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Diskussion der Methoden zur Sterbealtersbestimmung

5   Ergebnisse und Diskussion

5.2   Tooth Cementum Annnulation (TCA)

5.2.5   Diskussion der Methoden zur Sterbealtersbestimmung

Cholecalciferol in der Haut zu produzieren (Holick 1995). Abhängig von Jahreszeit, geographischer Breite, Nahrungsgewohnheiten, Lebensstil und Bevölkerungsgruppe kann demnach der Vitamin D3-Spiegel in Bereiche fallen, bei denen von einem Mangel ausgegangen werden muss. Ein dauerhaft niedriger Vitamin-D-Spiegel ist ein Risikofaktor Rachitis, Osteomalazie, Infektanfälligkeit, Autoimmunerkrankungen und Krebs (Hollis 2005).

Es hat sich außerdem gezeigt, dass die Kapazität der Haut Vitamin D zu produzieren im Alter um bis zur Hälfte abnimmt (Mac Laughlin & Hollick 1985). Dies könnte ein weiterer Faktor für die verminderte Anzahl der Zahnzementringe bei älteren Individuen erklären.

Die Sonneneinstrahlung unterstützt also indirekt die Calciumeinlagerung in Knochen und Zähnen. Dadurch wird eine ausreichende Mineralisierung der Hartgewebe gewährleistet. Bei ungenügender UVB-Strahlung kommt es zu einer Mindermineralisierung. Dies unterstützte lange die Annahme, die Zahnzementringe wären unterschiedlich stark mineralisiert und die Jahreszeiten und deren unterschiedliche Sonneneinstrahlung könnten entscheidende Faktoren für die Entstehung der Jahresringe sein. Dafür sprach auch, dass die Zementschichten bei Tieren aus tropischen Gebieten einem Nord-Süd-Gradienten folgend schlechter zu differenzieren sind als in nördlichen Breiten. Dies wurde mit der konstant hohen Sonneneinstrahlung und dem weniger stark ausgeprägten Jahreswechsel am Äquator erklärt (Grue & Jensen 1979). Die Zementschichten erscheinen bei frei lebenden Affen allerdings regelmäßiger als bei Zootieren aus nördlichen Breiten. Als mögliche Erklärung wird angegeben, dass Tiere in Gefangenschaft weniger der Photoperiodizität der Jahreszeiten ausgesetzt sind (Cipriano 2002; Wada et al. 1978).

Die Lichteinstrahlung scheint der entscheidende Faktor bei der Entstehung der Ringstruktur im Zahnzement zu sein. Eine saisonale Abhängigkeit konnte anhand eines Bandenwechsels jeweils um den Zeitpunkt des equinox (Tag-und-Nacht-Gleiche) anhand von rezenten Dentalproben rekonstruiert werden (Wedel 2007). Da jedoch keine Veränderungen in der Mineraldichte der einzelnen Ringschichten festgestellt werden konnten (Bosshardt & Selvig 1997; Cool et al. 2002), ist eine saisonale Mindermineralisierung nicht für die Ringstruktur verantwortlich. Die Lichtintensität müsste sich demnach auf die Mineralstruktur auswirken.

Neben mechanischen Ursachen und der UVB-Strahlung wurden bisher noch weitere mögliche Einflüsse auf die Zementbildung diskutiert. Umweltparameter wie Temperatur, Feuchtigkeit, Höhe über dem Meeresspiegel und geographischer Breitengrad, aber auch physiologische Parameter wie Ernährung und endokrine Prozesse könnten eine Rolle spielen. Einige dieser Faktoren korrelieren wiederum direkt oder indirekt mit dem Sonnenstand (z.B. Cipriano 2002; Grue & Jensen 1979; Wittwer-Backofen et al. 2004).

59 morphologischen Sterbealtersbestimmung am vollständigen adulten Skelett sind die Beurteilung von endo- und ektocranialem Obliterationsgrad der Schädelnähte, dem Abkauungsgrad der Zähne, sowie der Oberflächenstruktur der sternealen Rippen (Steyn et al. 2004), der Schambeinsymphyse und des Iliosakralgelenks (White 2000; Kemkes-Grottenthaler 2002). Ein Hauptproblem der morphologischen Altersbestimmung erwachsener Individuen ist, dass chronologisches und biologisches Alter nicht zwingend übereinstimmen müssen. Jedes untersuchte Skelettelement kann unterschiedlich „altern“ (Kemkes-Grottenthaler 2002).

Bei den hier untersuchten erwachsenen Individuen erfolgte die morphologische Altersschätzung, sofern möglich, anhand des Verwachsungsgrades der Schädelnähte (Acsádi & Nemeskéri 1970; Lovejoy et al. 1985; Meindl & Lovejoy 1985; Meindl et al. 1985), da diese weitgehend unbeeinflusst von Umwelt und Verschleiß sind (Acsádi & Nemeskéri 1970; Kemkes-Grottenthaler 2002). Der Schädel, vollständig oder in Bruchstücken, ist bei den meisten in situ Skelettfunden vorhanden und häufig gut erhalten. Der Obliterationsgrad der Nähte kann aber auch nur einen ungefähren Hinweis auf das Alter liefern (Szilvássy 1988). In der Regel werden die Ergebnisse nur grob in drei erwachsene Altersklassen (Adult, Matur, Senil) eingeteilt (Acsádi & Nemeskéri 1970; Herrmann et al. 1990). Hier erfolgte eine Einteilung in neun erwachsene Altersklassen (siehe Kap. 5.1.4). Die Feineinteilung wurde anhand des Verwachsungsgrades innerhalb der für den Verschluss der Nähte angegebenen Zeitspanne vorgenommen. Die Altersdiagnose anhand der Schädelnähte ist zwar umstritten (Rösing et al. 2005b), es zeigte sich aber in dieser Untersuchung, dass Individuen der adulten Altersklasse eine relativ gute Übereinstimmung zwischen morphologischer Altersschätzung und der quantitativen Bestimmung des Sterbealters mit der TCA (siehe Abb.

5.11).

Als zweites Kriterium, um die Altersbestimmung anhand der Schädelnähte zu überprüfen, wurde das Relief des Iliosakralgelenks begutachtet (Acsádi & Nemeskéri 1970; Buckberry &

Chamberlain 2002; White 2000). Diese beiden Merkmale werden am wenigsten von Umweltfaktoren beeinflusst (Meindl & Lovejoy 1985; Meindl et al. 1985). Die morphologische Altersschätzung ist in erster Linie abhängig vom Erhaltungsgrad des Materials. Je besser das Material erhalten ist, desto besser sind die entscheidenden Merkmale erkenn- und bestimmbar.

Zahnzementringanalyse (TCA)

Bei der Auswertung der hier gewonnenen Ergebnisse zeigte sich, dass die Unterschiede zwischen morphologischer Altersschätzung und der Sterbealtersbestimmung mit TCA deutlicher und größer werden können, je älter das Individuum anhand der morphologischen Altersschätzung bestimmt wurde. Es besteht die Gefahr, dass ältere Individuen anhand der TCA zu jung eingeschätzt werden.

Dies steht in Kontrast zur Untersuchung von Cipriano-Bechtle et al. (1996) an nicht altersbekanntem Material. Dort wurden einige Individuen mit TCA wesentlich älter bestimmt als morphologisch geschätzt (Cipriano-Bechtle et al. 1996). Durch das Nachzählen der archivierten Bilder (Cipriano-Bechtle 1994) konnte dies auf einen „observer error“

zurückgeführt werden. So erschienen bei Bildern von Individuen, deren Anzahl der Zuwachsringe ein besonders hohes Alter ergaben, zahlreiche Artefaktlinien, die offensichtlich mit in die Zählung aufgenommen wurden19. Optische Interferenzen entstehen im Mikroskop besonders an Materialgrenzen (hier Zement / Einbettungsmaterial). Diese Linien erscheinen im Lichtmikroskop bei einem 20x Objektiv wie dunkle Zahnzementringe. Bei einer Vergrößerung von 40x erscheinen sie schmäler und sind einfacher von den Zahnzementringen zu unterscheiden (siehe Abb. 5.10 ) (Czermak et al. 2006a). Eine stärkere Vergrößerung der Bilder könnte demnach diese Fehlerquelle vermeiden.

Bei archäologischen Zahnproben können diagenetische Prozesse das Kollagen und die Kristallstruktur verändern und das Erscheinungsbild der Zuwachsringe verfälschen (Stutz

19 Bei einer erneuten Zählung der archivierten Bilder des Gräberfeldes Wenigumstadt (Cipriano-Bechtle 1994; Cipriano-Bechtle et al. 1996) konnte gezeigt werden, dass bei einigen der als „senil“ bestimmten Individuen diese Beugungsartefakte (Objektiv 20x) gezählt wurden, diese Individuen also als „zu alt“ eingestuft wurden (Zählung: Czermak, Doppler, 2003). Dabei muss aber erwähnt werden, dass es sich hierbei um analog aufgenommene Fotoabzüge handelt. Bei diesen Aufnahmen sind die Artefaktlinien nur bei deren Kenntnis von den Zementringen unterscheidbar.

2002). Großkopf (1990) konnte keine postmortalen Veränderungen der Zementringe durch Liegemilieu, Liegezeit oder Hitzeeinwirkung bestätigen. Eventuell entstehen in den Ringen Mineralisationsunterschiede durch Abbau organischer Substanzen oder Einbau von Umgebungsmineralien während der langen Bodenlagerung (Pilloud 2004). Rezentes Material wird allgemein im Vergleich zu bodengelagertem Material häufig als schlechter geeignet für die Zahnzementringanalyse eingestuft (Charles et al. 1986; Kvaal & Solheim 1995). Daher wird eine Validität der TCA-Methode bei rezenten, meist altersbekannten Zähnen in Frage gestellt. Lediglich Liebermann (1994) belegt eine bessere Sichtbarkeit der Ringe in rezentem Material. Bei dem in bisherigen Studien untersuchten, altersbekannten Zahnmaterial handelt es sich meist um rezente klinische Zähne, deren Extraktion in der Regel aus pathologischen Gründen (Karies oder peridontale Erkrankungen) erfolgte. Durch das „Heraushebeln“ des Zahnes aus der Alveole kann die Zementschicht bei frisch extrahierten Zähnen häufig zerstört oder unvollständig sein (Charles et al. 1986; Condon et al. 1986; Kagerer & Grupe 2001a; Kagerer & Grupe 2001b).

Als eine der Ursachen für deutlicher sichtbare Ringe werden die stärker erlebten Jahreszeitenwechsel bei (prä-)historischen Populationen, die sich im Metabolismus niederschlagen, diskutiert (Jankauskas et al. 2001; Klevezal et al. 2006). Ebenso können Ernährungsgewohnheiten bei der Anlage der Ringe eine Rolle spielen. Die Beanspruchung der Kaumuskulatur und der Zahnsubstanz war in früheren Epochen deutlich stärker, aufgrund der Nahrungsbestandteile (harte / weiche Nahrung, Zucker- / Stärke-Anteil der Nahrung und Karies als dessen Folge), der Nahrungszubereitung (gekochte / ungekochte Nahrung), Kultur und Alter (peridontale Erkrankungen, Zahnverlust und dem daraus folgenden Rückgang der Kaufähigkeit). Da heute eher weiche, leicht kaubare Nahrung eingenommen wird und somit eine geringere Beanspruchung des Zahnhalteapparates erfolgt, die sich auf die Zementbildung auswirkt, könnte auch dies die Veränderung von Struktur und Sichtbarkeit der Zementringe in rezenten Zähnen erklären (Lippitsch 2007).

In bisherigen Studien an Material mit bekanntem Alter der Individuen konnte das tatsächliche Alter anhand der TCA nicht immer korrekt bestimmt werden. Das Individualalter wurde in Einzelfällen sowohl über- als auch unterschätzt. In lediglich einer Studie wurde das tatsächliche Sterbealter bei Individuen ab 30 mit TCA älter bestimmt (Condon et al. 1986).

In den meisten Untersuchungen wird bei Individuen ab der spätmaturen Altersklasse (>30) das Sterbealter mit der TCA-Methode tendenziell eher unterschätzt, wobei die Wahrscheinlichkeit einer Fehlbestimmung mit fortschreitendem Alter zunimmt (Kvaal &

Solheim 1995; Lipsinic et al. 1986; Pilloud 2004; Renz & Radlanski 2006; Wittwer-Backofen

& Buba 2002; Wittwer-Backofen et al. 2004). Die Daten streuen ab dem 30.-50.Lebensjahr stärker und oberhalb der Grenze von 50 Jahren wurde das Alter mit der TCA-Methode häufig unterschätzt (Condon et al. 1986; Czermak et al. 2006a; Kvaal & Solheim 1995; Miller et al.

1988; Pilloud 2004; Ritz-Timme et al. 2000).

Auch hier konnte u.a. anhand der automatisierten Auszählung gezeigt werden, dass die Bestimmung des tatsächlichen Alters bei älteren Individuen unpräziser werden kann (vgl.

Abb. 5.15 und 5.17). Die Genauigkeit der Methode scheint mit zunehmendem Individualalter generell abzunehmen, in Einzelfällen kann die Altersbestimmung sogar falsch sein, wenn sie mit der bisherigen Zählmethode durchgeführt wird. Ursache für diese Ungenauigkeit scheint die an manchen Stellen fehlende oder unregelmäßige Anlagerung der Zementschicht zu sein. Der Zustand des Zahnzementes hat einen wesentlichen Einfluss auf die Präzision der TCA-Methode. Eine Atrophie des Zementes, beispielsweise durch Parodontose, kann zu einer Unterbrechung oder dauerhaften Beendigung der Zementapposition und somit zu ungenauen Ergebnissen bei der Altersdiagnose führen. Je älter ein Individuum ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Anzahl der Zementringe durch unterbrochene oder beendete Zementanlagerung reduziert ist (vgl. Abb. 5.17, siehe auch Kagerer & Grupe 2001a). Neben dem Abbau des Zahnhalteapparates kann es im Alter auch zu einer Abnahme der Kaukraft kommen. Die geringere mechanische Belastung der Zähne führt zu einer Schwächung, bzw. einem weiteren Abbau des Zahnhalteapparates (Condon et al. 1986). Des Weiteren ist bei älteren Menschen die Kapazität der Haut Vitamin D zu produzieren deutlich vermindert (Mac Laughlin & Hollick 1985), was sich ebenfalls auf die Bildung der Zahnzementringe und deren Regelmäßigkeit auswirken kann.

61 Zahlreichen Studien zeigen, dass die Zahnzementring-Zählmethode nicht immer die erhofften Ergebnisse bezüglich Validität, Genauigkeit und Stringenz liefert (Charles et al.

1986; Czermak et al. 2006a; Douglas 1986; Klevezal et al. 2006; Obertova & Francken 2009;

Pilloud 2004; Roksandic et al. 2009). Da bei Anwendung der Methode das Material unwiederbringlich zerstört wird, stellt sich die Frage, ob eine Altersbestimmung anhand morphologischer Merkmale möglicherweise die schnellere und kostengünstigere Methode zur Sterbealtersbestimmung ist, zumal bei ähnlich validen Ergebnissen. Besonders wenn das zu bestimmende Skelettmaterial weitgehend vollständig ist, bleibt die morphologische Altersschätzung die einfachere und von der Genauigkeit für eine archäologische Interpretation der Funde auch meist ausreichende Methode zur Sterbealtersbestimmung.

Wenn eine morphologische Begutachtung nicht oder nur begrenzt möglich, z.B. bei schlecht erhaltenem oder kremiertem Material („Leichenbrand“), kann sie durch die Zahnzementringanalyse unterstützt oder ersetzt werden. Für paläodemographische Zwecke ist eine präzisere Bestimmung des Sterbealters von Vorteil.

Trotz der möglichen Fehlerquellen und Ungenauigkeitsfaktoren ist die TCA bislang die einzige Methode, anhand derer das Alter von erwachsenen Individuen genauer bestimmt werden kann. Unter Berücksichtigung der hier genannten Punkte zur Optimierung der Präparate, der mikroskopischen Bildaufnahmen und der Zählung, können sehr brauchbare Ergebnisse erzielt werden. Eine Standardisierung der Methode ist allerdings unbedingt erforderlich, um einerseits methodische Fehlerquellen zu vermindern und andererseits die gewonnenen Ergebnisse vergleichbar zu machen. Mit Hilfe des Programms können die Zählergebnisse quantitativ ausgewertet werden und dadurch können Schwankungen bei den Zählungen erkannt werden. Und so kann die Validität des Ergebnisses eingeschätzt werden oder bestimmte Zählergebnisse aus Zahnabschnitten nicht in die Wertung einfließen lasen/aus der Wertung ausschließen. Daher ist eine Computerauszählung einer Auszählung

„per Hand“ vorzuziehen, aufgrund der besseren statistischen Auswertbarkeit und um die Haupt-Fehlerquelle des „observer error“ zu vermeiden.

Das Programm orientiert sich an hellen und dunklen Bildpunkten, erkennt deren hellsten oder dunkelsten Wert und zählt diese Minima oder Maxima. Dadurch ist es möglich an digitalen Bildern die Ringe automatisch zu zählen. Es kann aber nur das gezählt werden, was auf den Bildern sichtbar ist. Die Bildqualität, bedingt durch die Auswahl des zu untersuchenden Abschnittes und durch die Einstellung des Mikroskops, kann die Sichtbarkeit der Ringe (oder möglicher Artefakte) und demnach auch das Zählergebnis beeinflussen.

Durch die automatisierte Zählung wird die Datengewinnung, deren Auswertung und Vergleich erleichtert, es ist jedoch keine „Methodenverbesserung“. Für eine Validierung der TCA-Methode wäre es daher von großer Wichtigkeit, zunächst die grundlegenden Prozesse der Entstehung und die beeinflussenden Faktoren der Zahnzementapposition zu erforschen (Czermak et al. 2006a; Pilloud 2004; Roksandic et al. 2009).