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9 Anophthalmie-Mikrophthalmie-Syndrom bei Kälbern der Rasse Deutsche Holsteins

¹Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung, 2Institut für Pathologie, 3Institut für Virologie, der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

SCHULZE, U.¹, KUIPER, H.¹, IMBSCHWEILER, I.2, HAAS, L.3, DISTL, O.¹

Fallbericht: Anophthalmie-Mikrophthalmie-Syndrom bei Kälbern der Rasse Deutsche Holsteins

1 Abbildung, 30 Literaturangaben

Stichworte: Anophthalmie – Mikrophthalmie - Kalb - Deutsche Holsteins - Anomalie

Zusammenfassung

Bei drei Deutschen Holstein-Kälbern und einem Deutsch Holstein-Limousin-Kreuzungskalb von unterschiedlichen landwirtschaftlichen Betrieben wurde Anophthalmie/Mikrophthalmie festgestellt. Bei drei Kälbern lag zusätzlich ein Ventrikelseptumdefekt und bei zwei Tieren eine Anurie/Brachyurie vor. Weitere Kälber in der näheren Verwandtschaft der Tiere oder auf den jeweiligen Betrieben waren nicht betroffen. Eine BVD-Virusinfektion, ein Vitamin A-Mangel oder -Überschuss der Mütter konnten ausgeschlossen werden. Da beim Rind für Anophthalmie/Mikrophthalmie autosomal rezessive Erbgänge diskutiert werden, kommt für die vorliegenden Fälle auch eine genetische Ursache in Frage.

Abstract

In three German Holstein calves and one German Holstein-Limousin crossbred calf from different farms anophthalmia/microphthalmia was diagnosed. Additionally, three calves showed a ventricular septum defect and two animals exhibited anuria/brachyuria. Further malformed calves closely related or not-related to these animals on the respective farms were not seen. BVD virus infection, lack or excess of vitamine A of the dams could be ruled out. As for bovine anophthalmia/microphthalmia autosomal recessive inheritance is discussed, a genetic cause might also be likely in the present cases.

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Key words: Anophthalmia, microphthalmia, calf, German Holsteins, anomaly

Einleitung

Anophthalmie und Mikrophthalmie lassen sich klinisch zum Teil nur sehr schwer voneinander unterscheiden. Sowohl bei Anophthalmie als auch bei Mikrophthalmie sind die Orbita, Augenlider und Augenbrauen vollständig ausgebildet, jedoch ist bei Mikrophthalmie der Augapfel in sehr variablen Ausmaß verkleinert und kann bis auf wenige Reste des Bulbus fast gänzlich fehlen, während bei Anophthalmie der Augapfel komplett fehlt (LEIPOLD u. HUSTON 1968). Anophthalmie/Mikrophthalmie kann uni- oder bilateral auftreten und verschiedene Ausprägungsgrade bei demselben Tier aufweisen. Die Augenlider können verkleinert sein (WIESNER 1960).

Kälber mit Anophthalmie/Mikrophthalmie sind zumeist blind und fallen dann durch Orientierungslosigkeit auf.

Bei der Anophthalmie werden drei verschiedene Formen unterschieden (MOORE 1985). Bei der primären Anophthalmie ist die Augenentwicklung frühzeitig, zumeist durch eine fehlerhafte Bildung des Augenbläschens, gestört. Bei sekundärer Anophthalmie wird die gesamte Vorderhirnentwicklung unterdrückt, so dass die Augenmissbildung nur ein Teil einer komplexen Missbildung ist. Die degenerative Anophthalmie wird wahrscheinlich durch Teratogene nach Entwicklung des Augenbläschens ausgelöst. Mikrophthalmus beruht auf einem Sistieren der Augenentwicklung nach der Bildung des Augenbläschens im späten Embryonal- bzw.

im frühen Fetalstadium. Dieser Defekt der Augenentwicklung wird vermutlich durch Genmutationen oder Infektionen ausgelöst (MOORE 1985).

Beim Rind gibt es Berichte von Anophthalmie bei verschiedenen Milch- und Fleischviehrassen (ASOKAN u. PATTABIRAMAN 1982, BÄHR et al. 2003, IYER 1992, KOCH u. FISCHER 1950, KUNDU u. PANDEY 1967, LEIPOLD u. HUSTON 1968, MORIMOTO et al. 1994, 1995, PRIESTER 1972, RIECK 1966, THOM 1963).

Sie kann solitär auftreten oder auch syndromalen Charakter haben, wie es von der Anophthalmie in Verbindung mit Anurie (RIECK 1966) und Kiefermissbildungen (KOCH u. FISCHER 1950, KUNDU u. PANDEY 1967, BÄHR et al. 2003) bekannt ist.

BÄHR et al. (2003) fanden bei ihren Untersuchungen der Anophthalmie in Verbindung mit einer Brachygnathia superior bzw. einer bilateralen Lippen-Nasen-Spalte keine Hinweise auf chromosomale Aberrationen oder eine Infektion mit dem BVD-Virus.

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Eine Infektion mit dem BVD-Virus kann häufig Augenmissbildungen hervorrufen. Eine Infektion zwischen Tag 120 und 150 der Trächtigkeit kann bei den Kälbern zu Mikrophthalmie, Katarakt, Dysplasie oder Degeneration der Retina und Hypoplasie des optischen Systems führen (BROWN et al. 1975, BISTNER et al. 1970). Bei Untersuchungen von Herzfehlern bei Rindern fanden GOPAL et al. (1986) ein Kalb mit bilateraler Mikrophthalmie und Ventrikelseptumdefekt.

Beim Menschen sind Fälle solitärer Anophthalmie bekannt (FANTES et al. 2003), wie auch Fälle, in denen diese Missbildung zusammen mit anderen Anomalien auftritt.

Bekannt sind dabei Missbildungskomplexe wie zum Beispiel ODOD (odd syndrome oculodentoosseous dysplasia) (GILLESPIE 1964) und Anophthalmie/Mikrophthalmie mit Atresia oesophagi (SANDLER et al. 1995). Anophthalmie kann sowohl alimentäre, infektiöse als auch genetische Ursachen haben. So zeigte HALE (1933), dass Vitamin A-Mangel bei Schweinen zu augenlosen Ferkeln führt und auch beim Rind konnte eine Unterversorgung der Muttertiere mit Vitamin A Augenanomalien der Kälber auslösen (MASON et al. 2003). Beim Menschen ist das Teratogen Alloxan bekannt (PSCHYREMBEL 2002) und bei der Maus konnte eine Anophthalmie auch durch Thyreotropin und einen Überschuss an Vitamin A ausgelöst werden (DENIZ 1976).

Sowohl beim Menschen als auch beim Rind konnten bei einigen Fällen der Anophthalmie autosomal rezessive Erbgänge zugrunde gelegt werden (ZAYED u.

GHANEM 1964, FRYNS et al. 1995). Beim Menschen gibt es auch Berichte von autosomal dominanten Erbgängen (FRYNS 1995).

Die Augenentwicklung läuft über ein Zusammenspiel vieler Gene, die zum Teil voneinander abhängen. So nennt GRAW (2003) schon 15 verschiedene Transkriptionsfaktoren bei Mensch und Maus, bei deren Fehlen es zu Augenanomalien kommt.

Da das Auftreten der Anophthalmie des Menschen sehr vielfältige Ursachen hat und beim Rind bisher nur sehr wenig bekannt ist, sollten diese Fälle von Anophthalmie/Mikrophthalmie genauer untersucht werden.

Material und Methoden

Dem Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover wurden vier Fälle von Anophthalmie/Mikrophthalmie gemeldet.

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Die Kälber 2, 3 und 4 wurden auf den Betrieben klinisch untersucht. Im Institut für Pathologie wurde von den Kälbern 1 und 2 eine Sektion mit makroskopischer und mikroskopischer Untersuchung durchgeführt. EDTA-Blutproben von den Kälbern 2 und 3 sowie ihren Müttern wurden im Institut für Virologie mittels ELISA auf BVD-Antigen und -Antikörper untersucht. Am Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung wurde für die Kälber 2 und 3 eine Chromosomenanalyse durchgeführt. Die Darstellung der Chromosomen erfolgte nach Standardmethoden aus den Blutlymphozyten einer Phytohämagglutinin stimulierten Vollblutkultur. Die Anordnung der Chromosomen bei der Karyotypisierung entsprach der internationalen Nomenklatur (ISCNDB 2000).

Ergebnisse

Anamnese und Klinik

Kalb 1 war ein männliches Kalb der Rasse Deutsche Holsteins und wurde am Tag nach seiner Geburt eingeschläfert, weil es einen sehr schlechten Allgemeinzustand aufwies. Es war das vierte Kalb einer siebenjährigen Kuh. Das erste und dritte Kalb dieser Kuh waren phänotypisch unauffällig, das zweite starb zwei Wochen nach der Geburt, wies aber äußerlich keine Missbildungen auf. Der Vater des betroffenen Kalbes war ein Natursprungbulle. Auf dem Betrieb traten bisher keine solchen Missbildungen auf. Der Betrieb ist IBR-frei und impft gegen BVD. Dieses Kalb konnte vor der Euthanasie nicht mehr untersucht werden, da die Meldung erst anschließend stattfand. Der Landwirt berichtete aber, dass das Kalb einen hochgradigen Opisthotonus aufwies und nicht in der Lage war Tränke aufzunehmen.

Kalb 2 war ein männliches Deutsch Holstein-Limousin Kreuzungskalb. Dem Landwirt war zu Anfang nur der fehlende Schwanz aufgefallen. Das Tier hatte zudem Schwierigkeiten das Euter der Mutter zu finden, so dass es Hilfe brauchte. Erst nach ein paar Tagen fiel dem Landwirt auf, dass die Augenspalten ein wenig kleiner als normal waren und die Augen nicht regulär ausgebildet waren. Der Bestand ist IBR-frei und hinsichtlich BVD ist der Status unbekannt.

Bei einer klinischen Untersuchung erschien das Tier lethargisch. Bei Auskultation des Herzens konnte ein systolisches Rauschen gehört werden. Die virologische Untersuchung von Kalb und Mutter auf BVD-Antigen und -Antikörper mittels ELISA verlief negativ.

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Kalb 3 war das neunte Kalb einer Kuh der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt. Es stammte von einem IBR-freien Bestand. Der BVD-Status war unbekannt. Die Trächtigkeitsphase der Kuh verlief unauffällig. Bei den vorangegangenen acht Kälbern dieser Kuh waren keine angeborenen Anomalien nach dem Bericht des Landwirts aufgefallen. Die Fütterung bestand aus Gras- und Maissilage. Das betroffene Kalb zeigte eine physiologische Haltung und kein auffälliges Verhalten. Die Lidspalten waren geschlossen, so dass keine Aussage über das Vorhandensein von Augäpfeln gemacht werden konnte. Bei Auskultation des Herzens konnte ein holosystolisches Geräusch wahrgenommen werden. Die virologische Untersuchung mittels ELISA von Tier und Mutter auf BVD-Antigen verlief negativ, auf BVD-Antikörper positiv.

Tier 4 war ein weibliches, zwei Jahre altes, Deutsches Holstein Rind, Farbrichtung rotbunt. Es war munter und lief im Boxenlaufstall mit den laktierenden Tieren. In der Orbita konnte nur Fettgewebe festgestellt werden. Augäpfel waren nicht erkennbar.

Dieses Tier fiel weiterhin durch einen verkürzten Schwanz auf, der ungefähr eine Länge von 10 cm hatte. Bei der Auskultation konnte kein Herzgeräusch wahrgenommen werden.

Pathologische Untersuchung

Kalb 1 wies einen guten Ernährungszustand auf. Die Lidspalten waren nicht auffällig verkleinert. Bei ihrer Öffnung konnte man keinen Augapfel erkennen. Der Nervus opticus endete an beiden Augenhöhlen. Ebenso konnte ein drittes Augenlid und ein Blinzknorpel in beiden Augenhöhlen nachgewiesen werden. Histologisch konnte ein Augapfel im eigentlichen Sinne auf beiden Seiten nicht gefunden werden. Der Nervus opticus war histologisch unauffällig.

Das Herz wies einen Ventrikelseptumdefekt in der Größe von 1 x 2 cm unmittelbar unter den Semilunarklappen des Aortenausganges auf. Der Ductus arteriosus botalli war noch durchgängig. Die rechte Niere wies eine 2 x 2 x 1 cm große Zyste auf, die ein Renculi komplett ausfüllte. BVD-Virusantigen konnte immunfluoreszenz-mikroskopisch nicht nachgewiesen werden.

Kalb 2 wies einen mäßigen Ernährungszustand auf. Schwanzwirbel fehlten gänzlich.

An der Schwanzansatzstelle war die Haut verschorft. Beide Vordergliedmaßen wiesen eine Karpalbeugehaltung auf. Die Wirbelanzahl war vermindert. Es waren nur

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6 Halswirbel, 13 Thorakalwirbel und 3 Lendenwirbel vorhanden. Der letzte Brustwirbel war als Keilwirbel ausgebildet und ohne Zwischenwirbelscheibe mit dem ersten Lendenwirbel verwachsen. Das Os sacrum bestand aus vier unterschiedlich großen Elementen. Das Herz zeigte eine mittelgradige Dilatation des rechten Vorhofes und Ventrikels. Das Foramen ovale hatte einen Durchmesser von ca. 1,5 cm. Ein subvalvulärer Ventrikelseptumdefekt von 1 cm Durchmesser war zusätzlich vorhanden. In beiden Augenhöhlen war makroskopisch keine Augenanlage erkennbar, jedoch Muskulatur und Bindegewebe sowie Knorpelstrukturen. Auch histologisch waren in der linken Orbita keine weiteren Strukturen zu erkennen. Beide N. optici waren ausgebildet, jedoch im Durchmesser vermindert. In der rechten Orbita konnten histologisch Pigmentepithel, Konjunktiva, Choroidea und Knorpelstrukturen nachgewiesen werden. Als weitere Befunde fielen auf: Fehlen der rechten Niere, nur eine Nabelarterie und ein bis zum Hautnabel geöffneter Urachus.

Analyse des Pedigrees

Von den Kälbern 1 und 2 konnten keine vollständigen Pedigrees ermittelt werden. Die Kälber 3 und 4 wiesen keine Inzucht auf und es konnten auch keine gemeinsamen Vorfahren gefunden werden. Beim Vergleich mit den von BÄHR et al. (2003) untersuchten Tieren konnten keine gemeinsamen Vorfahren ermittelt werden.

Zytogenetische Untersuchung

Bei der zytogenetischen Untersuchung der Kälber konnten lichtmikroskopisch weder erkennbare Abweichungen in der Chromosomenanzahl noch strukturelle Chromosomenanomalien nachgewiesen werden. Kalb 2 wies den Karyotyp eines normalen männlichen Rindes mit 2n=60, XY, Kalb 3 wies den Karyotyp eines normalen weiblichen Rindes mit 2n=60, XX auf.

Diskussion

Bei zwei Tieren waren in der pathologisch-anatomischen Untersuchung keine dem Augenbulbus entsprechende Strukturen zu finden, so dass in diesen Fällen eine Anophthalmie zu Grunde lag. Zwei weitere Fälle wurden nur klinisch untersucht. Für diese Fälle war nicht klar, ob eine Mikrophthalmie oder Anophthalmie vorlag. Bei drei Fällen war zusätzlich ein Ventrikelseptumdefekt vorhanden. Diese

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Missbildungskombination wurde bisher nur einmal beim Rind von GOPAL et al.

(1986) im Zusammenhang mit Anophthalmie/Mikrophthalmie beschrieben. Eine Aussage, ob Ventrikelseptumdefekt und Anophthalmie/Mikrophthalmie syndromal vererbt werden oder ob sie unabhängig voneinander auftreten, ist schwierig zu machen, da bisher nur wenig familiäre Fälle vorliegen und die Frequenzen zum Auftreten bestimmter Missbildungen stark differieren. So lag die Frequenz für Anophthalmie/Mikrophthalmie bei GREENE et al. (1973) bei 3,6% aller Missbildungen, bei KÖNIG et al. (1980) bei 5,8 %. Beim Ventrikelseptumdefekt variierten die Angaben sogar noch mehr. GREENE et al. (1973) gaben für den Ventrikelseptumdefekt eine Frequenz von 0,2 % an, während sie bei KÖNIG et al.

(1980) mit 6,1 % angegeben wurde. Würden die höheren Frequenzen für Ventrikelseptumdefekt und Anophthalmie/Mikrophthalmie zugrunde gelegt und eine Unabhängigkeit zwischen diesen beiden Anomalien angenommen, so beträgt die Wahrscheinlichkeit für das gemeinsame Auftreten dieser beiden Missbildungen 0,058 x 0,061 = 0,00415 (0,42%). Diese erwartete gemeinsame Wahrscheinlichkeit weicht signifikant von der beobachteten Häufigkeit des gemeinsamen Auftretens von Ventrikelseptumdefekt und Anophthalmie/Mikrophthalmie ab (χ2 = 134,05 p< 0,001).

Somit ist festzustellen, dass das gemeinsame Auftreten von Ventrikelseptumdefekt und Anophthalmie/Mikrophthalmie bei drei von vier Fällen deutlich höher ist, als aus den höchsten bekannten Frequenzen dieser Missbildungen zu erwarten gewesen wäre. Da vermutlich zwischen den drei Fällen keine Verwandtschaft bestand, wird die

Vermutung unterstützt, dass Ventrikelseptumdefekt und

Anophthalmie/Mikrophthalmie auch als Missbildungskomplex auftreten können. Da die hier zu Grunde liegende Fallzahl sehr gering ist, kann erst bei weiteren derartigen Fällen von einem syndromalen Auftreten von Ventrikelseptumdefekt und Anophthalmie/Mikrophthalmie gesprochen werden. Bei Kalb 2 war kein Schwanz ausgebildet und bei Kalb 4 nur ein verkürzter Schwanz, so dass diese beiden Kälber Gemeinsamkeiten mit dem von RIECK (1966) beschriebenen Anophthalmie-Anurie-Komplex aufweisen.

Vitamin A-Mangel als Ursache für die Anophthalmie/Mikrophthalmie ist auszuschließen, da auf allen Betrieben zur selben Zeit weitere Kälber geboren wurden, die von dieser Augenanomalie nicht betroffen waren. Somit ist es

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unwahrscheinlich, dass in den Beständen Vitamin A-Mangel bei den Müttern während der Gravidität vorlag.

Weiterhin kann eine Virusinfektion der Kälber aufgrund der BVD-Virusantigenbefunde ausgeschlossen werden.

Das Pedigree war nicht aussagekräftig für eine Analyse der Erblichkeit, da die Daten zu unvollständig waren. Weitere Fälle bei den Nachkommen der jeweiligen Väter der Kälber sind bisher nicht bekannt. Beim Vergleich der Pedigrees mit denen von BÄHR et al. (2003) wurden keine übereinstimmenden Vorfahren gefunden. Dies könnte darauf hinweisen, dass die Anophthalmie bereits weit verbreitet ist. Bei Annahme eines monogenen autosomal rezessiven Erbgangs (ZAYED u. GHANEM 1964) ist das Auftreten mehrerer Merkmalsträger von der Allelfrequenz bei den Paarungspartnerinnen abhängig. Ein rezessiver Erbgang ist für die hier vorliegenden Fälle nicht auszuschließen, da die Elterntiere keine phänotypischen Veränderungen in Form einer Anophthalmie oder Mikrophthalmie zeigten.

Chromosomale Veränderungen, wie sie beim Menschen beobachtet wurden, konnten bei den zwei untersuchten Kälbern nicht nachgewiesen werden. Da in der Augenentwicklung eine große Anzahl von Genen beteiligt ist, wäre eine Untersuchung der beim Menschen bereits bekannten Anophthalmie/Mikrophthalmie verursachenden Gene notwendig, um die kausalen Gene für die vorliegenden Fälle zu finden.

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Anschrift der Verfasser

Ursula SCHULZE und Prof. Dr. Ottmar DISTL, Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Bünteweg 17p, 30559 Hannover.

E-mail: ottmar.distl@tiho-hannover.de Abb. 1 siehe Anhang Abb. 9.1

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10 Aphakie in Verbindung mit weiteren Missbildungen des Auges bei einem Kalb der Rasse Deutsche Holsteins

SCHULZE, U.¹, KUIPER, H.¹, SCHMIDTBAUER, S.2, WOHLSEIN, P.2, KRAUSE, A.3, HAAS, L.4, DISTL, O.¹

¹Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

2Institut für Pathologie, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

3Klinikfür kleine Haustiere, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

4Institut für Virologie, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

SCHULZE, U., KUIPER, H., SCHMIDTBAUER, S., WOHLSEIN, P., KRAUSE, A., HAAS, L., DISTL, O. (2006): Fallbericht: Aphakie in Verbindung mit weiteren Missbildungen des Auges bei einem Kalb der Rasse Deutsche Holsteins.

Dtsch. tierärztl. Wschr.

Zusammenfassung

Bei einem weiblichen Kalb der Rasse Deutsche Holsteins trat eine Aphakie in Verbindung mit weiteren Missbildungen beider Augen auf. Nach der klinischen Untersuchung war am linken Auge ein Mikrophthalmus mit Verdacht auf eine Missbildung des vorderen Augensegmentes festzustellen. Die Untersuchungen zeigten, dass ein Glaukom, eine Aphakie und eine unvollständige Ausbildung des uveoskleralen Maschenwerkes vorlag. Das rechte Auge wies einen Buphthalmus und ein Glaukom auf. Die klinische Verdachtsdiagnose einer Aphakie stellte sich in der pathologischen Untersuchung als Mikrophakie mit Luxation der Linse heraus. Sowohl bei der klinischen als auch bei der pathologischen Untersuchung konnten keine weiteren Missbildungen festgestellt werden. Eine BVD-Infektion wurde als Ursache für die Augenmissbildung ausgeschlossen. Ein Vitamin A-Mangel oder –Überschuss erschienen eher unwahrscheinlich, da dies auch andere Tiere des Bestandes betroffen hätte. Das Tier hatte einen Inzuchtkoeffizienten von 3,168%, was auf eine genetische Ursache der Augenmissbildungen hinwies.

Schlüsselwörter: Rind, Deutsche Holsteins, kongenitale Anomalie, Auge, Aphakie

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SCHULZE, U., KUIPER, H., SCHMIDTBAUER, S., WOHLSEIN, P., KRAUSE, A., HAAS, L., DISTL, O. (2005): Case report: Aphakia associated with additional ocular malformations in a German Holstein calf.

SCHULZE, U., KUIPER, H., SCHMIDTBAUER, S., WOHLSEIN, P., KRAUSE, A., HAAS, L., DISTL, O. (2005): Case report: Aphakia associated with additional ocular malformations in a German Holstein calf.