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2.3. Persönlichkeit

2.4.2. Der Frontallappen

2.4.2.2. Die Funktionen des Frontallappens Motorik und Sprache

Wie bereits angedeutet, befinden sich innerhalb des posterioren Frontallappens Areale, die für die Auswahl und die Ausführung von Bewegungen zuständig sind. Zudem spielt das so genannte Broca-Areal für motorisch-expressive Aspekte der Sprache eine Rolle (Huber &

Ziegler, 2000). Auf eine detaillierte Darstellung dieser Funktionen wird hier jedoch verzichtet. Die im weiteren Verlauf des Textes dargestellten Funktionen sind dem präfrontalen Areal zuzuordnen.

Exekutivfunktionen

Exekutivfunktionen sind mentale Funktionen höherer Ordnung, die als Grundlage für zielorientiertes Verhalten angesehen werden können. Sie ermöglichen die Planung einer Handlung und die Erreichung eines Zieles über mehrere Teilschritte hinweg (Gazzaniga et al., 2002; Matthes – von Cramon & von Cramon, 2000). Statt einer einheitlichen Definition des Begriffes „Exekutivfunktionen“ findet man in Lehrbüchern häufig eine beispielhafte Auflistung von Funktionen. Hierzu gehören beispielsweise das Planen und Problemlösen, die Initiierung und die Hemmung von Handlungen, die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf relevante Informationen, die Überwachung der eigenen Handlungen mit der Evaluation von Rückmeldungen und gegebenenfalls der Korrektur der Handlung, sowie die Beibehaltung von Zielen über die Zeit hinweg (z.B. Gazzaniga et al., 2002; Ullsperger & von Cramon, 2003).

Gualtieri (1995) definiert den Begriff „Exekutivfunktionen“ als die Fähigkeit, Verhaltensweisen autonom, ohne Steuerung von außen, durchzuführen sowie die Fähigkeit, eigene Ziele zu entwickeln und diese selbstständig zu erreichen. Er betrachtet dies als einen wesentlichen Aspekt einer reifen Persönlichkeit.

Patienten mit Frontalhirnschädigungen zeigen meist keine Verhaltensauffälligkeiten, solange von außen feste Strukturen vorgegeben sind. Fehlt diese Strukturierung von außen jedoch, dann sind die Patienten häufig nicht in der Lage, die zur Erreichung komplexer Ziele notwendigen Handlungen selber auszuwählen, zu strukturieren und zu initiieren (Gualtieri, 1995). Insbesondere treten solche Probleme dann auf, wenn ein Verhalten über einen längeren Zeitraum geplant werden soll und wenn ein so genanntes „multitasking“, d.h. die gleichzeitige Berücksichtigung verschiedener Teilaspekte, notwendig ist (Karnath & Kammer, 2003).

Bei Patienten mit Frontalhirnschäden kommt es auch häufig zu Defiziten im divergenten Denken, d.h. wenn es darum geht, für ein Problem möglichst viele Lösungen zu finden (Kolb & Whishaw, 1996). Dieses Defizit zeigt sich z.B. bei Fluency-Aufgaben, bei denen es z.B. darum geht, in kurzer Zeit so viele Wörter wie möglich mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben zu finden (phonematische Wortflüssigkeit). Auch bei der Generation von Ideen für die Verwendung eines Alltagsgegenstandes sind Frontalhirnpatienten wenig kreativ.

Entsprechende Defizite werden auch als „Ideenmangel“ bezeichnet (Danek, 2002). Auffällig ist, dass die Patienten bei den genannten Aufgaben häufig Perseverationen zeigen, d.h. dass z.B. dasselbe Wort immer wieder aufgeschrieben wird (Kolb & Whishaw, 1996). In Zusammenhang mit den beschriebenen Beeinträchtigungen ist zu erwähnen, dass gängige Intelligenztests meist konvergentes Denken, d.h. die Produktion einer richtigen Lösung auf

eine Frage erfordern. Dies mag erklären, warum sich nach frontalen Läsionen meist keine Veränderungen im IQ zeigen (Fuster, 1989; Milner, 1995).

Darüber hinaus können nach Schädigungen des Frontalhirns Defizite im konzeptuellen Denken auftreten. Gualtieri (1995) verweist jedoch darauf, dass diese Defizite auch bei Patienten mit anderen Hirnschädigungen zu beobachten sind, schreibt dem Frontallappen jedoch ein besonderes Gewicht für diese Funktion zu. Konzeptuelles Denken beinhaltet die Fähigkeit, von konkreten Wahrnehmungen Schlüsse auf abstrakte, übergeordnete Konzepte abzuleiten, und abstrakte Ideen organisiert und effektiv zu manipulieren (Danek, 2002; Gualtieri, 1995). Schwierigkeiten in der Abstraktion werden deutlich, wenn man Patienten z.B. bittet, den Oberbegriff zu einem Wortpaar zu nennen (z.B.

Apfel – Banane = Obst) oder die Bedeutung eines Sprichwortes zu erklären. Im Gespräch fallen Patienten mit Frontalhirnläsionen häufig durch konkrete und auf ihre eigene Perspektive begrenzte Interpretationen von Ereignissen auf. Hintergründige Bedeutungen von ironischen und sarkastischen Bemerkungen werden von diesen Patienten häufig nicht verstanden. Aufgrund dieser limitierten Denkweise haben die Patienten Schwierigkeiten, die Perspektive einer anderen Person zu übernehmen, was einen Mangel an Empathiefähigkeit zur Folge haben kann. Möglicherweise liegt diesem Defizit eine Störung der so genannten

„Theory of Mind“ zu Grunde. Die „Theory of Mind“ bezieht sich auf die Fähigkeit einer Person, Annahmen über nicht beobachtbare mentale Zustände anderer Personen zu machen, um so Verhalten erklären oder vorhersagen zu können. Beispiele hierfür sind Annahmen über Wünsche, Absichten, Meinungen, den Informationsstand oder mögliche emotionale Reaktionen einer anderen Person (Kirsch, 2006; Gazzaniga et al., 2002; Reischies, 2002).

Auch Störungen der kognitiven Flexibilität treten vor allem nach Schädigungen des Frontalhirns auf. Karnath und Kammer (2003) verweisen jedoch darauf, dass diese Störungen durchaus auch in Zusammenhang mit anderen Hirnschädigungen beobachtet werden können.

Störungen der kognitiven Flexibilität zeigen sich in einem fehlenden Lernen aus Rückmeldungen und einer gestörten Anpassung an veränderte Umweltbedingungen und resultieren in rigidem und perseverativem Verhalten (Danek, 2002; Kolb & Whishaw, 1996). Die Patienten sind beispielsweise nicht in der Lage ihr Verhalten entsprechend der Veränderung einer Regel anzupassen. Dies zeigt sich z.B. im Wisconsin-Card-Sorting-Test, in dem Karten nach einer bestimmten Regel sortiert werden müssen, die sich Verlaufe des Tests jedoch ohne Ankündigung ändert. Patienten mit Frontalhirnschädigungen können ihren einmal gebildeten Handlungsplan nicht der neuen Regel entsprechend ändern und sortieren die Karten weiterhin nach der alten Regel. Darüber hinaus ergeben sich Defizite in Aufgaben

zum Konzeptwechsel. Ein Beispiel hierfür ist der Trail-Making-Test, in dem im Wechsel Zahlen und Buchstaben in aufsteigender Reihenfolge auf einem Blatt Papier miteinander verbunden werden müssen. Die Schwierigkeiten, die Patienten mit Frontalhirnschädigungen bei dieser Art von Aufgaben haben, zeigen sich in einer deutlichen Zunahme der Bearbeitungszeit und der Fehlerzahl im Vergleich zur Bearbeitung derselben Aufgabe ohne Konzeptwechsel, d.h. dem einfachen Verbinden von Zahlen (Danek, 2002). Gualtieri (1995) misst der der kognitiven Flexibilität vor allem in sozialen Situationen eine große Bedeutung bei, da hier eine Anpassung des Verhaltens gefordert ist, je nachdem, mit wem man interagiert (z.B. Vorgesetzter vs. guter Freund).

Vor allem bei neuen Aufgaben und Problemstellungen kann es vorkommen, dass Patienten mit Frontalhirnläsionen die Aufgabeninstruktion nicht berücksichtigen. Dieses Verhalten wird als „Rule-Breaking“ oder „Regelverstoß“ bezeichnet. Als klassisches Beispiel kann hier die Bearbeitung einer Labyrinthaufgabe herangezogen werden (Milner, 1995): Obwohl ein Summton bei der Bearbeitung eines Labyrinths ankündigt, dass der Weg falsch ist, gehen die Patienten nicht wie in diesem Fall vorgeschrieben zum Ausgangspunkt zurück, sondern fahren mit dem Stift weiter in die falsche Richtung und machen noch mehr Fehler. Trotz dieses Fehlverhaltens können die Patienten die Instruktion auf Nachfrage wiederholen. In Glücksspiel-Aufgaben zeigen die Patienten zudem häufig risikoreiche Verhaltensweisen, die mit einer Unempfindlichkeit gegenüber den Konsequenzen der eigenen Handlungen einhergehen (Danek, 2002; Kolb & Whishaw, 1996). Erklärt werden solche Verhaltensweisen mit einer gestörten Monitorfunktion (Karnath & Kammer, 2003;

Ullsperger & von Cramon, 2003). Dabei soll das „Monitoring“ (Überwachung) im Normalfall dafür sorgen, dass das eigene Verhalten in Bezug auf das angestrebte Ziel und die von der Umwelt gegebenen Rückmeldungen überprüft und gegebenenfalls angepasst wird.

Aufmerksamkeit

In enger Verbindung mit den Exekutivfunktionen stehen die Aufmerksamkeitsfunktionen, die gewissermaßen als Voraussetzung für die Planung und die Durchführung von Handlungen angesehen werden müssen. Konzentrationsschwierigkeiten sind die charakteristische Aufmerksamkeitsstörung nach präfrontalen Läsionen (Fuster, 1989). Diese Schwierigkeiten zeigen sich in allen Aufgaben, bei denen die Aufmerksamkeit längere Zeit aufrechterhalten werden soll, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Mit zunehmender Dauer und Komplexität der Aufgaben werden die Defizite deutlicher (Fuster, 1989; Gualtieri, 1995).

Hinzu kommt eine vermehrte Ablenkbarkeit dieser Patienten: Die Aufmerksamkeit wird zu Lasten der Erfüllung der eigentlichen Aufgabe auch auf irrelevante Stimuli gelenkt.

Die Unfähigkeit irrelevante Reize zu ignorieren oder die Reaktion darauf zu unterdrücken wird auch als Interferenzanfälligkeit bezeichnet (Fuster, 1989). Insgesamt ist das Verhalten der Patienten eher reiz- als zielgesteuert. Dies wird von Lhermitte (1986) als „Environmental Dependency Syndrome“ bezeichnet. Die Unfähigkeit, lediglich relevante Reize aus der Gesamtheit von Umweltreizen herauszufiltern, zeigt sich auch bei Patienten mit ADS (Aufmerksamkeits-Defizit-Störung) oder ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung). Dementsprechend werden sowohl Ablenkbarkeit als auch Hyperaktivität mit frontalen Funktionsstörungen in Verbindung gebracht (Fuster, 1989).

Frontale Schädigungen können aber auch zu einer allgemeinen Antriebsschwäche führen, die mit einer Verminderung spontanen Verhaltens und einer verminderten Aufmerksamkeit gegenüber Umweltreizen verbunden ist (Fuster, 1989). Die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf neue unbekannte Reize, die so genannte „Novelty Detection“ ist wichtig, um neue Reize in Bezug auf die eigenen Handlungen und Ziele bewerten zu können und die Handlung eventuell entsprechend anzupassen. Der frontale Kortex ist an dieser Funktion sowie am räumlichen Aufmerksamkeitswechsel und am bereits beschriebenen

„Multitasking“ beteiligt (Ullsperger & von Cramon, 2003).

Gedächtnis

Auch das Arbeitsgedächtnis muss als Basisfunktion für eine erfolgreiche Handlungsplanung und –realisierung angesehen werden. Es erlaubt die zeitlich begrenzte Speicherung und Manipulation von Informationen (Ullsperger & von Cramon, 2003). Wenn Reize in der Umwelt schon nicht mehr verfügbar sind, stehen sie über eine Speicherung im Arbeitsgedächtnis für die Planung oder Ausführung einer Handlung weiterhin zur Verfügung.

Patienten mit Frontalhirnschädigungen zeigen Defizite in einer Arbeitsgedächtnisfunktion, die als „Recency-Gedächtnis“ bezeichnet wird: In entsprechenden Aufgaben werden Karten mit jeweils zwei Reizen (Wörter oder Bilder) präsentiert. Dazwischen tauchen immer wieder Karten mit zwei Reizen und einem Fragezeichen auf, bei denen die Patienten entscheiden sollen, welchen der beiden dargestellten Reize sie zuletzt gesehen haben. Hier haben Patienten mit Frontalhirnschädigungen Schwierigkeiten. Soll jedoch nur beurteilt werden, ob ein Reiz überhaupt schon einmal gesehen wurde, unabhängig von seiner Position im Kartenstapel, ist die Leistung unauffällig (Milner, Corsi & Leonard, 1991). Bei einer weiteren Aufgabe zur zeitlichen Ordnung von Gedächtnisinhalten werden den Patienten Karten mit

jeweils zwölf Reizen (Wörter oder Bilder) gezeigt, die auf jeder Karte gleich, jedoch anders angeordnet sind. Die Aufgabe besteht darin, bei jeder neuen Karte auf einen Reiz zu zeigen, jedoch nicht mehrmals auf denselben Reiz. Patienten mit Frontalhirnläsionen haben in dieser Aufgabe vor allem deshalb Probleme, weil sie keine Strategien entwickeln, die ihnen helfen, sich zu erinnern, auf welche Reize sie schon gezeigt haben und auf welche nicht (Petrides &

Milner, 1982). Nach Gazzaniga et al. (2002) manifestieren sich diese Defizite im Alltag in einer Unfähigkeit das eigene Verhalten in einer zeitlichen Sequenz zu organisieren, was beispielsweise in einer Unfähigkeit, das Essen für die eigenen Familie zuzubereiten, resultieren kann.

Neben dem Arbeitsgedächtnis ist der Frontallappen auch an einer Form des episodischen Gedächtnisses beteiligt, dem so genannten „Source Memory“ oder

„Quellengedächtnis“, das sich darauf bezieht, wann, wo und in welcher Situation eine Information erworben wurde (Gazzaniga et al., 2002; Janowsky, Shimamura & Squire, 1989).

Persönlichkeit und Emotionalität

Bei Erkrankungen des Frontalhirns kann es zu einer Verflachung des Affekts und einer allgemeinen Antriebslosigkeit kommen. Im Extremfall kann eine als „akinetischer Mutismus“ bezeichnete Antriebsstörung vorliegen: Die Patienten zeigen trotz Wachheit keine spontanen Bewegungen oder sprachlichen Äußerungen und reagieren kaum auf Umweltreize.

Einfache Anweisungen können aber manchmal noch ausgeführt werden. Dieses Krankheitsbild kann auch in leichteren Abstufungen auftreten, die sich in einem im Vergleich zum prämorbiden Niveau verminderten Auftreten selbstinitiierter Handlungen oder sprachlicher Äußerungen zeigen (Gualtieri, 1995; Karnath & Kammer, 2003; Reischies, 2002). Gualtieri (1995) beschreibt einen Zustand emotionaler Verflachung nach Frontalhirnschädigung, den er durch ein vermindertes Erregungsniveau erklärt: Die Patienten sind kognitiv zwar in der Lage, auf Reize zu reagieren. Auf Reize, die emotionale Reaktionen auslösen sollten, reagieren sie aber aufgrund der mangelnden Erregung eher unemotional und apathisch. Diese Apathie nach Frontalhirnläsionen bezeichnen Blumer und Benson, (1975) als

„Pseudodepression“. Im Gegensatz zur herkömmlichen Depression zeigen die Patienten jedoch keine Trauer oder Besorgnis sondern sind emotional eher gleichgültig, haben aber ebenfalls ein vermindertes Interesse an Sexualität. Reischies (2002) verweist darauf, dass auch eine Depression im herkömmlichen Sinne in Verbindung mit Frontalhirnschädigungen auftreten kann. Allerdings scheint hier nicht der Frontallappen alleine von Bedeutung zu sein, sondern auch seine Verbindung zur Amygdala. Letztere ist dafür verantwortlich, Reize mit

einer affektiven, insbesondere negativen, Bedeutung zu versehen (Davidson, 1998; Le Doux, 1992). So könnte die verstärkte negative Emotionalität bei der Depression möglicherweise mit einer erhöhten und vom Frontalhirn ungenügend kontrollierten Amygdalaaktivität erklärt werden (Davidson, 1998; Reischies, 2002).

Im Rahmen frontaler Hirnschädigungen kann es im Gegensatz zu der eben beschriebenen Minderung von Antrieb und Affekten auch zu Enthemmungsphänomenen kommen. Bei manchen Patienten äußert sich dies in euphorischer Stimmung, die durch eine gestörte Verbindung zwischen dem Frontallappen und der Amygdala erklärt wird:

Informationen über negative Emotionalität können den Frontallappen so nicht mehr erreichen (Reischies, 2002). Es kann aber auch zu vermehrter Reizbarkeit und Aggressivität kommen.

Auch wird eine Enthemmung des Sexualtriebs beobachtet, die durch eine verminderte Bindung an moralische Wertvorstellungen begünstigt wird. Bei diesen Enthemmungsphänomenen wird ursächlich ein mangelnder Einfluss des Frontallappens auf subcortikale Areale und hier insbesondere das Septum und auf die Amygdala angenommen (Birbaumer & Schmidt, 1991; Gualtieri, 1995). Häufig wird von impulsivem Verhalten berichtet, das sich vor allem negativ auf die in den vorangegangenen Abschnitten angesprochene Fähigkeit zur Planung und Durchführung von Handlungen auswirkt (Gualtieri, 1995; Karnath & Kammer, 2003; Reischies, 2002). Eine Kombination verschiedener Enthemmungsphänomene zeigt sich in einer als „Pseudopsychopathie“ bezeichneten Verhaltensauffälligkeit (Blumer & Benson, 1975): Diese äußert sich in einem insgesamt sozial wenig angepassten Verhalten: Die Patienten sind aggressiv und leicht reizbar und ihr Verhalten ist impulsiv und eher selbstdienlich. Sie haben ein intensives sexuelles Verlangen, zeigen deutliche Defizite in der Empathiefähigkeit und halten sich nicht an moralische Vorschriften. Im Gegensatz zu „echten“ Soziopathen sind sie jedoch weniger brutal und ihr Handeln ist, möglicherweise aufgrund der mangelnden Fähigkeit zur Planung, weniger vorsätzlich. Trotz negativer Rückmeldung aus ihrem sozialen Umfeld sind pseudopsychopathische Patienten nicht in der Lage, ihr Verhalten zu ändern: Dies kann zum einen damit begründet werden, dass der Frontallappen in die Bewertung von Belohnungs- und Bestrafungsreizen involviert ist, und die Patienten daher solche Hinweisreize nicht angemessen zur Verhaltensmodifikation nutzen können. Zum anderen wird die Umsetzung des beschriebenen negativen Verhaltens durch den vorherrschenden impulsiven, wenig überlegten Handlungsstil begünstigt (Danek, 2002).

Bei Erkrankungen des Frontalhirns werden auch Probleme in der Affektkontrolle beobachtet (Reischies, 2002). So kann sich eine Affektlabilität zeigen, bei der die Patienten

schneller emotional reagieren und für diese Reaktionen auch eine geringere Reizschwelle haben. Beispielsweise sind die Patienten sehr schnell und leicht reizbar. Zudem wird von Affektinkontinenz berichtet, die sich auf eine mangelnde Steuerung der Affekte bezieht: Die Affekte sind intensiver und dauern auch länger an. Kommt es z.B. aufgrund eines Reizes zu einem Ausbruch von Aggression, dann ist dieser oft besonders heftig und lang anhaltend.

Insgesamt treten bei Patienten mit Frontalhirnschädigungen häufig plötzliche und situationsunangemessene Stimmungswechsel, mit apathischem Verhalten auf der einen Seite und erhöhter Reizbarkeit und Durchbrüchen von Aggressivität auf der anderen Seite, auf (Gualtieri, 1995).

Asymmetrie von Funktionen

Insgesamt zeigt sich in den Frontallappen eine Asymmetrie von Funktionen, die der allgemeinen Organisation der rechten und linken Hirnhälfte entspricht. Die Funktionen in den Frontallappen sind jedoch weniger lateralisiert als in anderen, weiter posterior gelegenen Hirnregionen (z.B. Temporallappen). An vielen Verhaltensweisen sind daher beide Frontallappen beteiligt (Kolb & Whishaw, 1996).

Funktionelle Organisation des präfrontalen Kortex

Der dorsolaterale präfrontale Kortex scheint schwerpunktmäßig für die Exekutivfunktionen und das Arbeitsgedächtnis von Bedeutung zu sein, während der orbitofrontale Kortex eher an der Verarbeitung motivationaler und emotionaler Aspekte des Verhaltens sowie an der Verhaltenskontrolle und an der Bewertung der Konsequenzen des eigenen Verhaltens beteiligt ist (Markowitsch, 2000; Sarazin, Pillon, Giannakopoulos, Rancurel, Samson & Dubois, 1998; Tekin & Cummings, 2002). Damit spielt der orbitofrontale Kortex eine besondere Rolle für das Sozialverhalten und die Persönlichkeit.

Die genannten Funktionen erklären sich auch durch die enge Verbindung des orbitofrontalen Kortex zum limbischen System, welches eine entscheidende Rolle in der Verarbeitung von Emotionen spielt. Tekin und Cummings (2002) berücksichtigen bei der funktionellen Beschreibung des präfrontalen Kortex diese Verbindungen zu subkortikalen Strukturen, indem sie frontal-subkortikale Schaltkreise postulieren. Dabei gehen sie davon aus, dass die Schädigung eines Schaltkreises dieselben Symptome hervorrufen kann, wie die alleinige Schädigung des entsprechenden präfrontalen Areals selbst.

Um abschließend die Bedeutung des Frontallappens für die Emotionalität und die Persönlichkeit eines Menschen zu veranschaulichen, wird das klassische Beispiel eines Patienten mit einer Frontalhirnschädigung vorgestellt: der Fall Phineas Gage.