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Familiäres Auftreten von Diprosopus bei Kälbern der Rasse Deutsche

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3 Familiäres Auftreten von Diprosopus bei Kälbern der Rasse Deutsche Holsteins

Familiarity of Diprosopus in German Holstein calves

Ursula Schulze¹, Heidi Kuiper¹, Renate Doeleke², Reiner Ulrich², Axel Gerdwilker3, Ottmar Distl¹

Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Bünteweg 17p, 30559 Hannover, E-Mail: ursula.schulze@tiho-hannover.de, ottmar.distl@tiho-hannover.de

1Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

2Institut für Pathologie, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

3Klinikfür kleine Haustiere, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Zusammenfassung

Bei sechs Deutschen Holstein-Kälbern aus verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben wurde Diprosopus festgestellt. Das Ausmaß der Verdopplung variierte von einer partiellen Verdopplung von Nase und Oberkiefer bis hin zur vollständigen Verdopplung des gesamten Gesichts mit Ausbildung von zwei Maulhöhlen, vier Augen und vier Ohren. Weitere Kälber in der Verwandtschaft der Tiere oder auf den jeweiligen Betrieben waren nicht betroffen. Die von Diprosopus betroffenen Kälber hatten ein gemeinsames Pedigree. Zusätzlich konnte ein früherer Fall von Diprosopus in das Pedigree eingefügt werden. Somit konnte erstmals eine familiäre Häufung für das Vorkommen von Diprosopus nachgewiesen werden. Da die Vorfahren keinen Diprosopus aufwiesen und die Frequenz von Diprosopus in der Deutschen Holstein-Population vermutlich sehr gering ist, sind mehrere Gene mit rezessiver Wirkungsweise oder eine Kombination von Genen mit rezessiver und dominanter Wirkung für das Auftreten von Diprosopus anzunehmen.

Schlüsselwörter: Kongenitale Anomalie, Rind, Deutsche Holsteins, Diprosopus, Pedigree.

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Summary

Diprosopus was diagnosed in six German Holstein calves born on different dairy farms. The degree of facial duplication varied from a partial doubling of the nostrils and upper jaw to complete duplication of the face with formation of two mouths, four eyes and four ears. Further calves descending from the same parents or dams and calves from the same farms were not affected. A joint pedigree was ascertained for the calves with diprosopus. Furthermore, a previously reported case of diprosopus could be traced back to the same ancestors of this pedigree. Consequently, we detected the first time a familial accumulation of diprosopus. Since the ancestors showed no signs of diprosopus and the frequency of diprosopus in German Holsteins is presumably low, an oligogenic inheritance is likely. Recessive genes or a combination of recessive and dominant genes may cause this anomaly.

Keywords: congenital anomaly, cattle, German Holsteins, diprosopus, pedigree.

Einleitung

Doppelmissbildungen vereinigen Elemente zweier Individualteile teils komplett, teils inkomplett in einem zusammenhängenden Körper. Die Körperachsen sind dabei abschnittsweise oder auch in ganzer Länge doppelt vorhanden (Herzog 2001).

Anatomisch zeigen Doppelmissbildungen eine große Variabilität bezüglich des Verbindungsortes und des Grades von gemeinsam genutzten Organen. Die Verbindung kann nur über Hautbrücken zustande kommen oder ein oder mehrere Organe betreffen (Hiraga und Dennis, 1993).

Der Diprosopus (griech. zwei Gesichter) gehört in die Gruppe der Parapagi, bei denen nur ein Körper ausgebildet wird (Spencer, 2000). Die Verdopplung betrifft beim Diprosopus nur den Gesichtsschädel. Im Unterschied zum Dizephalus (Doppelkopf) sind zwar variable Verdoppelungen des Gesichtsschädels festzustellen, jedoch ist die Halswirbelsäule nie verdoppelt, und es wird nur ein Foramen occipitale magnum ausgebildet (Spencer und Robichaux, 1998; Bähr et al., 2004).

Der Diprosopus kann unterschiedliche Ausprägungen haben, die Hiraga und Dennis (1993) in fünf verschiedene Gruppen unterteilt haben:

Grad I: Partielle Verdopplung der Stirnregion, der Nase und des Oberkiefers

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Grad II: Partielle Verdopplung der Stirn, der Nase und des Oberkiefers mit Ausbildung eines dritten median liegenden Auges

Grad III: Verdopplung des Gesichts mit Ausbildung von zwei Maulhöhlen, vier Augen und zwei Ohren

Grad IV: Verdopplung des Gesichts mit Ausbildung von zwei Maulhöhlen, vier Augen und drei Ohren

Grad V: Verdopplung des Gesichts mit Ausbildung von zwei Maulhöhlen, vier Augen und vier Ohren, aber einem gemeinsamen Hals

Die Ursache der Entstehung von Doppelbildungen ist bisher noch unklar, und nach wie vor wird diskutiert, ob es sich bei Doppelbildungen um eine Fusion oder Spaltung handelt. Modrovich (1969) nahm an, dass bei Doppelmissbildungen eine unvollständige Trennung der Blastozyste im Stadium des Primitivstreifens erfolgt.

Eine Beziehung zwischen der Häufigkeit von Doppelmissbildungen und Zwillingsgraviditäten konnte allerdings nicht nachgewiesen werden. Mit Inzuchtpaarungen und dem Konzeptionsalter der Mütter konnte das Auftreten von Doppelmissbildungen ebenfalls nicht erklärt werden. Allerdings ergab ein Vergleich der Konzeptionstermine der Mütter eine erhöhte Frequenz von Doppelmissbildungen in den Wintermonaten (Modrovich, 1969).

Bisher wurde in der Literatur von insgesamt 18 Einzelfällen von Diprosopie bei Kälbern berichtet (Hishinuma et al., 1987; Jenkins und Hardy, 1968; Leipold und Dennis, 1972; Müller-Schlösser, 1974; Saperstein, 1981; Muylle et al., 1997; Pötz, 1999). Wenn auch Diprosopus zu den häufigsten Doppelmissbildungen beim Kalb gehört, so sind Doppelmissbildungen mit einer Frequenz von 0,0001% (Keller und Nieboda, 1937) bis 0,0004 (Modrowich, 1969) sehr gering. Eine nähere Beschreibung der bisherigen Fälle von Diprosopus bei Kälbern ist bei Bähr et al. (2004) zu finden.

Bähr et al. (2004) berichteten über drei Kälber der Rassen Deutsche Holsteins, Deutsch Angus und Deutsches Fleckvieh. Die Tiere wurden auf verschiedenen Betrieben geboren. Bei zwei Kälbern konnte ein Diprosopus mit Tetraophthalmus diagnostiziert werden. Bei dem dritten Kalb wurde eine partielle Verdopplung der Stirnpartie mit der Ausbildung eines dritten Nasenlochs beobachtet. Als Ursache wurden genetische Effekte, Inzucht und vermehrtes Auftreten von Zwillingsgeburten in Betracht gezogen.

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Material und Methodik

Bei 5 Kälbern und einem Fetus der Rasse Deutsche Holsteins (DH) von verschiedenen Betrieben wurde das Auftreten von Diprosopus beobachtet. Die Kälber 1, 5 und 6 lebten zum Zeitpunkt der Untersuchung noch und wurden klinisch untersucht. Zur Untersuchung der Kälber 1 und 2 wurden Computer Tomographie (CT) und Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) an der Klinik für kleine Haustiere der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover eingesetzt. Bei den Tieren 1 bis 5 wurde eine pathologische Untersuchung vorgenommen. Im Institut für Virologie wurden Blutproben auf das Vorhandensein von BVD-Virus-Antigen und

-Antikörper untersucht. Aus EDTA-Blutproben wurde ein Blutbild für die Kälber 1 und 5 angefertigt. Am Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover wurde von Kalb 1, 5 und 6 eine Chromosomenanalyse durchgeführt. Die Darstellung der Chromosomen erfolgte nach Standardmethoden aus den Blutlymphozyten mittels einer Phytohämagglutinin-stimulierten Vollblutkultur. Für die Karyotypisierung wurde der internationale Standard für Rinderchromosomen (ISCNDB 2000) verwendet. Die Pedigrees aller sechs Tiere wurden mit dem Tier der Rasse Deutsche Holsteins von Bähr et al. (2004) verglichen.

Inzuchtkoeffizienten und Verwandtschaftsgrade wurden mit dem Programm Opti-Mate, Version 3.81 (Wrede und Schmidt, 2003), berechnet.

Ergebnisse Anamnese

Kalb 1: Das weibliche Kalb der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, wurde am 19.10.04 geboren. Sein Kopf wies zwei Nasenanlagen und ein drittes, median gelegenes Auge auf (Abb. 1a). Das Kalb hatte zwei Tage lang keine Milch aufgenommen und besaß keine Orientierung. Der Landwirt lieferte es in der Klinik für Rinder der Stiftung Tierärztliche Hochschule ab. Die Mutter war eine Färse, der Vater des Kalbes ein Besamungsbulle. Der Auszug des Kalbes war schwierig, wurde aber ohne Tierarzt vorgenommen. Die Trächtigkeit verlief unauffällig. In der Verwandtschaft des Kalbes traten bisher weder Zwillingsgeburten noch Missbildungen dieser Art auf. Der Betrieb ist ein IBR-Impfbetrieb. Sein BVD-Status ist unbekannt.

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Kalb 2: Das weibliche Kalb der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, wurde am 19.11.04 geboren. Das Tier wies eine Brachygnathia superior, eine Hasenscharte und eine dritte Augenanlage auf (Abb. 1b). Es wurde am Tag der Geburt vom Tierarzt eingeschläfert. Das Tier wurde 26 Tage vor dem geplanten Geburtstermin geboren. Das von dieser Kuh stammende Kalb aus dem Vorjahr war unauffällig. Der Vater war ein Besamungsbulle. Der Betrieb ist IBR-frei und ein BVD-Impfbetrieb.

Kalb 3: Es handelte sich um einen im 4. Monat abortierten Fetus der Rasse Deutsche Holsteins einer erstlaktierenden Kuh (Abb. 1c). In dem Bestand trat zuvor bereits ein Abort auf, der Fetus war phänotypisch normal. Weiterhin berichtete der Landwirt über eine hohe Anzahl lebensschwacher Kälber und über Probleme mit der Fruchtbarkeit der Tiere. Der behandelnde Tierarzt stellte in dem Bestand einen Kupfermangel fest.

Kalb 4: Das männliche Kalb der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung rotbunt, stammte von einer Färse und einem Natursprungbullen (Abb. 1d). Weil die Kuh nach einer Tragzeit von 281 Tagen nicht in die Geburt kam, wurde am 05.03.05 ein Kaiserschnitt vorgenommen. Das Kalb lag in Vorderendlage im Geburtsweg und verstarb kurz nach der Geburt. Weder auf mütterlicher noch auf väterlicher Seite gab es Berichte von Zwillingsträchtigkeiten. Beim Natursprungbullen war nur ein Hoden von außen durch Palpation festzustellen. Alle weiteren vier Kälber, die von diesem Bullen abstammten, wiesen bei der Geburt keine Anomalien auf.

Kalb 5: Das männliche Kalb der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, stammte von einer Kuh, die vorher bereits zwei gesunde Kälber hatte (Abb. 1e). Die Trächtigkeit war unauffällig, und das Kalb wurde um den erwarteten Geburtstermin geboren. Zwillingsträchtigkeiten kamen bei der Mutter bisher nicht vor.

Im letzten Jahr gab es auf dem Betrieb einen BVD-Einbruch, seitdem wird geimpft.

Der Betrieb ist IBR-frei. Die Kühe bekommen Gras- und Maissilage, im Sommer haben sie zusätzlich Weidegang.

Kalb 6: Das weibliche Kalb der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, stammte von einer Färse (Abb. 1f). Die Trächtigkeit verlief unauffällig, und das Kalb wurde um den erwarteten Geburtstermin geboren. Der Bestand ist ein IBR-Impfbetrieb, und auf BVD wird nicht regelmäßig untersucht. Die Kühe bekommen Gras- und Maissilage, im Sommer haben sie zusätzlich Weidegang.

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Klinische Untersuchungen

Kalb 1: Das Tier besaß ein verdoppeltes Flotzmaul und in der Medianen ein drittes Auge. Es kam an seinem zweiten Lebenstag in die Klinik für Rinder der Stiftung Tierärztliche Hochschule. Es wies eine Pulsfrequenz von 80 Schlägen pro Minute und eine Atemfrequenz von 56 Zügen pro Minute auf. Die Temperatur betrug 36,4 °C.

Das Tier zeigte einen Opisthotonus. In beiden Maulhöhlen war eine Gaumenspalte fühlbar. Die Untersuchung im MRT zeigte, dass das Tier zwei Hypothalami und zwei Hypophysen besaß. Von drei vollständig ausgebildeten Augen wies das mittlere zwar nur eine Linse, aber zwei Glaskörper auf. Der Pannikulusreflex war teilweise erhalten, aber herabgesetzt. Stellreflexe waren nicht auslösbar, und die Oberflächensensibilität nicht vorhanden. Die Tiefensensibilität war herabgesetzt, aber erhalten. Nach der Narkose wies das Tier eine hochgradige Dyspnoe auf.

Kalb 5: Das Kalb besaß ein verdoppeltes Angesicht mit zwei Mäulern, vier Augen.

und vier Ohren. Dieses Kalb lag bei seiner Einlieferung in die Klinik für Rinder fest und war apathisch. Die Pulsfrequenz lag bei 200 Schlägen pro Minute, die Atemfrequenz bei 56 Zügen pro Minute. Die Körpertemperatur betrug 39,1 °C. Die Nasenhöhlen wiesen einen geringgradigen, purulenten Nasenausfluss auf, die Maulschleimhaut war leicht gerötet. Von den vier Augen erschienen die inneren ein wenig kleiner. Sie waren alle unabhängig voneinander beweglich. Ein Drohreflex konnte über keines der vier Augen ausgelöst werden. Die beiden inneren Augen wiesen keinen Pupillar-, Corneal- und Lidreflex auf, bei den äußeren Augen waren diese Reflexe noch vorhanden.

Bei der Verabreichung von Tränke über das rechte Maul lief die Milch durch das zweite Maul heraus. Wurde das Kalb über das linke Maul getränkt, so führte es Schluckbewegungen auf beiden Seiten aus. Zungentonus, Schwanztonus, Analreflex und Pannikulusreflex waren erhalten. Die Sensibilität an den Vordergliedmaßen war deutlich herabgesetzt, an den hinteren Gliedmaßen war sie vollständig erhalten.

Kalb 6: Dieses Tier besaß vier Nasenlöcher, zwei Augen und zwei Ohren. Die beiden mittleren Nasenlöcher lagen wie eine Hundeschnauze auf und zwischen den beiden anderen Nasenöffnungen. Bei der klinischen Untersuchung wurde deutlich, dass nur die beiden äußeren Nasenlöcher luftführend waren. Dieses Kalb war sehr munter und erschien - von der Missbildung abgesehen - klinisch gesund. Der Kopf war auffällig verbreitert und wies eine Eindellung auf, die sich median etwas unter Augenhöhe

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befand. Kurz darunter befand sich ein warzenähnlicher Fortsatz. Die Maulhöhle wies kaum Veränderungen auf. Nur die letzten zwei Zentimeter des Oberkiefers ließen eine Zweiteilung desselben erahnen. Auf der Rückenmitte und am linken Hinterbein konnte ein Fellverlust festgestellt werden.

Pathologisch-anatomische und histologisch-pathologische Untersuchungen

Kalb 1: Das Körpergewicht betrug 43 kg. Es lagen ein Körper und ein Kopf mit teilweiser Verdopplung des Angesichts vor. Die Maulhöhlen und die Flotzmäuler waren doppelt angelegt. Sehr weit seitlich am Schädel befand sich jeweils ein Auge.

In der Mitte des Schädels befand sich eine faustgroße knöcherne Erhebung mit einer kleinen bewimperten Öffnung. Hinter dieser Öffnung konnte man ein drittes Auge erahnen. Dieses mediane Auge besaß nur eine Kornea, und seine Iris war vertikal mandelförmig. Der caudale Anteil der Sklera ragte etwas links der Medianen sichelartig ins Augapfelinnere vor. Jeweils lateral von dieser Vorwölbung befand sich ein N. opticus. Die Retina erschien vor allem rechts medial des rechten Sehnervendurchtrittes verdickt. Die beiden äußeren Augen waren unauffällig.

Das ZNS lag kranial des Mittelhirns in kompletter Verdopplung vor. Die vier Großhirnhemisphären zeigten deutliche Asymmetrie. Die medialen Hälften besaßen eine dorsoventrale Ausbreitung. Die lateralen Hälften besaßen im Transversalschnitt eine annähernd dreieckige Form. Das Diencephalon war doppelt angelegt, jedes besaß jeweils eigene 1. und 2. Gehirnnerven sowie ein Chiasma opticum. Im Bereich des Mesencephalons und des Rautenhirnes waren die Anlagen verschmolzen. Zwei medial getrennte Kleinhirnanlagen besaßen jeweils nur eine laterale Verbindung zum Stammhirn. Patho-histologisch konnten ventromedial der linken Kleinhirnanlage am Übergang ihres Pedunculus cerebelli zum Stammhirn in der weißen Substanz 2 kleine, rundliche Anlagen mit Kleinhirnrindenmorphologie gefunden werden. Auch im Pedunculus cerebrelli der rechten Kleinhirnanlage fand sich eingebettet in weiße Substanz eine eliptisch geformte Anlage mit Kleinhirnrindenmorphologie. Der vierte Ventrikel war deutlich verbreitert. Das Rückenmark war ebenso wie die übrigen Organe unauffällig.

Kalb 2: Das Körpergewicht dieses 26 Tage zu früh geborenen Kalbes betrug 26 kg.

Das Tier besaß einen mopsartig verkürzten Kopf mit drei Augen. Das linke Auge war ohne Missbildungen und lag hinter einer auf 1,5 cm verengten Lidöffnung. Das

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mittlere Auge lag unmittelbar rechts der Medianen und wies eine Lidöffnung von 2,5 cm auf. Histologisch zeigte dieses Auge eine mittelgradige Hypoplasie des Ziliarkörpers und eine Dysplasie der vollständig abgelösten Retina mit Aplasie der Ganglienzellschicht und knäuelartig verwachsener Ausbildung der Retina. Anstatt eines rechten Auges befand sich hinter einer 5 mm großen Lidöffnung in fließendem Übergang von dieser ein helles, weiches Gewebe. Histologisch erwiesen sich diese Strukturen als Bindegewebe und drüsiges Gewebe einer seromukösen Drüse mit geringgradiger Sekretion eines eosinophilen Materials. Die Schädelkalotte wies eine hochgradige Asymmetrie mit hochgradigen, unregelmäßigen inneren und äußeren Knochenauftreibungen auf. Der Oberkiefer war asymmetrisch mit hochgradiger Brachygnathia superior. Es bestand eine vollständige Oberkiefer- und Gaumenspalte, und beide Oberkieferanteile waren geringgradig nach medial eingedreht, die linke Hälfte zudem nach ventral gebogen. Ein unpaares Nasenloch in einem unvollständig ausgebildeten Nasenspiegel ohne Relief ging asymmetrisch rechts aus dem linken Oberkieferanteil hervor. Die Nasenmuscheln dieser Seite waren stark verkürzt und verformt. In der Tiefe der rechten Oberkieferanlage war eine weitere, rundliche Nasenanlage in Form von groben Nasenmuscheln zu finden. Das Gehirn zeigte eine hochgradige Dys- und Hypoplasie. Die Medulla oblongata war einfach angelegt. Es fand sich ein asymmetrisches Kleinhirn mit hochgradiger Hypoplasie der rechten Kleinhirnhemisphäre in normalanatomischer Lage sowie eine weitere heterotrope Kleinhirnanlage ca. 6 cm weiter rostral auf einer rechtsseitig weiterziehenden Hirnanlage. Diese zweite Kleinhirnanlage war mittelgradig hypoplastisch und asymmetrisch ausgebildet, mit stärkerer Betonung der rechten Hemisphäre und einer unvollständigen Vermisanlage. Die Vier-Hügel-Platte lag teilweise in Verdopplung vor.

Die rechtsseitig weiterziehende Hirnanlage besaß einen dorsal offen klaffenden Aquaeductus mesencephali. Die linksseitig weiterziehende Hirnanlage wies eine hochgradig hypo- und dysplastische Anlage einer einzelnen Großhirnhemisphäre auf.

Der Seitenventrikel war hochgradig dilatiert und stand in Verbindung mit dem Aqueductus mesencephali der rechten Hirnanlage. Dadurch bestand ein gemeinsamer Hydrocephalus externus und ein linksseitiger Hydrocephalus internus.

Die Hypophyse war einfach angelegt. Das Rückenmark und die übrigen Organe waren unauffällig.

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Kalb 3: Der weibliche Fetus hatte eine Scheitelsteißlänge von 34 cm bei einem Gewicht von 2,7 kg. Der Gesichtsschädel wies eine vollständige Verdopplung mit vier Augen und zwei Mäulern auf. Zwei Ohren waren an den lateralen Seiten der Verbindungsstelle der beiden Köpfe vorhanden. An der Stelle, an der die anderen beiden Ohren zu erwarten gewesen wären, waren die Köpfe zusammengewachsen.

Die Augen des Tieres waren unauffällig. Der rechte Kopfanteil wies eine Brachygnathia inferior auf. Die Unterkiefer waren ab den Unterkieferwinkeln zusammengewachsen, und die zwei Zungen verschmolzen am Zungengrund. Der Pharynxbereich war in seinem rostralen Anteil doppelt angelegt, um dann medial zu verschmelzen. Es waren ein Kleinhirn, aber zwei Großhirne vorhanden. Ansonsten waren keine weiteren Missbildungen feststellbar.

Kalb 4: Der Kopf dieses männlichen, 37,8 kg schweren Kalbes besaß vier Augen, vier Ohren und zwei Maulhöhlen. Die Augen waren physiologisch ausgebildet. Beide Hirnschädel enthielten jeweils ein vollständig ausgebildetes Großhirn, Kleinhirn und Mesencephalon. Diese vereinigten sich in einem gemeinsamen Metencephalon und Rückenmark. Die Wirbelsäule wies eine hochgradige Skoliose auf. Am Übergang von der Hals- zur Brustwirbelsäule befand sich eine Myelozele. Kranial der Myelozele war die weiße Substanz des Rückenmarks dysplastisch. Kaudal der Myelozele war eine Diplomyelie mit zwei Zentralkanälen vorhanden.

Beide Maulhöhlen wiesen eine Palatoschisis auf. Die doppelt angelegten Schlundköpfe mündeten in einen gemeinsamen Kehlkopf mit zweifach ausgebildeter Epiglottis. Zwei getrennt beginnende Speiseröhren liefen auf Höhe des Kehlkopfes zu einem gemeinsamen Ösophagus zusammen. Dieser war auf Herzbasishöhe ringförmig durch einen arteriellen, quer zum Ösophagus verlaufenden Gefäßbogen umschlossen. Letzterer wurde von zwei aus der rechten Herzkammer mit Semilunarklappen entspringenden Gefäßen und einem über dem Ösophagus laufenden Quersteg zwischen diesen beiden Gefäßen gebildet. Das Herz besaß einen Ductus arteriosus botalli zwischen Aorta und Truncus pulmonalis sowie zwischen einem persistierenden rechten Kiemenbogen und dem Truncus pulmonalis.

Das Vorhofseptum war lediglich als dünnwandige Membran vorhanden. Die Herzkammern kommunizierten durch einen unmittelbar unter den Atrioventrikularklappen befindlichen Ventrikelseptumdefekt. Alle übrigen Organe waren einfach angelegt und ohne besonderen Befund.

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Kalb 5: Das Gewicht des Tieres betrug 39,5 kg. Der Gesichtsschädel wies eine vollständige Verdopplung mit zwei Maulhöhlen, vier Augen und zwei Ohren auf. Beide Nasen zeigten eine Außendeviation, wovon die des linken Kopfes deutlich, die des rechten Kopfes geringgradig ausgeprägt war. Die Zunge war doppelt angelegt, wobei Zungenbein und Larynx nur einfach ausgebildet waren. Der Truncus bicaroticus teilte sich in drei Aa. carotes communes. Der rechte Spitzenlappen der Lunge wies eine ungewöhnliche Lappung auf. Die Großhirne waren vollständig voneinander getrennt.

Kalb 5: Das Gewicht des Tieres betrug 39,5 kg. Der Gesichtsschädel wies eine vollständige Verdopplung mit zwei Maulhöhlen, vier Augen und zwei Ohren auf. Beide Nasen zeigten eine Außendeviation, wovon die des linken Kopfes deutlich, die des rechten Kopfes geringgradig ausgeprägt war. Die Zunge war doppelt angelegt, wobei Zungenbein und Larynx nur einfach ausgebildet waren. Der Truncus bicaroticus teilte sich in drei Aa. carotes communes. Der rechte Spitzenlappen der Lunge wies eine ungewöhnliche Lappung auf. Die Großhirne waren vollständig voneinander getrennt.