktoren zu operationalisieren. Darüber hinaus besitzt auch der eingesetzte Wissenstest START-W, der weitgehend dem Erweiterungsmodul des I-S-T-2000 R entspricht, die Möglichkeit, die kristallisierte Intelligenz abzubilden. Das Beziehungsgeflecht zwischen der fluiden und der kristallisierten Intelligenz und dem Wissen wird im nächsten Unter-kapitel näher betrachtet.

6.2 Das Beziehungsgeflecht zwischen fluider Intelligenz,

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