• Keine Ergebnisse gefunden

5. Daten und Analyse

5.8 Grenzen der Anwendungsmöglichkeiten – wieviel Staat braucht die Blockchain?

Source Code („Der Code ist Gesetz“). Das Netzwerk würde von niemand besessen oder kontrolliert und Daten von allen Knoten simultan gespeichert werden. Die Neutralität des Codes, der verteilte Konsens und die Prüffähigkeit der Transaktionen könnten Unstimmigkeiten und Fehler im Entscheidungsfindungssystem von zentralen Organisationen reduzieren oder überwinden. Blockchain erlaube eine mehr horizontale und verteilte Streuung von Autorität, in welcher die Quelle der Legitimität die Individuen selbst seien. Die Nutzung von Blockchain als ein permanentes, verschlüsseltes öffentliches Datendepot könnte repräsentative AgentInnen durch Smart Contracts und dezentrale autonome Gesellschaften ersetzen. Blockchain ermögliche genauere und personalisierte staatliche Dienstleistungen. Jedes rechtliche Dokument könnte billiger, effizienter und dezentralisiert aufbewahrt werden; jede bzw. jeder könnte ihre bzw. seine eigene Blockchain-Nation und ihr bzw. sein eigenes dezentrales Steuerungssystem schaffen. Durch die Blockchain wären staatliche Dienstleistungen global und grenzenlos. Demokratie könnte durch die direkte Partizipation der BürgerInnen im Entscheidungsprozess effektiver werden, neue Modelle der Partizipation wären möglich.198

5.8 Grenzen der Anwendungsmöglichkeiten – wieviel Staat braucht die Blockchain?

Zumindest in der Theorie sind den Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain-Technologie wenig Grenzen gesetzt. Jedenfalls teilweise gaben die Befragten an, dass staatliche Aufgaben dem Grunde nach hinterfragt werden könnten. Im Allgemeinen könnten insbesondere intermediären Aufgaben ersetzt werden.

Dies zeichnete sich dem Grunde nach auch schon in der ersten Fragestellungen ab, da gefolgert werden konnte, dass bei Staaten mit erhöhter Korruption das fehlende Vertrauen in den Staat durch die Technologie ersetzt werden könnte, was zu der meines Erachtens logischen Folgefrage, welche Aufgaben überhaupt beim Staat zu belassen sind, wenn die Notwenigkeit des Vertrauens nicht mehr besteht, führt.

„[…] das ist ja die Kernidee von der Distributed-Ledger-Technologie, zu fragen, gibt es jetzt Dinge, die eine originäre Staatsaufgabe waren und die es jetzt vielleicht gar nicht mehr sein müssen, die vielleicht jemand anderer besser machen kann. Beispielsweise eben ein Grundbuch oder ein Finanzsystem oder Dinge in die Richtung.“ (Interview 2, Zeilen 89ff)

„Aber der Staat hat natürlich sehr viele intermediäre Aufgaben und wenn der jetzt ein sehr libertäres Denken annimmt, dann kann man sich wirklich systematisch fragen, wofür brauche ich den Staat überhaupt. Was bleibt überhaupt über.“ (Interview 5, Zeilen 46ff)

198 Vgl.Atzori 2015, S. 6ff.

59 Die grundsätzliche Legitimität des Staates wurde hierbei von den Befragten dennoch nicht in Frage gestellt. Vertrauen und Demokratie wurde dabei gewohnheitsmäßig beim Staat angesiedelt und Hoheitsstaatlichkeit in diesem Sinne als hohes Gut betrachtet. Gewisse Aufgaben wurden dem Staat quasi als immanent zugehörig zugeschrieben, wie z.B. die Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere im verwaltungs-, verfassungs- und strafrechtlichen Bereich. Auch bestimmte Bereiche wie im Allgemeinen Kernstaatfunktionen und im Besonderen das Bildungswesen oder die Sicherheit wurden quasi selbstverständlich als dem Staat zugehörig betrachtet. Ein Vorteil des Staates wurde außerdem darin gesehen, Monopole zu strukturieren oder eine Umverteilung vorzunehmen.

„[…] die grundsätzliche Legitimität der Prozesse wird meist nicht in Frage gestellt. […] Das ist sozusagen eine Errungenschaft über viele Jahrzehnte, dass es gewisse Dinge gibt, die der Staat entscheiden soll.“ (Interview 5, Zeilen 140f und 142f)

„Gewisse Regeln, verfassungsrechtlich, verwaltungsrechtlich das wäre wahrscheinlich sinnvoll, wenn man das beim Staat belässt […]“ (Interview 5, Zeilen 51f)

„Also das, da würde ich sehr vorsichtig sein, so wirkliche Kernstaatfunktionen in die Blockchain zu legen.“ (Interview 1, Zeilen 201f)

„Ja Schulpflicht seit der Maria Theresia haben wir die. Da sagen wir schon irgendwo ja, das ist schon Aufgabe des Staates, und soll nicht dem Einzelnen überlassen bleiben.“ (Interview 5, Zeilen 98ff)

„Und Sicherheit und vielleicht sogar auch Bildung darzustellen.“ (interview 2, Zeilen 82f)

Es wurde jedoch in einem Gespräch durchaus auch angemerkt, dass in jedem Bereich, wie bspw. in der Bildung, die Frage aufgeworfen werden kann, inwieweit diese Aufgabe von der öffentlichen Hand oder vom privaten Sektor wahrgenommen werden soll. Allgemein wurde außerdem bemerkt, dass im Zusammenhang mit der Aufgabe des Staates, die Wertigkeit von Geld oder von immateriellen Werten festzulegen, in historischer Sicht immer schon mehr oder weniger Prozent des Bruttosozialproduktes vom Staat verwaltet wurden und sich dies in Zahlen auch wieder verändern könnte. In einem weiteren Gespräch wurde in dem Zusammenhang außerdem anerkannt, dass es überstaatliche Probleme wie beispielsweise den Flüchtlingsbereich oder das internationale Währungssysteme gebe, die Staaten eventuell in Frage stellen könnten, hierbei wurde jedoch auch darauf hingewiesen, dass hier eine Koordination der Staaten eigentlich notwendig wäre.

60

„[…] der Staat ist […] derjenige, der die Dinge festlegt. Und diese Rolle von Dingen festlegen, ob das die Wertigkeit von Geld oder die Wertigkeit von immateriellen Werten, was verallgemeinert das Grundbuch ist oder Steueraufkommen, das sind natürlich Dinge, die unter Umständen mit einer Blockchain oder mit einer dezentralen Datenbank auch anders gelöst werden können. Insofern ist es so, wenn man Staatlichkeit anschaut historisch, es gab ja immer Zeiten, in denen mehr Prozent, größere Prozentsätze des Bruttosozialproduktes vom Staat gemanagt worden sind und in anderen Zeiten weniger. Und das kann sich durchaus auch dadurch verändern, in Zahlen.“ (Interview 2, Zeilen 32 und 34ff)

„Wie gesagt, diese Flüchtlingsanwendungen zeigen schon, es gibt ja Millionen Flüchtlinge, dass das schon so überstaatliche Probleme gibt und natürlich das internationale Währungs-system und so weiter, das ist auch nicht so sonderlich resilient. Aber da müssten sich halt auch die Staaten koordinieren.“ (Interview 1, Zeilen 181f)

Grenzen bildeten für die Befragten letztendlich jedenfalls das Gewaltmonopol bzw. der militärische Bereich und die Polizei, da schließlich einerseits die physische Existenz und andererseits in diesem Zusammenhang die Durchsetzung von Rechten gesichert sein müssten.

„Aber das Grundproblem, eine Grundeigenschaft von Staaten ist das Gewaltmonopol und die Vermeidung, dass der eine den Anderen physisch umbringt schlicht. Und wenn der Staat verschwindet, verschwände, Blockchain hin oder her, die physische Existenz der Menschen müsste trotzdem irgendwie gesichert werden. Und wie das dann geschähe weiß ich nicht, […].“ (Interview 4, Zeilen 365ff)

„Und letztendlich hat ein Staat auch relativ viel mit Gewalt zu tun, weil irgendwann muss ich ja was durchsetzen. Da nutzt dir die Blockchain nichts. Wenn die Polizei kommen muss oder irgendwas zu tun ist.“ (Interview 1, Zeilen 174ff)

Einer der Befragten äußerte quasi im umgekehrten Sinn Bedenken darüber, dass Staaten die Technologie ebenso nützen könnten um die BürgerInnen zu kontrollieren.

„Was ich auf jeden Fall als Gefahr sehe, dass autoritäre Staaten Blockchain-Technologie als Kontrollmechanismus verwenden können. Das muss ja dann keine öffentliche Blockchain sein, vielleicht ist sie sogar öffentlich. Ich kann ein anderes Zertifizierungssystem festlegen, […] ich kann festlegen, dass sich Bürger und Bürgerinnen eben zertifizieren müssen und kann die dann tracken und tracen.“ (Interview 5, Zeilen 155ff und 160f)

61 Atzori führt in ihrem bereits angeführten Paper aus, dass die Rolle des Staates in einem blockchainbasierten Steuerungs-Modell variieren könne: So gäbe es einerseits Positionen, die in der Schaffung blockchain-basierter dezentraler Services nicht die konsequente Abschaffung des Staates sehen, sondern die Förderung guter Steuerung. Ein anderer Blickwinkel sieht jedoch die Ausbreitung neuer Technologien als Möglichkeit für BürgerInnen, die Notwendigkeit zentraler Instanzen zu eliminieren und einen neuen sozialen Vertrag basierend auf Konsens anstelle von Zwang für eine transparentere, autonomere und innovativere Gesellschaft zu schaffen. Der soziale Vertrag beinhalte dezentrale Systeme der Kommunikation und Kollaboration sowie dezentrale Schlichtungsverfahren zur Lösung von Konflikten im Zusammenhang mit Smart Contracts. Die Gesellschaft würde in ein blockchain-basiertes selbsterhaltendes System, das durch Algorithmus und freie Marktregeln bestimmt wird, transformiert werden.199 Atzori folgert zu diesen Prinzipien und Aussagen, dass diese nicht neu seien. Überschneidungen fänden sich bspw. mit dem Marxismus, der den Niedergang des Staates allerdings als eine natürliche Konsequenz der Disruption des Kapitalismus begreifen würde, während Blockchain-AdvokatInnen den Niedergang des Staates als finalen Sieg freier Märkte und eigennütziger Individuen über öffentliche Institutionen verstünden. In den letzten Jahrzehnten seien verschiedene Anti-Regierungs-Phänomene in westlichen Demokratien entstanden und hätten verschiedenste Modelle von Demokratien und dezentraler Steuerung hervorgebracht. Vorstellungen von „New Public Admission“ und später „New Public Governance“ als Regelwerke dezentraler Steuerung würden schon seit den 70er-Jahren existieren und könnten als Managementmodelle, welche durch einen Machtwechsel vom öffentlichen zum privaten Sektor und eine dominante Rolle des Marktes in Hinblick auf öffentliche Angelegenheiten charakterisiert sind, beschrieben werden. Die Globalisierung hätte in den letzten Jahrzehnten steigenden Druck auf Institutionen zur weiteren Dezentralisation und mehr Partizipation erzeugt. Als Resultat hätten Kontrolle und soziale Koordination durch die Involvierung zahlreicher nicht-staatlicher Akteure auf globaler und lokaler Ebene an Komplexität gewonnen und Konzepte und Praktiken öffentlicher Steuerung eine große Variation an neuen organisatorischen Modellen, welche einen Trend von Dekonzentration hierarchischer Strukturen, einen reaktionsfähigen, transparenten und verantwortlichen Zugang zur Entscheidungsfindung sowie die Inklusion verschiedener Interessensträger gemeinsam haben, hervorgebracht. Das Internet eröffne darüber hinaus die Möglichkeit, Interaktionen zwischen Interessensgruppen und sozialen Bewegungen auf globaler und lokaler Ebene zu intensivieren. Blockchainbasierte Steuerung könne als letzte Fortentwicklung dessen betrachtet werden und führe zu der Idee, dass öffentliche Politiken und Dienstleistungen direkt durch private Netzwerke von Individuen im

199 Vgl.Atzori 2015, S. 8.

62 Rahmen dezentraler Steuerungsmodelle basierend auf verteilten Vertrauen und Marktregeln geleitet werden.200

In dem ebenfalls bereits angeführten Working Paper des UNRISD nimmt der Autor Scott auch Bezug auf den im Zusammenhang mit der Blockchain-Technologie aufkommenden

„techno-liberalen Evangelismus“, welcher Technologie und Märke in „sich entwickelnden“

Ländern neben anti-staatlichen Botschaften als Rettung artikuliert. In diesem Zusammenhang wird auch Bitnation genannt und ausgeführt, dass die Vision eines Marktes für Governance-Services nur bestehen kann, wenn angenommen wird, dass Märkte auch über ein politisches Steuerungssystem hinweg existieren können, was jener Auffassung widerspricht, nach welcher Märkte selbst durch genaue politische Steuerungssysteme untermauert und durch jene Besitzrechte aufrechterhalten werden, welche ihre Existenz überhaupt erst ermöglicht hat. Die Vision von „coded governance“, Blockchain-Recht und programmierten Smart Contracts könnte in Situationen unflexibler Technokratie münden.

Verträge würden Beziehungen zwischen Menschen mit lückenhaftem Wissen repräsentieren und könnten somit nicht auf einfache Weise vorprogrammiert werden. Dabei wird die Rhetorik, menschliche Unvollkommenheit zu reparieren statt ihr entgegenzukommen, kritisch gesehen. Leidenschaftliche BefürworterInnen der Blockchain-Technologie würden oftmals eine dunkle Vision der menschlichen Natur vertreten, welche annimmt, dass Menschen vor sich selbst durch die Verschiebung von Verantwortung zu vertrauenslosen technologischen Plattformen geschützt werden müssen.201 Gleichwohl gäbe es auch jenen Trend, der den Fokus auf die vertrauenslose Natur von Blockchains herunterspielt und die Technologie als vertrauensbildend charakterisiert. Die Idee dahinter sei die Motivation, die Notwendigkeit des Vertrauens in zentrale Autoritäten aufzuheben und durch Blockchains neue Formen von nicht-hierarchischen Kooperationen zwischen Fremden aufzubauen. Blockchain-Systeme würden so eine Vision groß angelegter egalitärer Selbstorganisation zwischen Fremden bieten.

Die konservative libertäre Vision impliziere hierbei, dass zentralisierte Institutionen fehlerhaft sind, weil sie zwangsläufig von Menschen kontrolliert werden, die nicht vertrauenswürdig und selbstsüchtig seien. In diesem Kontext erscheint die Blockchain-Technologie nicht nur als Möglichkeit, Menschen, auf die jene Adjektive zutreffen, aufzuhalten und zentrale Institutionen zu kontrollieren, sondern ebenso die Frage zu lösen, wie vertragliche Beziehungen zwischen vertrauensunwürdigen Menschen etabliert werden können.

Konzepte sozialer AnarchistInnen würden die menschliche Natur zwar nicht als grundsätzlich selbstsüchtig betrachten, jedoch davon ausgehen, dass sich Menschen innerhalb

200 Vgl.Atzori 2015, S. 12ff.

201 Vgl.Scott, 2016, S. 12f.

63 bürokratischer Hierarchien und kapitalistischer Machtdynamiken entfremden und korrupt werden würden. In diesem Sinne werde die Notwendigkeit zur Entwicklung klein angelegter nichthierarchischer und solidarisch basierter Systeme gefordert, die den Menschen soziale Freiheit und Emanzipation geben würden. Jedenfalls würden Blockchains prima facie die Vision weitläufiger egalitärer Selbstorganisation bieten. Hierarchische zentrale Instanzen würden durch dezentrale ersetzt werden, jedoch nicht mit dem Ziel, einzelnen selbst-süchtigen Menschen die Möglichkeit zu geben, miteinander zu kontrahieren, sondern mit der Intention, von Natur aus sozialen Wesen zu ermöglichen, in Verfolgung eines gemein-schaftlichen Zwecks miteinander zu kollaborieren.

In der Realität seien solche Visionen nach Scott oftmals unscharf und die grundlegende Frage, die sich stellen würde, ist jene, wie Menschen, die ein existierendes System gewohnt sind, dazu veranlasst werden können, ein neues System zu benutzen. Staatliche Systeme seien nicht immun gegen Instabilität, für viele würden sie jedoch den einzig formalen und relativ sicheren Schutz im alltäglichen Leben bieten. Für alltägliche PraktikerInnen liege daher der Impuls nahe, Blockchains nachdrücklich in den existierenden institutionellen Kontext von Nationalstaaten und formaler globaler Wirtschaft zu integrieren. Eine zweite Frage sei, wie eine weitläufig gemeinschaftliche Konzeption dimensioniert werden kann ohne zurück in bürokratische Systeme zu verfallen und im dezentralen Systemen Menschen eine echte Stimme zu geben.202

5.9 Besonderer Anwendungsbereich: BürgerInnenbeteiligung und Privatisierung