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bestehender Verhaltensauffälligkeiten verbunden sein kann. Die Untersuchung der Einflüsse verschiedener Antiepileptika auf die Persönlichkeit würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Es soll jedoch zumindest der Einfluss einer Polytherapie berücksichtigt werden.

Schwierigkeiten im so genannten „Multitasking“ lassen die Patienten zudem sprunghaft und impulsiv erscheinen. Eine Kombination von Aufmerksamkeits- und Gedächtnisdefiziten kann bestehende Defizite in der Planungs- und Handlungsfähigkeit noch verstärken. Auf emotionaler Ebene können sowohl Affektverflachung und Antriebslosigkeit sowie Enthemmungsphänomene und Schwierigkeiten in der Affektkontrolle auftreten. Der Fall von Phineas Gage veranschaulicht das mögliche Ausmaß von Persönlichkeitsveränderungen nach Frontalhirnschädigungen.

Auch der Temporallappen ist für Funktionen verantwortlich, deren Störungen sich in Verhaltens- und Persönlichkeitsauffälligkeiten äußern können. Hier ist vor allem seine Bedeutung für emotionale und soziale Verhaltensweisen zu nennen, die an das limbische System gebunden sind. Als besonders wichtige neuroanatomische Struktur ist diesbezüglich die Amygdala zu nennen, die dafür verantwortlich ist, eingehende sensorische Information mit einer affektiven Bedeutung zu verbinden. Störungen in diesem System können beispielsweise zu Defiziten in der Verarbeitung emotionaler Gesichtsausdrücke führen.

Außerdem wird die Amygdala vor allem mit der Entstehung der Emotionen Aggression und Angst in Verbindung gebracht. Aber auch eine Störung der Sprachfunktionen des Temporallappens kann mit Auffälligkeiten in der Persönlichkeit in Verbindung stehen. So ergeben sich Hinweise darauf, dass das Persönlichkeitsmerkmal „Circumstantiality“, das die umständliche Ausdrucksweise einiger Patienten mit Temporallappenepilepsie beschreibt, auf Schwierigkeiten in der Wortfindung basiert. Ein möglicher Zusammenhang zwischen Gedächtnisdefiziten und dem genannten Persönlichkeitsmerkmal wäre ebenfalls denkbar.

Die Erkenntnisse zu den Funktionen des Frontal- und des Temporallappens stammen überwiegend aus Untersuchungen an Patienten mit Hirnschädigungen. Aufgrund der eingangs dieses Kapitels dargestellten Informationen zur Pathologie der Epilepsie liegt jedoch die Annahme nahe, dass sich auch ein epileptischer Fokus, mit oder ohne nachweisbare Hirnläsion, störend auf die Funktionen dieser Gehirnareale auswirkt. Diese Annahme hat sich in Bezug auf kognitive Funktionen bereits bestätigt, so dass man sich diese Erkenntnisse im Rahmen der neuropsychologischen Leistungs- und Lokalisationsdiagnostik bei Epilepsiepatienten zunutze macht. In Bezug auf Persönlichkeitsveränderungen bzw.

psychopathologische Auffälligkeiten ergeben sich Hinweise auf eine erhöhte Prävalenz bei Epilepsiepatienten. Die Beziehung zu bestimmten Hirnarealen ist hier jedoch weniger klar.

Es wurden Befunde dargestellt, die dafür sprechen, dass bei Patienten mit Temporallappenepilepsie eine spezifische Persönlichkeitsveränderung vorliegt, die als

„epileptische Wesensänderung“ bezeichnet wird. Die Studienlage zeigt, dass die

Eigenschaften, die mit Hilfe des Bear-Fedio-Inventory (BFI) erfasst werden, häufiger bei Patienten mit Temporallappenepilepsie und generalisierter Epilepsie anzutreffen sind als bei Gesunden oder bei Patienten mit anderen, nicht-psychiatrischen Erkrankungen. Unklar ist, ob sich Patienten mit Temporallappenepilepsie von psychiatrischen Patienten ohne Epilepsie oder von Patienten mit anderen Epilepsieformen unterscheiden. Auch die Evidenz für einen Einfluss der Seite des epileptischen Fokus ist eher gering.

Die Studienlage wurde auch bezüglich des Auftretens klassischer psychiatrischer Erkrankungen analysiert. Es kann als gesichert gelten, dass Depressionen bei Epilepsiepatienten häufiger auftreten als bei gesunden Kontrollpersonen. Es finden sich auch Hinweise darauf, dass die Häufigkeit im Vergleich zu Patienten mit anderen chronischen Erkrankungen erhöht ist. Ob Depressionen bei Patienten mit Temporallappenepilepsie häufiger auftreten als bei Patienten mit anderen Epilepsieformen ist nicht gesichert. Auch zur Annahme eines erhöhten Auftretens der Depression bei linksseitigen Temporallappenepilepsien im Vergleich zu rechtsseitigen ist die Studienlage noch unklar.

Psychosen treten bei Epilepsiepatienten zwar seltener auf als Depressionen, im Vergleich zu Gesunden ist die Prävalenz jedoch erhöht. Auch hier wird ein temporaler bzw. temporo-mesialer und hier insbesondere ein linksseitiger Anfallsfokus als Risikofaktor diskutiert. Auch wenn die Studienlage zu Angsterkrankungen bei Epilepsie unbefriedigend ist, handelt es sich hier um eine psychiatrische Auffälligkeit, die in der Literatur häufig im Zusammenhang mit der Epilepsie, vor allem mit der Temporallappenepilepsie, genannt wird. Auch ein erhöhtes Auftreten von aggressiven Verhaltensweisen bei Epilepsiepatienten wird diskutiert. Hier scheint das zusätzliche Vorliegen einer Intelligenzminderung ein wichtiger Einflussfaktor zu sein. Bezüglich der nach ICD und DSM definierten Persönlichkeitsstörungen ergeben sich Hinweise auf eine erhöhte Prävalenz. Das Auftreten von Suchterkrankungen ist bei Epilepsiepatienten hingegen selten untersucht worden, so dass sich hierzu keine sicheren Angaben machen lassen.

Die Prävalenzangaben zur Psychopathologie bei Epilepsiepatienten schwanken aufgrund methodischer Mängel der Studien teilweise erheblich. Hier ist zum einen die mangelnde Vergleichbarkeit von Krankenhausstichproben mit populationsbasierten Stichproben zu kritisieren sowie das Fehlen von geeigneten Kontrollgruppen. Zum anderen zeigen sowohl das Konzept der „epileptischen Wesensänderung“ als auch das der

„interiktalen dysphorischen Störung“, dass Persönlichkeitsstörungen und psychopathologische Auffälligkeiten bei Epilepsiepatienten möglicherweise qualitativ anders sind als idiopathische psychiatrische Störungen, und darum von den gängigen Klassifikationssystemen nicht erfasst

werden. Man kann daher im Falle des Ausbleibens signifikanter Ergebnisse nicht davon ausgehen, dass psychopathologische Auffälligkeiten bei Epilepsiepatienten oder bestimmten Untergruppen von Epilepsiepatienten nicht bestehen. Vielmehr ist anzustreben, psychodiagnostische Verfahren zu entwickeln, mit denen man die spezifischen Auffälligkeiten bei Epilepsiepatienten erfassen kann.

Um die zu Beginn dieses Abschnittes gestellte Frage nach dem Einfluss der Lokalisation eines epileptischen Fokus bzw. einer Schädigung auf die Persönlichkeit der Patienten beantworten zu können, wird in der vorliegenden Studie daher ein neuer, speziell für Patienten mit Erkrankungen des Zentralnervensystems entwickelter Selbstbeurteilungs-Fragebogen eingesetzt: der Fragebogen zur Persönlichkeit bei zerebralen Erkrankungen (FPZ) von Helmstaedter und Gleißner (1999). Dieser Fragebogen berücksichtigt Persönlichkeitsmerkmale und psychopathologische Auffälligkeiten, die aufgrund des klinischen Eindrucks von den Autoren als bedeutsam für die Beschreibung der Persönlichkeit von Epilepsiepatienten angesehen werden. Eine detaillierte Beschreibung des Fragebogens erfolgt im Methodenteil dieser Arbeit.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, in einem ersten Schritt zu prüfen, ob sich die von den Autoren vorgegebene Zuordnung der Items zu den verschiedenen Themenbereichen des FPZ faktorenanalytisch bestätigen lässt. Zudem wird anhand einer Itemanalyse geprüft, ob alle Items aufgrund ihrer Itemkennwerte im Fragebogen beibehalten werden können. Anhand einer Stichprobe gesunder Personen sollen Normwerte gebildet werden. Anschließend werden Fragestellungen bezüglich des Einflusses verschiedener klinischer Variablen (Ort und Seite des epileptischen Fokus bzw. der Läsion, Erkrankungsbeginn, Anfallsfrequenz, antiepileptische Medikation) auf die Skalenwerte des FPZ bearbeitet. Da es sich bei der Stichprobe der Epilepsiepatienten um eine Krankenhausstichprobe handelt, muss man davon ausgehen, dass diese in der Mehrzahl Patienten mit schwer behandelbaren Epilepsien enthält.

Der Vorteil liegt jedoch in Hinblick auf die Validierung des Fragebogens darin, dass für diese Patienten umfangreiche diagnostische Informationen vorliegen, so dass man sichere Aussagen über Erkrankungsmerkmale wie z.B. die genaue Lokalisation des epileptischen Fokus machen kann. Dies lässt beispielsweise Aussagen darüber zu, ob sich Patienten mit verschiedenen Epilepsieformen untereinander und von gesunden Kontrollpersonen unterscheiden. Im nächsten Kapitel folgt eine Übersicht über die Fragestellungen und Hypothesen, die in der vorliegenden Untersuchung bearbeitet werden.