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6. CONCLUSIO

6.3 Disrupted Government - Blockchain und/oder Staat?

Hinsichtlich der disruptiven Kraft der Blockchain-Technologie besteht Uneinigkeit. Das Modell vom Bitnation bzw. der Pangea Jurisdiction sieht Nationalstaaten als gefährliches Auslaufmodell, welche als verantwortlich für Krieg und Gewalt, Ungleichheiten und Klimawandel gezeichnet werden und bietet eine Peer-to-Peer-Alternative, in der Vertrauen großflächig auf Reputation basiert, welche durch einen Token repräsentiert werden soll.

Techno-Liberalisten und Krypto-Anarchisten proklamieren Ideen von blockchain-basierten dezentralen Steuerungsmodellen und verstehen den Staat als unnötige Einlagerung von Macht.

Ideologien, die den natürlichen Untergang des Staates vorsehen oder dessen Abschaffung verlangen, gab es schon früher. Voigt führt bspw. zum Gegenstand des anarchistischen Staatsdenkens aus, dass die Repräsentanten des Anarchismus geprägt sind von dem Vertrauen in die gesellschaftliche Selbstorganisation und dem Traum einer solidarischen Gesellschaft, in der Autonomie, Brüderlichkeit und Föderalismus Realität werden können, wofür jedoch zunächst staatliche Unterdrückungsmechanismen wie Bürokratie, Polizei und Militär sowie das staatliche Schulsystem beseitigt werden müssen. AnarchistInnen lehnen den Staat sowie jede andere Form der Herrschaft ab und streben nach einer Ordnung in größtmöglicher Freiheit der bzw. des Einzelnen. Dabei sind weltweite soziale Gerechtigkeit und Völkerverständigung jene Ideale für die sie eintreten.236 Die Blockchain-Technologie kann grundsätzlich zur Heranziehung jeder Ideologie herangezogen werden. Da sie in technischer Hinsicht die Möglichkeit mit sich bringt, zentrale Instanzen zu ersetzen, ist sie ideal um Visionen, die Staaten als irrelevante, unzulässige oder gar gefährliche zentrale Punkte des Versagens ansehen, zu unterstützen und Ideen von einer konsensbasierten grenzenlosen Steuerung abseits von Zwang und Zentralisation voranzutreiben, die Freiheit, Gleichheit und Transparenz versprechen. Visionen blockchain-basierter Steuerungsmodelle, die im Zusammenhang mit der Globalisierung und dem Internet als natürliche Fortentwicklung von Anti-Regierungs-Phänomenen angesehen werden können, gibt es in unterschiedlicher Form und mit – in Abhängigkeit vom vertretenen Menschenbild –

235OGH 21.02.2018, 3Ob130/17i

236 Vgl.Voigt 2017, S. 205f.

93 unterschiedlichen Ergebnissen. Die Spannbreite reicht von Visionen, die die post-nationalstaatliche Welt als finalen Sieg der der freien Märkte und eigennütziger Individuen über öffentlichen Institutionen verstehen bis hin zu Visionen, welche die egalitäre Selbstorganisation in den in den Vordergrund stellen, solidarisch basierte Systemen fordern und den Menschen als soziales Wesen begreifen.

Im Rahmen der Untersuchung konnten unterschiedliche Faktoren erhoben werden, die eine Disruption des Staates begünstigen können. Insgesamt kann gefolgert werden, dass das Disruptionspotenzial in einer Abhängigkeit des Vorhandenseins von Angebot und Nachfrage in Bezug auf Staatlichkeit gesehen werden kann. Auf der Seite des Staates sind die Ausprägung der Staatlichkeit und insbesondere der Rechtsstaatlichkeit, die Fähigkeit des Staates, den Bedürfnissen der BürgerInnen entsprechende Dienstleistungen bereitzustellen, die Geldwertstabilität und das Ausmaß von sozialer Sicherheit, Kriminalität und Korruption relevant. Sofern in Bezug auf diese Faktoren Unzufriedenheit bei den BürgerInnen besteht, kann von einem Bedürfnis nach Selbstorganisation oder alternativen Systemen ausgegangen werden. Auf Seite der BürgerInnen spielen neben dem Erreichen einer

„kritischen Masse“ in diesem Zusammenhang in weiterer Folge der Bildungsstand, die Verfügbarkeit der Technologie sowie das Vorhandensein von Alternativangeboten und die darin gesehenen Vorteile eine zusätzliche Rolle.

Gleichzeitig ergeben sich aber auch im Zusammenhang mit Entwicklungstendenzen im Bereich der Blockchain-Technologie neue Aufgaben für den Staat, die im Rahmen der Arbeit an unterschiedlicher Stelle eine Rolle spielten. Die Untersuchung legt nahe, dass Richtungsentscheidungen im Bereich der Blockchain-Technologie durch gesellschafts-politische Strukturen und der Fähigkeit der Gesellschaft zu Veränderungen bestimmt werden. Die Kultur eines jeweiligen Landes, das Bildungssystem, das Wirtschaftswachstum und die Steuerpolitik sind entscheidende Faktoren, die Entwicklungen mitbestimmen. Die Ideologie, welche mit der Blockchain-Technologie verfolgt wird und die dahinterstehenden Werte und Strategien sind auch ausschlaggebend für jene Zwecke, für welche die Blockchain-Technologie eingesetzt wird. Der Staat spielt in diesem Kontext in vielfältiger Weise eine Rolle. Als Regelsetzer hat er die Aufgabe, Innovationen möglich zu machen, und durch Förderungen, Wettbewerbe und Benennung von rechtsfreundlichen Lösungen jene Entwicklungen zu unterstützen, die den rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechen und Gleichheit in der Gesellschaft fördern. Weiters spielt er als Anwender der Technologie mit dem Fokus auf Privatsphäre, Datenportabilität und Einsatzmöglichkeiten eine Rolle.

Besonders wichtig ist die Herstellung von Öffentlichkeit und Investitionen in Bildung und Forschung, um Bewusstsein in der Bevölkerung für Entwicklungen zu schaffen und ihnen Zugang zur Technologie und damit zu den durch sie entstehenden Möglichkeiten zu vermitteln. Der Schutz der BürgerInnen und die Wettbewerbsfähigkeit mit Disruptoren haben

94 in diesem Kontext ebenfalls eine Bedeutung. Nicht zuletzt ist auch die Wahrnehmung dieser Aufgaben ein berücksichtigungswürdiger Faktor für die Entwicklung des Disruptionspotenzials der Blockchain-Technologie. Ebenso wie oben dargelegt, sind auch hier die dahinterstehenden Werte und Strategien prägend für die Ergebnisse sowie für die Fähigkeit des Staates, gemeinsam mit der Gesellschaft durch einen Reifeprozess zu gehen.

Zusammenfassend kann meines Erachtens gefolgert werden, dass sich die Frage

„Blockchain und/oder der Staat?“ nicht abschließend beantworten lässt. Die Werte des österreichischen Staates sind durch seine Verfassung weitgehend vorgegeben. Diese ist auf Grundprinzipen aufgebaut, welche unter anderem das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip absichern, wodurch die Gleichheit der BürgerInnen, die Grundsätze der politischen Freiheit sowie die Bindung der Staatsmacht an das Recht gesichert werden.237 Gleichzeitig schützt ein System aus Gewaltenteilung und Gewaltenbalance vor dem Missbrauch von Staatsmacht.238 Durch die Sicherung von Grund- und Menschenrechten erhält der Staat seine wichtigste Legitimationsgrundlage, welche den Menschen ein Leben in Freiheit, Gleichheit und Würde sichern soll.239 Grund- und Menschenrechte machen deutlich, dass der Staat um des Menschen willen da ist und nicht umgekehrt.240 So hat auch die Untersuchung ergeben, dass gewisse Bereiche und Aufgaben des Staates wie Vertrauen und Demokratie, Hoheitsstaatlichkeit, die Wahrnehmung von Kernstaatfunktionen, Bildung und (soziale) Sicherheit, die Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen, der Schutz von Eigentum, Umverteilung und die Strukturierung von Monopolen sowie die Förderung der freien Märkte gewohnheitsmäßig beim Staat verortet werden. Fraglich ist allerdings, ob dieses Ergebnis global gesehen angewendet werden kann. Was, wenn der Staat seine Aufgaben nicht erfüllt, ihm andere Werte zu Grunde liegen oder diese nicht gesichert werden können oder eine solche Absicherung vom Staat offensichtlich nicht gewollt ist? Liegen Machtmissbrauch, Menschenrechtsverletzungen, Armut, Ungleichheit und Kriminalität vor, scheint es auch Sicht der BürgerInnen legitim, Alternativen in Betracht zu ziehen und auf blockchain-basierte Systeme umzusteigen oder Möglichkeiten zur Selbstorganisation wahrzunehmen. In diesem Kontext bietet die Blockchain-Technologie nicht nur die Chance, für jene Menschen, sich aus den staatlichen oder auch gesellschaftlichen Strukturen zu befreien, sondern andererseits auch für jene Staaten, sich ihrer Verantwortung zu stellen und ihr Handeln in andere Bahnen zu lenken und eine bessere Steuerung zu etablieren. Es darf dabei jedoch nicht übersehen werden, dass dezentrale Steuerungsmodelle auch Risiken bergen. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang die mangelnde demokratische Legitimation von Systemen, deren Quellcode von ProgrammiererInnen bestimmt ist, welcher durch Einzelne voraussichtlich

237 Vgl.Berka 2014, S. 38f und 52f.

238 Vgl.Berka 2014, S. 118.

239 Vgl.Berka 2014, S. 394.

240Berka 2014, S. 394.

95 kaum beeinflusst werden kann. Weiters ist nicht bewiesen, dass durch dezentrale Steuerungssysteme auch mehr Gleichheit erreicht wird. Zentralisationsbestrebungen im Bereich von Kryptowährungen lassen eher das Gegenteil vermuten. Offen bleiben des Weiteren Fragen nach dem faktischen Schutz von Eigentum, der Gewalt, dem Leben, der sozialen Sicherheit oder anderen Rechtsgütern. Abseits dieses extremen Szenarios liegt meines Erachtens aber ebenso der Schluss nahe, dass es jedenfalls zu einer schleichenden teilweisen Disruption bzw. einer freiwilligen Aufgabe von Staatlichkeit, insbesondere im Hinblick auf die neuen Möglichkeiten der direkten Demokratie und Formen der Privatisierung kommen wird und der Druck zur „guten“ Steuerung im Interesse der BürgerInnen steigt, wobei meiner Ansicht nach in diesem Zusammenhang mit einem sich entwickelnden, natürlichen und langsam verlaufenden wechselförmigen Interessensausgleich zwischen Staat und BürgerInnen sowie AnbieterInnen, EntwicklerInnen und AnwenderInnen von blockchain-basierten Applikationen zu rechnen ist. Besonders spannend sind in dieser Hinsicht sind aus meiner Sicht Entwicklungen in Bezug auf das staatliche Geldmonopol.

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