• Keine Ergebnisse gefunden

Fallbericht – Arhinie und Zyklopie bei einem Deutschen Fleckvieh Kalb

Kalb 51

5 Fallbericht – Arhinie und Zyklopie bei einem Deutschen Fleckvieh Kalb

SCHULZE, U., DISTL, O.

Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

SCHULZE, U., DISTL, O. (2006): Fallbericht - Arhinie und Zyklopie bei einem Deutschen Fleckvieh Kalb.

Dtsch. tierärztl. Wschr.113 Zusammenfassung

Bei einem Kalb der Rasse Deutsches Fleckvieh wurde eine Zyklopie in Form einer Vereinigung beider Augenhöhlen in eine Orbita festgestellt. Es waren jedoch zwei vollständige Augäpfel ausgebildet. Die Nasenanlage fehlte. Das missgebildete Kalb war auf einen Besamungsbullen mit einem Inzuchtkoeffizienten von 3,125 % ingezüchtet. Teratogene Pflanzenalkaloide erschienen als Ursache unwahrscheinlich.

In der Nachkommenschaft der Mutter mit fünf weiteren Kälbern und des Vaters mit insgesamt 8083 Abkalbungen wurden derartige Missbildungen bisher nicht festgestellt

Schlüsselwörter: Rind, Deutsches Fleckvieh, kongenitale Anomalie, Zyklopie

SCHULZE, U., DISTL, O. (2006): Case report - Arhinia and cyclopia in a German Fleckvieh calf.

Dtsch. tierärztl. Wschr. 113 Summary

A German Fleckvieh calf was diagnosed with cyclopia in shape of united eye sockets in one orbit. However, two fully developed eye balls were present while the nostril was not developed. The malformed calf was inbred on a bull used for artificial insemination (AI) with an inbreeding coefficient of 3.125%. Teratogenic plant alkaloids were unlikely to be responsible for the malformation of this calf. Neither in the five

5 Fallbericht – Arhinie und Zyklopie bei einem Deutschen Fleckvieh

Kalb 52

progeny of the dam nor in the descendants of the AI-bull with a total of 8083 calvings, calves with such anomalies were found.

Key words: cattle, German Fleckvieh, congenital anomaly, cyclopia

Bei der angeborenen Zyklopie wird nur eine Augenhöhle ausgebildet, die mehr oder weniger vollständig zu einer Orbita verschmilzt und sich in der mittleren Gesichtsregion entwickelt. Die Augenhöhle kann einen oder zwei Augäpfel enthalten.

Bei der Anlage von zwei Augäpfeln ist dann meist ein Auge sehr groß, während das andere sehr klein ist. Der Schädel ist häufig durch das Fehlen der Sieb- und Nasenbeine, Verkürzung des Stirnbeines und der Oberkiefer und bisweilen durch weitere Anomalien im Kopfbereich gekennzeichnet. Die Zyklopie ist häufig durch einen dorsal des Auges gelegenen fleischigen, rüsselartigen Fortsatz (Proboscis) begleitet, der als rudimentäre Nase aufzufassen ist (HERZOG 2001, WIESNER u.

WILLER 1974).

Aus Indien wurde über ein zyklopisches Jersey Kreuzungskalb berichtet, das durch ein zentral gelegenes Auge und Fehlen der Nase auffiel. Der Kopf erschien verkürzt, wobei der Oberkiefer kürzer als der Unterkiefer war (VENU et al. 2001). MOHANTY (1968) beschrieb drei Fälle von Zyklopie bei Rindern in Indien. Über die Rasse gab er keine Auskunft. Zwei Kälber wiesen zwei Augen in einer Orbita auf. Die Augenlider fehlten. Die Ober- und Unterkiefer waren verkürzt und wiesen Gaumenspalten auf.

Nase, Zähne und Zunge fehlten. Das dritte Kalb hatte zwei Augäpfel in einer Augenhöhle und rudimentäre Augenlider. Oberkiefer und Gaumen sowie die Nasenknochen bis hin zum frontalen Sinus fehlten. IDIART u. GIMENO (1978) berichteten über einen sechs Monate alten Fetus unbekannter Rasse mit Zyklopie, Glossoschisis (gespaltene Zunge), Ateloprosopie (Fehlen des Gesichtes) und Dignathia inferior (Verdopplung des Unterkiefers). Bei einem Kalb unbekannter Rasse aus Eppelborn in Deutschland mit fehlendem Gesichtsschädel fand STURM (1984) ein einzelnes Auge von ca. 5 cm Länge, das mit einem Stiel aus dem Vorderende des Halses herausragte. Die Ohren befanden sich ebenfalls am Vorderende des Halses.

CHO et al. (1985) untersuchten ein weibliches Kalb der Rasse Hereford mit Zyklopie und leicht einander angenäherten Augäpfeln, die jedoch deutlich zu klein waren (Mikrophthalmie). Das Gesicht war platt gedrückt. Die cerebralen Hemisphären waren fusioniert, und es existierte nur ein einzelner dilatierter lateraler Ventrikel. Die

5 Fallbericht – Arhinie und Zyklopie bei einem Deutschen Fleckvieh

Kalb 53

Riechkolben und Nerven sowie das Corpus callosum und das Septum pellucidum fehlten.

Bei Arhinenzephalie (Fehlen des Riechhirns einschließlich der Nasenanlage) tritt auch häufig Zyklopie als weiterer Defekt auf. Hierbei sind die beiden Augenanlagen der gemeinsamen Orbita meist miteinander verschmolzen. Daneben können die Augäpfel auch fehlen (Anophthalmie). Die Kälber werden häufig nach verlängerter Trächtigkeitsdauer geboren und sterben kurz nach der Geburt. Ursache dafür ist vermutlich eine Hypoplasie der Hypophyse und weiterer Gehirnstrukturen. Diese Anomalie wurde beim Deutschen Fleckvieh und deutschen Schwarzbunten in der Nachkommenschaft bestimmter Bullen gehäuft beobachtet. Der Erbgang wurde als monogen autosomal unvollständig dominant angegeben (HERZOG 2001). Zyklopie wird außerdem bei dem Arhinenzephalie-Otozephalie-Zyklopie-Syndrom beobachtet.

Diese komplexe Missbildung zeichnet sich durch sehr viel verschiedene Varianten aus, die von einem Fehlen der Nasenanlage bis zu einer fast völligen Aplasie der Kopfstrukturen reichen. Bis auf die spezielle Form der Zyklopie beim Schaf wird von einer genetischen Ätiologie für die Zyklopie ausgegangen (HERZOG 2001).

LANDAUER (1956) berichtete über Zyklopie als eine sehr seltene Erscheinung bei der letalen Mutante “rumplessness“ des Haushuhns. ARAKAKI u. VOGT (1976) beschrieben einen Fall von Zyklopie beim Schwein. Das Tier stammte aus einem Wurf mit elf weiteren, normal entwickelten Geschwistern. Das Tier besaß eine einzige dreieckige Augenhöhle mit einem Auge. Eine zytogenetische Untersuchung zeigte keine chromosomalen Anomalien.

BINNS et al. (1959) berichteten über affengesichtige Schaflämmer in Oregon, Wyoming, Montana und Idaho (USA). Das Ausmaß der Missbildungen variierte von einem nur leicht verformten Oberkiefer bis hin zur kompletten Zyklopie.

Hydrozephalus, Hasenscharte, Gaumenspalte und Verlagerung der Nase traten häufig zusammen mit dieser Missbildung auf. Bei Schafen kann das Auftreten von Zyklopie durch die teratogene Wirkung von Veratrum californicum bei Aufnahme durch die Muttertiere um den 14. Trächtigkeitstag verursacht sein (BINNS et al.

1965). HENRY et al. (1966) führten zytogenetische Untersuchungen bei fünf dieser affengesichtigen Schaflämmer und fünf Kontrolltieren durch. Bei allen fünf missgebildeten Tieren wurden chromosomale Anomalien gefunden, während die Kontrolltiere keine Abweichungen in der Struktur und Anzahl der Chromosomen

5 Fallbericht – Arhinie und Zyklopie bei einem Deutschen Fleckvieh

Kalb 54

aufwiesen. Die Strukturen für Gehirn, Augen und ethmoidale Region werden um den vierzehnten Tag der embryonalen Entwicklung angelegt. Veratrum californicum kann zu dieser Zeit Cebozephalie, die durch eine paarige Anlage der Orbita und verkürzte Ethmoidalregion gekennzeichnet ist, oder Zyklopie auslösen, bei der eine einzige, median gelegene Orbita und stark verkürzte oder sogar fehlende olfaktorische Strukturen zu finden sind. Als verursachendes Agens für diese Missbildungen wurde das Hauptalkaloid Cyclopamin von Veratrum californicum identifiziert (KEELER 1970, 1973).

ADELMANN (1936) demonstrierte bei dem Hakenwurm Ancylostoma, dass das Auge aus einem einzigen Enwicklungsfeld entsteht und sich später in zwei Augenhöhlen auftrennt. Eine Störung zu diesem Zeitpunkt des Gastrulationsprozesses durch chemische oder physikalische Reize führt zu Zyklopie (MUENKE u. BEACHY 2001).

MANGOLD (1931) machte bereits die Entdeckung, dass bei Entfernung des unter dem vorderen Neuroporus gelegenen prächordalen Mesoderms bei Tritonembryos zyklopische Kaulquappen entstanden. Dies gab erste Hinweise darauf, dass bestimmte Faktoren, die im prächordalen Mesoderm gebildet werden, eine Augenbildung in der Mittellinie unterdrückten. Experimente bei Xenopus (LI et al.

1997) und Hühnern (PERA u. KESSEL 1997) unterstützten diese Ansicht. Außerdem wurde in diesen Studien die Expression von Transkriptionsfaktoren wie PAX6 (paired box gene 6) untersucht. Während der Neurulation wird die Expression dieser Faktoren in der Mittellinie gehemmt, was zu einer Bildung von zwei lateral gelegenen Regionen führt, in denen später die Augen gebildet werden. Wird das prächordale Mesoderm entfernt, führt dies zur persistierenden Expression von PAX6 und weiteren Faktoren. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass bei Einpflanzung von prächordalem Mesoderm im Bereich der Augenregion die Expression von PAX6 unterdrückt wurde (LI et al. 1997; PERA u. KESSEL 1997). Die Expression von PAX6 wird von HEDGEHOG (HH) gesteuert und HH wiederum von CYCLOPS (CYC) (CHOW u.

LANG 2001).

Beim Menschen wird die Zyklopie zu der Gruppe der Holoprosenzephalien (HPE) gezählt.

Holoprosencephalie wird als komplexe Gehirnmissbildung angesehen, die von einer unvollständigen Spaltung des Prosencephalon resultiert und das Vorderhirn wie auch das Gehirn betrifft. Diese Gruppe von Missbildungen mit einer großen

5 Fallbericht – Arhinie und Zyklopie bei einem Deutschen Fleckvieh

Kalb 55

phänotypischen Variationsbreite findet man häufig in Zusammenhang mit chromosomalen Anomalien, vor allem der Chromosomen 2, 3, 7, 13, 18 und 21.

Die Frequenz für Holoprosencephalie liegt bei 1 zu 16.000 Lebendgeburten und 1 zu 250 bei Aborten (DUBOURG et al. 2003). Diese Missbildung ist genetisch heterogen und zusätzlich tragen umweltbedingte Ursache zu ihrem Auftreten bei. Bis zu zwölf verschiedene Genorte werden mit der Holoprosencephalie des Menschen in Zusammenhang gebracht (WALLIS u. MUENKE 2000). Das Erscheinungsbild variiert vom Fehlen des oberen mittleren Schneidezahns bis zur Zyklopie mit Proboscis über dem einzigen Auge (MUENKE 1994). DUBOURG et al. (2004) fanden in einer Kohorte von 200 Patienten mit Holoprosenzephalie 34 verschiedene heterozygote Mutationen bei folgenden vier Genen: HEDGEHOG (HH), ZINC FINGER PROTEIN OF CEREBELLUM, 2 (ZIC2), SINE OCULIS HOMEO BOX, DROSOPHILA, HOMOLOG OF 3 (SIX3) und TRANSFORMING GROWTH FACTOR-Β-INDUCED FACTOR (TGIF). Hemmung der Cholesterinsynthese während der Embryonalentwicklung bei Versuchstieren und beim Menschen führte zum Auftreten von Holoprosenzephalie (WOLF 1999). INCARDONA u. ROELINK (2000) führten diese Überlegung weiter, indem sie die These aufstellten, dass Cholesterin sowohl für die Biosynthese von SHH als auch für die Signalüberleitung von SHH-sensitiven Zellen wichtig ist. Auch das in Veratrum californicum enthaltene Alkaloid Cyclopamin bewirkt eine Blockade des SONIC HEDGEHOG (SHH)-Signalweges (CHEN et al.

2002a, 2002b, TAIPALE et al. 2002). BYRNE et al. (1987) beschrieben das Auftreten von Holoprosenzephalie beim Menschen in Zusammenhang mit dem kongenitalen Cytomegalievirus. Die häufigste teratogene Ursache für Holoprosencephalie beim Menschen ist Diabetes der Mutter (CHEN et al. 2005).

Für die Holoprosencephalie des Menschen konnten monogen autosomal rezessive (BARR u. COHEN 2002) und autosomal dominante (COLLINS et al. 1993) Erbgänge gefunden werden. ODENT et al. (1998) analysierten 258 Fälle von HPE, wovon 97 Fälle in 73 Familien vorkamen. Eine monogene autosomal dominante Vererbung mit unvollständiger Penetranz (82%) erschien als der wahrscheinlichste Erbgang.

Material und Methoden

Bei einem weiblichen Rind der Rasse Deutsches Fleckvieh wurde das Auftreten von Zyklopie beobachtet. Das Tier wurde am 15.07.02 auf einem Milchviehbetrieb in

5 Fallbericht – Arhinie und Zyklopie bei einem Deutschen Fleckvieh

Kalb 56

Bayern geboren. Nach Erfassung der Abstammungsdaten und Anamnese des Tieres wurde eine klinische Untersuchung des Kalbes sowie eine Analyse des Pedigrees durchgeführt.

Ergebnisse Anamnese

Das weibliche Kalb der Rasse Deutsches Fleckvieh wurde mit einer, in der Mitte der Vorderseite des Kopfes befindlichen Augenhöhle, in der sich zwei Augäpfel befanden, geboren.

Nach künstlicher Besamung verlief die Trächtigkeitsphase unauffällig. Die Mutter des Kalbes zeigte keine Missbildungen und auch sonst traten auf dem Betrieb bisher keine derartigen Missbildungen auf. Der Bestand war IBR und BVD frei.

Der Tiere werden ganzjährig im Stall gehalten und werden mit Gras- und Maissilage, im Sommer auch mit frischem Gras gefüttert. Das Tier wurde lebend geboren, starb aber kurz nach der Geburt. Die Trächtigkeitsdauer betrug 284 Tage. Die Mutter hatte zuvor drei Kalbungen, bei denen insgesamt vier unauffällige Kälber geboren wurden.

Nach der Geburt des hier beschriebenen missgebildeten Kalbes hatte sie ein weiteres gesundes Kalb. Der Vater des Kalbes wurde bisher bei 8083 Kalbungen als Vater registriert. In Bayern wurden von diesem Vater 18 missgebildete Kälber gemeldet. Keine dieser gemeldeten Missbildungen ähnelte dem hier vorliegenden Fall. Auf dem Betrieb wurden von drei weiteren Kühen drei klinisch unauffällige Kälber geboren, die von diesem Bullen abstammten.

Klinik

In einer mittig gelegenen Augenhöhle befanden sich zwei Augen. Der Ober- und Unterkiefer war stark verkürzt, so dass das Tier mopsgesichtig aussah. Nasenlöcher waren nicht vorhanden. Die Gegend, in der sich bei normal entwickelten Kälbern das Flotzmaul befindet, war komplett behaart und abgerundet. Die Augenhöhle war von Wimpern umgeben, die so angeordnet waren, dass eine Zweiteilung der Orbita noch zu erahnen war. Über der Augenhöhle befand sich eine breite wulstige Erhebung (Abb. 1). Äußerlich waren keine weiteren Missbildungen zu erkennen (Abb. 2).

Weiterführende Untersuchungen konnten nicht mehr durchgeführt werden, da das Tier zum Zeitpunkt der Meldung bereits verendet war.

5 Fallbericht – Arhinie und Zyklopie bei einem Deutschen Fleckvieh

Kalb 57

Analyse des Pedigrees

Das Kalb wurde von einer phänotypisch unauffälligen Deutschen Fleckvieh Kuh geboren. Vater des missgebildeten Kalbes war ein Besamungsbulle, der ebenfalls phänotypisch normal war. Aus dem Pedigree wird ersichtlich, dass für das missgebildete Kalb (A) ein gemeinsamer Vorfahre (X) von der mütterlichen und väterlichen Seite in der dritten Generation existierte. Die Mutter hatte ihrerseits einen gemeinsamen Vorfahren von der mütterlichen und väterlichen Seite in der 2. und 4.

Generation (Abb. 3). Das Kalb hatte einen Inzuchtkoeffizienten von F = 3,125 %. Bei 8083 Abkalbungen bei denen dieser Vater Besamungsbulle war, traten keine derartigen Missbildungen auf. In der Nachkommenschaft der Mutter mit fünf weiteren Kälbern waren alle Kälber phänotypisch unauffällig. Ein weiteres Kalb (B) hatte ebenso wie das betroffene Tier A einen Inzuchtkoeffizienten von 3,125 % infolge des gemeinsamen Ahnen X und Kalb C war auch auf den Ahnen X mit einem Inzuchtkoeffizienten von 1,56 % ingezüchtet. Die zwei Zwillingskälber (E und D) waren nicht ingezüchtet. Kalb F mit einem Inzuchtkoeffizient von 3,125% hatte den gemeinsamen Ahnen Y.

Diskussion

Das Fehlen der Nasenanlage mit Zyklopie dürfte beim Rind zu einem komplexen Missbildungssyndrom zu rechnen sein, das der HPE des Menschen sehr ähnlich ist.

So könnten auch beim Rind verschiedene Erscheinungsformen der Zyklopie auf eine embryonale Störung in der Entwicklung des Prosencephalon zurückgeführt werden.

Die phänotypischen Unterschiede in der Ausprägung der Missbildungen des Gesichts, der Nasenanlage und des Gehirns könnten durch Mutationen in verschiedenen Genen und zusätzlich durch umweltbedingte Noxen hervorgerufen werden.

Im Gegensatz zu dem von VENU et al. (2001) beschriebenen Fall eines Kalbes, bei dem in der einen Augenhöhle nur ein Auge saß, waren in dem hier vorliegenden Fall zwei Augäpfel in einer Augenhöhle vorhanden. Die von MOHANTY (1968) beschriebenen Fälle wiesen auch zwei Augen in einer Augenhöhle und einen verkürzten Kopf auf. Eine Glossoschisis oder Dignathia inferior wie sie von IDIART u.

GIMENO (1978) beschrieben wurden, lag nicht vor. Ein bei HERZOG (2001) und WIESNER u. WILLER (1974) beschriebener Proboscis konnte im vorliegenden Fall

5 Fallbericht – Arhinie und Zyklopie bei einem Deutschen Fleckvieh

Kalb 58

wie auch in den anderen vorliegenden Berichten von Kälbern mit Zyklopie nicht gefunden werden.

Durch die Untersuchungen von EVANS et al. (1966) an Schafen wurde gezeigt, dass die Ausprägung der Zyklopie nur in einem sehr kurzen Zeitfenster von höchstens 48 Stunden stattfinden kann. Die betreffende Zeit liegt dabei kurz vor Verschluss des Neuralrohres, welches beim Schaf am 15. Tag, also einen Tag nach einer möglichen teratogenen Wirkung durch Cyclopamin, schließt. Beim Rind schließt sich das Neuralrohr erst um den neunzehnten Tag. Die fragliche Zeit, in der es zur Ausprägung des Defektes kam, ist in diesem Fall also wahrscheinlich im Zeitraum zwischen dem 17. und dem 19. Tag der embryonalen Entwicklung zu suchen.

Die Augenentwicklung ist ein äußerst komplexer Vorgang, an dem viele verschiedene Gene kaskadenartig beteiligt sind. Neben SHH kommen deshalb noch mindestens sechs weitere Gene als Kandidaten in Frage. Weiterhin könnte auch ein Gen, das dem Zebrafischgen CYC entspricht, eine Zyklopie ausgelöst haben. Damit kann man davon ausgehen, dass es zwischen dem 17. und 19. Tag zu einer Störung der Signalkaskade kam und damit die beiden Augenanlagen nicht vollständig getrennt wurden. Die Ursachen dafür können entweder teratogen oder genetisch bedingt sein.

Falls die Zyklopie durch ein Teratogen entstanden ist, bleibt die Frage, welcher Stoff als Teratogen gewirkt hat. Veratrum californicum kommt in Europa nicht vor. Eine Aufnahme dieser Pflanze ist also höchst unwahrscheinlich. Allerdings kommt das betreffende Alkaloid dieser Pflanze auch in Liliengewächsen vor, die auch in Europa wachsen. Fälle von Zyklopie, die auf Liliengewächse zurückzuführen sind, sind bis jetzt aber nicht bekannt.

Über Krankheiten der Mutter während der Trächtigkeit ist nichts bekannt. Eine erbliche Genese dürfte damit für den vorliegenden Fall in Übereinstimmung mit HERZOG (2001) als wahrscheinlich anzusehen sein. So geht HERZOG (2001) davon aus, dass in bestimmten Bullenlinien des Deutschen Fleckviehs sowie der Schwarzbuntzucht Arhinenzephalie mit oder ohne Zyklopie gehäuft auftreten. Das vorliegende Pedigree unterstützt sowohl einen autosomal rezessiven als auch einen dominanten Erbgang mit unvollständiger Penetranz. Da vermutlich wie beim Menschen auch beim Rind genetische Heterogenie und sehr variable Expressivität vorliegt, könnten sich infolge der Inzucht auf den gemeinsamen Vorfahren Defektallele bei dem betroffenen Kalb in homozygoter Form (rezessiver oder

5 Fallbericht – Arhinie und Zyklopie bei einem Deutschen Fleckvieh

Kalb 59

unvollständig dominanter Erbgang) oder bei einem digenen Erbgang dominante und rezessive Defektallele (homo- und/oder heterozygot) angehäuft haben und so zum Entstehen der Missbildung geführt haben. Auch MING u. MUENKE (2002) wiesen auf Beispiele von HPE beim Menschen hin, die durch zwei verschiedene Genorte (digenischer Erbgang) verursacht wurden. So ist auch beim Deutschen Fleckvieh für den kongenitalen Nabelbruch ein oligogener Erbgang wahrscheinlicher als nur eine monogene Vererbung (DISTL et al., 2002). Falls nur ein Genort als verantwortlich für die Arhinie und Zyklopie zugrunde gelegt würde, so müsste in der Fleckviehpopulation und insbesondere in der Nachkommenschaft des Vaters des Kalbes ein höherer Prozentsatz dieser Missbildungen aufgetreten sein. Wenn jedoch die Frequenz der Missbildungen bei einem häufig eingesetzten Vatertier sehr gering ist, so erscheint es plausibler, dass mehrere Genorte an der Entstehung der Missbildung beteiligt sind. Dafür spricht auch, dass ebenfalls zwei auf den gemeinsamen Vorfahren X ingezüchtete mütterliche Halbgeschwister nicht von der Anomalie betroffen waren.

Literatur

ADELMANN, H.B. (1936): The problem of cyclopia. Quart. Rev. Biol. 11, 116-182, 284-364. - ARAKAKI, D.T., VOGT, D.W. (1976): A porcine cyclops with normal female karyotype. Am. J. Vet. Res. 37, 95-96. - BARR, M., COHEN, M.M. (2002):

Autosomal recessive alobar holoprosencephaly with essentially normal faces. Am. J.

Med. Genet. 112, 28-30. - BINNS, W., THACKER, T.J., JAMES, L.F., HUFFMAN, W.T. (1959): A congenital cyclopian-type malformation in lambs. J. Am. Vet. Med.

Ass. 134, 184-183. - BINNS, J., SHUPE, J.L., KEELER, R.F., JAMES, L.F. (1965):

Chronologic evaluation of teratogenicity in sheep fed Veratrum californicum. J. Am.

Vet. Med. Assoc. 147, 839-842. - BYRNE, P.J., SILVER, M.M., GILBERT, J.M., CADERA, W., TANSWELL, A.K. (1987): Cyclopia and congenital cytomegalovirus infection. Am. J. Med. Genet. 28, 61-65. – CHEN, C.P., CHEN, C.Y., LIN, C.Y., SHAW, S.W., WANG, W., TZEN, C.Y. (2005): Prenatal diagnosis of concomitant alobar holoprosencephaly and caudal regression syndrome associated with maternal diabetes. Prenat Diagn. 25, 264-266. - CHEN, J.K., TAIPALE, J., COOPER, M.K., BEACHY, P.A. (2002a): Inhibition of hedgehog signalling by direct binding of

5 Fallbericht – Arhinie und Zyklopie bei einem Deutschen Fleckvieh

Kalb 60

cyclopamine to Smoothened. Genes Dev. 10, 2743-2748. - CHEN, J.K., TAIPALE, J., YOUNG, K.E., MAITI, T., BEACHY, P.A. (2002b): Small molecule modulation of smoothened activity. Proc Natl. Acad. Sci. USA 99, 14071-14076. – CHO, D.Y., ZEMAN, D.H., MILLER, J.E. (1985): Holoprosencephaly in a bovine calf. Acta Neuropathol. 67, 322-325. - CHOW, R.L., LANG, R.A. (2001): Early eye development in vertebrates. Ann. Rev. Cell. Dev. Biol. 17, 255-296. - COLLINS, A.L., LUNT, P.W., GARRETT, C., DENNIS, N.R. (1993): Holoprosencephaly: a family showing dominant inheritance and variable expression. J. Med. Genet. 30, 36-40. – DISTL, O., HERRMANN, R., UTZ, J., DOLL, K., ROSENBERGER, E. (2002): Inheritance of congenital umbilical hernia in German Fleckvieh. J. Anim. Breed. Genet. 119, 264-273. - DUBOURG, C., LAZARO, L., BLAYAU, M., PASQUIER, L., DUROU, M.R., ODENT, S., DAVID, V. (2003): Genetic study of holoprosencephaly Ann. Biol. Clin.

61, 679-687. – DUBOURG, C., LAZARO, L., PASQUIER, L., BENDAVID, C., BLAYAU, M., LE DUFF, F., DUROU, M.R., ODENT, S., DAVID, V. (2004): Molecular screening of SHH, ZIC2, SIX3, and TGIF genes in patients with features of holoprosencephaly spectrum: Mutation review and genotype-phenotype correlations.

Hum. Mutat. 24, 43-51. - EVANS, H.E., INGALLS, T.H., BINNS, W. (1966):

Teratogenesis of craniofacial malformations in animals. 3. Natural and experimental cephalic deformities in sheep. Arch. Environ. Health. 13, 706-714. – HENRY, T.A., INGALLS, T.H., BINNS, W. (1966): Teratogenesis of craniofacial malformations in animals. Arch. Environ. Health. 13, 715-718. - HERZOG, A. (2001): Pareys Lexikon der Syndrome: Erb- und Zuchtkrankheiten der Haus- und Nutztiere. Parey, Berlin, 30-33, 515. – IDIART, J., GIMENO, E.J. (1978): Cyclopia, glossoschisis, ateloprosopy and inferior dignathia in a 6 months old cattle fetus. Dtsch. tierärztl. Wschr. 85, 370. - INCARDONA, J.P., ROELINK, H. (2000): The role of cholesterol in SHH signalling and teratogen-induced holoprosencephaly. Cell Mol. Life Sci. 57, 1709-1719. - KEELER, R.F. (1970): Teratogenic compounds of Veratrum californicum X. Cyclopia in rabbits produced by cyclopamine. Terat. 3, 175-180. - KEELER, R.F. (1973):

Comparison of the teratogenicity in rats of certain potatotype alkaloids and the veratrum teratogen Cyclopamine. Lancet 1, 1187-1188. – LANDAUER, W. (1956):

Cyclopia and related defects as a lethal mutation of fowl. J. Gen. 54, 219-235. – LI, H., TIERNEY, C., WEN, L., WU, J.Y., RAO, Y. (1997): A single morphogenetic field

5 Fallbericht – Arhinie und Zyklopie bei einem Deutschen Fleckvieh

Kalb 61

gives rise to two retina primordia under the influence of the prechordal plate.

Development 124, 603 615. - MANGOLD, O. (1931): Das Determinationsproblem.

III. Das Wirbeltierauge in der Entwicklung und Regeneration. Ergeb. Biol. 7, 193 403.

– MING, J.E., MUENKE, M. (2002): Multiple hits during early embryonic development: digenic diseases and holoprosencephaly. Am. J. Med. Genet. 35, 286-288. - MOHANTY, B.B. (1968): Congenital malformations in bovines’ incidence of

– MING, J.E., MUENKE, M. (2002): Multiple hits during early embryonic development: digenic diseases and holoprosencephaly. Am. J. Med. Genet. 35, 286-288. - MOHANTY, B.B. (1968): Congenital malformations in bovines’ incidence of