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8 Familiäres Auftreten einer angeborenen Verhornungs-störung der Haut bei zwei Kälbern der Rasse Deutsche Angus

SCHULZE, U.¹, KUIPER, H.¹,WÖHLKE, A.¹, WOHLSEIN, P.2, GERHAUSER, I.2, MARXFELD, H.2, HAAS, L.3, DISTL, O.¹

¹Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

2Institut für Pathologie, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

3 Institut für Virologie, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

SCHULZE, U., KUIPER, H., WÖHLKE, A., WOHLSEIN, P., GERHAUSER, I., MARXFELD, H., HAAS, L., DISTL, O. (2006): Familiäres Auftreten einer angeborenen Verhornungsstörung der Haut bei zwei Kälbern der Rasse Deutsche Angus

Dtsch. tierärztl. Wschr.

Zusammenfassung

Bei zwei weiblichen Kälbern der Rasse Deutsche Angus von einem Betrieb wurde eine angeborene Störung der Verhornung der Epidermis diagnostiziert. Für die beiden betroffenen Angus-Kälber betrug der Verwandtschaftsgrad 34,38%. Das klinische Bild ähnelte der Ichthyosis congenita, da die Veränderungen der Haut bereits bei der Geburt vorhanden waren und kein Abfall der Blutzinkgehalte festzustellen war. Jedoch war eine Parakeratose auf Grund der histologischen Veränderungen nicht vollkommen auszuschliessen. Aufgrund der engen Verwandtschaft der beiden betroffenen Kälber ist für die hier vorliegenden Fälle eine genetische Ursache als sehr wahrscheinlich anzusehen.

Schlüsselwörter: Rind, Parakeratose, Ichthyosis congenita, Deutsche Angus, Vererbung

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SCHULZE, U., KUIPER, H., WÖHLKE, A., WOHLSEIN, P., GERHAUSER, I., MARXFELD, H., HAAS, L., DISTL, O. (2006): Familial occurrence of a congenital defect of the keratinisation of the skin in German Angus calves.

Dtsch. tierärztl. Wschr.

Summary

Congenital dysfunction of the keratinisation of the epithelium was diagnosed in two female German Angus calves born on the same farm. The relationship coefficient between the two affected Angus calves was 34.38 %. The clinical findings were similar to ichthyosis congenita as the alterations of the skin were present at birth and the levels of zinc in the blood were not decreased. However, parakeratosis could not be completely excluded as skin alterations were partly parakeratotic. On account of the close relationship between the two affected calves a genetic cause is likely for the present cases.

Keywords: Cattle, ichthyosis congenita, parakeratosis, German Angus, inheritance Einleitung

Angeborene Verhornungsstörungen der Haut kommen beim Rind häufig vor. Weit verbreitet ist die Parakeratose bei Holstein Friesian und Schwarzbunten Rindern.

Dagegen werden die Ichthyosis congenita und fetalis (Hyperkeratosis congenita fetalis) seltener beobachtet.

Die erbliche Parakeratose der Kälber ist ein angeborenes Zinkmangelsyndrom (Letalfaktor A 46), das sich einige Wochen nach der Geburt manifestiert und ohne zusätzliche orale Zinkzufuhr zum Tod der Tiere führt. Synonyme für die angeborene Parakeratose sind erbliches Zinkmalabsorptionssyndrom, „Lethal trait A46“

(ANDRESEN et al. 1970), angeborene Thymushypoplasie (BRUMMERSTEDT et al.

1971) oder Adema´s Disease. Letztgenannter Name ist auf einen Schwarzbunten Bullen zurückzuführen, der die Parakeratose nachweislich vererbt hat (FLAGSTAD 1977). Als Folge des Zinkmangels entwickeln sich zuerst an einzelnen Stellen der Haut des Kopfes und vor allem an den Beugeseiten der Gliedmaßen bis zu 5 mm dicke, feste graubraune Borken. Besonders betroffen sind das Flotzmaul, die Maulwinkel, die Augenumgebung und der Ohrgrund (STÖBER 1971). Im weiteren Verlauf treten diese borkigen Hautveränderungen an der gesamten Haut der

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Gliedmaßen und später auch am gesamten Körper auf. Die histologischen Hautveränderungen wurden von TRAUTWEIN (1971) genauer beschrieben. So beginnt der parakeratotische Prozess im Stratum spinosum der Epidermis mit Ödem und Acantholyse und im Stratum granulosum mit Schwund des Keratohyalins, gefolgt von einer Verhornungsstörung mit Persistenz der Zellkerne in der Hornschicht und Entstehung einer vielschichtigen parakeratotischen Borke.

Neben den parakeratotischen Hautveränderungen atrophieren die lymphatischen Organe. Am stärksten betroffen ist hiervon der Thymus. Damit verbunden ist eine gestörte Entwicklung des Immunsystems, die Lungen- oder Darminfektionen begünstigt (MCERLEAN 1984, STÖBER 1971).

Experimentell ausgelöster Zinkmangel zeigt der angeborenen Parakeratose sehr ähnliche Symptome (MILLER u. MILLER 1960, MILLS et al. 1967). Eine erfolgreiche Behandlung der angeborenen Parakeratose ist mit einer peroralen Zinkgabe möglich (BRUMMERSTEDT et al. 1971, MILLER u. MILLER 1962, STÖBER 1971, FLAGSTAD 1977). FLAGSTAD (1976) zeigte, dass der aktive Zinktransport über den Dünndarm bei betroffenen Kälbern beeinträchtigt oder nicht vorhanden war. Bei hohen oralen Zinkgaben diffundiert Zink passiv durch die Darmmukosa in das Blut.

Die Akrodermatitis enteropathica des Menschen ähnelt der Parakeratose des Kalbes.

Anders als beim Kalb treten hier Alopezie, Dermatitis an den Körperöffnungen und Diarrhoe auf. An der Haut entwickeln sich Erytheme und Krusten mit Vesikeln und Pusteln. Für den Menschen wird ein monogener, autosomal rezessiver Erbgang angenommen. WANG et al. (2001) lokalisierten das beim Menschen für die Acrodermatitis enteropathica verantwortliche Gen auf dem Chromosom 8q24.3.

KURY et al. (2002) führten diese Untersuchungen weiter und identifizierten das SLC39A4 Gen als kausal für Acrodermatitis enteropathica beim Menschen.

Bei den Rassen Dänische Schwarzbunte (ANDRESEN et al. 1970), Holländische Friesians (KRONEMANN et al. 1975), Shorthorns (VOGT et al. 1988), Deutschen Schwarzbunten (STÖBER 1971), Holstein Friesian (PRICE u. WOOD 1982), Höhenfleckvieh (SCHLERKA u. BAUMGÄRTNER 1976) und Angus (COOK u. GILL 1993, VESTWEBER et al. 1994) wurden bisher Fälle von Parakeratose gefunden.

ANDRESEN et al. (1970) wiesen bei Dänischen Schwarzbunten für die angeborene Parakeratose einen monogenen, autosomal rezessiven Erbgang mit vollständiger Penetranz nach, indem sie alle betroffenen Kälber auf einen Bullen zurückführen

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konnten. Ein monogener, autosomal rezessiver Erbgang konnte auch bei holländischen Friesian Rindern (KRONEMANN et al. 1975), Shorthorns (VOGT et al.

1988) und australischen Angus (COOK u. GILL 1993) nachgewiesen werden.

PERRYMAN et al. (1989) untersuchten die Anzahl der Lymphozyten bei zwei Kälbern mit „Lethal Trait A46“ und von Vergleichskälbern. Von der Geburt bis zum Ausbruch des Zinkmangels wiesen alle Kälber physiologische Lymphozytenwerte auf. Die betroffenen Tiere zeigten aber bei Manifestation der Erkrankung deutlich erniedrigte Lymphozytenzahlen. Der Rückgang der Anzahl an Lymphozyten erklärte die erhöhte Anfälligkeit für Infektionen, jedoch nicht den Tod dieser Tiere. So erschien es eher wahrscheinlich, dass mehrere Faktoren zum Tod dieser Tiere führten.

In den meisten Fällen des Zinkmangelsyndroms wurde auch ein Zinkmangel im Blut gefunden (STÖBER 1971, DYSON 1986, PRICE u. WOOD 1982, ADRICHEM et al.

1970, SCHLERKA u. BAUMGÄRTNER 1976). Auch wenn diese Erkrankung durch eine Störung im Zinkstoffwechsel ausgelöst wird, konnte dennoch bei einigen betroffenen Kälbern ein herabgesetzter Zinkmangel im Blut nicht nachgewiesen werden (STÖBER 1971, ADRICHEM et al. 1970, VESTWEBER et al. 1994), bzw. die orale Behandlung mit Zink schlug fehl (O´BRIAN 1986).

STÖBER (1971) stellte bei 15 Deutschen Schwarzbunten Kälbern mit angeborener Parakeratose eine erniedrigte Aktivität der alkalischen Phosphatase und häufig einen erniedrigten Vitamin A-Gehalt im Blut fest. HERZOG u. HÖHN (1971) beschrieben eine erhöhte Anzahl von Chromosomenbrüchen bei Kälbern mit angeborener Parakeratose und ihren Eltern. Dies konnte von BOSMA u. KRONEMAN. (1979) nicht bestätigt werden.

TAMMEN et al. (1998) sahen das Cysteine-rich intestinal protein (CRIP), Cluster of Methallothioneins (MT), und Lethal milk syndrome (mouse) Gen als aussichtsreiche Kandidaten für die Untersuchungen bei Angus und Deutschen Holsteins an. In weitergehenden Untersuchungen bei Australischen Angus, die sich auf die von COOK u. GILL (1993) beschriebenen Fälle bezog, konnte eine Mutation im bovinen SLC39A4 Gen, die wahrscheinlich ursächlich für die Parakeratose ist, nachgewiesen werden. Allerdings war diese Mutation im SLC39A4 Gen bei den von Parakeratose betroffenen Schwarzbunten Kälbern, die STÖBER (1971) beschrieben hatte, nicht nachzuweisen (Tammen, persönliche Mitteilung 2005)

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Von der Parakeratose muss die Ichthyosis abgegrenzt werden. Ichthyosiforme Dermatosen sind eine heterogene Gruppe von angeborenen Erkrankungen, die durch eine übermäßige Verhornung der Haut charakterisiert sind, die in extremer Form zu einem fischschuppenähnlichen Aussehen der Haut führen, was dieser Erkrankung ihren Namen gab (SCOTT 1988). Allen ichthyosen Dermatosen ist eine lamelläre orthokeratotische Hyperkeratose gemeinsam. Die Hautveränderungen wurden auch zusammen mit Mikrotie, Katarakt und Anomalien der Thyreoidea beobachtet (YAGER u. SCOTT 1993).

Beim Rind wurden zwei klinische Formen der Ichthyosis beschrieben. Die schwere Form wird als Ichthyosis foetalis bezeichnet. Hier ist die Haut des ganzen Körpers hyperkeratotisch und die Tiere sterben entweder im Mutterleib oder kurz nach der Geburt.

Ichthyosis congenita ist eine milde Form der Hyperkeratose, die bisher bei Jerseys, Pinzgauern, Chianina und Holstein Friesian beschrieben wurde (FISCHER 1953, JULIAN 1960, LÜPS 1963, YAGER u. SCOTT 1993, RAOOFI et al. 2001).

Von Ichthyosis congenita betroffene Kälber besitzen an den betroffenen Hautstellen ein kurzes, borstiges Fell. Im Bereich des Mauls, der Augen, Ohren und an den Gelenken fehlt das Fell. Die Haut ist hart und verdickt mit Falten an Nacken, Bauch und Gelenken. Im weiteren Verlauf erscheinen in der Haut in der Umgebung des Flotzmauls, den Ohren und den Gelenken Risse (JULIAN 1960). Pathologisch-anatomisch findet man eine orthokeratotische Hyperkeratose der Haut, die histopathologisch auf eine Verdickung der Stachelzellschicht (Akanthose) und eine Verbreiterung des Stratum corneum in den Hornplatten zurückzuführen ist (FISCHER 1953). Hinweise auf eine X-chromosomale Vererbung, wie sie auch beim Menschen vorkommt, wurde von JULIAN (1960) beim Holstein Friesian Rind beobachtet. LÜPS (1963) legte bei den von ihm untersuchten Pinzgauerkälbern allerdings einen monogenen, autosomal rezessiven Erbgang zugrunde. In den letzten 30 Jahren wurden fast keine Fälle von Ichthyosis beim Rind beschrieben. RAOOFI et al. (2001) veröffentlichten in neuerer Zeit einen Fall von Ichthyosis congenita bei einem Holstein Bullenkalb.

Zudem kann eine Hyperkeratose der Haut auch durch eine Vergiftung mit höherchlorierten Naphthalinen auftreten. Diese Veränderungen sind meist nur bei

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älteren Tieren zu beobachten, da Kälber schon vor dem Auftreten von Hautveränderungen verenden (PANCIERA et al. 1993).

Material und Methoden

Zwei weibliche Kälber der Rasse Deutsche Angus wurden dem Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover vom Hoftierarzt wegen auffälliger Hautveränderungen gemeldet. Von Kalb 1 wurden vier Hautbiopsien im Institut für Pathologie histologisch untersucht. Jeweils eine EDTA-Blutprobe von Mutter und Kalb wurden im Institut für Virologie mittels ELISA auf das Vorhandensein von BVD-Virusantigen und -Virusantikörpern untersucht. In der Klinik für Rinder wurden von beiden Kälbern, der Mutter des zweiten Kalbes und einem weiteren Tier des Bestandes eine Heparin- und eine Serumblutprobe auf Vitamin A und E, Mengen- und Spurenelemente, die Leberenzyme Aspartat-Aminotransferase (AST), Gamma-Glutamyl-Transferase (GGT) Glutamat-Dehydrogenase (GDH), Cholesterin, Gesamteiweiß und alkalische Phosphatase (AP) untersucht. Mittels einer EDTA-Blutprobe wurde ein Blutbild angefertigt. Am Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung wurde von beiden Kälbern und Mutter von Kalb 1 eine Chromosomenanalyse durchgeführt. Die Darstellung der Chromosomen erfolgte nach Standardmethoden aus den Blutlymphozyten einer Phytohämagglutinin stimulierten Vollblutkultur. Die Anordnung der Chromosomen bei der Karyotypisierung entsprach der internationalen Nomenklatur (ISCNDB 2000).

Aus einer EDTA-Blutprobe der betroffenen Kälber wurde mit Hilfe des QIAamp 96 DNA Blood Kit (QIAGEN, Hilden) hochreine genomische DNA isoliert. Zur PCR-Amplifikation wurden 8 Primerpaare aus der publizierten Rindersequenz (Accession.

No. NW_941303) ausgewählt, die alle 12 Exons des bovinen SLC39A4 Gens sowie die flankierenden Intronabschnitte umfassen. Zusätzlich wurden 2 Primerpaare für die cDNA Amplifikation entwickelt (Tab. 1), so dass alle Exons des bovinen SLC39A4 Gens sowohl auf genomischer als auch auf cDNA Ebene analysiert werden konnten.

Eine Mutation im bovinen SLC39A4 Gen konnte bei Australischen Angus und bei von Parakeratose betroffenen Schwarzbunten nachgewiesen werden (Tammen, persönliche Mitteilung 2005).

Das PCR Reaktionsvolumen betrug 50 µl und enthielt ca. 25 ng genomische DNA, 1,5 mM MgCl2, je 50 pmol Primer, 100 mM je Desoxyribonukleosidtriphosphat

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(dNTP) und 1 U Taq DNA Polymerase (Qbiogene, Heidelberg). Die PCR Amplifikate der betroffenen Kälber sowie der jeweiligen gesunden Mütter der Tiere wurden anschließend direkt auf dem automatischen Sequenziergerät MegaBACE 1000 (Amersham Biosciences, Freiburg) sequenziert. Für die cDNA-Analyse wurde zunächst aus betroffenen Bereichen der Haut, dem Jejunum und der Leber eines der erkrankten Kälber sowie aus der Haut eines unverwandten gesunden Kalbes mRNA mit Hilfe des RNeasy 96 universal tissue kit (Qiagen, Hilden) isoliert und anschließend mit Hilfe der Reversen Transcriptase Superscript III (Invitrogen, Karlsruhe) für die PCR in cDNA umgeschrieben. Auch diese Amplifikate wurden auf dem automatischen Sequenziergerät MegaBACE 1000 (Amersham Biosciences) sequenziert.

Ergebnisse

Anamnese und Klinik

Beide von den auffälligen Hautveränderungen betroffene Kälber stammten aus einem Betrieb, der 14 Mutterkühe der Rasse Deutsch Angus hielt. Neben Weidegang wurde im Winter auch Gras- und Maissilage zugefüttert. Ergänzungsfuttermittel kamen nicht zum Einsatz. Der Betrieb war IBR-frei, der BVD-Status war unbekannt. Der Landwirt berichtete, dass im Jahr zuvor bereits ein Tier mit derartigen Symptomen aufgetreten sei, das aber sofort eingeschläfert wurde.

Kalb 1 fiel bei der Geburt durch eine sehr faltige Haut auf, die innerhalb weniger Tage borkige Krusten entwickelte. Die erstkalbende Mutter des Kalbes erschien klinisch unauffällig.

Auch Kalb 2, das 3 Wochen später geboren wurde, stammte von einer klinisch unauffälligen Färse. Beide Kälber waren im Vergleich zu einem weiteren gesunden Kalb im Bestand auffällig klein.

Kalb 1 wurde im Alter von einer Woche klinisch untersucht. Das Kalb war munter. Am Maul, den Augen und am Ohrgrund befanden sich borkige Veränderungen. An den Beinen waren haarlose Bezirke, die verdickte Haut aufwiesen. Herzschlag-, Atemfrequenz und Körpertemperatur lagen im physiologischen Bereich. Die Schleimhäute waren blass-rosa. Eine Woche später waren die Hautveränderungen trotz eines Therapieversuchs mit einer täglichen peroralen Zinksulfatgabe von 1 g weiter vorangeschritten. Das Tier verendete aus ungeklärter Ursache.

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Kalb 2 wurde im Alter von einer Woche untersucht. Dieses Kalb war von Anfang an sehr ruhig. Dem Tier wurde täglich 1 g Zinksulfat peroral verabreicht. Dieses Tier wurde im Alter von 10 Tagen aufgrund massiver Untertemperatur (34,1°C) und apathischem Verhalten eingeschläfert.

Trotz der peroralen Zinkgaben und einer lokalen Behandlung der Haut mit Zinkoxid war bei beiden Tieren keine Besserung der Haut zu erkennen. Die Laborbefunde bei Erstuntersuchung der noch unbehandelten Tiere zeigten bei beiden Kälbern leicht erniedrigte Zinkspiegel, die noch im Normbereich waren. Ebenso waren bei beiden Tieren die Werte für die Leberenzyme AST, GGT und GDH, AP und die Anzahl der Lymphozytenkonzentration erhöht und der Vitamin E Gehalt erniedrigt. Beide Kälber, die Mutter von Kalb 2 und das weitere Tier vom selben Betrieb hatten einen hochgradigen Selenmangel. Kalzium lag bei allen Tieren in der Norm.

Pathologisch-anatomische und histopathologische Untersuchung

Kalb 1: Das Tier war zum Zeitpunkt der Untersuchung drei Wochen und zwei Tage alt und wog 36 kg. Der Kopf und die Beine wiesen Alopezie, Erytheme und Hauterosionen auf. Die Haut war in diesen Bereichen verdickt. Das Fell war nur noch am Thoraxbereich und am Schwanz vorhanden. Der Thymus war nur in Resten nachweisbar. Die Mesenterial- Darmbein- und Inguinallymphknoten waren mittel bis hochgradig vergrößert und ödematisiert. Die Lunge wies ein geringgradiges alveoläres Ödem und Emphysem und eine Stauungshyperämie auf. Der Bulbus olfactorius wies eine geringgradige Melanose auf. Anhand der Hautbiopsien konnte eine hochgradige, lympho-histiozytäre Dermatitis mit teilweise orthokeratotischer Hyperkeratose und parakeratotischen Bezirken, epidermaler Hyperplasie, Reteleistenbildung, ausgeprägten intrakornealen Pusteln, Bakterienkolonien, Schweissdrüsendilatation, herdförmigen Ulzerationen und Infiltration des oberen Koriums mit neutrophilen Granulozyten nachgewiesen werden. In Hautproben, die anlässlich der Sektion entnommen wurden, waren zusätzlich MalasseziaSpezies zu beobachten. Die Milz zeigte eine mittelgradige Depletion der weißen Pulpa. und es konnte eine geringgradige, lymphozytäre, herdförmige Enzephalitis gefunden werden.

Kalb 2: Das Tier war zum Zeitpunkt der Untersuchung eine Woche und zwei Tage alt und wog 28 kg. Die Haut wies handflächengroße, teilweise ineinander verlaufende Areale mit Alopezie, Erythemen und Hauterosionen auf. Die Haut war in diesen

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Bereichen teilweise stark verdickt. Die stärkste Hautveränderung mit sekundärer Entzündung befand sich an den Vorderbeinen medial zwischen Karpal- und Fesselgelenken. Am Ohrgrund, dem Flotzmaul, den Augen, im Nacken und am Kehlgang befanden sich borkige Hautveränderungen. Auf der Kornea des linken Auges befand sich ein ca. 1 cm großes Ulkus.

Die Haut wies teilweise eine orthokeratotische Hyperkeratose und parakeratotische Bezirke mit Pyodermie, zahlreichen intrakornealen Pusteln und zahlreichen Bakterienkolonien auf. Die Haut der Vorderbeine wies zusätzlich Erosionen und Ulzerationen auf.

Des Weiteren konnte im Stratum spinosum ein intrazelluläres Ödem und eine Vakuolisierung zwischen den Stachelzellen beobachtet werden. In einigen Epithelzellen von abgeschilferten Hautschuppen fielen flache Zellkerne auf, die auf eine parakeratotische Verhornung hinweisen. An anderen Stellen wurde eine orthokeratotische Hyperkeratose beobachtet. Eine starke Dilatation der Schweissdrüsen war nicht erkennbar. Die von Kalb 1 bei der Aufnahme entnommenen Hautproben waren unauffällig. Der Thymus zeigte eine mittel- bis hochgradige Atrophie.

Virologischer Untersuchungsbefund

Bei beiden Kälbern und ihren Müttern wurde mittels ELISA kein BVD-Virusantigen nachgewiesen Der BVD-Antikörpernachweis war bei allen Tieren positiv.

Zytogenetische Untersuchung

Bei der zytogenetischen Untersuchung der Metaphasenchromosomen beider betroffener Kälber und Mutter von Kalb 1 konnten lichtmikroskopisch weder erkennbare Abweichungen in der Chromosomenanzahl noch strukturelle Chromosomenanomalien nachgewiesen werden. Alle Tiere wiesen den normalen Karyotyp eines normalen weiblichen Rindes mit 2n=60, XX auf.

Insbesondere konnte die von HERZOG u. HÖHN (1971) beschriebene erhöhte Häufigkeit von Chromosomenbrüchen nicht gesehen werden.

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Molekulargenetische Untersuchungen

Die Auswertung der Exonsequenzen einschließlich deren Übergängen zu den Introns und den 5`-/3`- untranslatierten Bereichendes SLC39A4 Gens bei den betroffenen Kälbern und ihren Müttern ergab keine Mutationen in diesem Gen.

Analyse des Pedigrees

Beide betroffenen Kälber stammten von demselben Bullen ab, der im Natursprung eingesetzt wurde. Beide Mütter stammten von einem weiteren Natursprungbullen ab.

Die Ururgroßmutter von Kalb 2 war zugleich die Urgroßmutter von Kalb 1 (Abb. 1). Es konnte aufgrund unvollständiger Abstammungsinformationen keine Verwandtschaft zu dem im Jahr zuvor erkrankten Tier festgestellt werden, bei dem bis auf die Mutter keine weiteren Vorfahren bekannt waren. Der Verwandtschaftsgrad zwischen Kalb 1 und Kalb 2 lag bei 34,38%. Die Ahnen auf der väterlichen Seite waren nicht bekannt.

Diskussion

Bei beiden Kälbern traten eine angeborene und eine im Verlauf progrediente Verhornungsstörung der Haut auf. Das klinische Bild spricht für eine Ichthyosis congenita und weniger für eine erbliche Parakeratose. Die histologischen Untersuchungen sind allerdings nicht eindeutig hinsichtlich der Differenzierung zwischen erblicher Parakeratose und Ichthyosis congenita, da beide Tiere bereits ausgeprägte, bakteriell bedingte Sekundärveränderungen der Haut aufwiesen.

Histologisch zeigt die Parakeratose allerdings eine hochgradige Borkenbildung der Haut (TRAUTWEIN 1971), wohingegen bei der Ichthyosis congenita eine orthokeratotische Hyperkeratose (FISCHER 1953) vorhanden ist. In den vorliegenden Fällen wurden sowohl Bezirke mit parakeratotischen (Vorhandensein von Zellkernen) Hyperkeratosen und orthokeratotischen Hyperkeratosen gefunden. Histologisch konnte also weder die Diagnose einer Ichthyosis congenita noch einer erblichen Parakeratose bestätigt werden.

Jedoch zeigten die hier vorgestellten Fälle abweichend von den in der Literatur beschriebenen Fällen von Parakeratose bereits bei der Geburt Hautveränderungen, während bislang bei Deutschen Schwarzbunten und Holstein Friesian Kälbern frühestens im Alter von drei Wochen Parakeratose diagnostiziert wurde (DYSON 1986, PRICE u. WOOD 1982, STÖBER 1971). Bei den weiteren Rassen mit

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Berichten über Parakeratose wurden keine Angaben zum Alter beim Auftreten der ersten Symptome gemacht. Es kann also durchaus sein, dass die Parakeratose bei Angus Kälbern früher auftritt als bei Holstein Kälbern. Bei den hier untersuchten Kälbern war die Lymphozytenkonzentration nicht erniedrigt, wie in der Literatur bei Fällen von Parakeratose beschrieben (PERRYMAN et al. 1989). Auch die erhöhten Werte für AP und Vitamin A entsprachen nicht den von STÖBER (1971) bei Deutschen Schwarzbunten Kälbern erhobenen Befunden. Der Grund dafür könnte darin liegen, dass für die Proliferation der Lymphozyten sowie die Synthese der AP

Berichten über Parakeratose wurden keine Angaben zum Alter beim Auftreten der ersten Symptome gemacht. Es kann also durchaus sein, dass die Parakeratose bei Angus Kälbern früher auftritt als bei Holstein Kälbern. Bei den hier untersuchten Kälbern war die Lymphozytenkonzentration nicht erniedrigt, wie in der Literatur bei Fällen von Parakeratose beschrieben (PERRYMAN et al. 1989). Auch die erhöhten Werte für AP und Vitamin A entsprachen nicht den von STÖBER (1971) bei Deutschen Schwarzbunten Kälbern erhobenen Befunden. Der Grund dafür könnte darin liegen, dass für die Proliferation der Lymphozyten sowie die Synthese der AP