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2.3. Persönlichkeit

2.4.1. Die funktionelle Asymmetrie der Hemisphären

Insbesondere wenn es um das Verständnis der funktionellen Asymmetrie der Großhirnhemisphären geht, ist im Rahmen der klinischen neuropsychologischen Forschung neben der Untersuchung von Patienten mit umschriebenen Läsionen die Untersuchung von Split-Brain- und Hemisphärektomie-Patienten von besonderem Wert. Aufgrund methodischer Probleme sollten diese klinischen neuropsychologischen Untersuchungen jedoch durch Untersuchungen gesunder Probanden ergänzt werden. Als Methoden sind hier die Tachistoskopie und das dichotische Hören zu nennen. Eine nähere Beschreibung der genannten Methoden findet sich im Anhang (A 2.4.1.).

Mit Begriffen wie „funktionelle Hemisphärenasymmetrie“, „funktionelle Hemisphärendominanz“ oder „funktionelle Hemisphärenspezialisierung“ bezeichnet man Unterschiede in der Informationsverarbeitung der beiden Großhirnhemisphären. Obwohl an einer Vielzahl von kognitiven Funktionen beide Hemisphären beteiligt sind, und zudem zwischen beiden Hemisphären ein reger Informationsaustausch stattfindet, gibt es doch Funktionen, die einer Hemisphäre stärker zugeordnet werden können als der anderen. Bei

Rechtshändern zeigt die linke Hemisphäre in der Regel eine Dominanz für Sprache und für die Kontrolle komplexer Willkürbewegungen, die Rechte hingegen für nicht-verbale Prozesse wie z.B. räumliches Sehen, mentale Rotation von Objekten, Orientierungsfähigkeit, Aufmerksamkeit, musikalische Fähigkeiten, Erkennen von Gesichtern und Verstehen von Mimik (Kandel, Schwartz & Jessell, 1995; Kolb & Whishaw, 1996; Springer & Deutsch, 1998). Die funktionelle Unterteilung in „verbal“ für die linke und „nicht-verbal“ für die rechte Hemisphäre musste jedoch im Laufe der Zeit korrigiert werden. Man fand zum Beispiel heraus, dass auch die rechte Hemisphäre einige einfache, wenig abstrakte und leicht visualisierbare Worte verstehen kann und über ein gewisses Verständnis für grammatikalische Strukturen verfügt (Hartje, 2000; Rosenzweig, Leiman & Breedlove, 1996; Springer &

Deutsch, 1998). Durch weiterführende Untersuchungen, die hier nicht im Detail erläutert werden können, ersetzte man die vereinfachte Dichotomie „verbal vs. nicht-verbal“ durch die Annahme, dass Informationen durch die linke Hemisphäre eher sequentiell, analytisch, kausal, lokal und abstrakt, durch die rechte Hemisphäre eher ganzheitlich-holistisch, parallel, intuitiv, global und konkret verarbeitet werden (Birbaumer & Schmidt, 1991;

Borod, 1992; Gazzaniga et al. 2002; Jäncke, 2003).

Ein für die vorliegende Untersuchung relevanter Aspekt der funktionalen Asymmetrie bezieht sich auf die unterschiedliche Verarbeitung von Emotionen in den Hemisphären.

Eine als „Rechtshemisphärenhypothese“ bekannte Annahme geht davon aus, dass die rechte Hemisphäre für den Ausdruck und die Wahrnehmung von Emotionen, unabhängig von deren Valenz, dominant ist. Die dazu in Konkurrenz stehende „Valenzhypothese“ geht davon aus, dass die rechte Hemisphäre für die Verarbeitung negativer und die linke Hemisphäre für die Verarbeitung positiver Emotionen dominant ist und dies unabhängig vom Verarbeitungsmodus (Ausdruck vs. Wahrnehmung). Eine zweite „Version“ der Valenzhypothese besagt, dass es eine Dominanz der rechten bzw. linken Hemisphäre für negative bzw. positive Emotionen nur für den Emotionsausdruck bzw. das Emotionserleben gibt. Für die Wahrnehmung von Emotionen ist unabhängig von deren Valenz die rechte Hemisphäre dominant. Studien zu diesem Thema lieferten zunächst sehr widersprüchlich Ergebnisse, was dadurch erklärt wurde, dass nicht zwischen der Wahrnehmung und der Produktion von Emotionen unterschieden wurde. Nach dem heutigen Stand der Forschung weiß man, dass die Valenzhypothese für die anterioren Bereiche beider Hemisphären gilt und sich auf das Empfinden und den Ausdruck von Emotionen bezieht. Bezüglich der Emotionswahrnehmung gibt es unabhängig von der Valenz der Reize eine Dominanz des posterioren Bereichs der rechten Hemisphäre (Borod, 1992; Hartje, 2000).

Auch aus der Beobachtung psychischer Auffälligkeiten von Patienten mit unilateralen Läsionen ergeben sich Hinweise auf eine unterschiedliche Beteiligung der Hemisphären an emotionalen Prozessen: So wird bei Patienten mit linkshemisphärischen Schädigungen von einer so genannten „Katastrophenreaktion“ berichtet, die durch extreme Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Niedergeschlagenheit gekennzeichnet ist. Patienten mit rechtshemisphärischen Läsionen zeigen hingegen eher eine „indifferent-euphorische Reaktion“, die sich in einer gleichgültigen Haltung gegenüber der eigenen Erkrankung und einer unangemessen euphorischen Stimmungslage äußert (Ackermann, 2003; Springer &

Deutsch, 1998). Springer und Deutsch (1998) zitieren eine Studie von Gainotti (1969), in der 150 Patienten mit unilateralen Schädigungen bezüglich des Vorliegens der oben beschriebenen Reaktionsformen untersucht wurden: Eine Katastrophenreaktion zeigten 62 % der linkshemisphärisch geschädigten, aber nur 10 % der rechtshemisphärisch geschädigten Patienten. Eine indifferent-euphorische Reaktion zeigten hingegen 38 % der rechtshemisphärisch geschädigten, aber nur 11 % der linkshemisphärisch geschädigten Patienten. Springer und Deutsch (1998) zitieren Studien von Rossi und Rosadini (1967) und Terzian (1964) zu emotionalen Reaktionen während des Wada-Tests (einseitige Injektion von Natriumamobarbital). Wenn auch insgesamt nur bei wenigen Patienten, so zeigten sich nach linksseitigen Injektionen häufiger dysphorische, nach rechtsseitigen Injektionen häufiger indifferent-euphorische Reaktionen. Robinson (1995) verwendete in seiner Studie die DSM-IV-Kriterien für die Diagnosenstellung einer „Major Depression“ und einer „Minor Depression“ bei einer Stichprobe von Patienten mit unilateralen zerebralen Durchblutungsstörungen. Es zeigte sich, dass eine „Major Depression“ bei 10 – 30 % und eine „Minor Depression“ bei 10 – 40 % der Patienten vorlag. Zudem traten diese Depressionsformen am häufigsten bei Durchblutungsstörungen des linken Frontallappens oder der linksseitigen Basalganglien auf. Manische Episoden treten nach zerebralen Durchblutungsstörungen zwar seltener auf als Depressionen. Wenn sie auftreten, dann jedoch fast ausschließlich nach Läsionen der rechten Hemisphäre (Ackermann, 2003). In Untersuchungen an Epilepsiepatienten mit Lachanfällen zeigte sich eine doppelt so große Wahrscheinlichkeit für einen linkshemisphärischen Fokus im Vergleich zu einem rechtshemisphärischen Fokus (Sackheim, Greenberg, Weiman, Gur, Hungerbuhler &

Geschwind, 1982).

Die dargestellten Befunde entsprechen den Annahmen, welche die Valenzhypothese zum Empfinden und zum Ausdruck von Emotionen macht: Durch eine linksseitige Schädigung kommt es zu einem Überwiegen des Einflusses der für negative emotionale

Empfindungen verantwortlichen rechten Hemisphäre, durch eine rechtsseitige Schädigung zu einem Überwiegen des Einflusses der für positive emotionale Empfindungen verantwortlichen linken Hemisphäre. Als Ursache dieses Überwiegens der emotionalen Valenz einer Hemisphäre wird die fehlende Hemmung durch die entsprechende andere, geschädigte Hemisphäre gesehen. Ein epileptischer Fokus hingegen führt zu einer verstärkten Erregung innerhalb einer Hemisphäre, was den Zusammenhang von Lachanfällen und linkshemisphärischen Anfallsherden erklärt (Springer & Deusch, 1998). Unklar ist jedoch, wie sich das gleichzeitige Vorliegen einer strukturellen Läsion und eines epileptischen Fokus auswirkt. Befunde zu einem erhöhten Auftreten von Depressionen bei linkstemporalen Epilepsien (siehe Abschnitt 2.5.3.1.) sprechen eher dafür, dass eine Epilepsie vergleichbare Auswirkungen hat wie eine strukturelle Schädigung. Leider wird der Einfluss des Vorliegens oder Nicht-Vorliegens einer Läsion bei den Epilepsiepatienten in solchen Studien bislang nur unzureichend berücksichtigt. Es muss jedoch darauf verwiesen werden, dass insbesondere die mesiale Temporallappenepilepsie meist mit einer strukturellen Schädigung verbunden ist.

Davidson (1998) greift die unterschiedliche Beteiligung der beiden Hemisphären am emotionalen Empfinden und Verhalten in Form eines Persönlichkeitsmerkmals auf, das er als „Affective Style“ bezeichnet. Dieser Begriff bezieht sich auf individuelle Unterschiede in der Stimmungsdisposition und in der Reaktivität auf emotionsinduzierende Reize (Davidson, 2001). Nach Davidson sind individuelle Unterschiede im „Affective Style“ auf Asymmetrien zwischen der links- und rechtsseitigen elektrophysiologischen Aktivierung des präfrontalen Kortex zurückzuführen. Personen mit einer höheren linksfrontalen EEG-Baseline-Aktivierung zeichnen sich durch eine positive, Personen mit einer höheren rechtsfrontalen EEG-Baseline-Aktivierung durch eine negative Affektivität aus (Davidson, 2001). Darüber hinaus geht Davidson (1998, 2001) davon aus, dass die linke Frontalregion Teil eines Annäherungssystems (Approach-System) ist, dass Appetenzverhalten vermittelt und bestimmte Arten zuwendungsbezogener positiver Emotionen hervorruft. Dieses System steht mit einer Form der positiven Emotion in Verbindung, die unmittelbar vor der Erreichung eines angestrebten Ziels auftritt. Demgegenüber ist die rechte Frontalregion Teil eines Vermeidungs- bzw. Rückzugssystems (Withdrawal-System), das den Rückzug als Reaktion auf aversive Stimulation vermittelt und bestimmte Arten negativer vermeidungsbezogener Emotionen hervorruft. Dies sind in erster Linie Angst und Ekel.

Davidson und seine Mitarbeiter führten eine Reihe von Untersuchungen durch, die die dargestellte Theorie stützen: Zum Beispiel berichteten Personen mit einer höheren linksfrontalen Aktivierung über die Eigenschafts-Version der „Positive and Negative Affect

Scale (PANAS)“ (Watson, Clark & Tellegen, 1988) über mehr positive und weniger negative Emotionen als Personen mit einer höheren rechtsfrontalen Aktivierung (Tomarken, Davidson, Wheeler & Doss, 1992). Wheeler, Davidson und Tomarken (1993) konnten zeigen, dass Personen, die während einer Baseline höhere Level linksseitiger präfrontaler Aktivierung aufweisen, stärkere positive Emotionen als Reaktion auf einen Film-Clip mit positiver Valenz zeigen, während Personen mit einer höheren rechtsseitigen präfrontalen Baseline-Aktivierung eine stärkere negative Reaktion auf einen Film-Clip mit negativer Valenz zeigen. Davidson und Sutton (1995) konnten nachweisen, dass es bei der Auslösung positiver Emotionen zu Annäherungsverhalten (z.B. Ausstrecken des Armes zu einer anderen Person) und einer erhöhten Aktivität in der linksseitigen präfrontalen und auch der anterioren temporalen Region kommt. Die Auslösung negativer Emotionen (Angst oder Ekel) ist hingegen durch Vermeidungsverhalten (z.B. Abwendung vom Stimulus) und eine Erhöhung der rechtsseitigen präfrontalen und anterioren temporalen Aktivität begleitet.

Davidson gelang es zudem, frontale Aktivierungsasymmetrien bei verschiedenen psychiatrischen Krankheitsbildern nachzuweisen (zusammengefasst in Davidson, 1998): Er postulierte für die Depression ein Defizit im Annäherungssystem mit einer entsprechend verminderten Aktivierung in der linksseitigen präfrontalen Region. Tatsächlich lässt sich sowohl bei depressiven Patienten als auch bei ehemals depressiven (zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht erkrankten) Patienten eine im Vergleich zu Gesunden ohne Vorgeschichte einer Depression verminderte linksseitige präfrontale Aktivierung nachweisen (Henriques &

Davidson, 1990; Henriques & Davidson, 1991). Für die Angsstörung machte Davidson (1998) die Annahme einer erhöhten rechtshemisphärischen Aktivierung, die während akuter Angstepisoden besonders deutlich ausgeprägt sein soll. Tatsächlich konnte er im Rahmen eines Public-Speech-Paradigmas bei Patienten mit sozialer Phobie eine im Vergleich zur Baseline deutlich stärkere Zunahme der Aktivierung im rechtsseitigen präfrontalen und parietalen Cortex feststellen als bei gesunden Kontrollpersonen (Davidson, Marshall, Tomarken & Henriques, 2000).

Zusammenfassend ergeben sich Hinweise darauf, dass beide Hemisphären in unterschiedlicher Art und Weise an kognitiven, emotionalen und persönlichkeitsbezogenen Prozessen beteiligt sind. Selbstverständlich reicht die einfache Unterteilung in links- und rechtshemisphärische Funktionen nicht aus, um die zerebralen Grundlagen eines so komplexen Konstruktes wie das der Persönlichkeit zu verstehen. Im Folgenden werden daher zwei Hirnregionen vorgestellt, denen eine bedeutende Rolle für Emotionalität und Persönlichkeit zugeschrieben wird: der Frontallappen und der Temporallappen.