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2.14. Diagnostik von Nierenfunktionsstörungen

2.14.1. Glomeruläre Filtration

Um die glomeruläre Filtrationsrate präzise bestimmen zu können, ist es entschei-dend, eine Substanz zu verwenden, die ausschließlich renal ausgeschieden, in den Glomerula frei filtriert und in den Tubuli und weiteren harnableitenden Wegen nicht reabsorbiert, sezerniert oder anderweitig verändert wird. Darüber hinaus soll-te diese Substanz leicht zu bestimmen und in den verwendesoll-ten Konzentrationen

44 nicht toxisch sein. Das Standardverfahren zur GFR-Bestimmung ist die Inulin-Clearance. Inulin ist nicht vollständig physiologisch inert. Nach mehrstündiger Verweildauer im Organismus wird es in Leber und Milz und weniger in Haut und Skelettmuskel zellulär gespeichert (WHITE u. ROLF 1956, 1957). Dennoch gilt I-nulin als Referenz oder "goldener Standard", wenn andere Substanzen auf ihre Eignung zur GFR-Bestimmung geprüft werden sollen. Inulin erfüllt alle Anforde-rungen an eine ideale Indikatorsubstanz zur Bestimmung der GFR (DEETJEN 1993). Polyfructosan-S (Inutest®) ist ein Polysaccharid inulinartiger Natur. Es eig-net sich zur Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate und des physiologisch aktiven extrazellulären Flüssigkeitsvolumens beim Menschen ebensogut wie Inu-lin. Gegenüber Inulin weist Polyfructosan-S zwei wesentliche Vorteile auf: (1) Es ist völlig wasserlöslich, fällt also nicht wie Inulin in der Kälte aus und weiterhin (2) ist Polyfructosan-S vollständig alkalistabil und schwerer hydrolysierbar als Inulin, so dass Fehler, wie sie beim Auflösen des Inulins im kochenden Wasserbad vor-kommen können, unmöglich sind (MERTZ u. SARRE 1963). In der Humanmedizin wird Polyfructosan in der Pädiatrie zur Bestimmung der GFR verwandt (APERIA u.

FREYSCHUSS 1984, WILKINS 1992).

Für die Berechnungen der glomerulären Filtrationsrate müssen die Plasmakon-zentration (PL-In) und HarnkonPlasmakon-zentration (U-In) des Inulins sowie das Harnzeitvo-lumen (Vu) bekannt sein. Die GFR lässt sich dann mit folgender Formel berech-nen:

GFR=Clr-In=U-In x (Vu/Pl-In)

Eine GFR-Bestimmung wird umso genauer, je länger die Messperiode gewählt wird und je weniger sich die drei Messgrößen während dieser Zeit ändern. Dazu ist es erforderlich den Inulinplasmaspiegel durch intravenöse Dauerinfusion konstant zu halten. Die Unbequemlichkeit der Dauerinfusion einer Testsubstanz versucht man durch Verwendung einer endogen gebildeten Substanz zu umgehen. Am besten geeignet hierfür ist das Kreatinin, welches aus dem Muskelstoffwechsel stammt und fast ideal die oben angeführten Bedingungen für

45 Substanzen zur GFR-Ermittlung erfüllt. Die Eignung des Kreatinins als Indikator zur Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate ist von vielen Arbeitsgruppen durch gleichzeitige Bestimmung der Kreatininclearance und der Inulinclearance überprüft worden. Der Clearancequotient Clr-Creat/Cl-In gibt Aufschluss über den tubulären Nettotransport des Kreatinins (HIERHOLZER u. FROMM 1987).

NAMNUM et al. (1983) haben bei anästhesierten Ratten mit normaler Plasmakreatininkonzentration einen Quotienten Clr-Crea/Cl-In von 0,5 und bei wachen Tieren von 0,7 ermittelt. Nach intravenöser Infusion von Kreatinin betrug der Quotient 1,2 bei einer Plasmakreatininkonzentration von 168 µmol/l. Diese Ergebnisse führten zu dem Schluss, dass der Kreatinintransport im Nierentubulus bidirektional ist und durch den Plasmakreatininspiegel beeinflusst wird. Beim Menschen nimmt die relative Bedeutung der tubulären Nettosekretion an der Kreatininclearance mit abnehmender Inulinclearance zu und es werden Clearancequotienten von über 1,4 (LUKE et al. 1990) bis 2,2 (SHEMESH et al.

1985) erreicht. In Untersuchungen von SJÖSTRÖM et al. (1988) an gesunden Männern war nach Furosemidinfusion in dehydriertem Zustand bei geringer Harnflussrate die Kreatininclearance gleich der Inulinclearance. Nach rascher Rehydratation bei hoher Harnflussrate konnten sie eine tubuläre Nettosekretion von mindestens 47 % des filtrierten Kreatinins feststellen. Dieses Phänomen wird durch eine verminderte Kreatininreabsorption erklärt. Der Mechanismus für die reduzierte tubuläre Reabsorption von Kreatinin beim Nierenversagen könnte die verminderte proximaltubuläre Reabsorption von Salz und Wasser sein. Dies würde den Konzentrationsgradienten für die Rückdiffusion vermindern und die tubuläre Flussrate steigern, wodurch die Zeit für die Reabsorption vermindert wird. Bei normalen Kreatininplasmaspiegeln wird das Ausmaß der tubulären Nettosekretion beim Menschen (LUKE et al. 1990, SHEMESH et al. 1985) als gering eingeschätzt. Beim Schwein werden hinsichtlich tubulärer Kreatininbearbeitung gegensätzliche Angaben gemacht (Reabsorption: MUNSICK et al. 1958; NIELSEN et al. 1966; ALT et al. 1984; Sekretion: KETZ 1960; WENDT et al. 1990). WENDT et al. (1990) verglichen Inulin- und Kreatinin-Clearance und fanden dabei eine gegenüber der mit Inulin ermittelten GFR um durchschnittlich 7% höhere

46 Kreatinin-Clearance, was auf eine zusätzliche tubuläre Kreatininsekretion schließen lässt. Dennoch erscheint die endogene Kreatinin-Clearance WALDMANN et al. (1991) und WALDMANN (1994) zufolge bei dieser Tierart als gut nutzbarer Parameter zur Charakterisierung der glomerulären Filtrationsrate.

Demzufolge ist die Kreatinin-Clearance für klinische Nierenfunktionsprüfungen ausreichend repräsentativ für die GFR, wenn Kreatinin mit einer spezifischen enzymatischen Methode gemessen wird. In der Untersuchung von WALDMANN (1994) konnte gezeigt werden, dass die glomeruläre Filtrationsrate nicht nur bei ungestörtem Flüssigkeitshaushalt, sondern auch nach hochgradigen Flüssigkeitsverlusten mit deutlich eingeschränkter Nierenfunktion mithilfe der Kreatinin-Clearance ausreichend gut zu beurteilen war. Sämtliche Ergebnisse der parallel durchgeführten Inulin- und Kreatinin-Clearances an denselben Schweinen waren hoch signifikant miteinander korreliert. Zudem waren für die Kreatinin-Exkretion und –Clearance zirkadiane Einflüsse nicht feststellbar. Auf der Basis der GFR-Bestimmung war es möglich, die Diurese zu ermitteln und bei gleichzeitiger Untersuchung von verschiedenen Elektrolyten und Metaboliten in Blut- und Harnproben die renale Clearance und Exkretion dieser Substanzen zu bestimmen und somit zusätzliche Aussagen hinsichtlich der momentanen Nierenleistung zu treffen (WALDMANN 1994).

In weiteren Untersuchungen wurden bei verschiedenen anderen Spezies in ge-wissem Rahmen renale Sekretions- bzw. Reabsorptionsvorgänge festgestellt. Der Vergleich zur Inulin-Clearance ergibt vor allem beim Rüden Differenzen, die hauptsächlich auf zusätzlicher tubulärer Sekretion des Kreatinins beruhen (ALLAN et al. 1987b).

Die Bestimmung der renalen Clearance endogenen Kreatinins ist nur dann mög-lich, wenn der Plasmakreatininspiegel sich im Fließgleichgewicht befindet. Fällt die GFR abrupt, so wie bei akutem Nierenversagen (ANV), erreicht der Plasmakreati-ninspiegel erst nach mehreren Tagen ein neues konstantes Niveau. Ähnlich kann es bei bereits wieder normaler Nierenfunktion nach akutem Nierenversagen eine Verzögerung von mehreren Tagen geben, bevor ein stabiler Plasmakreatininwert erreicht wird (KASSIRER 1971, SCHWARTZ et al. 1987).

47 Die Kreatininclearance kann nach Abschätzung der individuellen Kreatininexkretion und der Bestimmung der Kreatininplasmakonzentration ermittelt werden. Abhängigkeiten der Kreatininexkretion vom Körpergewicht, Idealgewicht, Geschlecht, von der Körpergröße, der Körpergröße², dem Armumfang und vom Alter werden in der Humanmedizin zur Schätzung der Kreatininexkretion genutzt (COCKCROFT u. GAULT 1976, BRION et al. 1986, SCHWARTZ et al. 1987, LUKE et al. 1990, WALLER et al 1991, GAULT et al. 1992, HELLERSTEIN et al.

1992, WALSER et al. 1993, ROBERT et al. 1993). Beim Schaf wurden Abhängigkeiten der Kreatininexkretion vom Körpergewicht und vom Geschlecht berücksichtigt (DÜNGELHOEFF 1992), beim Schwein lediglich vom Körpergewicht (WALDMANN et al. 1991). Die aufgestellte Beziehung zwischen Körpergewicht und Kreatinin-Exkretion ist allerdings nur für wachsende Schweine bis etwa 100 kg KM gültig (WALDMANN 1994):

E-Kreatinin (nmol/min/kg)=83,6 x lg (Gewicht, kg) + 86,1

Bei erwachsenen Tieren kann dagegen von einer konstanten Kreatinin-Exkretion ausgegangen werden (WENDT 1992). Für Schweine ab etwa 100 kg Körpermasse kann demnach eine konstante mittlere Kreatininexkretion von 250 nmol/min/kg angenommen werden (WENDT 1992), da sich in diesem Gewichtsbereich Veränderungen der Körpermasse eher durch Verschiebungen des Fleisch-Fett-Verhältnisses, des Inhaltes des Magen-Darm-Traktes oder durch Veränderungen des Reproduktionsstadiums auswirken (NIEKERK 1963; BATE u.

HACKER 1981).