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Geschlechterverteilung, Maskulinitätsindex und Kinderanteil

5   Ergebnisse und Diskussion

5.3   Geschlechtsbestimmung

5.3.3   Geschlechterverteilung, Maskulinitätsindex und Kinderanteil

Das Geschlechterverhältnis einer Population kann in drei Stufen unterteilt werden (Herrmann

& Grupe 1986). Das primäre Geschlechterverhältnis beschreibt das Verhältnis männlicher und weiblicher Zygoten, das sekundäre die Anzahl männlicher und weiblicher Geburten, welches generell in etwa bei 105 Jungen- zu 100 Mädchengeburten liegt (Esenwein-Rothe 1982). Diese Zahlen können aber regionalen und sozialen Schwankungen ausgesetzt sein (Degenhardt 1980; Wittwer-Backofen 1991). Das tertiäre Geschlechterverhältnis wird durch den Maskulinitätsindex beschrieben. Der Maskulinitätsindex erfasst das quantitative

65 Verhältnis von erwachsenen männlichen und weiblichen Individuen einer Population (Herrmann & Grupe 1986). Daraus können Aussagen über die Entwicklung der untersuchten Bevölkerung getroffen werden, da der Frauenanteil den entscheidenden Faktor in Bezug auf das Bevölkerungswachstum darstellt.

Der Maskulinitätsindex steht in direktem Zusammenhang mit dem Anteil der Kinder in der Gesamtbevölkerung. Es besteht ein Zusammenhang zwischen hohem MI (= Männerüberschuss) und einer geringen Anzahl von Kinderskeletten. Ein Defizit von Frauen im reproduzierfähigen Alter stellt für eine Population einen limitierenden Faktor dar.

Dadurch kann ein vermeintliches „Kleinkinderdefizit“ relativiert werden (Grupe 1990). Um dies zu berücksichtigen wird hier versucht, bei der Berechnung der Maskulinitätsindex die mittlere Lebenserwartung der Männer und Frauen mit einzubeziehen.

Ergebnisse

Bei der Berechnung des MI wurden alle geschlechtsbestimmten erwachsenen und juvenilen Individuen mit berücksichtigt. Es sollte normalerweise ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen bestehen (MI = 100). Alle Werte innerhalb der einfachen Standardabweichung der erhobenen MI-Werte (+/- σ) werden hier als normal gewertet.

Bei einer Standardabweichung von σ = 27 zeigen die Ergebnisse einen tendenziellen Männerüberschuss auf den Separatfriedhöfen Großmehring B3 (MI = 116,7), Etting (MI = 108,3) und Kelheim (MI = 105,9). Ein deutlicher Frauenüberschuss findet sich in Großmehring B4 (MI = 46,7), Bruckmühl (MI = 50,0) und in den zusammengefassten Reihengräberfeldern von Großmehring (MI = 68,6), ebenso in Enkering (MI = 66,7), wobei hier die geringe Individuenzahl berücksichtigt werden muss (Tab. 5.7 und Abb. 5.22a). Auf den Reihengräbern von Großmehring befinden sich zusammengefasst mehr Frauen als Männer, wobei der Sterbepeak bei den Frauen etwa bei Mitte zwanzig liegt (vgl. Kap: 5.5.1 Demographie).

Bruckmühl ist die einzige Separatgrablege mit deutlichem Frauenüberschuss. Dies ist einerseits auf den schlechten Erhaltungsgrad zurückzuführen, der die Geschlechtsbestimmung beeinflusst, außerdem konnten 13% der Gesamtindividuen nicht ausgewertet werden. Des Weiteren ist nicht gesichert ob die Fundstätte vollständig ergraben wurde (vgl. Kap. 3.3). Beides kann auch für das Fehlen von Kindern und Kleinkindern, also für das vermeintlich „Kleinkinderdefizit“ verantwortlich sein. Bei weiteren statistischen Berechnungen wird daher dieser Wert außer Acht gelassen.

Maskulinitätsindex MW Brm Ett GrmB3 GrmB1 GrmB2 GrmB4 Enk Keh GrmB1B2B4

MI 83,1 50,0 108,3 122,2 100,0 80,0 46,7 66,7 105,9 68,6

e00 Männer 28,2 24,9 26,7 33,1 25,8 26,9 25,9 26,2 36,4 26,3 e00 Frauen 30,8 27,9 32,0 33,7 31,7 23,4 33,1 35,8 29,0 28,5 e00 Frauen – e00 Männer 2,6 3,0 5,3 0,5 5,9 -3,6 7,2 9,6 -7,3 2,2 MI (e00) 80,0 44,6 90,3 120,2 81,3 92,2 36,5 48,8 132,6 63,4 Abweichung MI-MI(e00) 2,3 5,4 18,2 2,0 18,7 -12,2 10,1 17,8 -26,0 5,2 Kinderanteil (%) 23,6 13,2 16,7 16,4 29,4 34,1 30,3 28,6 20,8 20,8 Tab. 5.7: Maskulinitätsindex. Maskulinitätsindex unter Berücksichtigung der mittleren Lebenserwartung von Männern und Frauen und prozentualer Anteil der Kinder (I1 und I2) (Originaldaten Kelheim: Strott 2006). (MI = Maskulinitätsindex;

MW = Mittelwert; e00 = Mittlere Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt).

Neuberechnung unter Berücksichtigung der mittleren Lebenserwartung

Der Maskulinitätsindex beschreibt den Anteil gleichzeitig lebender Männer und Frauen (Herrmann et al. 1990). Es handelt sich aber hier nicht um eine Lebendbevölkerung, sondern um eine Population Verstorbener. Um diesen Faktor zu berücksichtigen, wurde die Formel verändert und die mittlere Lebenserwartung (e00) von Männern und Frauen mit einberechnet (vgl. Kap. 5.5 Demographische Rekonstruktion):

MI (e00) = Männer x e00(Männer) x 100 / Frauen x e00(Frauen)

Dabei verschieben sich einige MI-Werte (Abb. 5.22b). Ein Überschuss an erwachsenen Frauen bei gleichzeitig erniedrigter mittlerer Lebenserwartung gegenüber den Männern sollte daher eher für einen ausgeglichenen MI der Lebendbevölkerung sprechen (Herrmann et al.

1990). Deshalb verschiebt sich der MI des Bestattungsplatzes Grm B2 unter Miteinberechnung der Mittleren Lebenserwartung (e00) etwas in Richtung Ausgleich, in Grm B1 ergibt sich ein tendenzieller Frauenüberschuss und der Frauenüberschuss in Grm B4 wird noch verstärkt. In Etting verschiebt sich, bei einem zunächst tendenziellen Männerüberschuss und einer gleichzeitig höheren Lebenserwartung der Frauen, der Index in Richtung Frauenüberschuss. In Kelheim wird der hohe MI durch die höhere Lebenserwartung der Männer noch verstärkt. In Grm B3 und Bruckmühl bleiben die Indices aufgrund der ähnlichen Lebenserwartung von Männern und Frauen gleich (Tab. 5.7 und Abb.

5.22b).

Der Kinderanteil korreliert mit dem Anteil der Frauen im reproduktionsfähigen Alter. Daher sollte auch ein Zusammenhang zwischen dem MI und dem prozentualen Anteil der Kinder auf dem Bestattungsplatz bestehen (Grupe 1990; Herrmann et al. 1990). Auf den untersuchten Gräberfeldern konnte auch eine annähernd lineare Korrelation nachgewiesen werden (r = 0,776; berechneter Wert ohne Daten aus Bruckmühl, siehe oben). Die geringe Anzahl der Kinder auf den Separatfriedhöfen lässt sich einerseits durch den Männerüberschuss erklären. Andererseits verschiebt sich das Verhältnis des Kinderanteils zum Maskulinitätsindex unter Berücksichtigung der mittleren Lebenserwartung. Das heißt, bei einer erhöhten Sterblichkeit von Frauen im frühen und mittleren Erwachsenenalter sind im Verhältnis weniger reproduktionsfähige Frauen vorhanden und demnach weniger Kinder zu erwarten.

Mit dem MI (e00) wird die Regressionsgerade flacher, d.h. die Abhängigkeit wird schwächer (r = 0,622, Berechnung ohne Bruckmühl). Dafür ist vor allem der deutlich von der Gerade abweichende Wert des Friedhofs Etting verantwortlich. Hier ist jedoch zu beachten, dass sich dort 37,5% der Frauen bereits in der maturen Altersklasse befinden und sich daher nicht mehr in der reproduktiven Phase befinden dürften (Tab. 5.9 und Abb. 5.24).

Abb. 5.22A: Maskulinitätsindex MI und Abhängigkeit des Anteils der Kinder vom Maskulinitätsindex.

Standardabweichung: σ = 27,12),

MI > 100 = Männerüberschuss (rechte Seite, dunkelgrau) MI < 100 = Frauenüberschuss (linke Seite, hellgrau). Die Indices der Separatfriedhöfe (Etting, Kelheim und Großmehring B3) zeigen einen Männerüberschuss. Es besteht eine lineare Abhängigkeit von MI und Kinderanteil % (r = 0,776) (ohne Berücksichtigung des Friedhofs Bruckmühl).

(Originaldaten Kelheim Strott 2006).

Abb. 5.22B: Maskulinitätsindex unter Berücksichtigung der mittleren Lebenserwartung von Männern und Frauen MI(e00) und Abhängigkeit des Anteils der Kinder vom Maskulinitätsindex. Standardabweichung: σ = 33,6.

Ein Überschuss an Männern bei deren gleichzeitigen höheren Lebenserwartung verschiebt den Index zugunsten der Männer (vgl. Kelheim), ein vermeintlicher

Männerüberschuss bei gleichzeitiger höheren

Lebenserwartung der Frauen verschiebt den MI zugunsten der Frauen (vgl. Etting). Die lineare Abhängigkeit von MI und Kinderanteil % wird bei Berücksichtigung der mittleren Lebenserwartung flacher (r = 0,776; Berechnung ohne Bruckmühl). (Originaldaten Kelheim Strott 2006).

Enk

GrmB1 GrmB4

Keh GrmB1B2B4

GrmB2

GrmB3 Ett r=0,776

10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 40,0

20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 160

Maskulinitätsindex

% Kinder (I1 und I2)

GrmB1 Enk

GrmB4

Keh GrmB1B2

B4 GrmB2

GrmB3 Ett

r=0,622

10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 40,0

20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 160

Maskulinitätsindex (e00)

% Kinder (I1 und I2)

- σ + σ + σ

Brm Brm

- σ

Männerüberschuss Männerüberschuss

Frauenüberschuss Frauenüberschuss

67 Geschlechterverteilung auf den Separatfriedhöfen

Um eventuelle Verteilungsmuster oder Gruppenbildung bezüglich des Geschlechtes festzustellen wurde die Geschlechterverteilung anhand der Gräberfeldpläne bildlich dargestellt. Bei den Zentralgräbern handelt es sich ausschließlich um Männergräber, auch im Bereich der Kreisgräben sind hauptsächlich Männer bestattet. Frauenbestattungen finden sich direkt auf dem Kreisgraben (Großmehring B3 Kgr2 Grab 106, Etting Gräber 5 und 6, Kelheim Gräber 206, 207 und 208) oder mit dem Kreisgraben assoziiert (Großmehring B3 Kgr 2 Gräber 103, 105 und 106, Kelheim Gräber 77, 78 und 85). Nur in Großmehring B3 Kgr 1 wurde eine Frau innerhalb des Kreisgrabens bestattet (Großmehring B3 Grab 54).

Keines der Kindergräber lag auf oder innerhalb Kreisgräben oder im Bezug auf diese.

Lediglich auf den Friedhöfen Großmehring B3 Kgr1 (Grab 64) und Kelheim (Grab 86) ist jeweils ein Kindergrab mit dem Kreisgraben assoziiert (Abb. 5.23). Hierbei handelt es sich um Kinder der Altersklasse I2, in Großmehring um einen neunjährigen Jungen, in Kelheim vermutlich um ein etwa elf Jahre altes Mädchen.

Im Bereich der Grabreihen sind auf keinem der untersuchten Friedhöfe eindeutige geschlechtsspezifische Verteilungsmuster erkennbar.

Die Geschlechterverteilung am Bereich der Kreisgräben und die Dominanz der Männerbestattungen in den hervorgehobenen Gräbern könnte mit der Theorie der von den fränkischen Herrschern eingesetzten „Verwaltungsangestellten“ und deren Familien in Zusammenhang gebracht werden (siehe Einleitung). Aber primär belegt diese Befundsituation wohl eher eine von Männern dominierte, patriarchalische Herrschaftsstruktur im frühen Mittelalter.

Großmehring B3

Bruckmühl

Etting

Kelheim

Abb. 5.23: Geschlechterverteilung auf den untersuchten Separatfriedhöfen. Großmehring B3: Gräberfeldplan modifiziert nach Ledderose 2006; Bruckmühl: Gräberfeldplan modifiziert nach Suhr & Fehr 2007; Etting: Gräberfeldplan modifiziert nach Ledderose 2006; Kelheim: Gräberfeldplan modifiziert nach Meier 2005, Originaldaten Kelheim: Strott 2006.

69 Diskussion der Geschlechterverteilung und des Kinderanteils

Es wurden für einige frühmittelalterliche Bestattungsplätze Grabgruppen nachgewiesen, in denen Bestattungen eines Geschlechts überwiegen und es zeigt sich dort ein allgemeiner Männerüberschuss für die jüngere Merowingerzeit (Sasse 1986)20. Eine räumliche Trennung von Männer- und Frauengräbern könnte zur Verschiebung der Geschlechtsproportionen führen. Diese Trennung kann entweder durch eigene Friedhöfe oder auf eigenen Arealen innerhalb eines Friedhofs erfolgen. Wenn das Gräberfeld nicht vollständig erfasst ist, könnte ein Geschlecht unterrepräsentiert sein. Dies kann hier ausgeschlossen werden, da alle Separatfriedhöfe vollständig ergraben wurden. „Geschlechtsspezifische“ Friedhöfe mit einer räumlichen Trennung von Männern und Frauen sind in der Merowingerzeit nicht bekannt21 (Kokkotidis 1999). Auf den Separatfriedhöfen Großmehring B3, Etting und Kelheim zeigte sich ein tendenzieller Männerüberschuss, wobei die Spanne von MI = 103-113 durch die natürliche Variabilität des sekundären Geschlechterverhältnisses gedeckt ist, da die Sexualproportion keine feste Größe, sondern geringen sozialen und regionalen Schwankungen unterworfen ist (Kemkes-Grottenthaler 1997; Matzdorf 1980).

Bei den auf Separatfriedhöfen bestatteten Individuen handelt es sich zweifelsohne um

„besondere“, höchstwahrscheinlich um sozial höhergestellte Personen. Eine historisch und archäologisch begründete These vermutet hier von den damals herrschenden Franken eingesetzte „Verwaltungsangestellte“ die nicht aus der ansässigen Bevölkerung stammten (vgl. Kap. 2.1.1 historische Hintergründe). Dafür sprechen die zahlreichen Beigaben, Waffen- und Reiterausstattungen (Czermak & Ledderose 2004; Ledderose 2006). Die untersuchten Populationen dürften daher „mobiler“ und „kriegerischer“ gewesen sein als die auf den Reihengräberfeldern Bestatteten und demnach von Männern dominiert. Wobei sich die These, dass ein Teil der Männer im Zuge von Kriegshandlungen zu Tode gekommen und deshalb „auswärts“ und nicht auf dem Gräberfeld bestattet wurde (Müller 1976) verallgemeinern lässt. Demnach müssten in der Bevölkerungspyramide generell alle Männer im waffenfähigen Alter unterrepräsentiert sein, was hier nicht der Fall ist. Ein Überwiegen der Frauen in den oberen Altersklassen könnte die These von den auswärtig bestatteten Männern zwar erhärten, ist aber aufgrund der geringen Individuenzahl nicht belegbar.

Es wäre auch möglich, dass die höher gestellten Männer ihren damals üblichen Streubesitz zu verwalten hatten und mit ihrem zumeist männlichen Gefolge häufig den Wohnsitz wechselten (Kokkotidis 1999). Es besteht jedoch die Frage, ob nur die Männer abwechselnd auf ihren verschiedenen Besitztümern lebten, während Frauen und Kinder an einem Ort verblieben. Frauen dürften im frühen Mittelalter weniger mobil gewesen sein. Das Reisen war allgemein beschwerlich, daher reisten Frauen eher selten und auch aufgrund der Abhängigkeit vom Manne („Muntehen“22) kaum alleine (Grupe 1990; Kottje 1987; Ohler 2004). Deshalb wäre es denkbar, dass Frauen und Kinder den Männern nicht unbedingt zu Streubesitzungen folgten. Dies könnte den Männerüberschuss und auch die geringe Kinderzahl auf den Separatgrablegen erklären. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass sich das Verhältnis des Kinderanteils zum Maskulinitätsindex unter Berücksichtigung der mittleren Lebenserwartung verschiebt. Das heißt bei einer erhöhten Sterblichkeit von Frauen im reproduktiven Alter sind auch weniger Kinder zu erwarten.

In anderen Untersuchungen konnte bei Skelettserien der jüngeren Merowingerzeit (7.-8.

Jahrhundert) auch ein leichter, wenn auch nicht signifikanter Männerüberschuss (MI 106,3) festgestellt werden (Kokkotidis 1999). Der Erklärungsansatz, die fehlenden Frauenbestattungen mit dem Schwinden der Beigabensitte ab dem 7. Jahrhundert in Verbindung zu bringen, da mit Beigaben ausgestattete und damit datierbare Frauengräber im Verhältnis zu Beigaben führenden Männergräbern abnehmen (Sasse 1986), ist hier nicht brauchbar. Bei den Separatfriedhöfen handelt es sich um weitgehend geschlossene Gemeinschaften, die alle innerhalb ein bis zwei Generationen bestattet wurden (Ledderose 2006).

20 Bei Sasse (1986) wurde das Geschlecht archäologisch bestimmt.

21 Einem Separatfriedhof für Männer kommt einzig das Gräberfeld von Niederstotzingen nahe, aber auch dort waren ursprünglich zwei Frauen bestattet (Kokkotidis 1999).

22 „Munt“ = Vormundschaft, „ewa“ = Recht, Gesetz. In der Ehe untersteht die Frau der „Muntgewalt“ des Mannes und ist rechtlich weitgehend handlungsunfähig (Borst 1983; Kottje 1987).

Ein tendenzieller, nach Berücksichtigung der Sterblichkeit sogar ein deutlicher Frauenüberschuss besteht bei den Reihengräbern Großmehring B4, sowie in den zusammengefassten Reihengräberfeldern von Großmehring B1B2B4, aber auch auf dem Separatfriedhof Bruckmühl. Ein tendenzieller Frauenüberschuss auf Reihengräberfeldern scheint gehäuft in der älteren Merowingerzeit (6.-7. Jahrhundert) aufzutreten (Czarnetzki 1987; Kokkotidis 1999; Müller 1976). Als Hypothese hierfür wird die größere Anzahl unverheirateter Mägde auf den landwirtschaftlichen Anwesen genannt (Czarnetzki 1987), was auch auf die hier untersuchten spät-merowingerzeitlichen Reihengräberfelder zutreffen könnte. Auch die Einheirat von Frauen aus fremden Gruppen (Exogamie) oder die

„ambulante Lebensweise“ der Männer die sich um ihren Streubesitz kümmen wären mögliche Gründe für einen Frauenüberschuss (Kokkotidis 1999). Ebenso könnte ein erneutes Heiraten der Männer nach dem frühen Tod ihrer Frauen (Müller 1976) eine Ursache sein. Diese Theorie deckt sich auch mit der erhöhten Sterblichkeit junger Frauen. Ebenso wäre der Überschuss an bestatteten Frauen erklärbar durch Mehrfachheirat der Männer. Im frühen Mittelalter war vermutlich das System der „Friedelehe“23 oder „Kebsehe“ bzw.

„Konkubinat24“ noch weit verbreitet. Diese Formen der Ehe erlauben es dem Mann Nebenfrauen zu haben (Ennen 1984; Esmyol 2002; Kottje 1987; Prinz 2003a).

Ein Frauenüberschuss auf frühmittelalterlichen Separatfriedhöfen wird von Kokkotidis (1999) auf die falsche Zuweisung von Knaben zu den jeweiligen Schichten zurückgeführt.

Männliche Kinder wären in der Oberschicht häufig unterrepräsentiert, vermutlich aufgrund der falschen Zuweisung zur Unterschicht aufgrund fehlender Beigaben. Dies führt dann zu einem vermeintlichen Frauenüberschuss in der Oberschicht (Kokkotidis 1999). Dies kann hier ausgeschlossen werden, da es sich bei den untersuchten Friedhöfen um deutlich separierte Grablegen handelt, deren soziale Einteilung primär aufgrund der Friedhofsstruktur erfolgte. Lediglich in Bruckmühl erfolgte die Einteilung hauptsächlich anhand der Beigaben.

Dies ist auch der einzige, als Separatfriedhof klassifizierte Bestattungsplatz, der einen Frauenüberschuss zeigt. Hier liegt die Ursache aber offensichtlich nicht bei falsch bestimmten männlichen Kindern (vgl. Kap. 5.5 Demographische Berechnung), sondern bei der Unvollständigkeit des Friedhofs.

23 Nach neueren Forschungen verdichten sich die Hinweise, dass es sich bei der „Friedelehe“ um ein bloßes Forschungskonstrukt handeln könnte, das durch fehlerhafte Quellenauslegung entstanden ist (Esmyol 2002).

24 Diese Eheformen („Kebse“ = Nebenfrau) wurden meist zwischen Freien und Unfreien geschlossen (Esmyol 2002; Kottje 1987).

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