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2 Wissenschaftliche Ausgangslage: Methoden, Theorien und Befunde

2.3 Soziale Neuroökonomie

2.3.3 Spieltheoretische Paradigmen: Befunde und neuronale Grundlagen

2.3.3.2 Gegenseitiges Vertrauen:

Vertrauens-Spiel und Gefangenen-Dilemma

Der Test, ob eine Versuchsperson bereit ist in Interaktionen Vertrauen zu geben oder entgegengebrachtes Vertrauen zu honorieren, wird in Spielen meist anhand sozialer Dilemmata durchgeführt, in denen sich der Nutzen für die Gemeinschaft (zwei oder mehr Personen) und das Eigeninteresse des Einzelnen gegenseitig ausschließen (Houser &

McCabe, 2009). Verwendet werden unter anderem das Vertrauens-Spiel (engl.: trust-game) und das Gefangenen-Dilemma (engl.: prisoners dilemma).

Während ersteres in extensiver Form durchgeführt wird, hat das zweite Spiel strategische Form (vgl. Erläuterungen Kapitel 2.3.3; S.43). Kernmerkmal beider Spiele ist, dass es sich für die Gruppe als Ganzes auszahlt, wenn alle Mitspielenden kooperieren, während der Einzelne seinen Gewinn nur maximieren kann, indem er die Anderen hintergeht, während diese kooperieren. In dieser Konstellation besteht das theoretische Nash-Equilibrium darin, dass kein Spieler einem anderen vertraut bzw. sich alle Beteiligten gegenseitig hintergehen. Die im Folgenden aufgeführten Befunde empirischer Forschung belegen, dass sich dieses Nash-Equilibrium in der Realität selten einstellt.

Berg, Dickhaut und McCabe führen 1995 das Vertrauens-Spiel ein (Berg, Dickhaut

& McCabe, 1995). In diesem Spiel werden zwei Teilnehmer zufällig einander zugeteilt, ein Spieler bekommt die Rolle des Investors, der andere Spieler bekommt die Rolle des Verwalters oder Trustee (die Begriffe Investor und Trustee verwendet der Autor vorliegender Arbeit in Anlehnung an die englischsprachige Literatur). Die Spieler spielen nur einen einzigen Durchgang miteinander (Abbildung 12).

Abbildung 12. Das Vertrauens-Spiel. Farbkodiert sind die Rollen der Spieler und die dazugehörigen Auszahlungsbeträge in Geldeinheiten (GE) (Abbildung angelehnt an Sanfey & Dorris, 2009; S.65).

Der Investor bekommt ein Ausgangsguthaben von z.B. 100 Geldeinheiten (GE). Er kann etwas davon, alles oder nichts an den Trustee weitergeben (investieren). Jede Geldeinheit, die der Investor in den Trustee investiert, wird vervielfacht (z.B.

verdreifacht). Als nächstes wird dem Trustee offenbart, wie viel er vom Investor erhielt und wie groß der ihm so zugefallene vervielfachte Betrag insgesamt ist. Der Trustee muss jetzt entscheiden, wie viel von dem vervielfachten Betrag er an den Investor zurückgibt.

Die Höhe des Betrages, den der Investor überweist, wird als Maß seines Vertrauens in den Trustee angesehen. Die Höhe des Betrages, den der Trustee zurücksendet, ist ein Maß für seine Vertrauenswürdigkeit.

In Abbildung 12 wird als Höhe der Überweisung des Investors zur Verdeutlichung entweder der ganze Ausgangsbetrag von 100 GE (Investor zeigt sehr viel Vertrauen) oder nur ein geringer Anteil von 20 GE (Investor zeigt sehr wenig Vertrauen) investiert und für die Rückzahlung durch den Trustee entweder 50% (Trustee handelt vertrauenswürdig) oder 0% (Trustee handelt nicht vertrauenswürdig) gewählt.

Aus den in Abbildung 12 dargestellten Auszahlungsbeträgen wird ersichtlich, wie stark die gegenseitige Abhängigkeit beider Spieler ist: Wenn der Investor vertrauensvoll und der Trustee vertrauenswürdig handelt, so erhalten beide hohe Auszahlungen. Sollte nur der Investor Vertrauen geben, der Trustee dieses aber missbrauchen, dann stellt sich für den Trustee der höchste Gewinn ein und für den Investor der größte Verlust. Wenn der

Investor dagegen erst gar nicht vertrauensvoll ist, so ergeben sich für beide Spieler nur moderate Gewinne.

Die klassische Spieltheorie sagt für diese Situation, in der sich Investor und Trustee nur ein Mal begegnen, ein Nash-Equilibrium vorher, bei dem rationale und am eigenen Nutzen orientierte Trustees das Vertrauen des Investors nie belohnen werden und dementsprechend Investoren nie Vertrauen schenken.

Berg und Kollegen berichten jedoch, dass die Investoren im Mittel 50% ihres Ausgangsguthabens investieren und dass die Trustees den von den Investoren an sie überwiesenen Betrag im Allgemeinen zurücksenden (Berg, Dickhaut & McCabe, 1995).

Bei Camerer (2003) wird geschildert, dass eine Vielzahl von Folgestudien diese Ergebnisse bestätigen und Varianten die Erkenntnisse erweitern. Zum Beispiel zeigen McCabe und Kollegen, dass Trustees doppelt so häufig Vertrauen nicht erwidern, wenn man ihnen mitteilt, dass der Investor aus bestimmten Gründen keine andere Wahl hatte als Vertrauen zu schenken (McCabe, Rigdon & Smith, 2003). Diese Beobachtung legt nahe, dass es für Trustees eine wichtige Rolle spielt, ob die Entscheidung des Investors für Vertrauen absichtlich und willentlich stattfindet. Nur in diesem Fall scheinen Trustees ebenfalls willens, die intentionale Entscheidung des Investors für die risikoreiche Option zu honorieren. Dieser wichtige Aspekt wird in der Umsetzung von Studie 5 im experimentellen Teil der vorliegenden Arbeit berücksichtigt (s. Kapitel 3.5.1; S.209ff.).

Die neuronalen Grundlagen des Verhaltens im oben beschriebenen Vertrauens-Spiel untersucht das wahrscheinlich erste fMRT-Experiment des jungen Forschungsbereiches soziale Neuroökonomie (McCabe, Houser, Ryan, Smith & Trouard, 2001). Die 12 Teilnehmer spielen dabei one-shot-games entweder gegen anonyme Partner oder gegen einen Computer. Die Verhaltensdaten zeigen, dass sieben Versuchspersonen immer darauf aus sind, Kooperation mit ihrem Gegenüber herzustellen. In dieser Gruppe sind Hirnregionen des MPFC (Abbildung 6; S.31) mehr aktiv, wenn die Personen mit einem Menschen spielen als mit dem Computer. In der Gruppe der fünf unkooperativen Spieler finden sich diese Aktivitätsunterschiede nicht. Die Autoren schlussfolgern in Bezug auf die weiter oben bereits referierten Befunde zu den neuronalen Grundlagen der Fähigkeit, sich in Andere hineinzuversetzen (Theory of Mind, kurz ToM), dass kooperativer ökonomischer Austausch vermutlich durch das neuronale ToM-System gesteuert wird.

In einer weiteren Studie (King-Casas, Tomlin, Anen, Camerer, Quartz &

Montague, 2005) absolvieren die Versuchspersonen (jeweils in einem Scanner liegend und online per Computer miteinander interagierend) wiederholt Vertrauens-Spiele mit denselben Mitspielern und übernehmen dabei abwechselnd die Rolle von Investor und Trustee. Es zeigt sich, dass die Aktivierung des Nucleus Caudatus - ein Teil des dorsalen Striatums (Abbildung 13) - der Versuchspersonen in Beziehung dazu steht, wie viel Vertrauen das Gegenüber in vorangegangenen Durchgängen gezeigt hat.

Abbildung 13. Region im dorsalen Striatum (Ncl. Caudatus), deren Aktivität mit Vertrauen, das dem Trustee im Vertrauens-Spiel entgegengebracht wird, in Zusammenhang steht (Abbildung aus King-Casas et al., 2005).

Da die Ausprägung dieser Aktivität auch damit korrespondiert, ob die Versuchsperson im Gegenzug ebenfalls reziprok handelt, bezeichnen die Autoren dieses Signal als Signal der Vertrauens-Absicht (engl.: intention-to-trust signal). Die Wissenschaftler können außerdem zeigen, das sich dieses Signal im Laufe der Zeit verschiebt - in frühen Durchgängen erscheint das Signal im Hirn des Trustees, nachdem der Investor seine Wahl getroffen hat, in späteren Durchgängen dagegen erscheint das Signal viel früher – schon bevor der Mitspieler seine Entscheidung überhaupt trifft. Da eine derartige zeitliche Verlagerung auch die Vorhersagefehler (engl.: prediction error, s. Kapitel 2.1.2; S.18ff.) bei Belohnungen in Modellen des Belohnungslernens kennzeichnet, ist zu vermuten, dass die Forscher hier einen Mechanismus aufdecken, wie die Erfahrung von wiederholter wechselseitiger Kooperation mittels neuronal repräsentierter Lernmechanismen gelungenes soziales Interaktionsverhalten fördert.

Lernen durch soziale Erfahrungen im Vertrauens-Spiel untersucht auch eine Studie von Delgado und Kollegen, in der die Versuchspersonen die Rolle des Investors übernehmen und vor dem Vertrauens-Spiel Texte mit Persönlichkeitsbeschreibungen der Trustees lesen (Delgado, Frank & Phelps, 2005). Diese Beschreibungen schildern die

unterschiedlichen Trustees entweder in einem moralisch positiven, neutralen oder negativen Licht. Wie zu erwarten vertrauen die Investoren den moralisch positiv beschriebenen Trustees am meisten, obwohl deren tatsächliches Verhalten immer gleich ist (gleiches Verhältnis von Kooperation und Vertrauensmissbrauch bei positiv, neutral und negativ beschriebene Trustees). Die Aktivität im Nucleus Caudatus des Striatums ist dann, wenn sich das Vertrauen bestätigt, größer als wenn das Vertrauen missbraucht wird – aber nur bei den zuvor als neutral beschriebenen Partnern. Dieser Effekt zeigt sich dagegen weder bei den negativ noch bei den positiven beschriebenen Trustees.

Die Autoren interpretieren ihre Befunde dahingehend, dass der Lernmechanismus durch Versuch-und-Irrtum, dessen neuronale Basis wahrscheinlich u.a. der Nucleus Caudatus ist, nur dann wirksam wird, wenn man noch nichts über das soziale Gegenüber weiß. Das bedeutet, dass sich das kognitive System des Investors bei neutral beschriebenen Trustees scheinbar darauf einstellt, durch Erfahrung zu lernen, ob diesen Partnern zu vertrauen ist oder nicht. Wenn jedoch Vorinformationen existieren (z.B.

moralisch negative oder positive Beschreibungen), dann sind diese stärker als die unmittelbaren Erfahrungen und deshalb nur schwer durch Bestätigungen oder Widersprüche revidierbar.

In zwei Studien der Gruppe um Tania Singer wird die neuronale Grundlage einer Reaktion auf Vertrauensmissbrauch untersucht (Singer, Kiebel, Winston, Dolan & Frith, 2004; Singer et al., 2006). In den entsprechenden Veröffentlichungen wird das verwendete Spiel zwar als Gefangenendilemma (Beschreibung s.u.) bezeichnet, aufgrund seiner sequentiellen Darbietungsform ähnelt es nach Meinung des Autors der vorliegenden Schrift aber mehr einem Vertrauens-Spiel.

In der ersten Studie treffen die Versuchspersonen in der Rolle des Investors vor dem fMRT-Scan per online-Computerspiel wiederholt auf verschiedene Trustees, welche auf entgegengebrachtes Vertrauen entweder vertrauenswürdig reagieren oder nicht kooperativ sind (Singer et al. 2004). Während der Spiele sieht der Investor stets ein Photo des Mitspielers im aktuellen Durchgang. Im Scanner werden den Versuchspersonen dann die Photos dieser Interaktionspartner abermals präsentiert und die Versuchspersonen sollen einfach entscheiden, welchen Geschlechtes das Gegenüber ist. Die Darbietung der Gesichter von Mitspielern, die sich für Kooperation entschieden hatten (also vertrauenswürdig reagierten) bewirkte Aktivitätsanstieg unter anderem in der anterioren Insula, dem pSTS und dem ventralen Striatum.

Die zweite Studie ähnelt der ersten darin, dass zunächst außerhalb des fMRT-Scanners verschiedene Trustees entweder kooperativ oder nicht vertrauenswürdig in einem Vertrauens-Spiel auf das Verhalten der Versuchsperson (Investor) reagieren (Singer et al. 2006). Später sehen die Versuchspersonen dann, wie diesen Trustees leichte Schmerzreize verabreicht werden. Bei Versuchspersonen beiden Geschlechts verursacht dieser Anblick bei kooperativen Trustees mehr Aktivierung in Arealen, die mit empathischer Schmerzverarbeitung in Zusammenhang stehen (anteriore Insula und dACC) als bei nicht-vertrauenswürdigen Trustees. Interessanterweise zeigen sich diese vermutlich empathischen Reaktionen bei der Beobachtung von nicht-vertrauenswürdigen Trustees bei männlichen Versuchspersonen viel schwächer ausgeprägt als bei weiblichen Versuchspersonen. Außerdem steigt bei Männern in diesem Falle die Aktivierung von belohnungs-assoziierten Arealen einhergehend mit dem selbstberichteten Wunsch nach einer Vergeltung der Unkooperativität.

Im Gefangenen-Dilemma (Abbildung 14) müssen beide Spieler simultan entscheiden, ob sie dem anderen Spieler vertrauen oder nicht – ohne die Entscheidung des Gegenübers zu kennen. Die Gewinne oder Verluste beider Spieler hängen von der Kombination der Wahlen der Beteiligten ab. Sie können wie in Abbildung 14 (angelehnt an die ursprüngliche Idee des Spiels) in Haftjahren aber auch als ökonomisches Spiel mit finanziellen Gewinnen und Verlusten formuliert werden (Sanfey & Dorris, 2009).

Abbildung 14. Das Gefangenen-Dilemma. Farbkodiert sind die Rollen der Spieler und die dazugehörigen Gewinne bzw. Verluste in Haftjahren (Abbildung angelehnt an Sanfey & Dorris, 2009; S.65).

Die Spielsituation kann man sich wie folgt vorstellen: Zwei Gefangene werden verdächtigt, einen schweren Überfall begangen zu haben. Sie werden getrennt verhört. In diesem Verhör haben sie die Möglichkeit, den Komplizen entweder mit ihrer Aussage zu belasten (wofür ihnen ein Entgegenkommen des Richters sicher wäre) oder zu decken.

Wenn keiner der beiden den Anderen verrät, so erhalten beide Gefangenen aus Mangel an Beweisen ein Jahr auf Bewährung (moderater Gewinn). Wenn beide das Gegenüber verraten, so erhalten beide fünf Jahre Haft (moderater Verlust). Das beste Ergebnis erzielt ein Spieler dann, wenn er den Anderen durch seine Aussage belastet, während der Andere ihn selbst nicht verrät. In diesem Falle wird der Verräter freigesprochen (großer Gewinn) und dem anderen Gefangenen fällt die Hauptschuld zu - er bekommt 10 Jahre Haft (großer Verlust).

Da die Versuchung sehr groß ist, den Anderen zu verraten, besteht das Nash-Equilibrium unter der Annahme, dass jeder Spieler das beste für sich herausholen möchte, darin, dass beide Gefangenen sich gegenseitig verraten (wie es ja in vielen Kriminalfilmen, die sich dieser Dilemma-Figur bedienen, der Fall ist). Die empirischen Daten sprechen jedoch eine andere Sprache: Es zeigt sich, dass in ungefähr 50% aller Varianten des Gefangenen-Dilemmas Spieler durchaus bereit sind, sich gegenseitig Vertrauen zu schenken (Houser & McCabe, 2009; Sanfey, 2007b).

Dieser Befund ist umso beachtlicher, als er sich in anonymen und einmalig stattfindenden Spielen zeigt, also Spieler betrifft, die sich nicht kennen und auch nachmalig nicht wieder miteinander in Kontakt treten werden. Für reale soziale Interaktionen, die zum großen Teil nicht anonym und wiederholt stattfinden, sollte man eine noch größere Verbreitung und Wirkung von Vertrauen erwarten. Tatsächlich zeigt sich in Simulationsstudien, in denen das Gefangenendilemma unterschiedlich oft hintereinander gespielt wird, dass kooperative, nachsichtige und wohlwollende Spielstrategien - oft Strategien, die Gleiches mit Gleichem vergelten - langfristig den größten Erfolg haben (Dreber, Rand, Fudenberg & Nowak, 2008).

Zwei fMRT-Studien (Rilling, Gutman, Zeh, Pagnoni, Berns & Kilts, 2002; Rilling, Sanfey, Aronson, Nystrom & Cohen, 2004) mit dem Gefangenen-Dilemma zeigen, dass belohnungsassoziierte Hirnareale (ventrales und dorsales Striatum: Ncl. Accumbens, Ncl.

Caudatus) dann aktiv werden, wenn dem im Scanner liegenden Spieler eröffnet wird, dass sowohl er selbst als auch das Gegenüber sich für Kooperation entschieden haben (relativ zur Information, dass nur er selbst kooperiert, er vom Anderen aber verraten wird).

Betrachtet man die Reaktionen einer Versuchsperson im Gefangenen-Dilemma auf ein

menschliches Gegenüber im Vergleich zu einem Computerprogramm (welches finanziell gleichartige aber zufällige Festlegungen trifft), so ergibt sich eine Aktivierung in Regionen, die weiter oben schon mit der Fähigkeit, sich in die Gedanken, Absichten und Ziele anderer Menschen hineinzuversetzen (Theory-of-Mind) genannt wurden (MPFC, pSTS).

Werden die Hirnaktivierungen von Psychopathen im Gefangenen-Dilemma mit denen von sozial normalbegabten Spielern verglichen, so zeigt sich, dass die Entscheidung zu betrügen (den Anderen zu verraten) bei Psychopathen mit einer geringeren Aktivierung des DLPFC und des ACC einhergeht (Rilling, Glenn, Jairam, Pagnoni, Goldsmith, Elfenbein & Lilienfeld, 2007).